4. Hirtenbrief: Bäuerliche Rebellen, Wildschütze, Hacker, Fußballfans – und Studenten

Bäuerliche Rebellen : Wilderer im österreichischen Gebirge und Zapatisten in Mexiko

Einleitende Gedanken:

 

Soziales Rebellentum findet sich weltweit in all den bäuerlichen Kulturen, in denen

eine mächtige Schicht auf dem Rücken einer armen Bevölkerung ein Leben in

Verschwendung und Übermut führen können. Rebellen traten als Briganten in

Süditalien auf, sie setzten sich für die Bauern in Sardinien ein , sie kämpften gegen

die ausbeuterische Schicht in England und Mexiko, und als Wildschütze waren sie

die Gegner der adeligen Jagdherren in den Alpen. Sie waren die "Helden der kleinen

Leuten" und genossen bei diesen als Robin Hood , als Wildschütz Jennerwein oder

als Emiliano Zapata hohes Ansehen. In der Gestalt des Wilderers erwuchs im

Gebirge eine ehrenvolle Heldenfigur, die bis in die letzte Zeit mystifiziert und

romantisiert wird. Ich wurde schon früh als Sohn eines Landarztes und einer kühnen

Landärztin im oberösterreichischen Gebirge mit der Figur des Wilderers konfrontiert.

Ich möchte im Folgenden am Beispiel der Wildschützen in Österreich und der

Zapatisten in Mexico skizzenhaft zeigen, was typisch für bäuerliche Rebellen ist, wie

ihre „Heldentaten“ und Symbole aussehen. Ihre Vorgeschichte ist eine Geschichte

der Unterdrückung und Armut. Charakteristisch für den Rebellen schlechthin ist,

dass er kein Ideologe ist und er keine politischen Theorien spinnt, wie es

Revolutionäre tun, sondern dass er sich auf sein altes Recht beruft.

Es ist für mich übrigens eine große Ehre, dass ich aufgrund meiner Studien von

Bauern und Bäuerinnen im oberösterreichischen Gebirge gebeten wurde, für sie und

mit ihnen ein Wilderer-Museum in St. Pankraz bei Windischgarsten im Toten Gebirge

einzurichten.

 

Die folgenden Ausführungen beruhen auf meinen Forschungen bei Wilderern im

oberösterreichischen Gebirge sowie auf einer Forschungsarbeit von Frau Daniela

Härtl, die am Marsch der Zapatisten nach Mexiko teilnahm und darüber eine

prächtige Seminararbeit verfasst hat. Ich danke für ihren Mut und ihre Ausführungen.

Ich gliedere meine Arbeit in einzelne Stufen der Rebellion, wobei ich jeweils zunächst

über die Wilderer schreibe und anschließend über die aufständischen Bauern in

Mexiko. Die Ähnlichkeiten zwischen den Rebellionen in Österreich und Mexiko sollen

dabei sichtbar werden.

 

 

1.Die Vorgeschichte

Typisch für bäuerliche Rebellen ist, dass sie nach einer Zeit der Unterdrückung und

Demütigung in den Blick der Geschichte treten.

 

a. Die alten Wildschütze beriefen sich mit gutem Grund bei ihrem verbotenem

Waidwerk auf altes Recht .Tatsächlich hatte nach altem germanischem Recht jeder

freie Bauer das Recht zur Jagd . Die Bauern gerieten in immer grössere

Abhängigkeit von den Adeligen , die für sich die Jagd alleine in Anspruch nahmen,

und griffen zur Waffe , sie erhoben sich und wurden im Gebirge zu Wildschützen. Der

Wilderer zeigte sich somit als "sozialer Rebell", der die Achtung der entrechteten

Bauern besitzt.

 

Die Aristokratie sah daher schon sehr früh in den Wilderern ihre Feinde, die ihnen ihr

Jagdvergnügen nehmen wollten. Zur Jagd als einem Symbol höfischer Lebensart

wollte man den Bauern nicht zulassen und bestrafte ihn als Wilderer grausam.

 

b. Unterdrückt wurden auch die mexikanischen Bauern indianischen Ursprungs. Mit

der Kolonisation ab 1521 beginnt eine Auseinandersetzung der Kulturen. 1524

nahmen katholische Kirche und spanische Eroberer gemeinsam die fruchtbaren

Täler Chiapas in ihren Besitz und führten koloniale Zwangsarbeit ein. Die Bauern

werden in das Hochland zurückgedrängt. Die Auswirkung der Kolonisation ist

erschreckend, die Bevölkerung nimmt an Zahl ab. Endlich erklärt sich Chiapas 1821

von Spanien für unabhängig und schloss sich 1824 Mexiko an. Wohl waren die

indianischen Bauern nun gleichberechtigte Bürger des Nationalstaates Mexiko, es

kam jedoch zur Kapitalisierung der Landwirtschaft - zum Nachteil der Bauern.

 

 

2.Der Aufstand und der Tod des edlen Rebellen

 

a) Das Verbot zu jagen ,war auch einer der wesentlichen Gründe für die Bauern, sich

gegen ihre Herren in den Bauernkriegen von 1525 und später zu erheben. Ihre

Aufstände wurden jedoch brutal niedergeschlagen. Die Jagdherren sahen sich

gerechtfertigt, die Wildschützen hinterrücks zu ermorden. Sie erreichten dadurch

allerdings das Gegenteil, denn der tote Wildschütz wurde für die Bauern zum edlen

Helden. So passierte es mit dem Wildschütz Jennerwein, der 1878 am Peissenberg

von einem herrschaftlichen Jäger von hinten erschossen wurde

 

b) 1910 entbrannte in Mexiko die Rebellion. Ihre Führer waren Francísco Madero,

der ähnlich wie Thomas Münzer in Deutschland aus einer bürgerlichen und keiner

bäuerlichen Welt kam, Pancho Villa, der im Norden Mexikos die Bauern anführte,

und Emiliano Zapata, der im Süden, in Chiapas, zum führenden Rebellen wurde. Zur

Zeit des Aufstandes besassen ungefähr ein Prozent der Bevölkerung 97 Prozent

des Landes. 95 Prozent der Bevölkerung waren landlose Bauern. „Tierra y Libertad“

(Land und Freiheit) war ihr Schlachtruf und ihr Ziel war eine Landrechtsform. Die

aufständischen Bauern erreichten schließlich 1917 die Verkündung einer neuen

Verfassung. Im Sinne Zapatas soll die Nation Besitzerin des gesamten staatlichen

Territoriums werden, deren Aufgabe es sein wird, Grund und Boden den einzelnen

als Privatland zu vergeben. Mit der Verteilung des öffentlichen Gutes erhoffte man

sich eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Jedoch in Chiapas änderte sich

wenig. Zapata , geboren 1879 in einer Bauernfamilie, kämpfte weiter. Am 10. April

1919 wird er in eine Falle gelockt und hinterhältig vom Militär ermordet

 

 

3.Erniedrigungen und Massaker

 

Im Kampf bäuerlicher Rebellen gegen ihre Unterdrücker kommt es nicht selten zu

echten Massakers durch die Mächtigen, um die Aufständischen zu demütigen.

 

a) Zu Massakern kam es in den deutschen Landen im Rahmen der Bauernkriege,

aber auch noch nach dem 1. Weltkrieg. Die Bauern wurden zwar in der Revolution

von 1848 frei und das aristokratische Jagdprivileg wurde abgeschafft, aber gerade im

Gebirge hatten die Bauern große finanzielle Probleme, denn sie mussten einen Teil

des Wertes ihrer Wirtschaft dem alten Grundherrn in Geld zahlen. Die Bauern

nahmen Kredite auf. Es kam zur Versteigerung von Bauerngütern.

Reiche Aristokraten und Bürger kauften ganze Täler auf, um ihrem Jagdvergnügen

nachgehen zu können. Almgebiete wurden aufgeforstet und die Bauern wurden

angehalten, bei noblen Jagden als Treiber zu dienen.

 

Um den Jagdherrn klar zu machen, dass man sich nicht erniedrigen lasse, schossen

Bauernburschen den Jagdherrn die Gams weg.

 

Zu einem Kampf zwischen Gendarmen und Wilderen kam es 1919 in Molln, einem

Dorf am Rande des Sengsengebirges in Oberösterreich. Mollner Wilderer, die sich

aus Heimkehrern, Arbeitern und Bauernburschen rekrutierten, wilderten häufig im

Jagdgebiet des Grafen Lamberg und legten das geschossene Wild armen Leuten vor

die Türe. Der Graf ließ sich dies nicht gefallen und veranlasste Gendarmen , Mollner

Wilderer festzunehmen. Dies taten diese auch und sperrten einige von ihnen über

Nacht in den Arrest. Am nächsten Morgen wurden diese jedoch von anderen

Wilderern befreit. In einem Gasthaus feierte man die Befreiung. Aus Steyr wurden in

einem Lastauto bei 30 Gendarmen nach Molln geschickt. Es kam zu einer

Schießerei in deren Folge vier Wilderer getötet wurden. Das Begräbnis dieser toten

Wildschütze wurde zu einem großen Ereignis , an dem arme Eisenarbeiter und

Holzhacker von weit her teilnahmen. Es wurde aber auch zur Demonstration gegen

die Jagdherrschaft.

 

b) Zum großen Problem wurde gerade in Chiapas eine Agrarsituation, die durch eine

verstärkte Ausbreitung der Viehzucht ab den fünfziger Jahren bestimmt war. Es kam

zu Streitigkeiten zwischen Bauern und Viehzüchtern. Die Viehzüchter vertrieben

schließlich die Bauern, oft gewalttätig, von ihrem Grundeigentum, ohne dass die

Polizei sich eingeschalten hätte. In den achtziger Jahren nahm daher zum Nachteil

des bloß bäuerlichen Wirtschaftens die Fleischproduktion zu. Erdölförderung und

Wasserkraftwerke wurden auf Kosten indianischen Grundbesitzes vorangetrieben.

Und 1992 schließlich wurde aus politischen Gründen die Landverteilung einfach für

abgeschlossen erklärt, obwohl sie dies eigentlich noch nicht war, und das der

Gemeinschaft zustehende Gebiet, wie Wälder und Weiden, in Privatbesitz

umgewandelt. Die so entstandenen Landkonflikte versuchten Großgrundbesitzer und

Viehzüchter durch den Einsatz paramilitärischer Organisationen zu lösen. Die Bauern

wehrten sich, und es kam zu dem Massaker von Acteal. Am 22. Dezember 1997

versammelten sich die Bewohner dieses Dorfes, um vor der Kirche zu beten. Eine

paramilitärische Gruppe, von Großgrundbesitzern eingesetzt, begann auf sie zu

schießen. 45 Menschen wurden getötete, davon waren 21 Frauen, 9 Männer und 15

Kinder. Trotz solcher Unterdrückungsstrategien liessen sich die Bauern nicht beirren

und kämpfen rebellisch weiter für ihr Recht.

 

 

4. Berufung auf alte Rebellen - ihre Symbole

 

Zur Kultur der Rebellen gehören Symbole, ein Ehrenkodex und die Liebe oder

zumindest die Unterstützung von Frauen, zu denen im Gebirge die Sennerinnen

gehören.

 

a. Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg genossen die alten Wildschütze hohes

Ansehen und die arme Gebirgsbevölkerung sah sich weiterhin gerechtfertigt, dem

feinen Jagdherrn vor allem die Gams "vor der Nase" weg zu schiessen.

Eine besondere Anziehung für die Wildschützen hatte die Gams, da sie fernab der

Siedlungen in felsigen und schwer zugänglichen Regionen sich aufhält. Der

Gamsjäger mußte ein guter Bergsteiger sein ,um überhaupt in die Nähe der Gams

zu gelangen , und man benötigt Kraft, um das erlegte Tier zu Tale zu tragen.

Die echten Wildschütze hatten einen Ehrenkodex, nach diesem war es verpönt,

Schlingen zu legen, durch die das Wild elendiglich umkommt, einem Kitz die

Muttergams wegzuschießen und aus dem Auto zu wildern.

In Liedern werden die ehrbaren Wildschützen besungen und deren Waffe, aber auch

die Frau, deren Liebe man genoss.

In einem Lied heißt es daher:

 

„Was braucht den der Schütz,

er braucht nichts

als ein schwarzäugiges Madl

und eine Abschrauberbüchs“.

 

Einen Symbolcharakter hat auch das Anschwärzen im Gesicht beim verbotenen

Pirschgang.

