Der Wildschütz Pius Walder – der Nachfahre alten Rebellentums

Es war mir eine große Ehre, als ich von der Familie Walder gebeten wurde,  am Todestag von Pius Walder am. 2. September 2002 an seinem Grab eine Gedenkrede zu halten. In dieser Rede ging ich auch auf die alte Geschichte des Wilderns ein.

 

Rebellen waren die früheren Bauernburschen, die es sich nicht gefallen ließen, dass der Bauer nicht das Recht zur Jagd hatte. Tausend Jahre lang haben die Bauern für ihre Rechte gekämpft.

Ich will, so fuhr ich fort, das Wildern nicht rechtfertigen, das steht mir nicht zu, und ich will auch niemanden anprangern, ich will aber festhalten, dass mit gewissen Formen des Wilderns eine alte Kultur sozialen Rebellentums verknüpft ist. 

Pius gehörte, wie ich meine, dieser Kultur an.

Ein altes Trauerlied für einen Wilderer

Nach den mir vorliegenden Unterlagen und den Ergebnissen der Gerichtsmedizin war es ein glatter Mord, der an Pius begangen wurde, denn die Kugel traf ihn in den Hinterkopf. Pius war auf der Flucht und wurde kaltherzig von Jägern, die in ihm vielleicht einen Konkurrenten sahen, abgeknallt.

 

Mich erinnert dieser Tod des Pius an eine Begebenheit bei uns in Oberösterreich in der Nähe von Windischgarsten,  wo im Jahre 1923 ein Bauernbursch als Wilderer auf ähnliche Weise von Jägern erschossen wurde. Auch dieser Wilderer stammte genauso wie Pius aus einer angesehenen Bauernfamilie, auch er hatte Brüder, die  den Jägern Rache schwuren, aber diese nie ausführten. Der Text auf dem Totenbild, das sie für ihren Bruder verfasst haben, ist bemerkenswert und passt auch auf das Schicksal des Pius. Es heißt da:

 

“Die edle Jägerleidenschaft

trieb mich auf Bergeshöhn

Zu meinen lieben Gemselein

So frei, so stolz, so schön

Der Tag neigt sich, ich kehr zurück

Und fand den Weg versperrt

Erschossen armen Schützen mich,

ist doch die Welt verkehrt.

Betrachtet doch, Mensch ist doch Mensch,

Warum schoss man mich tot,

Waffengewalt wird angewandt

Nur zur Zeit der Kriegesnot.

Es gibt einen gerechten Richter noch,

Der Herrgott weiss es schon,

Das Gute wiegt das Böse auf,

Der Himmel wird mein Lohn“.

 

Dieses Gedicht und die damit verbundene Geschichte von dem jungen getöteten Wildschütz im Toten Gebirge erinnern an den Tod des Pius, dem es ähnlich erging. Auch die Familie des oberösterreichischen Wildschützen litt schwer, heute weint noch eine alte Frau, die Schwester des getöteten Wilderers, wenn sie sich ihres Bruders erinnert.

 

Der Mord an Pius ist eine ungemeine Ungerechtigkeit und durch nichts zu rechtfertigen.

Die alte Rebellenkultur der Wilderer und das Jahr 1848

Die Jäger, die Pius erschossen haben, glaubten offensichtlich, sie hätten das mittelalterliche Recht, einen Wildschützen zu erschießen, genauso wie es die hohen Herrschaften noch im 15. und 16. Jahrhundert als selbstverständlich sahen. Damals wurde Wildern geradezu als Majestätsverbrechen gesehen, denn die Jagd nahmen die Aristokratie für sich alleine in Anspruch. Der Bauer durfte nicht jagen. Dies ließ er sich aber nicht gefallen und wurde zum Rebellen. Rebellen sind typisch für alle Kulturen, in denen Bauern sich unterdrückt fühlen.

 

Rebellen waren die Tiroler Bauern, die 1525 unter ihrem Führer Michael Gaismaier zum Kampf gegen die Unterdrückung durch die Habsburger antraten und für ihr Jagdrecht kämpften. Kaiser Maximilian war unbeliebt bei den Bauern, weil er das Wild derart überzüchtet hat, dass die Bauern unter dem Wildschaden zu leiden hatten. Erlegte damals aus der Not heraus oder wegen des Wildschadens ein Bauer ein Stück Wild, so war die Strafe grausam. Der Wilderer wurde an den Pranger gestellt, einige wurden hingerichtet, einige wurden in den Banat verbannt und einige wurden zur grausamen Galeerenstrafe verurteilt.

 

Tausend Jahre kämpfte der Bauer um das Jagdrecht. Erst 1848 erhielt er es, als Hans Kudlich, der Bauernbefreier, bei der großen Revolution gegen die Macht der Habsburger und der gesamten Aristokratie sich für die Freiheit des Bauern einsetzte. Die Bauern wurden zwar frei, aber den Kleinbauern ging es weiterhin schlecht. Manche verschuldeten sich, sie nahmen Kredite auf, die sie nicht zurückzahlen konnten. Es kam in der Folge zur Versteigerung von Bauernhöfen, alte Aristokraten und reiche Bürger kauften solche auf.

