In Bombay - der Panchayat in Indien - Pakistanische Flugzeuge und eine freundliche Inderin

Nach meiner Promotion im Mai 1971 erhielt ich also Geld von der Hochschuljubiläumsstiftung für eine Forschung in Indien.

Dafür sei dieser edlen Einrichtung gedankt. Mein Interesse galt alten Rechtsinstitutionen in den Stämmen. Die Idee, eine solche rechtssoziologische bzw. rechtsethnologische Studie durchzuführen, habe ich von meinem Freund und Lehrer Dr. Engelbert Stiglmayr vom Institut für Ethnologie der Universität Wien.

Er selbst hatte in Indien schon geforscht und konnte mir aus seinen Erfahrungen einiges erzählen. Durch ihn kam ich mit Professor Dr. Stephen Fuchs (geb. 1908 in Mürzzuschlag, gest. 2000) in Kontakt, der damals in Bombay, heute Mumbai (ich ziehe das Wort Bombay dem Wort Mumbai aus sentimentalen Gründen vor), als Pater des Missionsorden SVD (Societas Verbi Divini) lebte. P. Fuchs, der 1934 als Missionar nach Indore in Zentralindien kam, war ein großer Forscher und hat eindrucksvolle Arbeiten über indische Stämme geschrieben. Dieser Mann interessierte mich. Ich habe viel durch ihn gelernt.

 

Ich schrieb P. Fuchs, der das von ihm gegründete Institute of Indian Culture in Bombay leitete, dass Engelbert Stiglmayr mir geraten habe, mich an ihn zu wenden und ihn zu fragen, ob ich bei ihm am Institut eine Zeit wohnen könne, selbstverständlich gegen entsprechende Bezahlung. P. Fuchs antwortete, ich könne bei ihm wohnen, ein Zimmer würde für mich bereit stehen. Ich könne auch an den Mittagessen teilnehmen.

R. Girtler auf der Royal Enfield in Gujarat 1972 (s.u.)
R. Girtler auf der Royal Enfield in Gujarat 1972 (s.u.)

Ich dankte für diese Einladung, selbstverständlich würde ich alles bezahlen. Von dort, das Institut befand sich auf Mount Mary in Bandra, einem Außenbezirk von Bombay, wolle ich dann nach Gujarat reisen. Ein gewisser Herr Solanky, ein hoher indischer Beamter, der in Gujarat residierte, auch ihn hatte ich auf Rat Engelbert Stiglmayers angeschrieben, würde mir dort Kontakte zu Missionaren, bei denen ich wohnen könne, herstellen. Ich bin Engelbert also zu größtem Dank verpflichtet. Mein Dank möge ihn im Himmel, wo er bereits weilt, erreichen.

 

Meine gütige Frau Gemahlin, unterstützte mein Vorhaben. Sie dachte wohl, eine solche Forschung sei gut für meine wissenschaftliche Laufbahn. Mein kleinen Kinder, Roland und Heidrun, an denen ich sehr hing, empfanden es wohl auch als spannend, dass ihr Vater auf Abenteuer in ein fernes Land fährt. Ferne Länder gab es für meine Kinder vor allem in den Gegenden, aus denen unsere Märchen kommen.

 

Manche Leute meinten, ich solle nicht fahren, denn Indien, das damals mit Pakistan in Krieg lag, sei gefährlich. Meine Mutter sagte mir damals jedoch: Wenn Du mein Sohn bist, fährst du. Und ich bin nach Indien gefahren bzw. geflogen

Mount Mary in Bandra - Außenbezirk von Bombay am Meer gelegen
Mount Mary in Bandra - Außenbezirk von Bombay am Meer gelegen

Ich flog also im November 1971 von Frankfurt aus mit einer russischen Maschine nach Kairo.

Dort nächtigte ich. Am nächsten Tag ging es weiter mit einer arabischen Fluglinie nach Bombay. P. Fuchs, dem ich als Gastgeschenk guten Speck, gutes Brot und guten Schnaps aus Österreich mitgebracht habe, empfing mich sehr freundlich. Sein Institut lag auf Mount Mary in Bandra, einer schönen Gegend mit Blick auf das Meer, Mir wurde ein Zimmer an diesem kleinen Institut, das eigentlich eine Missionsstation war, zugeteilt.

 

P. Fuchs hatte eine große Bibliothek in seinem Institut angelegt, in der ich wertvolle Literatur über Indiens Stämme fand, aber auch Bücher aus Österreich fand ich, darunter ein Heimatbuch von Gaishorn in der Obersteiermark. Dieses Buch las ich, als ich einige Tage mit hohem Fieber im Bett lag. Ich hatte mich vielleicht durch das Wasser angesteckt. Dank der Medikamente, die ich mithatte, wurde ich bald wieder gesund. Jedenfalls dürfte ich darauf immun gegenüber dem Wasser gewesen sein, ich trank es fortan ohne Probleme. Dieses Buch über Gaishorn gefiel mir. Jahre später schenkte mir jemand ein Exemplar dieses Buches. Es verbindet mich mit meinem Aufenthalt im Institut des P. Fuchs in Bombay.