 

b) Die Bauern in Mexiko haben weiterhin unter dem Druck der Großgrundbesitzer zu

leiden. Ähnlich wie die Gebirgsbevölkerung im österreichischen Gebirge greifen auch

sie zurück auf alte Rebellen, und zwar vor allem auf Emiliano Zapata.

Sie gründeten die „nationale zapatistische Befreiungsarmee“, denen 24

Kommandanten vorstehen, darunter vier Frauen. „Subkommandant“ ist der

inzwischen berühmte Marcos. Auch diese „Armee“ hat ihre Symbole, wie eine

schwarze Wollmütze, mit der das Gesicht zum Teil verdeckt wird, für die Männer und

ein rotes Tuch für die Frauen. Die Wollmützen erinnern an das Anschwärzen der

Wilderer. Zu den Symbolen gehören auch Lieder und Gewehre. Von hoher

Symbolkraft war der „Marsch der Würde“, der im Februar 2001 in La Realidad, der

Zapatistenhochburg, begann und an dem auch meine Studentin Frau Daniela Härtl

teilnahm. Dieser „Marsch“ war eine Demonstration alter rebellischer Bauernkultur.

Es wurden Lieder gesungen und schließlich wurden der Regierung in der Stadt

Mexiko die Probleme der Bauern vorgetragen.

 

 

5. Die Ermordung des Wildschütz Pius Walder in Osttirol

 

Im Jahre 1982 wurde im hintersten Vilgratrental in Osttirol Pius Walder, der im

Gesicht angeschwärzt (!) war, als Wilderer von zwei Jägern gestellt und hinterrücks

erschossen. Beim Begräbnis schwuren die vier Brüder des Pius Rache. Der Jäger

wurde wegen seines Todesschusses lediglich zu einer unbedeutenden

Gefängnisstrafe verurteilt. Dies verärgert vor allem den Bruder Hermann , der seit 20

Jahren in Schriften, im Fernsehen und im Radio immer wieder auf das Verbrechen

des Jägers hinweist. Im September 2002 jährte sich zum zwanzigsten Mal der

Jahrestag des Mordes. Die Brüder veranstalteten am Todestag eine Feier in der

Kirche und am Friedhof in Kalkstein, auf dem Pius begraben liegt. Ich hatte die Ehre,

eine Gedenkrede zu halten. In dieser wies ich auf altes bäuerliches Rebellentum und

den Ehrenkodex der echten (!) Wildschützen, zu denen auch Pius gehörte, hin.

 

 

Abschließende Gedanken

 

Bäuerliches Rebellentum ist weltweit zu beobachten , es besitzt eine interessante

Geschichte mit Männern, die zu den Helden der kleinen Leute wurden. Diese

Männer, meist junge Burschen, sind nicht gewillt, die normale Rolle der Armut zu

spielen. Sie lehnen sich gegen jene auf, die ihnen als Unterdrücker und Ausbeuter

erscheinen. Uns sie setzen alles daran, gegenüber diesen ihre Freiheit und die der

anderen zu erkämpfen, und zwar mit Mitteln, über die sie als Kinder der Armut

verfügen, nämlich mit: Stärke, Tapferkeit, Schlauheit, Entschlossenheit und Treue.

 

 

Literatur :

 

Roland Girtler, Randkulturen – Theorie der Unanständigkeit, Wien 1995

Roland Girtler, Wilderer – Rebellen der Berge, Wien 1998

Daniela Härtl, Der Marsch der Zapatisten – eine Strategie der Rebellion indigener

Völker in Mexiko, unveröffentl. Seminararbeit, Wien 2002

Eric J. Hobsbawm, Sozialrebellen , Archaische Sozialbewegungen im 19. und

20.Jahrhundert, Neuwied 1971

Eric J. Hobsbawm, Die Banditen, Franfurt 1972

Zur Geschichte des Wilderns – Bauernaufstände - Wildererschlacht von Molln

Bauernaufstände wegen des Verbotes der Jagd – Wilderer

als Rebellen

 

Bei den Wildschützen haben wir es mit uraltem Rebellentum zu tun, das auch Peter

Rosegger faszinierte, der die Wildschützen im Gebirge als wahre Freiherrn

bezeichnete. Die Wildschützen, sie kamen durchwegs aus der bäuerlichen Kultur,

waren echte Rebellen, also keine Revolutionäre in dem Sinne, dass sie großartige

gesellschaftliche Ideologien von sich gaben, sondern sie wollten nur ihr Recht,

nämlich das Recht in den Wäldern zu jagen, in deren Nähe sie als Bauern lebten.

Und dieses Recht wurde ihnen von der Aristokratie schon sehr früh (um ca 1000 n.

Chr.) genommen, nach altem deutschen Recht jedoch hatte jeder freie Bauer das

Recht, den Wald zu betreten und dem Wild nachzustellen. Darauf gehe ich in

meinem Buch "Wilderer - Rebellen der Berge" (Böhlau, Wien 1998), in dem auch

ehrbare Wildschützen der Zeit bis in die 1960er Jahre zu Wort kommen.

 

Die Wildschützen haben also eine tausend Jahre alte Geschichte, eine Geschichte

der Not und des Aufbegehrens gegen den Adel, der den Bauern zum Teil brutal

ausbeutete, wie es in einem Gedicht von Gottfried August Bürger eindringlich

beschrieben wird. Unter dem Titel

 

 

"Der Bauer an seinen Durchlauchtigen Tyrannen" heißt es:

 

"Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu

Zerrollen mich dein Wagenrad,

Zerschlagen darf dein Roß?

Wer bist du, Fürst, daß in mein Fleisch

Dein Freund, dein Jagdhund, ungebläut

Darf Klau' und Rachen hau'n?

Wer bist du, daß, durch Saat und Forst,

Das Hurra deiner Jagd mich treibt,

Entatmet, wie das Wild? –

Die Saat, so deine Jagd zertritt,

Was Roß, und Hund, und Du verschlingst,

Das Brot, du Fürst, ist mein.

Du Fürst hast nicht, bei Egg' und Pflug,

Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.

Mein, mein ist Fleiß und Brot! –

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?

Gott spendet Segen aus; du raubst!

Du nicht von Gott, Tyrann!

 

Die Bauern litten also unter dem Jagdvergnügen der hohen Herrschaften, an dem sie

nicht teilhaben durften. Die Bauern wurden also zu Rebellen und Wildschützen. Als

solche waren sie die „Helden der kleinen Leute“ und genossen als Rebellen – ähnlich

wie Robin Hood in England, auch er war ein Wildschütz - hohes Ansehen.

In der Gestalt des Wildschützen, der zur bäuerlichen Ernährung viel beitrug,

erwuchs im Gebirge eine ehrenvolle Heldenfigur, die bis in die letzte Zeit mystifiziert

und romantisiert wurde und wird. Bauern, die unter dem Wildschaden zu leiden

hatten und zu Wilderern wurden , werden, wenn sie bei der verbotenen Jagd

erwischt werden , brutal bestraft. Besonders verhasst bei den Bauern war Kaiser

Maximilian. Es kommt zu den großen Bauernaufständen : 1525 in Tirol und vor allem

in Schwaben, dann 1626 in Oberösterreich unter dem edlen Bauernführer Stefan

Fadinger. Diese Aufstände werden mit aller Gewalt von Kaiser und Aristokratie

niedergeschlagen. Erst 1848 erhält der Bauer das Jagdrecht, doch die Armut der

Bauern gerade im Gebirge blieb. Frühere Aristokraten und reiche Bürger kaufen

Bauerngüter und Almen von in Not geratenen Bauern wegen der Jagd auf. Das geht

weit hinein in das 20. Jahrhundert. Wildschützen, die dem feinen Jagdherrn die

Gams oder den Hirsch wegschossen, werden weiterhin von den „kleinen Leuten“ als

Rebellen gesehen und in Liedern gefeiert, ebenso wie die Sennerin, die dem

Wildschütz Unterkunft gewährt.

 

Im Gebirge blieb das Leben der Bauern, wie es auch Peter Rosegger schildert, ein

oft karges. Fleisch gab es nicht viel in den Bauernhütten. Man aß bescheiden

einfache Speisen, wie zum Beispiel Brotsuppe, Erdäpfelnudeln und Hasenöhrl. Und

daher waren die Bauersleute froh, wenn hier und da ein gewildertes Fleisch am Tisch

lag.

 

Zu den Bauernburschen, die wilderten, gesellten sich nach den letzten Kriegen im

Gebirge auch Arbeiter. Damals ging es den Leuten noch schlecht. So erzählte mir

Frau Gertrud Voh, die in Ebensee am Traunsee aufwuchs, dass unter den dortigen

Arbeitern in der Saline und im Sodawerk es einige kühne Wildschützen gegeben

habe. Sie kann sich an einen Arbeiter erinnern, der in ihrer Nachbarschaft in einem

Wohnhaus für mehrere Arbeiterfamilien mit Frau und Kindern wohnte und um 1950

als Wildschütz häufig unterwegs war. Wenn er in den Felsen pirschte, schaute seine

Frau mit einem Feldstecher vom Küchenfenster aus ihm bei der verbotenen Jagd zu

- in der Hoffnung auf einen guten Schuss auf eine Gams. Sah sie ihn mit einem

vollen Binkerl, also mit einem vollen Rucksack, nach hause kommen, so machte sie

alles auf dem Herd für einen Gamsbraten bereit.

 

Unter den Arbeitern von Ebensee dürfte es viele Wilderer gegeben haben. Sie waren

geradezu berühmt dafür. Es existiert ein Bild von einem Faschingsumzug in

Ebensee. Bei diesem sieht man eine Schar von jungen feschen Burschen , die ein

Schild stolz vor sich her tragen, auf dem das Wort „Wildschützen“ prangt.

Die Wildschützen waren also wichtig in den Zeiten der Not im Gebirge. Ich sprach

auch mit einem Wildschützen aus der Gegend um Trieben, er war ein einfacher Arbeiter.

 

Viktor hieß er. Er erzählte mir, er habe in den Jagdgebieten des Stiftes Admont

gewildert und sei damals sehr beliebt bei den Sennerinnen gewesen, da er sie alle

mit gutem Wildfleisch versorgt hat. Man nannte ihn daher „Ernährungsminister“. An

das Heiraten dachte er nie, da er als Wildschütz sehr umschwärmt war von den

Damen.

 

Wie wichtig seine Tätigkeit für die Gesundheit einzelner Menschen war, zeigte sich

unter anderem darin, dass seine Schwester, die eifrig das gewilderte Fleisch ihres

Bruders aß, wie „Milch und Blut“ ausgesehen habe. Dies sei sogar einem

Gendarmen aufgefallen, denn die anderen Kinder im Dorf machten einen eher

mageren Eindruck. Der Gendarm verdächtigte Viktor deswegen des Wilderns, aber

er konnte ihm nichts nachweisen.

 

Wildschützen gehörten also in Zeiten der Not zur Kultur der Armut im Gebirge. Ihr

Ansehen bei der Bevölkerung groß.

 

Die Sympathie des spanischen Philosophen Ortega y Gasset für die Wilderer

Der Wilderer flieht die Enge des Dorfes und wird zum Symbol der Freiheit und der

Außeralltäglichkeit , er wird in Liedern und Wilderergeschichten verehrt

Sympathie für die echten Wilderer hatte der spanische Philosoph Ortega y Gasset.

In seinem Werk „Über die Jagd“ schreibt er; "Der Wilderer ist ein entferntes Abbild

des Steinzeitmenschen , er ist der von der Kultur berührte Steinzeitmensch... Sein

häufiges Verweilen in den Gebirgseinsamkeiten hat wieder ein wenig die Instinkte

ausgebildet, die beim Städter nur noch in Überresten vorhanden sind. Der Wilderer

riecht immer ein wenig nach Raubtier, und sein Auge ist das des Fuchses, des

Marders oder des Frettchens. Wenn der zivilisierte Jäger den Wilderer draußen am

Werke sieht, entdeckt er, daß er selbst kein Jäger ist, daß er mit all seinen

Anstrengungen und all seiner Begeisterung nicht in die solide Tiefe jagdlichen

Wissens und Könnens eindringen kann, die den Reichtum des Wilderers

ausmachen". Soweit der spanische Philosoph.

 

 

Die Weidgerechtigkeit geht auf die Wildschützen und

Erzherzog Johann zurück

 

Die Weidgerechtigkeit – die jagdliche Anständigkeit und das faire Verhalten dem Tier

gegenüber – hat keine lange Tradition. Das Wort Weidgerechtigkeit wird das

erstemal Ende des 19. Jahrhunderts von dem österreichischen Jagdschriftsteller

Ernst von Dombrowski verwendet.