 

Jedenfalls entwickelte sich im Gebirge eine Kultur des Wilderns, zu der auch die Sennerin als Kumpanin des Wilderers gehörte. In Liedern werden Wildschütz und Sennerin verehrt. Die Bauernburschen standen auf dem Standpunkt, dass das Wild in ihren Bergen ihnen gehöre und nicht dem noblen Jagdherrn, der aus der Stadt und von seinem Schloss einmal im Jahr angereist kam, um sich Wild vor die Flinte treiben zu lassen. Die Abschusszahlen der noblen Leute waren enorm. So soll der Thronfolger Franz Ferdinand, der in Sarajewo erschossen wurde, bei 200.000 Stück Wild im Laufe seines Lebens erlegt haben.  Das ärgerte die Bauernburschen, die selbst nicht jagen durften. Gerade bei den rebellischen Bauern im Gebirge, aber auch bei den frei denkenden Bürgern hat sich eine Sympathie für die alten Wildschützen erhalten. In Geschichten, Filmen und Romanen zeigt sich dies heute noch.

Die Walder-Brüder in der Tradition des Andreas Hofer

Ein berühmtes Bild ging 1982 durch die Zeitungen, nämlich das Bild vom

Rache-Schwur der Walder-Brüder am offenen Grab ihres Bruders. 

 

Für viele Menschen, zu ihnen gehörte auch ich, wurde dieses Bild geradezu zum Symbol des Widerstands gegen die Willkür von Jägern, die sich als Herrn über Leben und Tod sahen. Dieser Schwur zeigte den unbändigen Freiheitswillen von Menschen, die sich Ungerechtigkeiten, die sie als solche sehen, nicht gefallen lassen. Der Schwur der Walder-Brüder wurde für mich zum Inbegriff für den Tiroler Freiheitswillen schlechthin,  durchaus in der Tradition von Andreas Hofer, der als konservativer Rebell es sich nicht gefallen ließ, dass eine fremde Macht ungefragt ihren Willen aufzwingen wollte.

 

Genauso wie Andreas Hofer fordert auch Hermann Walder Gerechtigkeit, wie er sie sieht. Dafür gebührt ihm, aber auch seiner Frau und seinen Kindern mein ehrlicher Respekt. Hermann Walder meinte übrigens einmal zu mir, dass Andreas Hofer genauso von Tirolern verraten wurde wie sein Bruder. Ihm gefällt, dass Oberösterreichs Landeshauptmann bei der Eröffnung es Wilderermuseums anwesend war und ihm, dem Hermann Walder,die Hand gedrückt hat. Dies wäre ihm in Tirol noch nicht passiert, meinte er.

Der Ehrenkodex der alten Wildschützen

Als ich mich näher mit dem Schicksal des Pius Walder beschäftigte, wurde mir auch klar, dass das Wildern stets ein archaisches Symbol des Freiheitsstrebens der Menschen in den Bergen war. Allerdings nicht jede Art von Wildern gehört dazu.

 

Dem Ehrenkodex der alten Wildschützen entsprach, dass man sich auf keinen Kampf mit dem Jäger einließ und dem Wild ehrlich nachstellte. Wilderer, die Schlingen legten, um das Wild auf grausame Weise zu töten, galten als unehrenhaft, ebenso wie die heutigen Autowilderer, die mit ihren Autos bei Nacht in den Wald fahren und das Wild blenden, um es leicht abknallen zu können. Ein solcher Wilderer war Pius nicht. Er nahm viel Mühen auf sich, um hoch in den Bergen der Gams nachstellen zu können. Er war mit keinem geländegängigen Fahrzeug unterwegs wie moderne tapfere Jäger.

Pius hielt sich auch als bäuerlicher Wilderer an Schonzeiten. Pius erinnert an jene Bauernburschen, die in früheren Jahrhunderten als  Helden der kleinen Leute für ihr angestammtes bäuerliches Jagdrecht mit jenen Mitteln kämpften, die ihnen zur Verfügung standen, nämlich mit Mut, Stärke und Treue. Und treu war der Pius seiner Brüdern und seiner Familie. Diese Treue ist den Brüdern Walder eigen.

Das Gedenken an Pius Walder im Wilderermuseum

Im Wilderermuseum zu St. Pankraz wird des Wildschüzen Pius Walder in allen Ehren gedacht. Einige Utensilien, die ihn bei seiner Jagd begleiteten, sind dort zu sehen. Darunter befindet sich ein angekohlter Korken, der Pius dazu diente, sein Gesicht im Stile alter Wildschützen zu schwärzen, aber auch sein Gewehr ist in einer Vitrine zu sehen

 

Wir vom Wilderermuseum halten das Andenken an Pius in Ehren und haben größten Respekt vor der Familie Walder.