Pater Fuchs
Pater Fuchs
Mein Zimmer im Institut of Indian Culture in Bombay bei P. Fuchs
Mein Zimmer im Institut of Indian Culture in Bombay bei P. Fuchs

Ich lernte nette Leute in Bandra kennen, so Marilynne Pereira, über die ich noch erzählen werde, und eine freundliche Familie, die mich und einen jungen Priesterstundenten, der auch bei P. Fuchs wohnte, einmal zu einem Mittagessen einlud. Bei diesem Essen gab es Curry-Fische, Diese waren derart scharf gewürzt, dass ich beim ersten Bissen nach Luft rang. Nach dem Essen sangen meine Gastgeber, zu denen eine hübsche Inderin gehörte, schöne Lieder auf Englisch. Man bat mich, auf Deutsch ein Lied zu singen. Da ich nicht singen kann, wollte ich zunächst nicht singen. Doch man drängte mich derart, dass ich das alte deutsche Studentenlied „Das war der Zwerg Perkeo vom Heidelberger Schloss“ zu singen begann. Ich sang ziemlich falsch, aber es muss heiter geklungen haben, was ich von mir gab, denn nach den ersten Sätzen begannen meine Zuhörer freundlich zu lachen. Seitdem weigere ich mich, alleine zu singen.

 

Mit den beiden Indern freundete ich mich bald an. Ich ging mit ihnen einige Male zum Schwimmen nach Juhu Beach, einem noblen Badeort. In dieser Zeit lernte ich Bombay näher kennen. Ich durchstreifte die Slums, hielt mich gerne in Churchgate beim Hafen auf und mischte mich unter die vielen Bettler. Bombay war eine bunte Stadt. Damals hatte sie ca. 5 Millionen Einwohner, heute sind es um die 15 Millionen. Ich suchte auch das österreichische Konsulat auf, in dem mich der damalige Konsul Konrad freundlich empfing und mir ein Glas mit kühlem Puntigamer Bier kredenzte. Es war das beste Bier, das ich jemals in meinem Leben getrunken hatte. Ich erzählte dem Konsul, dass der Großvater meiner Frau Präsident der Brauerei Puntigam gewesen ist.

 

Ich war einige Male mit P. Fuchs beim Konsul eingeladen. Dabei lernte ich auch das Lehrerehepaar Hederer aus Gmunden kennen, die hier in Bombay für zwei Jahre am deutschen Gymnasium lehrten. Die beiden Hederers baten mich einmal, als ich schon bei einem der indischen Stämme, den Gamits, gewesen war, mit ihnen zu diesem Stamm zu fahren, sie wollten indisches Stammesleben kennen lernen.

In einem Mercedes, der einem Angestellten des Konsulats gehörte, der den Wagen auch lenkte, fuhren wir zu diesem Stamm. In der dortigen Missionsstation wurden wir freundlichst empfangen. Man lud uns zum Essen ein. Es gab Gemüse. Ich langte ordentlich zu, die anderen nicht.

 

In einem der Stammesdörfer verschenkte ich einmal Bonbons an die Kinder dort. Diese mussten auf Wunsch eines der Stammesältesten in Reih und Glied Aufstellung nehmen und jeweils nur ein Zuckerl nehmen. Denselben Test machte ich in einem Slum von Bombay. In diesem ergab sich anderes Bild. Die Kinder gingen auf mich los und wollten mir die Zuckerln aus der Hand reißen. Die Erwachsenen, die zusahen, lachten nur. Mir wurde bewusst, dass die Strenge eine Eigenheit des Dorfes war.

Auch beschäftigte ich mich mit Literatur zum Panchayat, einer alten Rechtsinstitution in Stammesdörfern.

 

Pater Fuchs, der gute Arbeiten über indische Stämme, bei denen er als Missionar war, geschrieben hat, gab mir für mein Leben einen wichtigen Rat mit, den ich auch an meine Studenten weitergegeben habe:

Es ist besser ein kleines Thema genau als ein großes ungenau zu erforschen.

 

In diesem Sinn nahm ich mir vor, zwei Stammesdörfer in Gujarat zum Thema Panchayat genau anzusehen. Der Panchayat ist ein Dorfgericht, an dem fünf alte und erfahrene Männer (panch bedeutet fünf) über Dorfangelegenheiten, zu denen Streitigkeiten über Grenzen, Brautpreise, Eigentumsprobleme u.ä. gehören, urteilen.

Herr Solanky half mir sehr. Zunächst wohnte ich durch ihn in einer Missionsstation, an die eine Schule für Kinder aus Stammesgebieten angeschlossen war. Einer der Missionare war Father Franklin, der mich mit seinem Motorrad zu Sitzungen solcher Dorfpanchayats mitnahm.