 

Die früheren kaiserlichen und aristokratischen Jäger gingen höchst grausam mit dem

Wild um. Kaiser Maximilian ließ das Wild durch Hunde hetzen und auch Kaiser Franz

Josef bevorzugte bis etwa 1870 in seinem Leibgehege die Hetzjagd durch Hunde auf

Hirsche. Der Jagderfolg der noblen Herrn wurde an der Stückzahl bemessen. So soll

der in Sarajewo erschossene Thronfolger Franz Ferdinand insgesamt weit über

200.000 Stück Wild erlegt haben.

 

Es waren echte Wildschütze aus der bäuerlichen Welt, die mit dem Einzelabschuss

im Verborgenen zufrieden waren. Sie achteten darauf, dass das Wild im Feuer fiel,

es also sofort erlegt wurde. Der Einzelabschuss bei den Wildschützen hat – aus

begreiflichen Gründen - wohl eine lange Tradition.

Dieser noble einzelne Abschuss, wie ihn die Wildschützen ausübten, wurde von

Erzherzog Johann übernommen. Die Wildschützen und der Erzherzog sind somit als

die Begründer der neuzeitlichen Jagdethik anzusehen. Er spricht einiges dafür, dass

der Erzherzog sich als ein Freund der Gebirgsbauern am Verhalten der Wildschütze

ausgerichtet hat.

 

 

Kämpfe zwischen Jägern und Wilderern   -  zweimal bei und in  Molln

 

Folgende Geschichte aus dem Jahre 1891, die sich zwischen zwei Jägern und

zwei Wilderern am Luchsboden bei Molln im heutigen Nationalpark Kalkalpen

abspielte. zeigt gut die Dramatik auf, die sich ergab, wenn Wilderer auf

herrschaftliche Jäger trafen. Die Wilderer als "Helden der kleinen Leute",  hier

handelt es sich um Holzknechte, die ohnehin ein karges Leben zu führen hatten,

sahen sich geradezu berechtigt, in den Wäldern ihrer Heimat zu jagen. Die Jäger

dagegen müssen im Sinne ihres Jagdherrn die Wilderer stellen. Die Kämpfe, die

sich aus diesem Konflikt ergeben, waren bisweilen tödlich, wie in diesem Fall. Der

Wilderer stirbt. Der Jäger, der den Wilderer umgebracht hat, wird schließlich bei

Gericht frei gesprochen.

 

Am Sonntagvormittag, dem 6. Dezember 1891, sind der Revierförster vom

Bodinggraben, Kaspar Hubmer, und der Forstadjunkt Josef Scharnreitner auf einem

Dienstgang im Ebenforstgebiet unterwegs. Um etwa halb elf Uhr hören die beiden

Jäger vom Luchsboden her kurz nacheinander zwei Schüsse, die offensichtlich von

Wilderern herrühren. Sie passen ihnen in der sogenannten Luchsbodenleithen vor,

wo bald einer der Wilderer in ihre Nähe kommt. Als er nur noch etwa zehn Schritte

von ihnen entfernt ist, entdeckt er die versteckten Jäger und flüchtet. Der

Forstadjunkt Scharnreitner läuft ihm sofort nach und erwischt ihn nach circa 140

Schritten. Der Wilderer, es handelt sich um den Holzknecht Ludwig Aschauer, wirft

sein Gewehr weg und schlägt mit dem Bergstock auf den Adjunkten ein. Dieser

pariert jedoch jeden Stoß und versetzt seinerseits dem Wilderer einen derartigen

Hieb, dass er zu Boden geht. Um dem Wilderer die Hände zu binden, schneidet der

Adjunkt mit seinem Messer die Hundeleine durch und wirft das Messer beiseite. Er

beginnt, dem Wilderer die Hände zu fesseln.

 

Als der zweite Wilderer, es ist der Holzknecht Alexander Fahrngruber, die Situation

erfasst, lehnt er sein Gewehr an einen Baum und eilt seinem Kameraden zu Hilfe. In

diesem Moment kommt auch der Förster Hubmer zum Kampfplatz. Mit den Worten

„Übernehmen sie diesen, den anderen werde ich gleich haben!“ überlässt der

Adjunkt den halb gebundenen Wilderer dem Förster Hubmer und wendet sich dem

zweiten Wilderer zu. Der schlägt sofort mit dem Bergstock auf ihn ein. Wieder pariert

er dessen Streiche. Da schleudert der Wilderer Fahrngruber seinen Bergstock weg,

packt den Adjunkten mit beiden Händen und wirft ihn zu Boden. Dem Adjunkten

gelingt es, den Fuß seines Widersachers zu erwischen und zwingt auch ihn zu

Boden. Beide kommen in Bewegung und kollern zusammen 50 bis 60 Schritte den

Abhang hinunter. Der Adjunkt kommt schließlich zufällig mit seinen Beinen zwischen

zwei Steinen zu liegen und kann sich kaum mehr rühren. Der Wilderer Fahrngruber

nutzt dies und holt mit seiner Hand zum Schlag aus. Der Adjunkt Scharnreitner kann

den Fausthieb abfangen und die Hand festhalten. Er schreit dem Förster Hubmer zu:

„Herr, ich bitte Ihnen, rennens mir den abi!“

 

Inzwischen hat der erste Wilderer Ludwig Aschauer den Förster am Hals gepackt, ihn schließlich zu Boden gerungen und sich auf ihn gekniet. Er sagt: „Wart’ Jäger, jetzt stech ich dich ab!“ Hubmer gelingt es, sein Messer zu ziehen. Er schneidet damit dem Wilderer ins linke Handgelenk. Der lässt nun los und ergreift die Flucht. Hubmer will ihm nachsetzen, hört aber jetzt den Hilferuf des Adjunkten. Er eilt herzu. Der Jäger versetzt dem Wilderer Fahrngruber mit seinem Bergstock einen Schlag auf den Kopf, der daraufhin zu Boden stürzt und 50 bis 60 Schritte den Berghang

hinabkollert. Der Adjunkt Scharnreitner erhebt sich und eilt dem Wilderer nach. Er

findet Fahrngruber an einer Fichte gelehnt. Dieser bittet ihn, ihm nichts mehr zu tun.

Er lässt sich widerstandslos die Hände binden. Als sie gemeinsam den Berghang

hinaufgehen, klagt der Wilderer, dass er einen Bruch habe. Die beiden Jäger

glauben ihm anfänglich nicht. Auf nochmaliges Bitten untersucht ihn Scharnreitner

und sieht nun an der linken Bauchseite eine offene Wunde, aus der ein faustgroßes,

aufgeschlitztes Stück Darm heraushängt. Alexander Fahrngruber wird nun vom Jäger und dem Adjunkten auf eine aus Bergstöcken und Wettermänteln provisorisch

gefertigten Trage gebettet. So versuchen sie ihn hinunterzutragen. Weil es aber sehr

steil und eisig ist, müssen sie das bald wieder aufgeben. Dem Adjunkt Scharnreitner

gelingt es, den Schwerverwundeten bis zur Ebenforst-Jagdhütte zu tragen.

Der herbeigerufene Mollner Arzt Hager kann nicht helfen, weil 25 bis 30 cm Darm

aus der Bauchwunde herausragen und verletzt sind. Fahrngruber verstirbt am

Mittwoch, 9. Dezember 1892.

 

Josef Scharnreitner zeigt am 7. und 8. Dezember 1891 die Sache in Windischgarsten

an. Die Gerichte führen umfangreichen Recherchen zu diesem Fall durch. Der

Förster Kaspar Hubmer muss deswegen insgesamt an elf Tagen bei Gericht

erscheinen, der Adjunkt Josef Scharnreitner an zwölf.

Bei der Gerichtsverhandlung am 11. und 12. August 1892 versucht das Gericht in

Steyr zu klären, wer dem Fahrngruber den Bauchstich zufügte, wann, wie und mit

welchem Gegenstand.

 

Kaspar Hubmer und Josef Scharnreitner schreiben die Entstehung und Beibringung

dieser Bauchwunde einem Zufall zu. Sie erklären sie so, dass Alexander

Fahrngruber beim Hinabstürzen über den Abhang sich dieselbe durch sein eigenes

im Rucksack verwahrtes Schneidmesser zufügte. Denn sie sahen dieses nach der

Festnahme des Alexander Fahrngruber mit offener Klinge aus dessen Rucksack

herausstehen. Der Gerichtsarzt hält in seiner Stellungnahme fest, dass die

Bauchwunde höchst unwahrscheinlich auf diese Art entstanden ist. Schon

wahrscheinlicher ist die Herbeiführung des Bauchstiches durch den Bergstock. Die

Beschaffenheit der Wunde lässt aber schließen, dass sie mit einem spitzen,

schneidenden Werkzeug (Messer) zugefügt wurde. Das Gericht sieht es schließlich

als erwiesen an, dass die Verletzung durch einen Stich mit einem Messer zugefügt

wurde. Da Josef Scharnreitner sein Messer beim Binden des ersten Wilderers

weglegte, es also im kritischen Moment nicht zur Hand hatte (was auch Kaspar

Hubmer bestätigt), scheidet er als Täter aus. Die Verletzung dürfte dem Fahrngruber

unmittelbar nach dem Moment zugefügt worden sein, als Hubmer mit dem Bergstock

auf den Fahrngruber zuschlug. Dies wird dadurch unterstützt, weil Fahrngruber bis

kurz vorher noch die Offensive gegen Josef Scharnreitner einnahm, nachdem er aber

über den Abhang kollerte, war er physisch und moralisch zu jedem Widerstand

unfähig. Er ergriff nicht einmal die Flucht, was nach dem Stand der Dinge für ihn am

natürlichsten gewesen wäre. Dazu kommen die Aussagen jener Zeugen, mit denen

Alexander Fahrngruber noch vor seinem Tod sprach. Fahrngruber selbst bezeichnete

den Herrn, also den Förster Kaspar Hubmer, als Täter. Er meinte, dass der Förster

ihm diese Verletzung durch einen Stoß mit der langen Spitze des Bergstocks

zufügte.

 

Ein anderer Zeuge gibt an, Fahrngruber hätte von einem Messer als Tatwerkzeug

gesprochen. Auch Kaspar Hubmer gesteht zu, dass Fahrngruber in seiner

Gegenwart diese Angaben machte. Zwei Zeugen berichten, sie hätten Fahrngruber

daraufhin angesprochen, dass die Löcher in der Kleidung nicht von einem Bergstock

herrühren. Fahrngruber hat darauf geantwortet: „Dann weiß ich es selber nicht.“

Gerichtsärzte, Hubmer und Scharnreitner geben an, dass Alexander Fahrngruber

durch den Schlag mit dem Bergstock auf den Kopf so betäubt gewesen ist, dass er

das Tatwerkzeug verwechselte und sich durch die Schnelligkeit der Tat täuschte.

Auch zu Scharnreitner sagte Fahrngruber unmittelbar nach der Entdeckung der

Bauchwunde: „Der Herr Hubmer hat es mir getan, mit dem Stecken, wie er mich von

dir abi gerannt hat; es ist nicht anders möglich.“

 

In Erwägung all dieser Umstände kommt das Gericht zur Überzeugung, dass Kaspar

Hubmer, als er den Hilferuf des Scharnreitner vernahm, nicht bloß seinen Bergstock,

sondern auch sein Schneidmesser, von dem er schon zur Abwehr des Aschauer

Gebrauch machte, mitgenommen und auch gegen Fahrngruber einsetzte. Wenn

auch Kaspar Hubmer die Tat in Ausübung gerechter Notwehr verübte, so kann sich

das Gericht doch der vollen Überzeugung nicht verschließen, dass Hubmer dabei die

Grenzen der nötigen Verteidigung überschritt. Scharnreitner selbst gab an, dass es

dem Kaspar Hubmer ein leichtes gewesen wäre, den Fahrngruber durch Festhalten

unschädlich zu machen. Der an Größe, Kraft und Geschicklichkeit überlegene

Forstadjunkten Josef Scharnreitner hat Fahrngruber festgehalten. Es war die

Anwendung von Waffen - gegen Kopf und Bauch, auf solche Weise, wie es

geschehen ist - zweifellos unnötig. Deshalb erkennt das Gericht den Angeklagten

Kaspar Hubmer des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 St. G.

für schuldig. Hubmer wird zu 2 Monaten schweren Arrest, verschärft mit einem

monatlichen Fasttag und zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Er legt dagegen Nichtigkeitsbeschwerde ein.

