Zum Thema Randkulturen gehört auch das Problem der Krise, denn gerade Randgruppen sind ständig Gefahren bzw. Krisen ausgesetzt. Aber auch den “guten Bürger” vermag eine Krise aus dem sozialen Gleichgewicht zu bringen.
Krisen sind häufig mit Unglücken verbunden. Ein solches Unglück ereignete sich, als das Schiff Titanic auf einen Eisberg auffuhr. Darüber wird zu berichten sein.
Auch auf ein Bergunglück am Dachstein in den 1950er Jahren werde ich eingehen, das ich selbst als Bub am Rande miterlebt habe. Ich lege dazu einiges bei, das gerade Soziologen interessieren müsste. Ich habe mich in letzter Zeit mit diesem Unglück beschäftigt, wobei ich die Chronik des Bergrettungsdienstes von Spital am Pyhrn durchgegangen bin.
Über diese Forschung habe ich einen kleinen Aufsatz verfasst, der auch in der KronenZeitung erschienen ist. Soziologisch interessant ist, wie Menschen gemeinsam versucht haben, diese Katastrophe zu bewältigen und den Trauernden Trost zu spenden. Eine spannende Rolle bei dem Rettungsmanöver spielte der Lawinenhund Ajax.
Aufgrund meiner Kolumne schrieb mir eine Dame einen interessanten Brief. Dieser liegt auch bei.
Gedanken zu einer Soziologie der Krise - Rituale und Symbole der Hoffnung und Rituale der Selbstlosigkeit
Für die Soziologie vor allem für die Soziologie von Randkulturen ist das Thema Krise wesentlich. In meinem Buch „Adler und die drei Punkte – die kriminelle Karriere des Pepi Taschner“, auf das ich noch eingehen will, beschäftige ich mich intensiv damit, wie Pepi Taschner gelernt hat, mit Krisen in der Welt des verbotenen Glückspiels und der Prostitution umzugehen, dazu gehört auch das Thema Gefängnis (siehe dazu mein Buch Randkulturen).
In der soziologischen Literatur zur Krise wird alles mögliche besprochen, aber kaum wird auf Rituale und Symbole der Hoffnung eingegangen. Ein paar Hinweise darauf werde ich mir gestatten. (Den Begriff Ritual verwende ich hier sehr weit, rituelles Handeln ist jedes Handeln, durch welches etwas deutlich demonstriert werden soll, wie Freundschaft, Großzügigkeit, Ablehnung usw.)
Das menschliche Leben bzw. der menschliche Alltag ist fortwährend durch Krisensituationen unterbrochen bzw. belastet. Diese Krisen können vielfältig sein. Krisen entstehen durch Einbrüche in das soziale und individuelle Leben u.a.
Krisen als Störungen im Alltag und Wendepunkte im Leben
Als Krise ist grundsätzlich eine Störung des Alltags zu sehen, die Menschen in vielfältiger Weise beeinträchtigen kann und sie zwingen, nach Strategien zu suchen, um zu „überleben“. Krisen sind somit auch so etwas wie Wendepunkte im Leben, mit denen man fertig werden muss, um sozial und psychisch zu überleben. Das Wort Krise stammt aus dem Griechischen. Krisis heißt eigentlich soviel wie Meinung, Beurteilung und Entscheidung. Krinein bedeutet im Altgriechischen soviel wie trennen und scheiden bzw, unterscheiden.
Zunächst , wahrscheinlich ab dem 16. Jahrhundert, taucht das Wort Krise im Zusammenhang von fieberhaften Erkrankungen auf, wobei mit Krise die Phase einer Infektionskrankheit bezeichnet wurde, ab der bei einem guten Verlauf das Fieber zu sinken begann. Im übertragenen Sinn bezeichnete man später alle Ereignisse, durch die Gefahren für Lebewesen, Umwelt, Vermögen („Pleiten“) , Institutionen, soziales Leben (Skandale) usw. drohen.
Krisen erfordern Handlungsentscheidungen (z.B. „Maßnahmen“, wie das Verbot, Hände zu schütteln, bei Epidemien.
Krisen bzw. „kritische“ Situationen lösen im Allgemeinen emotionale (Verzweiflung,Wut, Zorn), aber auch politische u.ä. Reaktionen aus.
Für Soziologen sind vor allem die Problemlösungs- bzw. Bewältigungsstragien der Betroffenen bedeutsam.
