Das Landarztehepaar im Gebirge – bei Bergbauern, Holzknechten und Wildschützen - der Goldschatz der Ungarn

(Ich beziehe mich hier vor allem auf mein Buch: "Landärzte - Als Krankenbesuche noch Abenteuer waren", Böhlau, 1998)

Meine Eltern Dr. Roland Viktor Luise (so heißt er mit vollem Namen) und Dr. Leopoldine Girtler wurden also 1947 die Ärzte von Spital am Pyhrn.

Mein Vater war offiziell der Gemeindearzt und meine Mutter seine ärztliche Mitarbeiterin und Vertreterin. Sie hatten im alten Gemeindehaus eine gemeinsame Ordination verbunden mit einer prächtige Wohnung, in der wir Kinder , mein Bruder Dieter, geboren 1942, und meine Schwester Erika, geboren 1949, aufwuchsen.

 

Das Haus, in dem im ersten Stock Ordination und Wohnung untergebracht waren, stand im Eigentum der Gemeinde Spital am Pyhrn. Im Parterre waren daher auch die Amtsräume der Gemeinde.  Die Gemeinde hatte dies Haus wohl vor 1900 vom Schmiedemeister Lindermaier erworben, der daneben seine Schmiedewerkstätte, mit der eine Wehr und ein großer Stall verbunden waren, besaß. Gegenüber dieses Stalles lag das Wohnhaus der Familie des Schmiedemeisters. Vielleicht wohnte hier früher dessen Gesinde, und der Schmiedemeister mit den Seinen selbst in dem Herrenhaus, das dann zum Gemeindehaus wurde. Zur Zeit meiner Kindheit und auch später, bis die Gemeinde in das neue Haus am Hauptplatz übersiedelte, war über dem Eingangstor dieses ehemaligen Herrenhauses eine große schwarze Tafel angebracht, auf der das Wort „Gemeindeamt“ zu lesen war.

 

Neben dem Eingangstor war eine kleine Tafel angebracht, die die Vorübergehende aufmerksam machen sollte, dass hier ein Praktischer Arzt, der gleichzeitig auch Gemeindearzt ist, seine Ordination hat. Vom Parterre führte eine steile Stiege zu dieser und zu unserer Wohnung hinauf. Im Parterre hinten war der Keller untergebracht, in dem meine Mutter Äpfel, Birnen, Kartoffel und andere Kostbarkeiten lagerte. Durch die hintere eiserne Tür gelangte man ins Freie. Links von der Tür befand sich der Holzschuppen, in dem die Holzscheiteln lagen, die wir Buben wenn nötig in einem Korb hinauf in die Wohnung trugen.

Hinter dem alten Gemeinde- und Doktorhaus fließt der Trattenbach, in den wir unsere Küchenabfälle warfen. In unserer Wohnung gab es eine großräumige Küche mit einem großen Herd, der mit Holz befeuert wurde. Hier wurde gekocht. Eine unserer Hausgehilfinnen pflegte, um sich zu wärmen, auf den noch warmen Ofen zu setzen. Werde das Bild dieser am Ofen sitzenden Dame nicht vergessen.

An die Küche schloss unser Speisezimmer an, in dem ein Klavier, ein gediegener Esstisch mit Sesseln, eine große und kleine Kredenz und ein Sofa standen, auf dem mein Vater nach der Ordination  sich auszuruhen pflegte, ehe er auf Krankenbesuche fuhr.  Das Zimmer, das mein Bruder und ich bewohnten, lag an der Ecke zu unserem Garten. Der Garten des Arztes war ein herrlicher Garten mit Gemüse- und Erdbeerbeeten. An diese schloss sich eine Wiese an, auf der wir spielten, uns sonnten und im Sommer Gäste zu einer Jause empfingen.

 

Der Kontakt meiner Eltern zu den Spitalern war herzlich. Unsere Eltern verlangten von uns, dass wir jeden, den wir in Spital am Pyhrn auf der Straße trafen, grüßten. Das Grüßen ist derartig bei mir verinnerlicht, dass ich heute noch jeden grüße, der mir im Ort begegnet.