 

Der oberste Gerichtshof in Wien hebt dieses Urteil am 16. Dezember 1892 auf und

spricht ihn frei, da er ja in Ausübung gerechter Notwehr handelte und weder für die

weiteren direkten oder indirekten Folgen derselben verantwortlich gemacht werden

kann.

 

 

Die "Wildererschlacht" in Molln vom 14. März 1919

Gedanken vorweg - die Tragödie von Molln

 

Die Wildererschlacht von Molln, über die im Folgenden erzählt werden soll, war eine

Tragödie, also eine aufregende Geschichte, in der es um Wildschützen, die Helden

der kleinen Leute, in Zeiten der Not ging. Diese nahmen für sich in verbotener Weise

das Recht in Anspruch, in den Wäldern des Grafen Lamberg Wild zu erlegen, um

sich und andere mit Fleisch zu versorgen. Sie waren echte Rebellen, die nicht gewillt

waren, die "normale" Rolle der Armut zu spielen. Sie lehnten sich gegen jene auf, die

ihnen als Unterdrücker oder Ausbeuter erschienen. Sie setzten alles daran,

gegenüber diesen ihre Freiheit und die der anderen zu erkämpfen, und zwar mit

Mitteln, über die sie als Kinder der Armut verfügten, nämlich: mit Stärke, Mut,

Schlauheit, Entschlossenheit und Treue gegenüber ihren Freunden. Aber auch der

Tod ist den Rebellen gegenwärtig. So wurden vier der Mollner Wildschützen bei der

Schiesserei, die hier geschildert wird, getötet. Charakteristisch für tote Rebellen ist,

dass ihnen durch Legenden, Gedichte, Lieder, Theaterstücke, Bücher und

Gedenktafeln so etwas wie Unsterblichkeit verliehen wird.

 

Die Schilderungen über die Ereignisse in Molln erinnert in gewisser Weise an die alte

griechische Tragödie, dem Theater der Antike. Im Wort Tragödie steckt übrigens das

Wort "tragos", das soviel wie Bocksfell heißt, denn bei kultischen Umzügen im alten

Griechenland wurde der Gott Dionysos, ein göttlicher Held, mit Bocksfell und Maske

dargestellt. Die Tragödie ist demnach wörtlich ein "Bocksgesang".

 

Daraus entwickelte sich die Tragödie - dies ist meine Deutung - als eine Erzählung

über Helden, die Schweres zu erdulden hatten und an die fortan erinnert werden soll.

Um Erkundigungen über die Wildschützen von Molln einzuholen, fuhr ich vor vielen

Jahren einige Male mit dem Fahrrad von Spital am Pyhrn nach Molln, wo ich nicht

nur meinen Freund Willi Girkinger aufsuchte, sondern auch den Heimatforscher F.

Kirchner. Dieser hatte ein schönes Buch über die Geschichte Mollns in ihrer Vielfalt

geschrieben. Ein großes Kapitel widmete er den Mollner Wildschützen in der Zeit

nach dem ersten Weltkrieg. Ich hatte mir das Buch in Wien bei dem Buchhändler

Poxleitner, der aus Ramsau bei Molln stammte, besorgt. Ich bin Herrn Poxleitner

dankbar, dass er mich auf dieses interessante und gut recherchierte Buch

aufmerksam gemacht hat. Streckenweise beziehe ich mich in meinen Ausführungen

daher auch auf dieses Buch. Ich führte mit Herrn Kirchner anregende Gespräche

über die Geschichte Mollns und die Schicksale der Mollner Wildschützen, die im

März 1919 von Gendarmen brutal aus dem Leben gerissen wurden.

Dieser Tragödie widme ich mich nun.

 

 

Der Beginn der Tragödie

 

Nach dem Ende des erste Weltkrieges herrschte große Not in Österreich. Die von

den Feindmächten verhängte Lebensmittel- und Ausfuhrblockade war aufrecht

geblieben. Die ehemaligen Soldaten kamen erschöpft und hungernd aus dem Krieg

zurück. In Molln wurden einige dieser Heimkehrer zu Wildschützen, damit sie und

andere überleben konnten. Speziell in Molln kam es zu einigen fatalen Ereignissen.

Am 17. Oktober 1918, also einige Wochen vor dem Ende des Krieges, wurde Johann

Daxner. ein Förster des Grafen Lamberg, dem das Revier um Molln gehörte,

erschossen aufgefunden. Der Mann war 56 Jahre alte und hatte zehn unversorgte

KInder. Er war als "braver und verläßlicher Mann" im Dienste der Herrschaft Lamberg

tätig. Wer Daxner erschossen hat, weiß man nicht. Man vermutet, dass dies ein

Wilderer gewesen sein könnte. Drei Monate später am 24. Jänner 1919 ereignete

sich eine zweite Bluttat, nun auf der anderen Seite, nämlich der der Wilderer. Zwei

Forstbeamte, der Förster A. Knieling und der Forstadjunkt F. Lugner, hatten einen

Wilderer gestellt. Als dieser zu flüchten versuchte, schoss der Forstadjunkt - obwohl

ihm der Förster zugerufen hatte, nicht zu schießen - in den Rücken des Wilderers,

den man als den Vinzenz Bloderer, einen Knecht aus der Ramsau, identifizierte.

Bloderer starb an einem Lungen- und Leberdurchschuss. Über diesen Vorfall schrieb

die Zeitung "Wahrheit" am 26.1.1919 u.a.: "Bloderer, der in vier Jahren des Krieges

dem Feind oft Aug in Aug gegenüberstand, musste daheim auf so tragische Weise

sein Leben lassen...". Beide Morde hatten in Molln die Gemüter erregt. Die

Forstleute schimpften über die Wilderer und die Wilderer verfluchten die Forstleute

des Lambergischen Reviers. Es ist verständlich, dass Förster und Jäger Angst vor

den Wilderern hatten, da diese mitunter richtige Beutezüge in das Reichraminger

Hintergebirge durchführten. Man erzählte sich, dass die Jäger Schleichwege

benutzten , um nicht mit den Wilderern zusammen zu treffen, wenn sie glaubten,

diese wären wieder einmal unterwegs. In den Gasthäusern von Molln und Umgebung

führten die Wilderer das große Wort.

 

Da die Mollner Wildschützen sich ungehemmt in den Wäldern herum trieben und

schossen, was sie so brauchten, beschloss die Obrigkeit, einige Mollner Wilderer

festzunehmen.

 

Am 13. März 1919 kam es zur Verhaftung von fünf als Wilderer bekannten Burschen

durch Mollner Gendarmen. Die fünf Burschen waren: Heinrich Huber, Franz Wieser,

Roman Schiffer, Adolf Fedrizzi und August Steiner. Sie wurden von den Gendarmen

in das Bezirksgericht in Grünburg gebracht, von wo sie am nächsten Tag in das

Kreisgericht Steyr durch zwei Gendarmen mit dem Zug überstellt werden sollten.

Bevor der Zug in Grünburg einfuhr, mit dem man die Wilderer nach Steyr bringen

wollte, erhielt das Bezirksgericht in Grünburg ein Telegramm vom Gendarmeriekommando Molln, in dem stand, dass in diesen Zug als Wilderer bekannte Burschen in Molln zugestiegen seien. Dieses Telegramm, das als Warnung gedacht war, wurde jedoch falsch gedeutet. Man dachte nämlich, dass in Molln noch weitere Wilderer verhaftet worden wären, die nun auch nach Steyr überstellt werden. Dies war jedoch ein Irrtum. Als der Zug in Grünburg einfuhr und die beiden Gendarmen mit ihren fünf Gefangenen in diesen einsteigen wollten, sprangen zur Verwunderung der Gendarmen aus dem letzten Waggon Mollner Wilderer. Einige von ihnen packten die Gendarmen und entwaffneten sie, andere nahmen die gefesselten Kollegen in ihre Mitte. Die beiden Gendarmen ergriffen die Flucht. Ein paar Wilderer liefen zu einem der umliegenden Häuser, wo sie Zangen verlangten, mit denen sie die Ketten der Arrestanten lösten (Janisch, 1980, S 1).

 

Der Höhepunkt der Tragödie - die Schlacht und die toten Wilderer

Singen und Scherze machend marschierten die Burschen, die Befreier und die

Befreiten, zurück nach Molln, wo sie im Gasthof Dolleschal zukehrten. Inzwischen

telefonierte man zwischen den Gendarmeriekommandos Molln und Grünburg. Die

Gendarmerieschule von Steyr wurde um Hilfe gebeten. um die Wilderer zur Räson zu bringen und sie zu inhaftieren. Schließlich wurden junge Gendarmen in zwei

Lastautos nach Molln gebracht, um an diesem Abend des 14. März 1919 jene

Wilderer zu verhaften, die sich strafbar gemacht haben. Die beiden Lastautos wurden am Ortsrand abgestellt, gemeinsam mit den Gendarmen von Molln und Grünburg näherten sich die Gendarmen dem Gasthof Dolleschal. Mit 15 Gendarmen betrat der Gendarmeriemajor Dimmel die Wirtsstube. Es trat Stille ein. Der Major erklärte die an zwei Tischen beisammen sitzenden Wilderer für verhaftet. Er fügte hinzu, dass Widerstand zwecklos sei, denn das Gasthaus sei von 50 Gendarmen umstellt. Der Wirt schrie, dass es von der Gendarmerie ungerecht sei, freie Bürger in seinem Gasthaus zu inhaftieren, schließlich lebe man in einer Republik. Jetzt erst erwachten die Wilderer von der Überraschung. Schwere Wirtshaustische flogen um und BIerkrüge sausten in Richtung der Gendarmen. Die Wilderer stürzten sich auf die Gendarmen. Nun befahl der Major: "Waffengebrauch". Der Wilderer Karl Zemsauer erlitt vom Grünburger Postenleiter Preisler einen tödlichen Bajonettstich. Preisler drückte zweimal ab. Zweimal feuerte auch der Gendarm Danninger. Der Wilderer Georg Unterbrunner sank in die Brust getroffen leblos zu Boden. Die Wilderer bekämpften mit allem, was ihnen in die Hände bekam. Der listige Wilderer Gust Wolfbauer versteckte sich unbemerkt im großen Rohr des Backofens, der an diesem Tag nicht geheizt war. Am Ende gab es zahlreiche Schwer- und Leichtverletzte und drei Tote Wilderer. Dem Major Dimmel wurde schließlich mitgeteilt, dass zwei Angehörige der Wildererbande fehlten: Wolfbauer Gust und Johann Eder vulgo Resch. Wolfbauer Gust konnte nicht gefunden werden, er war im Rohr geblieben.

 

Und Johann Eder war nach hause marschiert, zum Haus Ramsau 129. Dort

stöberten ihn Gendarme auf, sie erklärten der Mutter, sie wollten den Sohn holen.

Diese meinte, der Sohn würde in der Dachkammer schlafen. Nach dem Abzug der

Gendarmen wurde Josef Eder mit durchstochener Brust tot in seinem Bett

aufgefunden. Im Totenbuch der Pfarre Molln ist zu lesen: "Johann Eder, gestorben

am 14. März 1919 um 11 Uhr nachts. Todesursache: Bajonettstiche in die Brust".

In derselben Nacht, in der Eder starb, wurden die lebenden Wilderer in das

Kreisgericht Steyr eingeliefert. Vier Wilderer wurden wegen Verbrechens des

Aufstands, begangen durch gewaltsame Befreiung von Gefangenen, und die übrigen

wegen Wilddiebstahls angezeigt.

 

 

Reaktionen auf die Tragödie

 

Das Geschehen um die Wildererschlacht hatte sich schnell in Oberösterreich herum

gesprochen. Viele Arbeiter legten aus Protest gegen die "Behördenwillkür" die Arbeit

nieder. Und in der "Linzer Tagespost" vom 16.3. 1919 heißt es dazu: "Die Erregung

in Molln ist allgemein. Die hiesigen Industriebetriebe stehen heute (15.3.) still.