Bei Krisen, die lange anhalten, wie bei Armut, Gefängnisaufenthalt, Epidemien, Tod von Verwandten usw., gibt es für die Betroffenen grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen – die Resilienz
Es gibt in der Sozialpsychologie den Begriff der Resilienz (von resilire – zurückspringen, abprallen). Damit ist die psychische Widerstandsfähigkeit gemeint, um Krisen zu bewältigen. Resiliente Personen haben gelernt, dass sie selbst es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen. Sie vertrauen nicht auf Glück oder Zufall , sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand. In Randkulturen finden sich solche Personen vor allem in Gruppen, die auf Grund ihrer kulturellen, meist durch Armut bedingten bzw. ethnischen Herkunft degradiert sind , wie Einwanderer, Schwarzafrikaner, Zigeuner (diesen Begriff meine ich positiv – bin immerhin Ehrenmitglied der Zigeuner von Hermannstadt), Ureinwohner in Amerika, Aborigines in Australien usw. Sie entwickeln mitunter Kraft und Fleiß, um sozial aufzusteigen bzw. um Ansehen zu erwerben – ich denke da u.a. an weltberühmte Fußballer, die wie Pele aus den Armutsvierteln der Städte stammen.
In vielen Kulturen gibt es Regeln, um den durch Feuer, Krieg und anderes Unglück in Not Geratenen zu helfen. So z. B. gibt es in Siebenbürgen bei den Landlern (über sie schrieb ich ein ganzes Buch) die Einrichtung der Nachbarschaft mit fixen Normen, wonach man den Dorfgenossen hilft, denen ein Unglück widerfahren ist, denen z.B. das Haus niedergebrannt ist. Gerade in Kulturen der Armut sind derartige Strategien der gegenseitigen Hilfe häufig. So z. B. fiel auf, dass in New Orleans, USA, nach einem Hurrikan, bei dem ein Großteil der Häuser zerstört wurden, die Häuser in den Vierteln mit den ärmsten Nachbarschaften die ersten waren, die wieder aufgebaut wurden.
Der Begriff der Resilienz bezieht sich also, wie wir gesehen haben, auf die Fähigkeit von Gesellschaften, Störungen zu verkraften, um stabil zu bleiben. Der Begriff der Resilienz wurde zuerst von einem Kulturanthropologen und zwar von Roy A. Rappaport entwickelt , der gesehen hat, dass Stämme der Papuas in Neuguinea durch ihre Rituale ihr Ökosystem und damit ihre Ernährungsgrundlage erfolgreich regulieren und stabilisieren konnten.
Rituale und Symbole der Hoffnung
Rituale und Symbole bestimmen das Leben der Menschen, was allerdings in der soziologischen Feldforschung viel zu wenig beachtet wird. Solche Rituale treten zu den Initiations- bzw. Übergangsritualen, bei denen den Menschen angezeigt wird, dass sie nun von einem Status zum anderen wechseln (Z.B. Hochzeit, Taufe, Aufnahme in Jugendgruppen... ) Interessant ist der „Ledersprung“ an der Montanuniversität in Leoben, der jedes Jahr im Dezember zu Ehren der heiligen Barbara durchgeführt wird und der die Bergleute vor gefährlichen Situationen schützen soll. Bei diesem Ledersprung, an dem ich einmal als Beobachter teilgenommen habe, springt der junge Student bzw. die junge Studentin von einem Bierfass über das sogenannte „Arschleder“, das früher zur Arbeitskleidung des Bergmanns gehört hat.
Es gibt eine Vielzahl von Ritualen und Symbolen, die in Krisensituationen eingesetzt werden oder die verhindern sollen, dass Menschen überhaupt in Krisensituationen kommen.
Solche Rituale und Symbole gibt es vor allem in der Seefahrt, die stets mit Gefahren verbunden ist. Es sind dies, so nenne ich sie, die „Rituale und Symbole der Hoffnung“, weil mit ihnen die Hoffnung verbunden ist, dass gefährliche Zustände nicht eintreten oder bestmöglich überwunden werden.
Eine besondere Bedeutung für die Besatzung eines Schiffes hatte die Galionsfigur am Bug Schiffes. Sie war geradezu heilig. Dies zeigte sich z.B. als am 1. Juni 1794 die britische Flotte gegen die französische kämpfte. Während des Gefechtes wurde die Gallionsfigur der britischen Fregatte Brunswick beschossen. Dabei wurde dieser Figur, die einen Herzog in schottischer Unform darstellte, der Hut weg geschossen. Als der Kapitän, der selbst schwer verwundet war, dies erfuhr, zögerte er nicht lange und stellte als Ersatz seinen goldbetressten Hut zur Verfügung. Ehe die Sonne sank, war ein entscheidender Sieg der britischen Flotte über die Franzosen erfochten.