 

Die Volksschulzeit war für mich ein Drama, da ich den Ruf hatte, ein schlimmer Lausbub zu sein. Mit ca 7 oder 8 Jahren habe ich mit meinem Bruder die Feuerwehrsirene, die an unserem Haus angebracht war, derart betätigt, dass die Sirene fürchterlich aufheulte. Eine kurze Zeit darauf standen die Feuerwehr- Männer in voller Ausrüstung auf dem Hauptplatz und fragten sich, wo es denn brenne. Da diese Frage nicht beantwortet werden konnte, suchte man nach den Schuldigen, die den Alarm ausgelöst haben.  So kam man auf uns. Wir erhielten einige Ohrfeigen.  Mit den Ohrfeigen war es damals so eine Sache, denn diese waren damals bis in die sechziger Jahre allgemein üblich. Die Leute im Ort meinten damals über uns: "Lausbuben sind die Doktorbuben, aber  sie grüßen!"

 

Als einmal der Pfarrer einem Buben, der ihm einen Schneeball an den Kopf geschossen hatte, eine Ohrfeige gab, zeigte dessen Vater ihn an. Er holte sich ein ärztliches Attest von meiner Mutter. Diese schrieb, die Wange des Buben wäre durch die priesterliche Ohrfeige gerötet und außerdem gebe der Bub an, er hätte Ohrensausen davon bekommen. Meine Mutter wurde zur Gerichtsverhandlung gegen den Pfarrer als Zeugin vorgeladen. Dort gab sie auf Fragen des Richters an, was sie bei dem Buben festgestellt habe. Sie fügte jedoch hinzu, wenn sie ihren Buben eine Ohrfeige geben würde, würde man mehr sehen. Darauf wurde der Pfarrer freigesprochen. Zu mir meinte er einmal: „Deine Mutter hat mich heraus gerissen!“

 

Für uns Kinder gab es bei unseren Spielen keine Grenzen. Wir spielten im Wald, am Rande von Felsen, auf der Straße, auf Bauernhöfen, aber auch beim so genannten Lager, das während des Krieges ein Arbeitsdienstlager war und nach dem Krieg dazu diente, Volksdeutsche, die vor den Tito-Partisanen aus Jugoslawien zu uns flüchteten, ein Zuhause zu bieten. Die Kinder dieser Flüchtlinge zählten zu meinen ersten Freunden. Meine Eltern luden regelmäßig Kinder aus dem "Lager" zu einem Essen ein.

Arbeitsdienstlager am Wur in Spital am Pyhrn um 1943, in welches nach dem Krieg Flüchtlinge aus dem Osten Aufnahme fanden.
Arbeitsdienstlager am Wur in Spital am Pyhrn um 1943, in welches nach dem Krieg Flüchtlinge aus dem Osten Aufnahme fanden.
Spital am Pyhrn um 1955
Spital am Pyhrn um 1955

Das Märchenland Operenzia : der Goldschatz der Ungarn und die schönen Mädchen

Zu meinen ersten Freunden zählten in den oberösterreichischen Bergen in den Jahren nach dem letzten Krieg Buben aus Ungarn. Sie waren mir höchst sympathische Spielgefährten, sie umgab ein eigentümlicher Zauber, denn sie waren nicht irgendwelche Kinder. Sie waren die Söhne der noblen Wächter des Goldschatzes der ungarischen Nationalbank, der in den letzten Kriegstagen im Mai 1945 nach Spital am Pyhrn in das Gebirge gebracht worden war. Im Stift wurde der Schatz aufbewahrt. Mit diesem Schatz waren auch ungarische Husaren mit ihren Pferden gekommen. Sie sollen noch weiter täglich exerziert haben, obwohl der Krieg bereits zu Ende war. Die Amerikaner, die als Besatzer kamen, werden überrascht gewesen sein, als sie die stolzen Ungarn noch voll bewaffnet gesehen haben, ehe sie diese zur Übergabe aufgefordert haben. Die meisten der ungarischen Pferde erwarben die Bauern des Dorfes. Diese Pferde, sie waren Militärpferde, sollen bei den täglichen bäuerlichen Arbeiten zwischendurch irgendwelche Kapriolen, die sie für militärische Zwecke gelernt hatten, vollführt haben.

Den Schatz übernahmen später die Amerikaner und brachten ihn in die USA, von wo er irgendwann einmal den Ungarn rückerstattet wurde.

 

Die nach Spital am Pyhrn mit dem Schatz gekommenen Ungarn wanderten nach einigen Jahren nach England, Kanada oder sonst wohin aus, somit verlor ich meine ersten Freunde. Von einem dieser Freunde, Lazi Milotay heißt er, er lebt heute ihn England, erhalte ich hier und da einen Brief, auch ich schreibe ihm. Und manchmal kommt Lazi auf Besuch zu uns in Gebirge.