Fortgesetzt kommen Gruppen in die Leichenhalle, um die toten Kameraden zu

besichtigen.... In Molln sind Gendarmerieverstärkungen eingetroffen...". Interessant

sind die Ausführungen in der "Linzer Tagespost" vom 17. März 1919 unter der

Überschrift; "Die Jagdrevolution in Molln": "Die Bauernrevolution der einsamen

Mollner Waldleute gegen das Jagdprivileg des großen adeligen Grundherrn rollt all

die Probleme. die schon die Hirne unserer aufständischen bäuerlichen Vorfahren

erfüllten, wieder auf... Der Vorwurf Jakob des Letzten (Rosegger) klingt an den

Boden- und Landhunger unserer Grundherren an ...Der Bauer, leidenschaftlich wie

die Naturgewalt der Berge, greift zum Stutzen ...". Die Zeitungen in Oberösterreich

sind voll mit Kritik am Vorgehen der Gendarmerie. Man sympathisierte mit den

Wildschützen. Besonders deutlich zeigt sich die Abneigung gegenüber den

Gendarmen. Als die an der Schießerei beteiligten Beamten ein paar Tage später in

Steyr den Zug nach Linz besteigen wollten, um sich im Landesgendarmeriekommando zum Rapport zu melden, wurden sie beschimpft.

Janisch beschreibt diese Szenen am Bahnhof so. "Die Leute am Bahnsteig waren

außer sich... Sie schrien und drohten mit den Fäusten ... Es wurden Steine geworfen.

Major Dimmel, der als letzter ging, erhielt Fußtritte und Faustschläge...". Die

Bevölkerung stand also auf der Seite der Wilderer. Symbolisch zeigt sich die

Sympathie mit dem Wilderern in einem von einem unbekannten Künstler bemalten

Porzellanteller. Auf diesem Teller sind die Portraits und Namen der vier getöteten

Wilderer zu sehen. Der Teller befindet sich im Besitz der Familie Dolleschal, der

dereinst das Mollner Gasthof Dolleschall, in dem die geschilderte Schießerei

stattfand und das es heut nicht mehr gibt, besessen hat. In unserem

Wilderermuseum ist eine gute Fotografie dieses Tellers zu besichtigen. Den

originalen Teller konnten wir leider nicht erwerben (vielleicht findet er doch einmal

den Weg in das Wilderermuseum).

 

 

Erinnerungsteller an die Wildererschlacht 1919 im früheren Gasthaus Dolleschal in Molln

 

Das rituelle Ende der Tragödie - das Begräbnis.

Die Tötung der vier Wilderer hatte die Bevölkerung in Molln und um Umgebung

aufgebracht. Das Begräbnis dieser vier von Gendarmen getöteten Mollner Burschen

wurde zu einer Demonstration der "kleinen Leute" gegen die Willkür der Behörde.

Am 17. März 1919 fand das Leichenbegängnis statt. Über 1500 Menschen gaben

den vier Särgen, die am Kirchenplatz ausgesegnet wurden, das ehrende Geleit. Der

gewaltige Leichenzug wurde durch die Musikkapelle von Leonstein eröffnet. Dieser

Abteilung der Volkswehr aus Steyr folgten eine Vielzahl von Arbeitern aus Molln, Leonstein, Grünburg, Kirchdorf, Klaus, Windischgarsten und Spital am Pyhrn und die

Angehörigen der Mollner Liedertafel.

 

Am offenen Grab sprachen Nationalrat Witzany, Arbeiterrat Wimmer aus Steyr, der

Lehrer Kaun und andere. Als die Särge in die Erde versenkt wurden, ertönten 12

Böllerschüsse als Zeichen dafür, dass es sich bei den Toten um Kriegsheimkehrer

handelt" (Linzer Tagespost, 19. März 1919).

 

Im Linzer "Tagblatt" vom 23. März 1919 ist ein sehr dramatischer, beinahe poetischer

Bericht von diesem Begräbnis zu lesen:

 

".. Das Blut der Getöteten schreit auch gegen die Verantwortlichen bei der

Landesregierung. Der Freiheits- und Gerechtigkeitsdrang unseres Bergvolkes, der in

Liedern und Worten von den Vertretern des Bürgertums so gefeiert wird, wurde ohne

Zaudern barbarisch unterdrückt, weil er sich gegen die Vergewaltigung durch einen

Grafen Lamberg gerichtet hatte. Die Wildschützen in der Mollner Gegend sind keine

Einbrecher und Diebe , und dass die Gendarmen zur Verfolgung der Diebe und

Einbrecher keine Zeit gefunden hatten, ist auch damit zu begründen, weil sie das

Wild und die Wälder des Grafen Lamberg hüten mussten. Am Dienstag wurden die

vier Opfer zu Grabe getragen. Mitten in seinem Werden war der Frühling dem rauen

Wetter unterlegen. Ein Zug mit vier Särgen nähert sich dem Friedhofe, und hinter den

toten Kameraden schreiten leichenblass mit aufeinandergepressten Lippen die

Lebenden. Nun kracht ein Böllerschuss. Von den Bergen rollt das Echo herab.

Der erste Sarg sinkt in das Grab. Und während sie hinunter gleiten in die kalte Erde,

knallt von irgendwoher ein-, zwei-, dreimal scharf eine Büchse. Vielleicht hat ein

Wildschütz - oder ein gräflicher Jäger - den Toten von einem weißen Berg herunter

einen letzten Gruß gesandt. Scharf und kurz hallen es die Berg wider, gegen das

furchtbare Unrecht, das im Namen des Gesetzes verübt werden konnte. Das Herz tat

weh, die Kehle presste es zusammen. Die kühnen Männer, weiß wie Schnee im

Gesicht, stehen am Erdhügel und weinen. Die Zähne beißen sie aufeinander, den

Atem halten sie an. Als aber der dumpfe Ton der Särge aus dem Grabe hörbar wird,

fließen ihnen Tränen über die wetterfesten Wangen."

 

Ein Foto von diesem Begräbnis schenkte mir Frau Anna Heidinger aus Molln. Eine

Kopie dieses Fotos ist in unserem Wilderermuseum ausgestellt. Ich möchte an dieser

Stelle Frau Haidinger meinen Dank aussprechen.

 

Ich halte dieses Foto , das hier zu sehen ist in Ehren :

Foto vom Begräbnis der getöteten Wilderer in Molln am 17. März 1919

Rückseite des Fotos vom Wildererbegräbnis vom März 1919

Nachklänge der Tragödie - ein Theaterstück, ein Buch und das

Wilderermuseum in St. Pankraz / Klaus.

 

Die Tragödie um die vier Wilderer, die im März 1919 von Gendarmen getötet wurden,

wurde schließlich zum Gegenstand eines Theaterstückes, in dem die begnadete und

weitum bekannte Puppenspielerin Eva Bodingauer die "Wildererschlacht von Molln"

höchst spannend dramatisiert hat. Dieses Stück wurde 1995 im Pfarrsaal von

Kirchdorf an der Krems und im Gasthof Köhlerschmiede zu Molln mit großem Erfolg

aufgeführt. Interessant ist an diesem Stück ist, dass die einzelnen Figuren aus alten

bäuerlichen Geräten, wie Töpfen, Körben usw. hergestellt wurden. Diese Figuren

trugen die Schauspieler, während sie ihre Texte sprachen oder ihre Aktionen

durchführten, vor sich.

 

Diese Figuren sind im Wilderermuseum zu St. Pankraz- Klaus, an einem alten

Bauerntisch sitzend, zu sehen. Außerdem ist in dem Museum dieses Wildererdrama

auf einer Leinenrolle in Form von aufeinander folgenden Bildern dargestellt. Durch

Drehen der Rolle können die Besucher des Wilderermuseums sehr anschaulich die

ganze Dramatik der geschilderten Tragödie studieren. Diese Tragödie von der

Mollner Wildererschlacht gesellt sich bestens zu den anderen Exponaten des

Wilderermuseums, die einen hervorragenden Einblick in die Geschichte der alten

ehrenwerten Wildschützen, die noch echte Rebellen waren, gewähren.

 

 

Ein Brief der Enkelin von Karl Zemsauer zu der Tragödie

 

Eine Zeit, nachdem mein Buch "Wilderer - Rebellen in den Bergen", in dem ich auch

die Geschichte der Wildererschlacht von Molln dargestellt habe, erschienen ist,

erhielt ich einen Brief von Frau Erika Mitterbaur, der Enkelin des getöteten Karl

Zemsauer, in dem sie mir eine Kopie des Totenscheines schickte. Auf dem

Totenschein ist zu lesen, dass Karl Zemsauer durch einen Bajonettstich im Bauch

getötet worden ist. Die Dame schrieb mir auch, dass ihr Großvater kein Wilderer

gewesen sei. Ich antwortete ihr, dass aufgrund meiner Unterlagen anzunehmen ist,

dass auch Karl Zemsauer ein Wildschütz gewesen sein müsse. Sie schrieb mir

darauf noch einen Brief, in dem sie festhielt , dass ihr Großvater wohl ein Wilderer

gewesen sei, aber an diesem einen Tag, an dem man ihn getötet hat, sei er

unschuldig gewesen (siehe Beilage). Der Brief von Frau Mitterbauer ist auch

insofern interessant, als er einen Einblick in das Leben der früheren "kleinen Leute"

im Gebirge gibt, die Sympathien für die Wilderer hatten, aber keine für die Jäger.

Brief von Erika Mitterbauer, der Enkelin Karl Zemsauers, in dem sie auf die

Beziehung von Wildern und Not eingeht, aber auch auf ihren wildernden Großvater.

 

 

Literatur :

R. Girtler, Wilderer, Rebellen in den Bergen, Wien 1998.

P. Janisch, Gehst mir aufs Leben, Schütz ?, Traunkirchen 1980

F. Kirchner, Das Mollner Heimatbuch, Molln 1987

 

 

Das Wilderermuseum in St. Pankraz – Klaus

 

1998 kam es im Rahmen der dezentralisierten Landesausstellung von

Oberösterreich zur Wildererausstellung im Pfarrhof zu St. Pankraz. Die Idee, über

Wilderer eine Ausstellung durchzuführen, stammt von der tüchtigen Bäuerin Frau Ida

Bankler. Die Mitglieder des Kulturvereins St. Pankraz hatten sich überlegt, welches

Thema man für diese Ausstellung nehmen könne, damit diese auch entsprechend

gefördert und der Pfarrhof renoviert wird. Zunächst kam man auf das Thema „Frauen

und Arbeit“. Von diesem ging man wieder ab, da man meinte, ein solches Thema

interessiere nur wenige. Schließlich beschloss man, eine Ausstellung über Wilderer

durchzuführen und mich zu bitten, an dieser mitzuwirken. Frau Ida Bankler kam mit

zwei Herren zu mir nach Spital am Pyhrn und trug mir die Bitte vor. Ich sagte sofort

zu, denn mich interessierte ein solches Museum. Zunächst erzählte ich an einem

heißen Sommertag den Plan für eine solche Ausstellung dem Landeshauptmann

von Oberösterreich Dr. Josef Pühringer vor dem Pfarrhof St. Pankraz, dort hatten St.

Pankrazer den Landeshauptmann getroffen. Dr. Pühringer, der in der

oberösterreichischen Landesregierung für die Kultur zuständig war, sah es als

berechtigt im Sinne der Volksbildung an, eine solche Wildererausstellung im Rahmen

der Landesausstellung durchzuführen. Es wurde ein Verein gegründet. Ich

entwickelte den Plan der Ausstellung. Wir luden einige Spezialisten ein, mitzuwirken,

darunter Frau Eva Bodingbauer, die in genialer Weise die Bühnenbilder der

Ausstellung schuf, den Juristen Andreas Kohl, der Rechtsgeschichtliches über

Wilderer beitrug, den Musikwissenschaftler Wolfram Tuschner, der sich für

Wildererlieder u.ä. interessierte, Die Ausstellung war ein großer Erfolg, derartig,

dass der Wirt des Gasthauses Steyrbrücke Willi Kerbl an uns mit der Idee herantrat,

im zum Gasthaus gehörigen Stadel die Wildererausstellung vom Pfarrhof hierher zu

übersiedeln, wo sie nun als Museum untergebracht ist.

 

In der Zeitschrift IWÖ 1/ erschien ein Artikel von mir zu diesem Museum gemeinsam

mit Ausführungen von Franz Buder, der heute dem Museumsverein vorsitz.  Wie es mit dem Wilderermuseum weitergehen soll, ist unklar.  Wir sind gezwungen, dieses zu übersiedeln, da der neue Pächter des Gasthauses das Museum, so scheint es, nicht fördern will und kann.  