In unserer katholisch geprägten Kultur gibt es eine Vielzahl von Schutzheiligen, zu denen man betet oder wallfahrt, um gut vor Krisen geschützt zu sein. Bei den Seeleuten ist es der heilige Nikolaus, den man vor einer Seereise oder während eines Seesturms um schützende Hilfe bittet. So las ich einmal, dass ein Kapitän während eines Seesturms den heiligen Nikolaus anrief und ihm viele Kerzen versprach, wenn er und sein Schiff der Gefahr entkommen.Mir erzählten Pfadfinder, wenn sie zum Beispiel in ein schweres Gewitter kämen und bei ihnen Angst aufkommt, würden sie singen. Ähnliches wird auch von den Navy Seals, einer Spezialeinheit der US-Army berichtet.
Auch auf der Titanic, dem berühmten Schiff, spielte, als bereits im Sinken war, die Musikkapelle (siehe nächstes Kapitel.)
Rituale der Selbstlosigkeit in Randkulturen
Rituale der Selbstlosigkeit sind auch in Randkulturen von verfolgten religiösen u.ä. Minderheiten zu beobachten (siehe das berühmte Frankenburger Würfelspiel, bei dem 1625 evangelische Bauen in Oberösterreich um ihr Leben würfeln mussten), aber auch in Gefangenenlagern (siehe dazu das 1946 erschienene Buch von Viktor Frankl, der im KZ war : „...trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“.)
Literatur:
Dieter Farwick (Hrsg.): Krisen, die große Herausforderung unserer Zeit. Report Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1994, ISBN 3-9802828-9-9.
Viktor Frankl, ...trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Wien 1946
Reinhart Koselleck: Krise. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches
Auch das Verhalten der Musikkapelle auf dem 1912 gesunkenen Schiff Titanic ist erwähnenswerft. Sie spielte weiter, obwohl die Musiker wussten, dass das Schiff am Sinken war. Strategien dieser Art sind typisch für die Bewältigung von Krisensituationen. Oder man hält sich an bestimmte vorgegeben Regeln, um andere zu retten und auch um selbst als „ehrenhaft“ zu erscheinen. Dieses Phänomen zeigte sich auch beim Untergang der Titanic.
Die Titanic kollidierte auf ihrer Jungfernfahrt am 14.4.1912 gegen 23 h 40 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und sank nach zwei Stunden und 4o Minuten. Dabei kamen 1514 der über 2200 an Bord befindlichen Personen ums Leben. Die Anweisung des Kapitäns Edward Smith lautete im Sinne klassischer Seemannsregeln: „Frauen und Kinder zuerst!“. Das Problem war, dass zu wenig Rettungsboote vorhanden waren.
Jedenfalls überlebten 70 Prozent der Frauen und Kinder der Titanic, aber nur 20 Prozent der Männer. Besonders die männlichen "bürgerlichen" Personen aus der 2.Klasse haben ihre eigene Rettung hintangestellt. Selbstlos ließen sie, Frauen und Kindern den Vortritt.
Auffällig ist hier aber die extrem niedrige Rettungsquote bei den Männern der 2. Klasse, die in einer Studie des Soziologen Henrik Kreutz mit den gesellschaftlichen Erwartungen an die Männer, sich erst nach den Frauen und Kindern zu retten, begründet wird. Die „bürgerlichen“ Männer der 2. Klasse waren demnach am stärksten an diese Moralvorstellung gebunden und verzichteten altruistisch auf ihre Rettung. (Siehe dazu die Überlegungen von Henrik Kreutz).
Literatur
Henrik Kreutz: Das Überleben des Untergangs der Titanic. Eine nichtreaktive Messung sozialer Ungleichheit.
Thomas Mergel (Hrsg.): Krisen verstehen. Historische und kulturwissenschaftliche Annäherungen. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2012, ISBN 978-3- 593-39307-0.
https://de.wikipedia.org/wiki/RMS_Titanic https://www.allmystery.de/themen/mg91387
Trauer im Salzkammergut:
Ich gebe hier auch einen Brief einer freundlichen Dame wieder, sie ist die Tochter eines Forstmannes aus Ebensee. den sie mir auf Grund meines “Streifzuges” in der Kronenzeitung geschrieben hat. Sie hat als Kind miterlebt , wie die Särge der am Dachstein verunglückten Kinder aus Heilbronn in einem langsam durch das Salzkammergut rollenden Zug geführt wurden - unter großer Beteiligung der Bevölkerung, die mit brennenden Kerzen zu den Bahnhöfen gekommen waren.