 

Die Ungarn, die damals in Spital am Pyhrn gewesen waren, sprechen heute noch in Hochachtung von den Oberösterreichern, sie seien hier wie Freunde empfangen worden und man hätte ihnen sehr geholfen. Einige erzählen auch, sie würden sich gerne daran erinnern, dass verwegene Wildschützen ihnen hier und da ein Reh oder eine Gams schenkten, von denen sie sich jeweils einen prachtvollen Braten brieten.

Sie hätten sich also hier im Gebirge wohl gefühlt, gerne seien sie auf die Almen gegangen, wo sie bei großmütigen Sennerinnen Milch und Käse aßen. Sie seien sich vorgekommen wie im Märchenland, das im ungarischen Operenzia heißt. Erst später bin ich dahinter gekommen, was es mit diesem Operenzia auf sich hat. Darüber möchte ich noch etwas erzählen. Viele ungarische Märchen fangen, wie mir erzählt wurde, so an:

 

„Und als in der (ungarischen) windschiefen Hütte sich kein einziger Kreuzer, kein noch so winziges Stückchen Brot mehr finden ließ, brach der jüngste Sohn des armen Bauern auf, um sein Glück in der weiten Welt auf die Probe zu stellen. Er wanderte sieben Tage und sieben Nächte hindurch, bis er die Zuckerhut-Berge an der Grenze des Landes Operenzia erblickte. Er dankte Gott, faßte Mut und beschleunigte die Schritte seiner müde gewordenen Stiefel.“

 

Es ist also der jüngste Sohn, der kleinste und ärmste von allen, der tapfer das Schicksal heraus fordert. Sein Ziel ist das sagenumwobene Land Operenzia. Die Zuckerhut-Berge sind sein Ziel, hier erwartet ihn das Glück. So oder ähnlich müssen sich die ungarischen Flüchtlinge vorgekommen sein, als sie 1945 in unsere Berge kamen. In den ungarischen Märchen heißt es, dieses Operenzia sei wunderschön, der Waldboden ist mit moosgrünem Samt und Seide bedeckt; die Bäume wachsen buchstäblich zum Himmel, in ihrem kühlen Schatten findet man Pilze, die groß wie ein Bauernhut sind. Und über die Mädchen ist zu lesen:

 

„Die Mädchen sind allesamt wunderschön: Ihr langes blondes Haar glänzt so betörend wie der über den silbrigen Wiesen schwebende Marienfaden des Altweibersommers; ihre lachenden Augen spiegeln das verträumte Blau der im Schatten verborgenen Veilchen wider; ihre Lippen sind so rot und duftig wie die süßesten Kirschen der ersten Junitage. Sie sind zwar stolz und gebärden sich als unnahbar, haben aber dennoch die erstaunliche Fähigkeit, sich in Kürze eines Stoßgebetes unsterblich in einen Fremden zu verlieben.“

 

Der sehr sympathische ungarische Schriftsteller Stefan Vajda beschreibt in wunderschönen Worten dieses Operenzia weiter so:“Ein Märchenland, wahrhaftig. Ein einzigartiges, im doppelten Sinne. Weil es tatsächlich existiert. Weil hier die kollektive Phantasie eines vielgeprüften, nach Europa verschlagenen asiatischen Volkes eine topographische Realität zum Fabelreich der Hoffnung, zum verheißungsvollen Zwischenbereich der Sehnsucht erhoben hatte. Es ist eine Landschaft des trostreichen Unwirklichen, und dennoch erreichbar.“

 

Auch über die Berge, in denen verwegene Wildschützen unterwegs waren, schreibt der Ungar mit Begeisterung :“Man müsse aber in Operenzia teuflisch acht geben, daß die Pferde an den Sternen nicht stolpern oder daß sie keinen Stern vom Himmel lostreten. Hat der ungarische Husar unterwegs Durst, wringt er einfach die nächstbeste Wolke aus, denn die Wolken schwirren einem um den Kopf nur so herum, daß man sie oft mit dem Säbel zerschneiden muß, um den schmalen Pfad zwischen den furchterregenden Felsen aus glitzerndem Glas finden zu können.“

 

Tollkühne Leute müssen also in Operenzia leben. Aber wo liegt dieses Operenzia mit den hohen Bergen und den schönen Mädchen, zu denen sich Wildschützen gesellt haben mögen:

Das Märchenland Operenzia ist nicht allzu schwer zu finden. Es liegt gleich hinter den Zuckerhut-Bergen, deren erster Traunstein heißt, im klaren, beglückenden Licht eines ewig heiteren Himmels. Man kann hinfahren. 

„Operenzia“ ist nichts anderes, als die leicht verdrehte ungarische Form von „Ob der Enns“; es ist das frühere Erzherzogtum und Kronland „Österreich ob der Enns“, das heutige Oberösterreich.