Unehrenhafte Wildschützen

Keine Jagdhörner für Wilderer-Sau

Roland Girtler: Gedenkrede am Grabe des am 8.9. 1982 erschossenen Wildschütz Pius Walder in Kalkstein (Innervillgraten), Osttirol, 8.9. 2002

Es ist mir eine große Ehre, hier am Grab von Pius Walder ein paar Worte des Gedenkens sprechen zu dürfen. Der Bruder von Pius Hermann Walder hat mich darum gebeten. Es ist mir eine Ehrenpflicht, dieser Bitte zu entsprechen.

 

Ich tue dies nicht nur als Wissenschafter, der sich mit der Sozialgeschichte des Wilderns beschäftigt hat,  und als Leiter eines bekannten Wilderermuseums in Oberösterreich, in dem des Pius ehrend gedacht wird, sondern auch als Mensch, der ich damals vor 20 Jahren mit den Brüdern von Pius ob der Tötung des Pius durch zwei Jäger aus ganzem Herzen mitgelitten habe. Mich empörte die seelische Kälte, mit der Jäger einen jungen kräftigen Mann, der im Stile alter Wildschützen angeschwärzt im Gesicht sich auf die verbotene Jagd begeben hat, erschossen haben.

Ich will hier das Wildern nicht rechtfertigen, das steht mir nicht zu, und will auch niemanden anprangern,  ich will aber festhalten, dass mit gewissen Formen des Wilderns eine alte Kultur sozialen Rebellentums verknüpft ist.  

Pius gehörte, wie ich meine, dieser Kultur an.

 

Am 8. September 1982 gegen Abend geschah hier in Kalkstein auf der Hölleiten etwas Furchtbares. Zwei Jäger hatten es auf den Wildschütz Pius Walder abgesehen, der eine trieb ihn mit Schüssen aus seiner Deckung und der andere streckte Pius , der schon auf der Flucht war, mit einem Schuss in den Hinterkopf nieder. Pius sackte in sich zusammen, kollerte einige Meter den Steilhang hinunter und lag stundenlang röchelnd in seinem Blut. Spät kam Hilfe. Er muß eine robuste Natur gewesen sein, denn er starb trotz des Schusses in den Hinterkopf erst nach einigen Stunden im Krankenhaus. Die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. 

Vor ein paar Wochen war ich mit Hermann Walder an dieser Stelle, an der Pius den Tod fand, und gedachte still seiner. 

 

Nach den mir vorliegenden Unterlagen und der Ergebnisse der Gerichtsmedizin, war es ein glatter Mord, der an Pius begangen wurde, denn die Kugel traf ihn in den Hinterkopf. Pius war auf der Flucht und wurde also kalt von Jägern, die in ihm einen Konkurrenten sahen, abgeknallt. Mich erinnert dieser Tod des Pius an eine Begebenheit bei uns in Oberösterreich, als ein Bauernbursch als Wilderer  vor über 80 Jahren auf ähnliche Weise von Jägern erschossen wurde. Auch dieser Wilderer stammte genauso wie Pius aus einer angesehenen Bauernfamilie, auch er hatte Brüder, die  den Jägern Rache schwuren, aber diese nie ausführten. Der Text auf dem Totenbild , das sie für ihren Bruder verfasst haben, ist bemerkenswert und passt auch auf das Schicksal des Pius. Es heißt da:

 

“Die edle Jägerleidenschaft 

trieb mich auf Bergeshöhn

Zu meinen lieben Gemselein

So frei, so stolz, so schön

Der Tag neigt sich, ich kehr zurück

Und fand den Weg versperrt

Erschossen armen Schützen mich,

ist doch die Welt verkehrt.

Betrachtet doch, Mensch ist doch Mensch,

Warum schoss man mich tot,

Waffengewalt wird angewandt

Nur zur Zeit der Kriegesnot.

Es gibt einen gerechten Richter noch,

Der Herrgott weiß es schon,

Das Gute wiegt das Böse auf,

Der Himmel wird mein Lohn“.

 

Dieses Gedicht und die damit verbundene Geschichte von dem jungen getöteten Wildschütz im Toten Gebirge erinnern an den Tod des Pius, dem es ähnlich erging. Auch die Familie des oberösterreichischen Wildschützen litt schwer, heute weint noch eine alte Frau, die Schwester des getöteten Wilderers, wenn sie sich ihres Bruders erinnert.

 

Der Mord an Pius ist eine ungemeine Ungerechtigkeit und durch nichts zu rechtfertigen.

 

Die Jäger, die Pius erschossen haben, glaubten offensichtlich, sie hätten das mittelalterliche Recht, einen Wildschützen zu erschießen, genauso wie es die hohen Herrschaften noch im 15. und 16. Jahrhundert als selbstverständlich sahen. Damals wurde Wildern geradezu als Majestätsverbrechen gesehen, denn die Jagd nahmen die Aristokratie für sich alleine in Anspruch. Der Bauer durfte nicht jagen. Dies ließ er sich aber nicht gefallen. Tausend Jahre kämpfte der Bauer um das Jagdrecht. Der Bauer wurde zum Rebellen. Rebellen sind typisch für alle Kulturen, in denen Bauern sich unterdrückt fühlen. 

 

Rebellen waren die Tiroler Bauern, die 1525 unter ihrem Führer Michael Gaismaier zum Kampf gegen die Unterdrückung durch die Habsburger antraten und für ihr Jagdrecht kämpften. Kaiser Maximilian war unbeliebt bei den Bauern, weil er das Wild derart überzüchtet hat, dass die Bauern unter dem Wildschaden zu leiden hatten. Erlegte damals aus der Not heraus oder wegen des Wildschadens ein Bauer ein Stück Wild, so war die Strafe grausam. Der Wilderer wurde an den Pranger gestellt, einige wurden hingerichtet, einige wurden in den Banat verbannt und einige wurden zur grausamen Galeerenstrafe verurteilt.

 

Jedenfalls entwickelte sich im Gebirge eine Kultur des Wilderns, zu der auch die Sennerin als Kumpanin des Wilderers gehörte. In Liedern werden Wildschütz und Sennerin verehrt. Die Bauernburschen standen auf dem Standpunkt, dass das Wild in ihren Bergen ihnen gehöre und nicht dem noblen Jagdherrn, der aus der Stadt und von seinem Schloß einmal im Jahr angereist kam, um sich Wild vor die Flinte treiben zu lassen.  Die Abschusszahlen der noblen Leute waren enorm. So soll der Thronfolger Franz Ferdinand, der in Sarajewo erschossen wurde, bei 120.000 Stück Wild im Laufe seines Lebens erlegt haben.  Das ärgerte die Bauernburschen, die selbst nicht jagen durften.  Gerade bei den rebellischen Bauern im Gebirge, aber auch bei den frei denkenden Bürgern  hat sich eine Sympathie für die alten Wildschützen erhalten. In Geschichten, Filmen und Romanen zeigt sich dies heute noch.

 

Ich will hier nicht den Jäger, der Pius erschossen hat, anklagen, er hat seine Strafe bekommen und sie verbüßt. Die Schuld, einen jungen Mann erschossen zu haben, wird er sein Leben mit sich herumtragen müssen.  

 

Ein berühmtes Bild ging damals durch die Zeitungen, nämlich das Bild vom

Rache-Schwur der Walder-Brüder am offenen Grab ihres Bruders.  Für viele Menschen, zu ihnen gehörte auch ich, wurde dieses Bild geradezu zum Symbol des Widerstands gegen die Willkür von Jägern, die sich als  Herrn über Leben und Tod sahen. Dieser Schwur zeigte den unbändigen Freiheitswillen von Menschen, die sich Ungerechtigkeiten, die sie als solche sehen, nicht gefallen lassen. Der Schwur der Walder-Brüder wurde zum Synonym für den Tiroler Freiheitswillen schlechthin,  durchaus in der Tradition von Andreas Hofer, der als konservativer Rebell es sich nicht gefallen ließ, dass eine fremde Macht ungefragt ihren Willen ihm aufzwingen wollte.  Genauso wie Andreas Hofer fordert auch Hermann Walder Gerechtigkeit, wie er sie sieht. Dafür gebührt ihm, aber auch seiner Frau und seinen Kindern, mein ehrlicher Respekt. 

 

Als ich mich näher mit dem Schicksal des Pius Walder beschäftigte, wurde mir auch klar, dass das Wildern stets ein archaisches  Symbol des Freiheitsstrebens der Menschen in den Bergen war . Allerdings nicht jede Art von Wildern gehört dazu. Dem Ehrenkodex der alten Wildschütze entsprach, dass man sich auf keinen Kampf mit dem Jäger einließ und dem Wild ehrlich nachstellte. Wilderer, die Schlingen legten, um das Wild auf grausame Weise zu töten, galten als unehrenhaft, ebenso wie die heutigen Autowilderer, die mit ihren Autos bei Nacht in den Wald fahren und das Wild blenden, um es leicht abknallen zu können. Ein solcher Wilderer war Pius nicht. Er nahm viele Mühen auf sich, um hoch in den Bergen der Gams nachstellen zu können. Er war mit keinem geländegängigen Fahrzeug unterwegs wie moderne ‘tapfere’ Jäger.  

Pius hielt sich auch als bäuerlicher Wilderer an Schonzeiten. Pius erinnert an jene Bauernburschen, die in früheren Jahrhunderten als  Helden der kleinen Leute für ihr angestammtes bäuerliches Jagdrecht mit jenen Mitteln kämpften, das ihnen zur Verfügung standen, nämlich mit Mut, Stärke und Treue. Und treu war der Pius seinen Brüdern und seiner Familie. Diese Treue ist den Brüdern Walder eigen. 

 

Mit ihrem Kampf um Gerechtigkeit für ihren Bruder haben die Walders, wie auch Herr Linde in seinem Buch „Die Walder-Saga“ treffend schreibt, die Selbstherrlichkeit staatlicher Würdenträger angeprangert.  Sie wollen nicht einsehen, dass ein Menschenleben um der Jagd willen geopfert wird.  Und so etwas darf auch nie wieder geschehen. 

 

Zwanzig Jahre sind seit der Tötung des Pius Walder vergangen. Ich finde es gut, dass man sich dieses Mannes und des Umstandes seines Todes weiterhin erinnert. Dafür sei vor allem Hermann Walder und seiner lieben Frau Edith gedankt.

Ich gestatte mir zum Abschluß ein paar Zeilen aus einem Gedicht, das Edith gedichtet hat, vorzulesen:

 

„Er hatte ein Ohr, ein offenes Herz,

für jede Bitte, jeden Schmerz.

Überall wo Not am Mann,

war dann halt der Pius dran. ...

Die Seele rein, der Blick so klar,

er war ein guter Mensch fürwahr: 

Es gibt wohl wenig solche Kerle,

er war ein Mensch, wie eine Perle.

Er fand die freie Natur so schön

Und liebte am meisten die Bergeshöhn.

Er war voller Pläne und Zuversicht,

als alles dann so plötzlich zerbricht;

ein Schuss gezielt von Jägerhand

zerriss für uns dies schöne Band.

Sie schreit zum Himmel diese Tat, 

die man an ihm vollendet hat.

In Dankbarkeit gedenken wir dein,

Du wirst uns unvergesslich sein“.

 

Damals 1982 blickte ganz Österreich und überhaupt die Öffentlichkeit nach Kalkstein zum Grab des Pius, an dem seine Brüder standen und schworen, ihrem Bruder die Treue zu halten. Und dies taten sich auch, vor allem mein Freund Hermann und seine Frau Edith.

 

Ich drücke der Familie Walder mein Mitgefühl aus und verneige mich in Respekt vor dem toten Pius. 

 

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Studenten: Alte Initiationsrituale in Deutschland und in den USA - Mensur und Deposition

Zwei Initiationsrituale, die an den alten deutschen Universitäten entstanden sind oder an diesen üblich waren, haben nach einer Zeit des Verschwindens wieder an Anziehungskraft gewonnen. Es sind dies die Deposition und die Mensur. Auf diese beiden Rituale, die mit Gewalt und Verwundung zu tun haben, werde ich mich hier hauptsächlich beziehen. Allerdings werde ich auch ein paar Gedanken zum Duell, das der Mensur vorausgeht, einbringen. Im Sinne von Arnold van Genneps Gedanken zu den „Übergangsriten“ verstehe ich die beiden zu beschreibenden Rituale als Zugangsrituale, durch die die Einbindung des jungen Studenten in die Gemeinschaft der Universität oder einer studentischen Korporation abgesichert bzw. deutlich gemacht wird.