 

Durch ihn erlebte ich Hochzeiten und Jugendfeste. In der anderen Missionsstation hatte ich ebenso ein freundliches Zimmer für mich. Die Missionare waren äußerst entgegenkommend. Sie borgten mir sogar ein Motorrad, und zwar eine Royal Enfield, mit der ich selbst in Stammesgebiete fahren konnte, meist begleitet von einem jungen Inder, der am Socius-Sitz saß und mir sehr hilfreich bei den Gesprächen mit den Menschen der Stammesdörfer war. Ich verfasste genaue Protokolle über die Gespräche mit Missionaren und Gewährspersonen, aber auch über meine Beobachtungen. Daraus entstand dann in Wien mein Buch über den Panchayat in Indien, welches ebenso von Engelbert Stiglmayer in einer kulturanthropologischen Reihe herausgegeben wurde. Auch dafür sei Engelbert bedankt. Eine Kurzfassung dieser Abhandlung über den Panchayat ist dann später in einer Schrift der UNESCO erschienen.

Ich lernte damals im Umfeld der Missionsstation in Bandra, Bombay, eine nette junge Dame kennen, ihr Name ist Marilynne Pereira. Diese liebenswürdige Christin, sie spielte hervorragend Klavier und hatte eine Zeit in Deutschland studiert, erwies sich als hervorragende Führerin durch die sehenswerten, aber auch geheimnisvollen Gegenden Bombays.

In einem Schiff fuhr ich mit ihr zu einer Insel, um alte Felsbilder zu bewundern. Ich bin dieser Dame sehr dankbar. Ich würde mich freuen, sie wiederzusehen. Sie verdient meinen höchsten Respekt. Bei ihr und ihren freundlichen Eltern in Bombay war ich einige Male zum Abendessen eingeladen. Beim ersten Mal zeigten sie mir einen Spruch, der bei ihnen an der Wand hing, sie könnten ihn nicht lesen, denn er war in der alten deutschen Schrift geschrieben, die auch Marilynne nicht entziffern konnte. Ich konnte den Spruch lesen und las ihn vor: „Komm Herr Jesus sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast!

Abwehrraketen gegen pakistanische Flugzeuge

Ich denke an die Monate in Indien mit Dankbarkeit, Freude aber auch mit Schaudern zurück. Ich wurde sogar in Kriegsgeschehen zumindest am Rand verwickelt. Damals im Jahre 1972 gab es Kampfhandlungen zwischen Pakistan und Indien.

 

In Bombay hieß es, dass pakistanische Flugzeuge die Stadt angreifen würden. Man sah auch in der Nacht Raketen gegen den Himmel fliegen, gegen angebliche pakistanische Flugzeuge. Es war ein großartiges, aber auch gefährliches Schauspiel, das sich uns da bot. Der Himmel über Bombay leuchtete durch die Raketen in allen Farben, jedoch die leeren Raketenhülsen, die zu Boden fielen, forderten nicht wenige Tote.

 

Während dieser kriegerischen Nächte fuhren die Autobusse mit abgedunkelten Scheinwerfern, damit sie von oben nicht gesehen werden konnten. In einer solchen stockdunklen Nacht lief ich einem solchen Autobus nach, damit ich zumindest weiß, wo die Autobusstation ist, an der ich auf den nächsten Autobus warten konnte, dabei fiel ich über auf der Straße liegende Inder.

Ich war eben von einer Einladung beim österreichischen Konsul in Bombay gekommen. Dieser hatte mir eine Flasche Whisky mitgegeben, die ich in meiner Tasche bei mir führte. Bei diesem Sturz über schlafende Inder war diese Flasche zerbrochen. Zunächst dachte ich, dass die Flüssigkeit, die ich von dem Whisky an mir fühlte, Blut von mir sei. Gottseidank stimmte dies nicht. Im österreichischen Konsulat hatte ich damals einen Ausweis erhalten, der mich vor Übergriffen der Polizei oder des Militärs gerade in diesen Kriegstagen, wenn ich mich auf Feldforschung in Gujarat befinde, schützen solle. 

Dieser Ausweis, den ich noch besitze, ist in den Sprachen Englisch, Hindi, Urdu und Bengali abgefasst. Auf diesem ist u.a. zu lesen, dass ich unter dem diplomatischen Schutz der österreichischen Botschaft stehe. Eine Kopie dieses Ausweises trage ich heute noch bei mir, er erinnert mich an eine interessante Zeit.

So musste ich mein Zimmer in der Missionsstation in Bombay verdunkeln, um den angeblich angreifenden pakistanischen Flugzeugen kein Ziel zu bieten.

So sah mein Schreibtisch in meinem Zimmer in der Missionsstation bei P. Fuchs aus - ich beschäftigte mich mit Literatur über den Panchayat. Auch meine Taschenlampe ist zu sehen