Und dieses Oberösterreich, aus dem die Ungarn das Märchenland der Ungarn Operenzia machten, hat eine spannende Geschichte, zu der schöne Sennerinnen gehören, aber auch tollkühne Burschen, die in den Bauernkriegen für ihre Rechte kämpften und als Wildschützen der Gams auf den höchsten Gipfeln nachstellten

(Diese Geschichte vom geheimnisvollen Operentia ist im"Wildererkochbuch" nachzulesen - s.u.).

Die Mandeloperation

Auch die Ungarn gehörten zu den Patienten meiner Eltern. Mit den Ungarn war auch ein Arzt mitgekommen, Dr. Ippoli o.ä. hieß er. Dieser Mann assistierte mitunter meinem Vater, wenn er kleinere Operationen durchführte. Einmal hatte die Frau des Gemeindesekretärs, es war um 1948. eine schwere Angina, sie konnte kaum schlucken, so waren die Mandeln angeschwollen. Es bestand die Gefahr, dass die Frau erstickte. Damals war es eine langwierige Sache, die Frau ins Krankenhaus Kirchdorf zu bringen. Die Frau hätte den Transport nicht überlebt, daher beschloss mein Vater, ihr die Mandeln heraus zu operieren. Assistiert hat ihm dabei der ungarische Arzt. Bei dieser kühnen Operation, als Militärarzt hatte er ähnliche Notoperationen durchgeführt, schluckte die Patientin eine Mandel.  Ich fragte meinen Vater, als er uns von der Operation erzählte, ob dies der Frau nicht geschadet habe. Mein Vater meinte bloß, so eine Mandel sei ähnlich wie ein Gulasch, also ungefährlich. Jedenfalls hat die Frau überlebt, sie wurde gesund und starb hoch betagt.

 

Meine Eltern waren fleißige Leute, die auch zu Fuß, mit Schiern und Pferdeschlitten unterwegs waren. Dann kam ein Motorrad und schließlich ein VW-Käfer dazu. In frühen Zeiten konnte es sogar vorkommen, dass mein Vater mit dem Pferd seine Krankenbesuche erledigte. Einmal befahl der Bauer seinem Knecht hoch oben in Oberweng, er soll mit dem Pferd in den Ort zu meinem Vater reiten, um ihn zu bitten, möglichst schnell zur Bäuerin zu kommen, denn dieser würde es nicht gut gehen. Mein Vater bat den Knecht, im Gasthaus auf ihn zu warten, denn er wolle mit dem Pferd zur Bäuerin reiten, um sie zu behandeln. Dies tat er auch. Dann ritt er in das Tal zurück und überließ das Pferd wieder dem Knecht, dem er das Bier, das er während der Wartezeit getrunken hatte, zahlte.

 

Meine Eltern waren mit Herz und Seele Landärzte. Sie liebten ihren Beruf und die Menschen. Dazu passt folgende Geschichte. Meine Mutter wurde zu einer Geburt gerufen. Bei der Geburt stellte sich heraus, dass das Kind die Nabelschnur um den Hals geschlungen hatte. Das Kind atmete nicht. Jetzt bat meine Mutter jemanden, den Backofen des Herdes einzuschalten und daneben ein Schaff mit kaltem Wasser zu stellen. Nun gab sie das Kind abwechselnd in den heißen Backofen und in das kalte Wasser. Es dauerte nicht lange und die Schocktherapie hatte Erfolg: das Kind, ein Bub, atmete. Dieser Bub ist heute Lehrer an einer Berufsschule in Wels, von ihm habe ich diese Geschichte.

Ein Bildstock zur Erinnerung an die alten Landärzte - errichtet 1992

Bildstöcke und Felddenkmäler haben wohl eine lange Geschichte. Wandernden aller Art, wie Pilger, Schausteller, Pilzesammler, Händler, Liebespaare, Flüchtlinge und Spaziergänger, bieten solche kleinen Denkmäler Anlass zur Rast und zum Nachdenken über vergangene Zeiten, über ihre Leiden und Freuden. Dies ist auch der Sinn des Bildstockes am Wurweg bei Spital am Pyhrn im südlichen Oberösterreich an der steirischen Grenze, den ich 1992 zum Gedenken an meine Eltern, die beide kurz hinter einander im Jahre 1992 starben, von Spital am Pyhrn errichten ließ.

Aber nicht bloß meiner Eltern soll mit diesem Bildstock gedacht werden, sondern auch der Menschen der alten Bauernkultur, zu der meine Eltern gehörten und die ab den sechziger Jahren allmählich verschwand.