 

 

Die Deposition – das Ablegen der Hörner, der Gelbschnabel und der Fuchs

 

Unter Deposition wird vom Mittelalter bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Ritual verstanden, dem der Student im Allgemeinen vor seiner Immatrikulation an der Universität sich zu unterziehen hatte. Diese Deposition wurde wahrscheinlich von der Pariser Universität zu den deutschen Universitäten übertragen. Der Begriff Deposition leitet sich vom lateinischen „depositio cornuum“ ab, was auf Deutsch so viel heißt wie das „Ablegen der Hörner“. Die Deposition geht von dem Gedanken aus, dass der Student, der an einer Universität immatrikuliert werden will, unzivilisiert und roh ist, er also eher einem wilden Tier mit Hörnern gleicht als einem gesitteten Angehörigen der Universität. Für gewöhnlich bestand dieses „Hörnerabnehmen“ darin, dass der Student beschimpft und ihm klar gemacht wurde, dass er ein unwürdiges Wesen sei. Dabei bediente man sich über­dimensionierter Werkzeuge, um die Hörner rituell zu entfernen, wobei der Student im Sinne eines Reinigungsrituales geschlagen und misshandelt wurde. In Reden, die dabei gehalten wurden, wird auf das Vorbild der spartanischen Jugend, die ähnliches mitzumachen hatte, verwiesen. Ähnliches soll sich auch an der Akademie des Platon abgespielt haben. Jedenfalls wurde der Student zunächst mit einem wilden Tier, das zu zivilisieren sei, verglichen.

 

An den mittelalterlichen Universitäten bezeichnete man diesen neuen Studenten auch als „beanus“, was soviel wie „Gelbschnabel“ bedeutet. Das englische Wort „greenhorn“ ist wohl vor einem ähnlichen Hintergrund entstanden. Der „beanus“ wurde von seinen Kommilitonen wie ein Tier ausstaffiert und mit einer Kappe mit Hörnern versehen, in den Mund wurden ihm Eberzähne gesteckt. Seine Unwürdigkeit wurde ihm nun in einer speziellen Rede besonders verdeutlicht, begleitet wurde diese mit dem Abzwicken der Hörner und weiteren Malträtierungen. Schließlich gab der Leitende dieser wilden Aktion dem Beanus Salz auf die Zunge als „sal sapientiae“, das „Salz der Weisheit“. Dann wurde dem malträtierten und neuen Studenten „vinum laetitiae“, der „Wein der Freude“, über den Kopf gegossen. Damit war der Beanus frei gesprochen und er konnte nach Zahlung einer Gebühr an der Universität immatrikulieren. Am meisten traf den Jungstudenten wohl, dass er auch ein Festessen zu bezahlen hatte, an dem nicht wenige Leute teilnahmen. Allmählich wurde dieser Brauch der Deposition und des Zahlens eines Schmauses gegen Ende des 18. Jahrhunderts an den betreffenden Universitäten aufgehoben, um die jungen Studenten nicht abzuschrecken (siehe dazu Arnold, Leni 1991, 122-132; Bauer, Erich 1969, 120-136). 

 

Interessant ist die Bezeichnung Fuchs für den Neuling, sie erinnert an den „beanus“, den Gelbschnabel. Bereits die deutschen Studenten des 16.Jahrhunderts kennen die Bezeichnung "Fuchs" für den jungen Studenten. Sie entstammt wahrscheinlich einer burschikosen Zoologie, für die auch die heiteren Ausdrücke "Esel" und "Kamel" typisch waren. In der niederdeutschen Form "Foß" ist der Fuchs um 1560 ein Schimpfwort für den Studenten und Akademiker. Aufgabe des Fuchses in den „schlagenden“ Studentenverbindungen ist es, zumindest eine Mensur zu fechten, um zu zeigen, dass er den Anforderungen dieses Initiationsrituals entspricht.

 

Vor Jahren war ich Staatsgast der DDR. Diese Einladung verdanke ich meinem Freund Heinz Grünert, Professor der Urgeschichte von der Humboldt-Universität in Berlin. Ich besuchte mit ihm die Universitätsstädte Jena und Leipzig. In Leipzig erhielt ich ein kleines Büchlein mit dem Titel „Leipziger universitätsgeschichtliche Kuriositäten“. Aus diesem Büchlein erfuhr ich, dass die bei der alten Deposition eingesetzten Werkzeuge noch immer in der Kunstsammlung der Universität Leipzig aufbewahrt werden. Dazu gehören Axt, Zange, Schleifstein, Hobel, Rasiermesser und ähnliches, die eingesetzt wurden, um dem Neuzugang an der Universität die an­geblichen tierischen Körpermerkmale abzuschlagen, abzuschleifen oder abzurasieren. Auf einem Bild in diesem Büchlein sind leicht bekleidete Damen abgebildet. Die eine Dame ist dabei, einem jungen Burschen mit nacktem Oberkörper die Haare mit einer großen Schere abzuschneiden. Die andere Dame hält in der Hand irgendein gefährlich aussehendes Instrument, das wahrscheinlich noch zum Einsatz kommen sollte. Unter dem Bild ist zu lesen: „Deposition 1978“. An der Leipziger Universität hatte man also in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sich noch der alten Deposition erinnert und diese in sicherlich sehr abgeschwächter Weise ausgeführt.

 

 

Zugangsrituale an den amerikanischen Universitäten

 

Zugangsrituale, die an die alten Depositionen erinnern, werden auch von amerikanischen Universitäten berichtet. Ich meine, dass Rituale dieser Art bewusst an ihre alten europäischen, vielleicht sogar deutschen Vorbilder anknüpfen. Auch an der berühmten Harvard University, die 1636 als die älteste Universität der USA gegründet wurde, soll es derartig harte Zugangsrituale geben. Man spricht von „Hazing rituals“, wobei „hazing“ soviel bedeutet wie schikanieren. So wird im „Unispiegel“ des deutschen Nachrichtenmagazins „Spiegel“ vom 20.11.2003 über ein „Hazing ritual“ dies berichtet: „Amerikanische Studentenverbindungen tragen meist griechische Namen und sind für ihre bizarren Sitten berüchtigt. Ein erheblicher Teil der Erstsemester an den US-Colleges landet in fraternities und sororities, die gern über die Stränge schlagen - zum Beispiel mit Trinkspielen, bei denen die Mitglieder ihre Alkohol-Füllhöhe testen. Wer nicht mitmacht, gilt als Außenseiter. Das Motto: Saufen, bis der Arzt kommt. ... Mitglieder der Bruderschaft Alpha Phi Alpha in Dallas (Texas) starteten am vergangenen Freitagabend einen auf den ersten Blick eher harmlosen Wettbewerb. Im Rahmen eines Aufnahmerituals (!) sollten die Teilnehmer so viel Wasser trinken, wie sie schafften. Für Braylon Curry endete das im Krankenhaus: Der 21-Jährige von der Southern Methodist University trank so große Mengen, dass er anschließend ins Koma fiel. Von einer Wohnung außerhalb des Campus wurde der bewusstlose Wirtschaftsstudent am frühen Samstagmorgen ins Hospital gefahren. Wie viel Wasser genau er getrunken hatte, konnten die Ärzte zunächst nicht feststellen. Sie diagnostizierten eine Art Wasservergiftung, wie die Universitätszeitung "The Daily Campus" berichtete: Die großen Mengen führten zu einem Lungenödem sowie einer zu niedrigen Natrium-Konzentration im Blut. Die Ärzte beurteilten Currys Zustand als kritisch. Mutproben dieser Art, die den Zugang zu einem Studentenklub in den USA unterstreichen sollen, können vielfältig sein. Darauf weist auch ein anderer Artikel des „Spiegel“ vom 24.5.2007 hin. Die Autorin Anja Schröder schreibt unter dem Titel „Im Keller hört dich niemand schreien“: „Doch riskante Mutproben scheinen viele Bewerber nicht abzuschrecken. Hinter allem, so die Psychologin und Hazing-Expertin Susan Lipkins, stehe ein Prinzip: "Man will sich und anderen beweisen, dass man wert ist, in die Gruppe aufgenommen zu werden."

 

Während Jungs zu körperlicher Gewalt neigten, praktizierten Mädchen subtilere Dinge - wie etwa nach Körbchen­größe geordnetes Aufreihen ohne Oberteil oder Einkringeln von Fettpolstern mit Filzstiften. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, denn im Kreislauf von Hierarchie und Tradition fühle man sich im Recht, anderen das anzutun, was man selbst durchgemacht hat". Dazu gehört nicht selten die sogenannte "Hell Week". .. Für Brian waren es "drei oder vier sehr intensive Tage" am Ende seiner Pledge-Zeit. "Genau weißt du es nicht, weil du dein Zeitgefühl verlierst, wenn du im Dunkeln eingesperrt bist und nicht schlafen darfst." Stattdessen stundenlanges Rennen im Kreis, Tritte gegen den Oberkörper, Bananenschalen und Zigarettenkippen zum Essen und ein Urin- Gemisch zum Einreiben. "Am Schluss hast du einen Pizzakarton als Kopfkissen gekriegt." Niemand weiß, in wie vielen Verbindungen derartige Züchtigungen an der Tagesordnung sind. In einer Befragung von rund 700 College-Studenten aus dem Jahr 2002 gaben 36 Prozent an, mindestens einmal Hazing begangen zu haben, wobei das Problem nicht auf Studentenverbindungen begrenzt zu sein scheint: Vor allem in Sportteams, aber auch beim Militär und an Schulen werden fragwürdige "Rituale" vermutet. Allerdings: Die College-Atmosphäre scheint besonders anfällig zu machen. Und ein möglicher Grund könnte der hohe Anteil der besinnungslosen Party-Trinker sein, bei denen die "Greeks" diversen Studien zufolge zahlreich vertreten sind...“. Obwohl diese Art von „Depositionen“, dort nun firmierend als „Hazing rituals“, zunehmend an den Universitäten der USA verboten werden, scheinen sie weiterhin in den Studentenverbindungen an den Universitäten geübt zu werden - ganz im Stil der alten Depositionen an den deutschen bzw. europäischen Universitäten.

 

 

2.    Mensur und Duell 

 

Ein anderes studentisches deutsches Zugangsritual, welches in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist, aber sehr alte Wurzeln hat, ist die Mensur. Die Mensur, eine bestimmte Art des Fechtens, bei der es zu Verletzungen kommen kann, ist charakteristisch für die klassischen „schlagenden“ Studentenverbindungen an den schweizerischen, österreichischen und deutschen Universitäten. Obwohl die Studentenverbindungen und damit auch die Mensur während der Zeit des Nationalsozialismus - von 1934 bzw. 1938 in Österreich bis 1945 - verboten waren, kam es Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre zu einer Restituierung der Verbindungen und einem Rückgriff auf die alten Zugangsrituale, wie eben die Mensur. In den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Mensur an Attraktivität verloren, jedoch scheint sie heute, wie ich beobachten konnte, in einigen Studenten­verbindungen erneut an Bedeutung gewonnen haben.

Die Mensur löst das Duell als Mutprobe ab. Die Stichdegen, mit denen Studenten sich im 18. Jahrhundert zum Kampf herausforderten, wurden dabei durch eine neue Fechtwaffe, den Schläger, eine Art Säbel, ersetzt. Die Mensur faszinierte die Studenten, auch Heinrich Heine, der selbst Göttinger Burschenschafter war. In seinem Epos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844) weist Heine auf die Mensur hin:

 

„Ich gedachte der lieben Brüder,

Der lieben Westfalen, womit ich so oft In Göttingen getrunken,

Bis wir gerührt einander ans Herz und unter die Tische gesunken!  

Wie standen sie wacker auf der Mensur(!) mit ihren Löwenherzen!

Es fielen so grade, so ehrlich gemeint Die Quarten und die Terzen."

 

Die Mensur wird hier bei Heine als geradezu klassische studentische rituelle Mutprobe, die ihren Zauber hat, begriffen.

 

Das Wort "Mensur" ist seit 1600 bekannt, es leitet sich vom lateinischen "mensura", dem "gemessenen" Abstand zwischen den Fechtenden, den Paukanten, ab. Durch das Fechten einer „genehmigten“ Mensur wird der „Fuchs“, wie man das junge und unerfahrene Mitglied der Studenten­verbindung nennt, zum „Burschen“, dem Vollmitglied der Verbindung.

 

Ein jähes Ende erfährt die Mensur durch "Abfuhr", nämlich wenn nach Meinung des „Paukarztes“ ein Schmiss, also eine Wunde im ungeschützten Gesicht (die anderen Teile des Körpers sind geschützt) schnell behandelt werden muss.

