Jüdische Couleurstudenten, die legendäre Egon Erwin Kisch – Kneipe und der Brief Kreiskys

In meinem Buch „Farbenstudenten zwischen Antisemitismus und Weltbürgertum“ (Lit-Verlag 2016) ist über die Geschichte der jüdischen schlagenden Verbindungen zu lesen. Vorgestellt wurde dieses Buch im Wiener jüdischen Museum.

 

Mein Enkel Alwin hat bei dieser Buchpräsentation auf seiner Geige die Melodie des von Fritz Löner-Beda gedichteten Studentenliedes „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ gespielt.

 

Löner-Beda war Mitglied der jüdischen Studentenverbindung Kadima Wien. Außerdem war er ein hervorragender Fußballspieler, 1909 war er Gründungsmitglied und erster Präsident des Wiener Sportvereins Hakoah. Löner-Beda wurde 1942 durch einen Kapo im KZ erschlagen.

 

In dem Buch ist auch die legendäre Kisch-Kneipe vom Jahre 1985 erwähnt.

Im Sinne der weltbürgerlichen Tradition der Farbenstudenten veranstaltete ich gemeinsam mit Fritz Roubicek 1985 diese Kneipe (eine studentische rituelle Festveranstaltung) zur Erinnerung an den Burschenschafter und „rasenden Reporter“ Egon Erwin Kisch.

Kisch stammte aus einer Prager jüdischen Familie und war Mitglied der Prager Burschenschaft „Germania“ ebenso wie sein Bruder, der in einem KZ sein Leben lassen musste. Bei dieser Veranstaltung waren ca. 120 Farbenstudenten aus allen Lagern anwesend. Geleitet hat diese Kneipe Kurt Schwab von der Burschenschaft der Oberösterreicher zu Wien. Kurt Schwab wusste, diese Kneipe mit viel Geschick und Gespür für die Buntheit des Farbenstudententums zu lenken.

Es war eine schöne Veranstaltung, die inzwischen zur Legende geworden ist. So sah die Einladung an die farbenstudentischen Verbindungen aus: 

Es kamen ca. 120 Farbenstudenten, darunter auch jüdische. So sah die Anwesenheitsliste aus:

Den Festvortrag hielt Dr. Robert Hein vom liberalen Corps Marchia.  Über diese Kneipe erschien ein interessanter Artikel in der Wiener Zeitung „Die Presse“:

Der ehemalige Gymnasialprofessor und Studentenhistoriker Dr. Josef Pasteiner, der bei dieser Kisch-Kneipe anwesend war, schrieb u.a. über dieses farbenstudentische Treffen dies:

„Im Juni 1985 gab es eine studentische Kneipe mit Vertretern des Wiener Korporationsringes (WKR) und von ehemaligen Wiener jüdischen Studentenverbindungen. Die Organisatoren waren der Soziologe Univ.-Prof. Girtler (C! Symposion) und der zionistische Studentenhistoriker Fritz Roubicek, Mitglied der ehemaligen jüdischen wehrhaften Verbindung "Unitas" und des Corps "Marchia". Im Verlauf dieses gemütlichen Abends erzählte mir ein mit dem Flugzeug angereister älterer jüdischer Korporierter, dass er als junger Couleurstudent folgendes Erlebnis hatte: Ein Großonkel Bruno Kreiskys war Corpsstudent und ehemaliger Abgeordneter im Reichsrat der Monarchie bei der deutschliberalen Partei (= heute FPÖ) gewesen. Gemeint ist hier Dr. Joseph Neuwirth (1853 - 1934); er war auch Mitglied beim Corps "Austria" in Prag (Erg. Roland Girtler: er war auch Mitglied des Corps Symposion). Dieser nahm den Oberrealschüler Bruno mit zu einer Corpskneipe, offensichtlich um ihn dafür zu keilen. Doch bei dieser Kneipe sei entsetzlich viel gesoffen worden, was den jungen Kreisky dermaßen abgeschreckt haben dürfte, dass er seine Zukunft lieber in der sozialistischen Arbeiterjugend sah.                                  Ein direkter Onkel Bruno Kreiskys, der Mittelschullehrer für Deutsch und Französisch Oskar Kreisky (1886 - 1976), war Bundesbruder einer nationalfreiheitlichen Landsmannschaft "Budovisia" Wien gewesen und trug als deren Obmann den Couleurnamen Ortwin. Nach seiner Rückkehr aus der amerikanischen Emigration wurde seine Wohnung am Matzleinsdorferplatz zum Treffpunkt sowohl seiner Bundesbrüder“ 