Der Weg, an dem der Bildstock steht,  hat seinen Namen vom Wur, einem länglichen bewaldeten Höhenzug, der sich nach Windischgarsten hinüber zieht. Nach dem Krieg stand hier in der Nähe ein Barackenlager, in dem Flüchtlinge aus den deutschen Sprachgebietens aus Osteuropa, wie aus Siebenbürgen und dem Banat, auf ihrer Flucht Aufnahme fanden, wie oben bereits erwähnt ist.

 

Den Platz für diesen Bildstock wählte ich hier am Wurweg aus, nicht nur, weil hier gerne Spaziergänger vorüber ziehen, sondern auch, weil von dem Bildstock ein Weg über den Wur in den Nachbarort zieht, einer zum Schreckerbauer führt , einer zum Bahnhof geht  und auf einem spaziert man in das Dorf. Der Bildstock steht also an einer Wegkreuzung. Manche meinen, dieser Ort wäre ein Kraftort. Geschnitzt hat diesen Bildstock auf meine Bitte hin mein Freund aus Jugendtagen Gustav Wolfbauer, der früher als Bauernknecht gearbeitet hat und später Briefträger wurde. Er war ein begeisterter Holzschnitzer. Daher fragte ich ihn, ob er einen Bildstock für meine Eltern schnitzen wolle. Er sagte gleich zu und begann, Bildstöcke zu studieren. So entstand der ungefähr 2 Meter 20 hohe Bildstock, der am oberen Ende eine Art Tabernakel besitzt. In diesen kam schließlich ein Hinterglasbild, welches unsere Freundin Hanni Massinger malte. Es zeigt einen Pferdeschlitten, in dem meine Eltern zu sehen sind. Neben dem Pferd läuft ein Dackel. Meine Eltern liebten Dackel. Unter diesem Bild ist zu lesen:

"Zur Erinnerung an das Landarztehepaar Dr. Roland und Dr. Leopoldine Girtler, die von 1947 bis 1981 in Spital am Pyhrn als Landärzte wirkten. Sie begannen ihre Tätigkeit, als man noch zu Fuß und mit Pferdeschlitten die Patienten aufsuchte".

 

Darunter sind die Worte AVE MARIA eingeschnitzt, womit auf die Verehrung der Mutter Gottes hingewiesen werden soll. Am Sockel des Bildstockes sind die Buchstaben G und W für Gustav Wolfbauer und die Jahreszahl 1992 zu lesen. Gustav ist leider in den Felsen um Spital am Pyhrn tödlich abgestürzt. Der Bildstock ist von Blumen und Sträuchern umgeben, um die sich die Frau von Gustav Wolfbauer Friederike kümmert. Der Bildstock steht genau an der Grenze zwischen dem Grund des Schreckerbauern und dem Grund der Bundesforste. Beide Seiten erlaubten seine Errichtung.

 

Die Pferde auf dem Bild sollen auf die vergangene Bauerkultur, zu der wesentlich die Pferde gehörten, aufmerksam machen. Damals sprach man noch von den Rössern. Meine Mutter als Ärztin ergänzte meinen Vater, den Gemeindearzt trefflich. Beide waren fast täglich nach den Ordinationsstunden zu den Bauern unterwegs. Die erste Zeit waren beide noch mit Rucksäcken, in denen sie die nötigen Medikamente aber auch den Blutdruckapparat u. ä. mit sich führten, auf  den Bauernstraßen zu den Kranken zu Fuß unterwegs. Bis zum Beginn der fünfziger Jahre fuhr mein Vater während des Winters mitunter mit einem Pferdeschlitten, den der Schmied, der in der Nähe des Doktorhauses seine Werkstätte und seinen Bauernhof hatte, meinem Vater borgte. Hin und wieder nahm mein Vater meinen Bruder und mich mit.  Der Bildstock erinnert also auch an die Pferde, die man früher noch als beste Freunde des Menschen bezeichnete. Das Pferd gehörte zum Alltag der Menschen. 

 

 

Jedes Jahr im Mai findet bei diesem Bildstock eine Maiandacht statt, die Pater Friedrich, der Pfarrer von Spital am Pyhrn, leitet. In diesem Jahr (2017) spielte mein Enkel Alwin dazu auf seiner Geige. Zu dieser Andacht kommen stets freundliche Spitalerinnen und Spitaler, die nicht nur mit Freude Marienlieder singen, sondern sich auch an belegten Broten und Most erfreuen, zu denen der Autor dieser Zeilen einlädt.