Für den jungen Couleurstudenten hat die Mensur den Reiz eines Abenteuers, bei dem er sich, gleich dem Klettern und anderen Mutproben, seiner jugendlichen Kraft bewusst wird, sie aber auch zu kontrollieren lernt. In diesem Sinn wird die Mensur in Liedern besungen und schwärmerisch verklärt.

 

Die Mensur war auch wichtig für Max Weber, den großen Gelehrten, der die deutsche und amerikanische Soziologie wesentlich bis heute beeinflusst hat. Er war Mitglied der Heidelberger Burschenschaft "Alemannia", in die er 1882 eintrat. Die ersten beiden Semester soll Weber dem Biergenuss kräftig zugesprochen haben. Dadurch habe er etwas an Korpulenz zugenommen, schreibt seine Frau Marianne Weber in ihrer Biographie von Max Weber. Als die Mutter ihn nach zwei Semestern zum ersten Mal so sah, noch dazu mit einem breiten Schmiss auf der Wange, verabreichte sie ihm eine schallende Ohrfeige.

 

Max Weber merkt jedoch an, dass ihm die Erziehung in der Burschenschaft, zu der wesentlich die Mensur gehört, geholfen habe, seine innere Schüchternheit und Unsicherheit zu beseitigen.

 

Der „Sauf-. Säbel- und Huren- Mayer“: kommunistischer Rektor in der  DDR

Übrigens fällt in dieser Biographie auf, dass Weber sich immer wieder auf seine studentische Kultur bezieht, indem er Ausdrücke verwendet, die dem Leben in seiner Burschenschaft entnommen sind. Rückgriffe auf die Mensur, wie sie nach dem Krieg und auch heute an den deutschsprachigen Universitäten zu beobachten waren und sind, fanden sich ebenso in der alten DDR, allerdings in einer etwas anderen Weise. Dies entnehme ich dem oben erwähnten Büchlein aus Leipzig, in dem auf die alten studentischen Rituale Bezug genommen wird. Die alten Studenten­verbindungen waren in der DDR zwar verboten, aber dennoch blieben sie gegenwärtig. Dies zeigte sich unter anderem darin, dass man die Burschenschaft als für die Geschichte der sozialistischen Revolution wichtig ansah. So erschien im Organ der SED-Parteileitung der Friedrich Schiller- Universität Jena “Sozialistische Universität“ vom 2. Juli 1985 ein Artikel mit dieser Überschrift: „Von der Urburschenschaft und dem Wartburgfest gingen große geistige Wirkungen aus“. Als Untertitel ist zu lesen „Kranzniederlegung am Burschenschaftsdenkmal“.

 

Professor Mayer, der frühere kommunistische Rektor der Universität Leipzig, der als Student selbst einer Burschenschaft in Jena angehört hatte, versuchte darin emotional an die alten studentischen Traditionen anzuknüpfen. Er soll als Professor öfter den Studenten erzählt haben, dass es in Jena drei Mayer gegeben habe: den Sauf-Mayer, den Säbel-Mayer und den Huren-Mayer. Er fügte dem die Frage hinzu, ob sie wüssten, welcher Mayer er gewesen sei. Als sie keine Antwort wussten, meinte er, er wäre alle drei in einer Person gewesen.

 

In dem Büchlein der Universität Leipzig wird schließlich eine Geschichte erzählt, in der ein altes studentisches Trinkritual beschrieben wird, erzählt. Darin bezieht sich Professor Mayer wiederum provozierend und offensichtlich stolz auf die Mensur: „1965 veranstaltete die FDJ-Kreisleitung der Karl-Marx-Universität ein Forum mit Prof. Mayer zum Thema „Ad exercitium Salamandris ...1.2.3“ im Klubhaus Kaünin. In vorgerückter Stunde nutzte ein Student die Stimmung und fragt Altmagnifizenz (Prof. Mayer) mit etwas ängstlicher Stimme, woher denn seine Narbe im Gesicht rühre. Professor Mayer zeigte sich keineswegs verärgert, sondern erzählte: „Ich saß also beim Bier. Da kommt doch einer auf mich zu und sagt: „Mein Herr, Sie haben mich fixiert“. Ich antwortete: „Verzeihung, es gab gerade kein dümmeres Gesicht im Lokal“. Am nächsten Morgen trafen wir uns auf dem Paukboden (Fechtraum). Seitdem laufe ich mit dieser Visage herum. Aber der andere sah auch nicht besser aus!“ Es wurde zwar zur kommunistischen Zeit in der alten DDR nicht gefochten, aber dennoch versuchte man, die alte Fechttradition zumindest im Gespräch mental wieder aufleben zu lassen.

 

Jedenfalls nach dem Untergang der DDR restituierten sich die alten Studentenverbindungen wieder und führten die alten Fechtrituale wieder ein.

 

 

Citroën und die Mensur

 

Höchst bemerkenswert ist in obigem Sinn ein Werbespot der französischen Autofirma „Citroën“, denn in diesem wird die Mensur in der alten Tradition als etwas heute Lebendiges und als für deutsches Studentenleben typisch dargetan. Im „Spiegel“ vom 27. Februar 2008 schreibt dazu unter der Überschrift „Citroëns Walkürenritt“ Thomas Hillenbrand dies: „Morgens Mensurfechten, mittags Bratwürste und danach zu Wagners Walkürenritt über die Autobahn - so stellen sich Engländer den Tagesablauf der Deutschen vor. In einem britischen Werbespot spielt der französische Autobauer Citroën charmant mit den gängigen Germanen-Klischees. Dieser blonde Bursche, der da zur "Walküre" vor dem Kranzbacher Wald­schlösschen Mensur ficht, ist ein echter germanischer Prachtkerl. Blond das gescheitelte Haupt, stahlblau der Blick - mit einem geschickten Hieb säbelt er seinem Kontrahenten die Fasanenfeder vom Tirolerhut. Und lächelt kühl. Dann steigt der Vorzeigeteutone in seine Mittelklasse-Limousine und fährt ins Dorf, um in einer mit Hirschgeweihen verzierten Schänke sein wohlverdientes Mittagsmahl einzunehmen: drei Bratwürste ohne Senf, als Sättigungsbeilage ein Humpen Helles.

 

Nach dem Essen geht es auf die Autobahn, wo der gut motorisierte Germane das Gaspedal durchtritt (kein Tempolimit), um schlussendlich vor dem Brandenburger Tor auszurollen und aus seinem Citroën C5 zu steigen - einem Auto, das laut Herstellerwerbung "unverkennbar deutsch" ist. "Wer sich in Großbritannien eine Mittelklasse-Limousine anschaffen möchte, der denkt zuerst an deutsche Marken", sagt Citroën-Sprecher Marc Raven. "Wir wollten zeigen, dass der C5 viele germanische Tugenden besitzt."

 

Die von der britischen Citroën-Dependance beauftragte Werbeagentur EuroRSCG hat es geschafft, eine unfassbare Zahl an Teutonenklischees in ihren 90-sekündigen Spot zu packen - ohne dass der für deutsche Zuschauer beleidigend wirkt. Vielmehr ist das Filmchen charmant, es endet schließlich mit einem schönen Kompliment. Ihr Deutschen seid etwas seltsam - aber eure Autos sind erste Sahne. Der schneidige Gardemaß-Blondi wird den Briten in den nächsten Monaten wohl noch öfter begegnen. Derzeit ist der Citroën-Spot im Internet sowie im Kino zu sehen, ab dem 2. April läuft er auch im Fernsehen. Zudem plant Citroën eine groß angelegte Plakatkampagne. Auf einem der Poster steht "Magnifique!" - in Frakturschrift.“ Die Mensur wird hier als Fechtritual geschildert, das zur heutigen deutschen Studentenkultur gehört. Man lässt die Mensur wieder aufleben, aber auch um zu zeigen, dass man um seine Ehre zu kämpfen weiß. Der der Mensur zu Grunde liegende Duellcharakter wird betont.

 

Zu einem Duell forderte übrigens auch ich einen Studenten, der mich vor einigen Jahren in einer Studentenzeitschrift anonym beschimpft hatte. Ich griff dabei bewusst auf das alte Ritual des Duells zurück, allerdings forderte ich nicht auf Säbel sondern auf Tourenfahrräder und zwar zu einer Wettfahrt auf den Kahlenberg bei Wien. Diese Duellforderung hatte ich auf einem Zettel, den ich an der Universität aushing, so formuliert: „Nicht nur noble Vagabunden, freundliche Ganoven und andere feine Leute haben so etwas wie Ehre, sondern auch ich .... Ich fordere als Beleidigter den wenig freundlichen Autor (der mich beschimpft hat) zu einem Fahrrad-Duell auf den Kahlenberg, wobei der Start in Weidling am Beginn der Höhenstraße sich befinden wird." Als Termin setzte ich den 15. März 1997 um 15 Uhr fest. Ich erwähnte noch, dass die Fahrt in frischer Luft dem Schreiber des ehrenrührigen Artikels gut tun werde. Nach dem Duell, egal wer gewinnt, würde ich meinen Kontrahenten zu einem Bier einladen. Dies wird mir eine Ehre sein, fügte ich noch hinzu.

 

Ich erschien zu dem angegebenen Zeitpunkt. Auch zwanzig Studenten erschienen, nicht jedoch erschien der Herr, der mich beleidigt hatte. So radelte ich mit meinem Sekundanten, einem Studenten mit dem Namen Justinus Pieper, auf den Kahlenberg. Im dortigen Restaurant lud ich die mitgekommenen Studentinnen und Studenten zu je einem Bier ein.

 

 

3. Epilog: Moderne Depositionen und Mensuren bzw. Duelle

 

Mit obigen Betrachtungen wollte ich auf zwei Bereiche verweisen, die zu den klassischen Zugangsritualen an den deutschsprachigen Universitäten bzw. Studentenverbindungen gehörten und zum Teil noch gehören. Diese beiden sind die Deposition, bei der Studenten malträtiert werden, und die Mensur, die zu Verwundungen der Fechter führen kann. Es ist wohl interessant, dass heute an den Universitäten der USA die Deposition in einer etwas anderen Form an Attraktivität gewonnen hat.

 

Das Duell, wie ich es in einer „modernen“ Form spannend finde, hat den Charakter des Relikts. Allerdings sind Wörter aus dem Bereich der Mensur und des Duells in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Dazu gehören Wörter wie „satisfaktionsfähig“ (fähig zu sein, Genugtuung im Duell zu geben), „auf Anhieb“ (der erste Hieb mit dem Schläger auf Mensur), eine „Abfuhr“ erhalten (bei der Mensur wegen einer Verwundung die Mensur beenden zu müssen).

 

 

Literatur

ARNOLD, Leni (1991): Die akademische Deposition. - In: Jena soll leben. Beiträge zum historischen Studentenleben an der Universität Jena, 122- 132.

BAUER, Erich (1968): Zur Deposition und ihrer Symbolik. - In: Einst und Jetzt. Jahrbuch 1968 des Vereins für Corpsstudentische Geschichtsfor­schung, 120-136

GENNEP, Arnold van (1986): Übergangsriten. - Frankfurt.

GIRTLER, Roland (1998): Corpsstudentische Symbole und Rituale - die Traditionen der Antike und der frühen Universitäten. - In: Rolf Joa­chim Baum (Hg), "Wir wollen Männer, wir wollen Taten!" - Deutsche Corpsstudenten 1848 bis heute (Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Kösener Senioren Conventsverbandes), Hannover.

KATSCH, Günter/ SCHWENDLER, Gerhild (1987): Leipziger universitäts­geschichtliche Kuriositäten - von geplagten Professoren, trinkfreudigen Studenten und liebestollen Hunden. - Kreisorganisation Karl-Marx- Universität im Kulturbund der DDR, Leipzig.

 

Abstract:

Old Student Initiation Rites and Their Revival: Hazing and the Duel, by Prof. Dr. Roland GirtlerMy observations deal with two areas which are part of the classic initiation rites at German(-speaking) universities or fraternities, respectively, which, after times of abandonment and neglect, again gain in attraction. Those are the hazings, where students are mistreated, and the duel which may lead to injury to the fencers. It is certainly interesting that today hazing in a some­what different manner re-emerges at American universities. The duel, as it sometimes takes place in ‘modern’ forms, has the character of a relic. Words from the realm of the duel though have entered into our general vocabulary. Phrases like ‘capable of giving satisfaction’ (in a duel), ,’at the first stroke’ (in fencing), to be ‘repulsed’ (by an attacker).