Bei dieser Kneipe war damals auch der 16 jährige Martin Haidinger anwesend. Mit Martin, mit dem mich seit damals eine schöne Freundschaft verbindet, sprach ich über diese Kneipe und auch über Kreisky. Nehme an, dass dieses Gespräch Martin inspiriert hat, an Bruno Kreisky einen Brief zu schreiben und ihn wegen seiner eventuellen farbenstudentischen Beziehungen zu fragen.

 

Hier ist die Antwort des damaligen Bundeskanzlers Kreisky auf den Brief Martin Haidingers, der es inzwischen zu einem hoch angesehenen Autor und Wissenschaftsjournalisten des ORF gebracht hat:

Dass Kreisky durch seinen farbenstudentischen Onkel eine gewisse Sympathie für Farbenstudenten hatte, erlebte ich selbst. Um die Zeit, als diese Kneipe stattfand, nahm mich der Sekretär eines sozialistische Abgeordneten mit in den Sitzungssaal des Parlaments, es war unmittelbar nach einer Debatte, die Abgeordneten waren gerade dabei, sich zu erheben. Wir beide gingen etwas umher, da begegnete uns Bundeskanzler Kreisky. Als er mich sah, musterte er mich und bemerkte den Schmiss in meinem Gesicht. Es ist gut möglich, dass auch sein Onkel einen gehabt hat. Er fixierte mich wohlwollend und sagte zu dem ihn begeleitenden Bundesminister Broda sinngemäß ungefähr dies: „Wenn der etwas brauchen sollte, so helfen sie ihm“. Ich wollte eigentlich nichts von ihm, aber es ehrte mich, dass Kreisky mir sein Wohlwollen demonstrierte. Nach einer Zeit, es war bei den Alpbacher Gesprächen, da begegneten wir uns wieder. Kreisky sah mich, blieb stehen, ich merkte, er hat mich wieder erkannt, und fragte freundlich sinngemäß dies: „Ich hoffe, es geht Ihnen gut und es ist alles in Ordnung“. Ich verneigte mich kurz und sagte: „Herr Bundeskanzler, Gottseidank geht es mir gut. Im Moment ist alles in Ordnung“. Das freue ihn, sagte er und ging weiter. Leider traf ich Kreisky nie wieder.

 

 

Bei der berühmt gewordenen Kischkneipe war auch ein amerikanischer Diplomat in Israel anwesend, der als Student in Wien bei der jüdischen Studentenverbindung, Kadima gewesen ist. Edmund Schechter ist sein Name. Er schrieb mir später einmal, wie schön er diese Kneipe zu Ehren von Kisch gefunden habe. Er legte auch ein Foto bei, dass ihn und Bundesbrüder von ihm mit Mütze und Band in Jerusalem zeigt, wo eine Straße nach der Kadima benannt wurde.  Auf diesem Bild ist diese Straße zu sehen. Der Herr neben der Straßentafel rechts ist Herr Edmund Schechter.

Dies ist der Brief, den mir Edmund Schechter schrieb. Interessant ist, dass Schechter bei seinem Namen den Zirkel (Erkennungszeichen) seiner Verbindung Kadima gezeichnet hat: