11. Hirtenbrief: Soziologie des Alltags: Kellner, Totengräber, Polizisten und Menschen auf Bahnhöfen, Klosterschüler

Kultursoziologie als Soziologie des Alltags

 

Besprechung in der „Frankfurter Rundschau“  2008:

„Mit "Herrschaften wünschen zahlen" ist dem Feldarbeiter Roland Girtler einmal mehr ein Meisterwerk der Soziologie des Alltags gelungen. Die Lektüre ist nicht nur informativ, sondern auch ungemein vergnüglich.“

 

(In aller Bescheidenheit seien diese freundlichen Zeilen hier vorangestellt. Die gesamte Besprechung ist im Kapitel über den Alltag von Kellnerinnen und Kellnern wiedergegeben). 

 

Gesammelte Alltagsberichte

Alltag in der alten Klosterschule

Ich besuchte 8 Jahre lang das Klostergymnasium zu Kremsmünster, untergebracht war ich im Konvikt. Ich habe eine geradezu mittelalterliche Erziehung genossen.  In meinem Buch “Die alte Klosterschule”, das nun wieder aufgelegt wurde, habe ich versucht, unseren Alltag als Schüler - Mädchen wurden nicht aufgenommen - zu beschreiben.Für jede Soziologin bzw. jeden Soziologen müßte diese Thematik in HInblick auf die Soziologie des Alltags interessant sein, schließlich entwickelten sich in diesere Klosterschule unter den Burschen auch einige Randkulturen ( siehe dazu die angehängte Geschichte vom “Raucherkammerl”).

 

Eine Zeit, nachdem das Buch erschienen ist, erhielt ich einen Brief von dem leider schon verstorbenen  Professor Sepp Schmied, den ich am Institut für Soziologie in München näher kennen gelernt habe und der später Professor an der Universität Bamberg wurde - er hat ein paar Jahre vor mir in Kremsmünster maturiert - einen zustimmenden Brief, über den ich mich sehr freue. Ich will ihn hier  wiedergeben :

 

Einen Ausschnitt aus diesem Buch mit ein paar Ergänzungen gestatte ich mir, hier vorzulegen, er soll auch aufzeigen, wie wichtig die Geschichte für Soziologen und andere Kulturwissenschaften sein kann:

Erinnerungen und Gedanken eines ehemaligen Klosterschülers

(diesen Aufsatz verfasste ich zunächst für  die Festschrift für Erwin Rauscher  “Verführung zur Güte” in:   Pädagogik für Niederösterreich / Band 8  Studien Verlag Innsbruck, Wien 2020).

 

Empfohlene  Kapitel für interessierte Leser :

  • Herzog Tassilo, die Arianer und der vergessene „Segen“
  • Julius Schlegel und die Rettung der Kulturschätze von Monte Casino –                                                   als Zeuge seines Vortrages im Kloster Kremsmünster 
  • Was ich in der Klosterschule gelernt habe

 

Inhalt:

  • Die  Tradition der Renaissance im alten Klostergymnasium – das Symposion und die Weintrinker
  • Rituale im Klostergymnasium – der Zylinder
  • Alte Formen der Erziehung und die vorsichtige Rebellion dagegen
  • Das Wildschwein am Stiftertag – die gemeinsame Mahlzeit
  • Die Promulgation                                                                                                                                      
  • Der  heilige Benedikt und seine Regeln – Vorbild für Manager
  • Julius Schlegel und die Rettung der Kulturschätze von Monte
  • Cassino – Zeuge seines Vortrages in Kremsmünster
  • Herzog Tassilo, die Arianer und der vergessene „Segen“
  • Das Verschwinden der alten Klosterschule
  • Was ich in der Klosterschule gelernt habe

 

In meinen folgenden Beschreibungen und Interpretationen beziehe ich mich u.a. auf meine 8 Jahre, die ich als Schüler des Stiftsgymnasiums der  Benediktiner zu Kremsmünster verbracht habe.

 

Ich werde versuchen, meine Betrachtungen von einer kultursoziologischen bzw. kulturanthropologischen Perspektive her darzutun.

 Zunächst ist festzuhalten, dass ich in meiner „Klosterzeit“ (1951 – 1959)keinen Fall  eines sexuellen oder ähnlichen Missbrauches  erlebt oder von einem solchen gehört habe.  Die Patres, die uns unterrichtet bzw. im Konvikt erzogen haben, waren grundsätzlich ehrbare Leute,  die es allerdings nicht leicht mit uns hatten.  .

Mir ging es während meiner Schulzeit eher schlecht, denn ich war kein guter Schüler. Allerdings wurde ich in der Klosterschule zu Kremsmünster zum Überlebenskünstler. Mein Maturazeugnis war wenig erfreulich, jedoch musste ich nie eine Klasse wiederholen. Dennoch habe ich in der Klosterschule viel für mein Leben und meine Laufbahn als Universitätslehrer gelernt.. 

 

 

Die Tradition der Renaissance im alten Klostergymnasium das Symposion und die Weintrinker

 

Das Schulsystem, das ich erlebt habe, ist ein altes, das auf das 16. Jahrhundert zurückgeht , als man im Stile der Renaissance begann,  den Schülern die alten Sprachen, wie Latein und Altgriechisch beizubringen, um ihnen zu ermöglichen, die Schriften der griechischen und römischen Philosophen, Historiker und Denker im Original zu lesen.   Das Ende dieser alten Schulkultur kündigte sich in den 1960er Jahren an. Großen Wert legte man u.a. auf das Studium der Schriften des griechischen Philosophen Plato, der mir nicht unsympathisch war, denn bei dem von ihm beschriebenen Symposion, was wörtlich soviel wie gemeinsames Trinkgelage bedeutet, muss es lustig zugegangen sein.  Schließlich erfreute man sich beim philosophischen Gespräch offensichtlich am Genuss des Weines und zunächst auch an der Musik von freundlichen Flötenspielerinnen. Besonders faszinierte mich, dass Platon mit seinen Schülern bei einem Wäldchen sich aufhielt, das einem gewissen Akademos gehörte, nach dem die Tempeln der Wissenschaft fortan benannt werden.

An die Lebensweisheiten der alten Griechen, die die Patres an uns weitergaben, erinnere ich mich gerne. So zitiere ich mit Vorliebe einen griechischen Text, in dem es unter anderem heißt: „Dem ermüdeten Wanderer spendet der Wein neue Kraft“.  Ich erzähle gerne, dass Pater Rupert in Griechisch uns eine Menge von Vokabeln nannte, die man später im Leben gut gebrauchen könne, glaubten wir, zu diesen gehörte das Wort „metakolpos“ (oder ähnlich) , was soviel wie „tiefbusig“ heißt, denn wenn die Brüste hoch sind, ist der Busen „tiefliegend“. Busen ist das, was zwischen den Brüsten sich befindet.  Wenn also die Brüste hoch sind, liegt der Busen tief.  Weisheiten derlei Art zierten meinen Lebensweg.

 

 

Rituale im Klostergymnasium – der Zylinder

 

Das Leben im Klostergymnasium zu Kremsmünster hat mich wesentlich geprägt. Im September 1952 kam ich nach Kremsmünster. Das Leben im Konvikt des Klosters war nicht einfach. Man lebte ganztägig  im Kontakt stets mit anderen Burschen und durfte nur viermal im Jahr heimfahren. Gerade die jungen Zöglingen litten unter Heimweh,

Die fixe Tageseinteilung – man stand um 6 Uhr auf, besuchte die Kirche, um 8 Uhr begann die Schule, um 12 Uhr fanden wir uns im Speisesaal ein usw. -  war für uns alle wichtig, wir lernten dadurch eine gewisse Disziplin, die in späteren Jahren im Beruf hilfreich war. Man hat in der Klosterschule aber auch gelernt, auf sich selber gestellt zu sein, denn die Eltern waren weit weg, man musste sich selbst „entfalten“, um bestehen zu können. Andererseits wurde der Gemeinschaftssinn gefördert. Dies alles verband sich mit einer Vielzahl von Ritualen, mit denen man täglich konfrontiert wurde.  Als junger Konviktszögling hatte man bisweilen aber auch Freude an den Ritualen, so vor allem beim Ministrieren in der Früh, bei den heiligen Messen, die die Patres zu halten hatten.  Es kam vor, dass man zweimal hintereinander in der Stiftskirche ministrieren durfte,  wenn der erste Pater besonders schnell seine Messe las – ein solcher Spezialist im Lesen von schnellen Messen  war unser Naturgeschichtsprofessor Pater Reinhard Windischbauer. Wir hatten jedenfalls Freude am Ritual des Ministrierens.

 

Ich mußte, ob ich wollte oder nicht, regen Anteil am Leben des Konvikts und der Schule nehmen. Charakteristisch für die alte Klosterschule, die es in dieser Form nicht mehr gibt,  ist, dass sie voll der Rituale und Symbole ist.

 

Ein besonderes Ritual hängt mit dem Schulbeginn zusammen. Am ersten Schultag nach den Ferien versammelten sich die Schüler in ihren Klassenzimmern.  Man freute sich, in die nächst höhere Klasse aufgestiegen zu sein.  Nach Klassen geordnet marschierten die Schüler mit den vor ihnen gehenden Professoren, es waren meist Patres. Diese trugen einen schwarzen Mantel und dazu den Zylinder. In der Stiftskirche fand  schließlich, es ist heute zum Teil auch noch so,  der das Schuljahr eröffnende feierliche Gottesdienst statt, bei dem der heilige Geist angefleht wurde. Wichtig erscheint bei diesem Ritual des Schulanfanges, dass vor dem Abmarsch zur Kirche die Schüler  - vor allem die der höheren Klassen - in ihren Klassenräumen fröhlich Wiedersehen feierten und sich ihrer Freundschaft versicherten. Mitunter gedachte  man jener Kommilitonen, die wegen mangelnder schulischer Leistung das Schicksal dazu ausersehen hat, die vorige Klasse zu wiederholen. 

 

Auch die Eltern gehörten zum Schulanfang.  Sie  beobachteten mit Ehrfurcht den Marsch zur Kirche und freuten sich, ihren Nachwuchs in würdiger Kleidung und Umgebung zu sehen.

 

In heiterer Weise beschreibt Edmund von Sacken, ein Kremsmünsterer Student aus dem 19. Jahrhundert ,dieses Ritual des Schulanfanges, wie er es erlebt hat und wie es auch ich erlebt habe.  In seinem Büchlein „Aus der Studentenzeit – Erinnerungen aus Kremsmünster“ (Wien 1894) ist zu lesen:

 

„Ach die Ferien sind die langen,

Gar so schnelle abgetan,  

Gleich wird wieder angefangen,

 

Gleich geht’s Lernen wieder an!...  

Sagt mir nur, was gibt`s den heute

Zu Kremsmünster in dem Stift,

 

Dass man gar so viele Leute  

In den Räumen allen trifft?

 

… In Kremsmünster nämlich war es

Sitte, seit die Welt besteht (!),

dass man zu Beginn des Jahres

 

Zu den Professoren geht.

Manches kommt allda zur Sprache,

Was bisher verborgen war…“. 

 

Den jungen Schülern wird am Schulanfang  rituell klar gemacht, dass man sich an Regel zu halten habe, will man im Gymnasium und im Konvikt überleben.

Eine wichtige rituelle Bedeutung hatte und hat auch noch der Zylinder für das Kremsmünsterer Gymnasium. Beim feierlichen Gang zur Kirche, wie ich schon angedeutet habe,  trugen früher die Professoren, die in dunkle weite Überhänge gekleidet waren, den Zylinder.  Damit demonstrierte die hohen Herren ihre Distanz zum gewöhnlichen Studenten, der auf dem Weg sich befand, selbst einmal den Zylinder tragen zu dürfen, nämlich bei der Matura. Erst die Maturanten trugen (heute auch die Maturantinnen)  den Zylinder zum schwarzen Anzug, um der Welt anzuzeigen, das Gymnasium in Würde hinter sich gebracht zu haben.      

 

Noch eine andere Kopfbedeckung erscheint mir typisch für die früheren Kremsmünsterer Studenten zu sein, nämlich das sogenannte Studentenkapperl,  das bis zum letzten Krieg von den Kremsmünsterer Studenten allgemein getragen wurde. Später , nach dem 2. Weltkrieg, schmückten sich mit diesem vor allem die Herren der Musikkappelle. Dieses Studentenkapperl besteht aus violettem Tuch und einem Schirm, zwischen denen ein Band mit den Kremsmünsterer Farben weiß-grün zu sehen ist,  Auf alten Bildern, die ich besitze, ist zu sehen, wie Studenten in der Vorkriegszeit beim gemeinsamen Umtrunk in der Schank des Stiftes, früher befand diese sich im inneren Konviktshof , das Studentenkapperl tragen, während sie vor sich je ein Glas Bier stehen haben.  Das Studenkapperl ist also ein Symbol heiteren und beschwingten Studentenlebens. .  Es freut mich, wie ich erfahren habe, dass der heutige Direktor des Gymnasiums ein solches Studentenkapperl besitzt, welches sein privates Büro ziert. 

 

Alte Formen der Erziehung und die vorsichtige Rebellion dagegen

 Wir erlebten aber auch alte Erziehungsformen, die uns damals wenig aufregten. Ich wurde in der Klosterschule auch zum kleinen Rebellen, der lernte, gewisse Verbote oder Gebote geschickt zu umgehen. So war uns verboten, ins Kino zu gehen, mit Mädchen zu flirten und Tanzveranstaltungen aufzusuchen. Wir taten es dennoch.  Im Februar 1959 nahmen mein Freund Hubert Pichler und ich sogar an einem Ball in Kremsmünster teil.  Als alle im Schlafsaal schliefen, so um 22 Uhr, standen wir auf, zogen unsere schönen Anzüge an und kletterten über ein Barockgitter. Weiter schlichen wir uns  im Schatten des Stiftshofes, dann ging es entlang des Wassergrabens und hinunter die so genannte Tendelleiten. Dann überkletterte wir die Stiftsmauer und betraten schließlich das Gasthaus „Zur Sonne“, in dem ein Ball stattfand. Auf diesem lernte ich eine liebenswürdige Dame  kennen, Lechner Christl heißt sie.  Hier und da sehen wir uns noch. Ihr liebenswürdiger Herr Gemahl ist ein begnadeter Vortragender von Gedichten des Kremsmünsterer Mundartdichters Franz Hönig.

 

Wäre man im Kloster dahinter gekommen, dass ich an einer solchen für uns verbotenen Tanzveranstaltung teilgenommen habe, ich wäre sofort aus dem Gymnasium und dem Konvikt „geflogen“ – zum Leidwesen meiner Eltern. Doch ich „überlebte“ diesen Ausflug in eine Welt, die uns Klosterschülern nicht offenstand.

 

 

Das Wildschwein am Stiftertag – die gemeinsame Mahlzeit

 

Gruppen mit langer Geschichte und feine Vereine pflegen, ihre Außeralltäglichkeit und ihr Charisma dadurch herauszustreichen, dass sie sich regelmäßig, meist jährlich,  ihrer Gründer in feierlichen rituellen Veranstaltungen erinnern. In Kremsmünster ist es der Stiftertag im Dezember, an dem eine Gunthervesper , ein abendlicher Gottesdienst, abgehalten wird, bei dem man sich daran erinnert, dass im Jahre 777 Herzog Tassilo von Bayern das Kloster Kremsmünster gegründet hat. Der Legende nach gründete er das Kloster an jenem Ort, an dem sein Sohn Gunther bei der Wildschweinjagd von einem mit einer Lanze verletzten Eber getötet worden war. Dieses Wildschwein, von dem heute kein Mensch reden würde, hatte dadurch die Ehre, Teil des Kremsmünsterer Wappens zu werden. In den fünfziger Jahren verehrte zumindest einmal, soweit ich mich erinnere, der  damalige griechische König Konstantin, dem Kloster ein griechisches Wildschwein, das nicht nur die geistlichen Herrn verzehrten, sondern auch ausgesuchte Schüler.

 

Gelegenheiten, gemeinsam zu essen,  gehörten zum Leben früherer Gymnasiasten, die, als es das Konvikt noch gab, täglich gemeinsam – ganz im Sinne der Regeln des heiligen Benedikt  -  in den beiden Speisesälen zu den Mahlzeiten zusammen kamen. In den Speisälen gab es eine strenge rituelle Sitzordnung, die sich nach den Abteilungen, es gab derer 5, in denen die Schüler der acht Klassen erfasst wurden, ausrichtete. Im großen, oberen, Speisesaal saßen die Schüler der ersten Klasse am rechten Tisch und die der achten Klasse am linken Tisch ganz oben in der Nähe des Anrichtetisches, auf dem die Häfen gestellt wurden. Aus diesen Häfen füllten  die freundlichen Helferinnen im Konvikt die Teller, die sie dann zu den Tischen trugen.  Die Aufsicht über den Speisesaal führte entweder der Konviktsdirektor selbst oder einer der Präfekten. Begonnen wurden die Mahlzeiten mit einem rituellen Gebet, das der Pater begann. An besonderen Tagen, wie zum Beispiel an dem   Tag, es war der 15.5.1955, als in Wien der Staatsvertrag unterschrieben wurde,  gab es zu Mittag ein feierliches Essen mit ausgesuchten Speisen und zum Nachtisch eine Torte.  Das rituelle gemeinsame Essen gehörte zum Alltag früherer Schüler.

 

 

Die Promulgation

 

Ein spannendes Ritual hat sich in Kremsmünster vielleicht seit der Barockzeit im Kloster erhalten, es ist dies die Zeremonie der Promulgation am Ende des Schuljahres.  Bei der Promulgation – das Wort  bedeutet soviel wie „öffentliche Kundmachung“ – wurden die je vier besten Schüler der ersten bis zur vierten Klasse im Kaisersaal des Stiftes vor einem großen Publikum durch einen Buchpreis gewürdigt. Der Tradition nach saßen im Kaisersaal auf der linken Sitzreihe die Herrn Professoren. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte der Abt seinen Sitz, der einem Thron ähnelte. Unmittelbar beim Eingang zum Kaisersaal warder Platz für das Orchester, welches mit Pauken, Trompeten und anderen Instrumenten das feierliche Ritual begleitete. Nach der Darbietung von lateinischen und alten deutschen Texten durch Schüler des Gymnasiums begann die Promulgation. Zunächst marschierte unter Musikbegleitung der beste Schüler der 1. Klasse vom Eingang her an den Professoren vorbei, verneigte sich vor dem Abt, der ihm ein wertvolles Buch mit Worten der Gratulation überreichte. Dann ging der Ausgezeichnete ein paar Schritte zurück, verneigte sich dankend vor dem Abt, dann auch vor der Riege der Professoren und wanderte in Richtung Eingang. Dann wurden die nächsten ausgezeichnet.  Während dieses Rituals spielte das Orchester barocke Musik, wobei die Ausgezeichneten mit mächtigem Paukenklang gefeiert wurden. 

 

 

Der  heilige Benedikt und seine Regeln – Vorbild für Manager

 

Eine besondere Faszination übte der heilige Benedikt  (um 480 – 547/ mit seinen Regeln wohl auf die meisten Klosterschüler aus.  Zu den Anhängern des heiligen Benedikt gehört auch mein Freund und  Kremsmünsterer Klosterschüler Hans Hofinger, der es später zum Bankmanager brachte. Er ist überzeugt, dass die vom heiligen Benedikt verfassten Regeln nicht nur für die Klöster und deren Schüler passend sind, sondern auch für jedes Unternehmen Gültigkeit haben.  Die hohe Bedeutung der benediktinischen Regeln liegt darin,  dass sie aus dem Leben heraus geschrieben sind.    Hans Hofinger erzählte mir dazu: „Wenn man das Anschauungsprofil eines Abtes oder des Celarus (Vorstand der Vorratskammer) betrachtet, so kann man dieses heute noch nehmen für einen Vorsitzenden“.  

Mit der Regula Benedictihat sich Hans  in seiner Studentenzeit 1961-1969 im Stift Kremsmünster nur oberflächlich befasst, aber dennoch lernte er den  benediktinischen Geist kennen.  Verstärkt wurde sein Interesse an den Regeln des heiligen Benedikt, als ihm Abt Albert Bruckmayr am Tag seiner Matura, den 4. Juni 1969, ein kleines Buch über den Heiligen Benedikt mit dem Titel „ St. Benedikt“ von Basilius Senger schenkte. Diese Buch begleitete den Weg von Hans als Student und in seinem Beruf, es regte ihn schließlich zu weiterem Studium der Regula Benedicti.  Daraus wurde schließlich ein lesenswertes Buch für Führungskräfte.  Hans Hofinger ist sich sicher, dass  die Regula Benedicti eine zeitlose Regel ist - nicht nur für Mönche. Unter sinngemäßer Anwendung gilt sie, wie Hans Hofinger meint, auch für Manager und Führungskräfte. Benedikt formulierte nämlich für den Abt – den Manager Klosters – ein Persönlichkeitsprofil, das auch für das weltliche Navigieren auf jeder Führungsebene erstrebenswert ist.

 

 Die Regula Benedicti ist für Hans Hofinger also eine Managementlehre. Er achtet den heiligen Benedikt als Menschenführer. Allerdings geht sein Buch „Regula Benedicti – eine Botschaft für Führungskräfte“ über  Managementgrundsätze hinaus, da es den ganzen Menschen zu erfassen sucht. Weiter geführt werden diese Gedanken unseres Freundes in seiner Arbeit „Benedikt als Menschenführer -  Die Regula Benedicti als Schule für Arbeit, Beruf und Alltag“.

 

Um Geist und Körper im Sinne des Vaters aller Manager Benedikt zu stählen, begab sich Hans Hofinger mit Begleiter auf fromme Wallfahrten, eine führte nach Santiago de Compostella auf den Spuren des heiligen Jakobs, des Maurentöters, mit dem als Leitbild seit Karl dem Großen die hohe Kultur der Mauren, die mit Juden und Goten eine Symbiose eingegangen waren, brutal vernicht wurde (daher ist mir diese Wallfahrt nicht sympathisch, ich verzeihe jedoch Hans Hofinger). Eine andere Wallfahrt  von Hans folgte den Spuren des heiligen Patrick in Irland. Die Wallfahrt, die mir als die liebenswürdigste aller Wallfahrtenn erscheint, führte unseren Freund nach Mariazell – auch ich bin ein Mariazell-Pilger und Pilger zum heiligen Franz von Assisi.  Nach Assisi fuhr ich mit dem Fahrrad.

 

 

Herzog Tassilo, die Arianer und der vergessene „Segen“

 

Bei einem Treffen von ehemaligen Schülern des Klostergymnasiums von Kremsmünster hielt ich im Mai 2019 auf Winsch des Gymnasialdirektors im Kaisersaal des Stiftes eine Rede.  Bei dieser erzählte ich, dass uns in der 4. Klasse unser Religionsprofessor P. Rudolf gefragt hat , wann denn das Konzil von Nicäa gewesen sei. Da dies niemand wusste, meinte er, dass derjenige, der diese Frage beantworten könne, bis zur Matura in Religion ein Sehr gut im Zeugnis bekommen werde.  Ich schlug unter der Bank das Buch auf und fand zufällig die Antwort. Ich zeigte auf und nannte das Jahr 325 für das Konzil.  Der Professor war erfreut und hielt sein Wort, er war ein ehrenhafter Herr. Dieses Sehr gut war übrigens neben  dem Sehr gut in Turnen das einzige Sehr gut in meinem Maturazeugnis.              

                                                                                                               Ich führte in meiner Rede aus, dass bei diesem Konzil von Nicäa die Arianer (Anhänger des Arius) auftraten, die meinten, dass Jesus nicht „wesensgleich“ sondern nur „wesensähnlich“ mit Gott sei.  Arianer waren die Germanenstämme, wie die Goten, Langobarden und Vandalen. Sie dachten offensichtlich, es könne nur einen Gott geben und nicht drei Götter in einer Person. Darüber kam es zum großen Streit mit der katholischen KIrche.  Das Kloster Kremsmünster (gegründet 777) war davon insofern betroffen, als der Gründer des Klosters Herzog Tassilo III. von Bayern mit Liutpirg (bzw. Liutbirg), der schönen Tochter des Desiderius, des Königs der Langobarden, verheiratet war – und die Langobarden waren eben Arianer , auf die sich das Konzil von Nicäa bezog. Ungefähr dies erzählte ich. Freilich ist die Sache etwas komplizierter, denn Desiderius war offiziell kein Arianer mehr.    

 

Von einem endgültigen Sieg über die Arianer kann man wohl erst nach dem Sieg Karls des Großen über Desiderius sprechen, wie Historiker betonen. Desiderius dürfte von Karl dem Großen also noch für einen Arianer gehalten worden sein.                                    

 

Auf die Heirat Herzog Tassilos mit Liutpirg verweist übrigens der berühmte Tassilo-Kelch in Kremsmünster , der zur  Hochzeit des Paares angefertigt wurde und  auf dessen Fuß zu lesen ist: „Tassilo dux fortis et liutpirg virga regalis“ also: „Tassilo tapferer Herzog und Liutpirg königlicher Stamm“. Die Hochzeit zwischen beiden ist zwischen 765 und 769 anzusetzen. Für das Werden Österreichs ist die Geschichte um Liutbirg und Tassilo III. höchst bedeutsam, schließlich wollte Tassilo, dabei wurde er kräftigst unterstützt von Liutpirg, ein eigenes bairisches Herzogtum haben, unabhängig vom Reich der Franken unter Karl dem Großen. Die damaligen Baiern,  also  die Vorfahren der Österreicher, waren unter Tassilo der einzige deutsche Stamm, der sich nicht in das Weltreich Karls des Großen einfügen wollte.  Karl der Große rächte sich schließlich an Herzog Tassilo und seiner Liutpirg.  Beide wurden getrennt von einander in Klöster gesteckt und starben zwischen 794 und 796.      Unmittelbar nach diesem  Festakt im Kaisersaal hielt Pater R., ein großer Historiker, für uns ehemalige Klosterschüler, in der „Studentenkapelle“ des Klosters  eine Messe. Am Ende dieser hielt er fest.  dass der Girtler, also ich, sich bei seinem Vortrag geirrt habe, denn Desiderus  sei damals kein Arianer mehr gewesen.  Mit dieser Feststellung beendete er die Messe und vergaß zur Überraschung aller auf den Segen.. mit dem eine Messe für gewöhnlich beendet wird. Offensichtlich hatte ich den guten Pater, einen sympathischen und gescherten  Herrn, derart verwirrt, dass er auf den Segen vergessen hat.  Ich bitte ihn dafür hier wegen dieser Verwirrung um Vergebung.

 

 

Julius Schlegel und die Rettung der Kulturschätze von Monte Cassino –  als Zeuge seines Vortrages im Kloster Kremsmünster

 

In den 1950er Jahren suchten wir als Klosterschüler einer Benediktinerabtei in Italien jene Stätten auf, die mit dem Leben des heiligen Benedikts  aber auch mit der alten römischen Kultur, die uns durch das Studium der lateinischen Sprache nahe gebracht wurde, verknüpft sind. Wir fuhren nach Rom besahen die Stätten der Antike,  nahmen an einer Audienz von Papst Pius XII. teil und waren Gast der Benediktiner Hochschule in San Anselmo. Schließlich wurden wir vertraut gemacht mit dem vom  heiligen Benedikt in den Bergen südlich von Rom gegründeten Kloster Monte Cassino, das wir allerdings aus Zeitgründen nicht besucht haben.  Zu diesem Kloster und seine Zerstörung im 2. Weltkrieg gestatte ich mir ein paar Bemerkungen, die ich bis dato noch nicht veröffentlicht habe, die aber mit meinem Leben als Klosterschüler zu Kremsmünster zusammenhängen.

 

Während des 2. Weltkrieges wurde Monte Cassino von der amerikanischen Luftwaffe völlig zerstört. Als Retter der Schätze von Monte Cassino gilt der damalige Offizier der deutschen Luftwaffe Julius Schlegel (1895 – 1958). Diesen Julius Schlegel, der in Italien hohes Ansehen genießt, lud man um 1950 in das Kloster Kremsmünster ein, damit er uns Gymnasiasten von den Kämpfen um Monte Cassino und die Rettung der dortigen Schätze erzähle.  Ich erinnere mich gut an den Vortrag von Julius Schlegel, dem wir Klosterschüler gespannt folgten. Ich wurde Zeuge eines einmaligen Vortrages. Wir erfuhren u.a.,, dass Julius Schlegel am Afrikafeldzug teilgenommen hat, ehe er im Mai 1943 zu einer Fallschirm-Panzer-Division einberufen wurde,  die unweit von Monte Cassino  eine Stellung gegen amerikanische Angriffe halten sollte. Schlegel teilte dem Erzabt des Klosters Gregorio Diamare seine Befürchtungen mit, dass amerikanische Flugzeuge  das Kloster angreifen würden. Er bot seine Hilfe an, um die Schätze des Klosters zu retten. Der Erzabt war zunächst misstrauisch, doch dann willigte er in die Bergungsaktion ein. Drei Tage später begann der Abtransport der kostbaren Güter in die Engelsburg  in Rom.   In 120 Lkw-Ladungen, zum Teil in eigens dafür angefertigten Kisten, wurden die Kunstschätze des Klosters nach Rom überführt.  Unter diesen Schätzen befanden sich 70.000 Bände der Bibliothek, 1.200 unersetzliche Handschriften mit Werken von Marcus Tullius Cicero, Horaz, Vergil, Ovid und Seneca, 80.000 Urkunden, Kultgegenstände aus Edelmetall und die Reliquien des heiligen Benedikt von Nursia. Geborgen wurden auch wertvolle Gemälde, darunter Bilder von Leonardo da Vinci, Domenico Tintoretto, Domenico Ghirlandaio, Pieter Bruegel dem Älteren, Tizian und Raffael. Die Aktion wurde im November 1943 abgeschlossen. In einem feierlichen Akt wurden die letzten Stücke im Dezember 1943 in Rom übergeben. Schlegel erhielt eine lateinische Urkunde, die er uns auch vorlas. Übersetzt lautet der Text: „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus! Dem erlauchten und geliebten Militärtribun Julius Schlegel, der die Mönche und Güter des Klosters Cassino gerettet hat, danken die Cassinenser aus ganzem Herzen und bitten Gott um sein ferneres Wohlergehen.

 

Montecassino, im November 1943. Gregorio Diamare O.S.B., Bischof und Abt.“ 

Am 15. Februar 1944 wurde Monte Cassino schließlich von 254 alliierten Flugzeugen mit 570 Tonnen Bomben in Schutt und Asche gelegt.

Julius Schlegel hielt ausdrücklich fest, dass zu diesem Zeitpunkt sich kein einziger deutscher Soldat in dem Kloster befunden hat.  Die Amerikaner hatten jedoch behauptet, dass das Kloster ein deutscher Beobachtungs- und Verteidigungsstützpunkt gewesen wäre, was jedoch nicht stimmte.  Nach dem Krieg wurde Schlegel von den Alliierten als mutmaßlicher Plünderer inhaftiert, aber dank der Aussagen der Mönche von Monte Cassino, die die Transporte nach Rom begleitet hatten, schließlich von diesem Vorwurf freigesprochen. Gewürdigt wurde er unter anderem vom Abt des Wiener Schottenstiftes, der an seinem Grab dies sagte: „In dieser Stunde, in der wir das, was an Dir sterblich war, der Erde übergeben, da ertönen die Glocken der Benediktinerabteien in aller Welt, um Deiner heroischen Tat zu gedenken, die nicht nur das Mutterkloster des Benediktinerordens vor unersetzlichen Verlusten bewahrt hat, sondern auch Beweis dafür war, wie sehr ein Mensch in schwerer Zeit und Bedrängnis imstande war, Gutes zu tun.“  Der Wiederaufbau des Klosters bis 1955 war vor allem deshalb möglich, weil Schlegel alle Baupläne gerettet hatte. Der 1958 erschienene Kriegsfilm „Die grünen Teufel von Monte Cassino“  behandelt die Rettung der Kunstschätze durch Schlegel, der im Film von Ewald Balser gespielt wurde (siehe zu Julus Schlegel  u.a. im Internet unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Schlegel_(Offizier)

 

Regelmäßig besuche ich als benediktinischer Klosterschüler das Grab von Julius Schlegel am Döblinger Friedhof, auf dem auch meine Großmutter unweit vom Grab Schlegels beerdigt ist.  Leider konnte ich trotz meines Bemühens keine Aufzeichnungen im Kloster Kremsmünster über diesen hier zitierten Vortrag von Julius Schlegel, der uns als Klosterschüler fasziniert hat, finden.

 

 

Das Verschwinden der alten Klosterschule

 

Die alte Klosterschule, in der Knaben bzw. Burschen mit einer gewissen Strenge erzogen wurden, gibt es nicht mehr. Man hat eine uralte Tradition aufgegeben und sich den angeblich modernen Erfordernissen der Zeit angepaßt. Im heutigen Gymnasium gibt es daher auch Mädchen, sicherlich zur Freude der wenigen heute noch dort lehrenden Patres, von denen einer mir mit Freude erzählte, daß ihm jetzt zum Geburtstag Mädchen der Schule sogar eine Torte backen würden, früher sei es undenkbar gewesen, daß ein Student sich die Mühe gemacht hätte, so etwas zu fabrizieren. Aber nicht nur darin liegt ein Unterschied zu früher. Auch das Konvikt in der alten Form ist nicht mehr vorhanden. Die Burschen, die im Konvikt heute noch untergebracht sind, haben nichts mehr mit ihren Vorgängern in den fünfziger und sechziger Jahren gemein, denn sie sind nicht mehr während der ganzen Woche im Kloster, zu den Wochenenden dürfen sie nach Hause fahren. Dies bewirkt ein wesentliches Abgehen von der alten Struktur, zu der gehörte, daß die Burschen auch während der freien Tage in engem Kontakt zu Kloster, Patres und Freunden stehen.

Über diesen Wandel sprach ich ebenso mit Freund Wolfgang Mayr, dem früheren Chefredakteur der Austria Presseagentur. Er schrieb mir dazu: „Für Kremsmünster hätte es zwei Wege gegeben: Die Patres haben sich - wohl auch als Tribut an den Zeitgeist - für Anpassung, Öffnung, die Zulassung von Mädchen entschieden. Jetzt ist das Stiftsgymnasim nichts Besonderes mehr, es ist abgesehen vom genius loci zu einer beliebigen Schule geworden. Der zweite, kurzfristig wahrscheinlich schwierigere Weg, wäre gewesen, die Schule wirklich elitär zu führen. Durchaus im Sinne von streng, mit höchsten Anforderungen. Ich bin fest überzeugt, dass genug Bedarf für Eliteschulen da ist. Dieser Weg hätte vielleicht auch mehr Nachwuchs für das Kloster gebracht".

Und ein anderer Freund  meinte: „Es ist ein gewaltiger Unterschied zu früher. Heute gibt es weltliche Professoren im Gymnasium. Diese haben ihre Probleme daheim, der Geistliche hatte mehr Zeit, sich um die Schüler zu kümmern. Er wußte, daß der eine etwas weicher ist im Kern und der andere etwas härter. Er wußte von jedem, was mit ihm los ist. Die Geistlichen früher haben uns über eine längere Zeit gehabt, sie konnten mit uns etwas anfangen. Die heutigen Professoren können mit keinem etwas tun, denn am Samstag schleicht sich der Schüler und fährt nach Hause“

Der Wandel von der alten Klosterschule, in der der Student noch fest an das Kloster gebunden war, zu einer Schule modernen Typs war grundlegend. Dies zeigt sich auch darin, daß in früheren Zeiten die Eltern sich den Vorstellungen der Patres beugten, während heute durch Elternvereine nicht unwesentlich auf den Lauf des schulischen Lebens Einfluß genommen wird.

 

Die alte Welt der Klosterschule, wie ich sie kennen gelernt und beschrieben habe, ist verschwunden. In ihr klang noch Mittelalterliches und Barockes nach. Und das war spannend.

 

Diese Gedanken abschließend will ich einen Brief zitieren, den ich im Frühsommer 2019 von einer liebenswürdigen Dame erhalten habe und der sich darauf bezieht,  dass in der alten Klosterschule, wie ich sie genossen haben, nur  Knaben „erzogen“ und unterrichtet wurden (vice versa war es in den Mädchenschulen ).  Dem  Klosterschüler gestand man es nicht zu, mit Mädchen in einer Klasse zu „sitzen“, offensichtlich fürchtete man um das Seelenheil des jungen Burschen, den der Anblick eines Mädchens vielleicht  verwirrt hätte.  Aber die Sache ist nicht so einfach.

In dem Brief heißt es:  

 

„Sehr geehrter Herr Professor !

Ihr letzter Streifzug in der Sonntagskrone führte mich zurück in meine Kindheit und Jugend, die ich im Salzkammergut verlebte und die mich an etwas erinnerte, was mein späterer  Schwiegervater  (Kremsmünsterer, Maturajahrgang 1914/15) oft erzählte. Sie hatten damals in der 8. Klasse eine externe Mitschülerin. Diese musste alleine in der ersten Bank direkt vor dem Katheder sitzen – sie betrat mit dem Professor die Klasse  und verließ es mit ihm, verbrachte alle Pausen im Lehrerzimmer  und wurde  nach dem Unterricht bis zum Schultor geleitet. Kleidervorschrift: hochgeschlossen, langärmelig, knöchellang, und zum Leidwesen der Schüler war es untersagt, mit ihr zu sprechen.  Aber wenn ich an das vergnügte Schmunzeln meines Schwiegervaters denke, dürfte es da einige Schlupflöcher  gegeben haben.                                                                                                                       Ich wünsche Ihnen alles Gute.                

                                                 Hilke S.“

 

 

Was ich in der Klosterschule gelernt habe

 

Ich werde oft gefragt, welchen Sinn die alte Klosterschule, die es nicht mehr gibt und in der wir viel gelitten haben, hatte und ob ich nicht durch den jahrelangen Aufenthalt in dieser etwas „gestört“ sei. Zunächst glaube ich, daß diejenigen, die eine solche Klosterschule hinter sich gebracht haben, nicht weniger oder mehr „gestört“ sind als alle anderen Leute auch. Diese Schule war in vielerlei Hinsicht, in Positiven wie im Negativen, prägend.

 

Darüber gestatte ich mir anstelle eines Nachwortes noch ein paar Gedanken:

 

  1. Ich habe gelernt, daß Gesellschaften, wie die der Klosterschule, in denen vieles verboten ist und die viele Grenzen kennen, sehr aufregend und herausfordernd sein können. In der Situation der Klosterschule entwickelte sich bei mir so etwas wie ein rebellischer Geist. Ich habe gelernt, mir nicht alles gefallen zu lassen. Und mir machte es Freude, bestimmte Normen, die die Patres uns auferlegt haben, zu brechen. So ging ich ins Kino und traf mich mit Mädchen, obwohl es verboten war. Von daher rührt meine Sympathie für Rebellen.
  2. Der Kontakt der Burschen in der Klosterschule zueinander, der ein freundschaftlicher aber mitunter auch ein sehr gehässiger sein konnte, brachte mich zu der Erkenntnis, daß Dumme und Intelligente, Anständige und Unanständige in allen sozialen Schichten gleich verteilt sind. Der Sohn eines Bauern oder einer Dienstmagd brachte mitunter eine größere Auffassungsgabe mit als der Sohn eines Arztes. Ich glaube, daß einem jungen Menschen, sei er Sohn eines reichen Fabrikanten oder Sohn eines Arbeiters, nichts Besseres für sein Leben passieren kann, als mit Gleichaltrigen ohne jedes Privileg und ohne Standesunterschied eine Zeit miteinander leben und arbeiten zu müssen.
  3. Ich habe in der Klosterschule kämpfen gelernt, um nicht unterzugehen, sicherlich viel intensiver als Schüler in anderen Gymnasien. Ich habe viel gelitten in der Klosterschule, aber ich habe auch gelernt, in schwierigen Situationen nicht zu verzagen.
  4. Ich habe das herrliche Gefühl der Kameradschaft kennen gelernt. Ich habe mich glücklich geschätzt, immer wieder einen Freund zu haben, zu dem ich mit meinen Sorgen kommen konnte und der mir auch half, wenn ich es nötig hatte.
  5. Ich habe gelernt, wie wunderbar ein Stück Kuchen oder ein Schluck Bier schmecken kann, wenn man hungrig oder durstig ist und zur Bescheidenheit angehalten wird. Ebenso kann der zarte gehauchte Kuß eines Mädchens um vieles erotischer und reizvoller sein als die kühnste Orgie, überhaupt wenn die Wege zum Mädchen schwierig und verboten sind.
  6. Da ich selbst oft ganz unten war und Erniedrigungen erlebt habe, habe ich jene Menschen besonders kennen gelernt, die vor den Oberen heuchelten und andere verieten, um für sich selbst Vorteile herauszuholen. Seit damals sind mir Heuchler und Verräter zutiefst zuwider.
  7. Ich habe gelernt, um im Leben weiterzukommen, braucht man Geduld und Höflichkeit. Und Geduld zu erlernen, gehört für mich zu den schwierigsten Unternehmen. Genauso wie die Eigenschaft, Unrecht einstecken zu können. Höflichkeit hat man mir in der Klosterschule beigebracht. Ich habe gelernt, Menschen, die man schätzt oder schätzen sollte, mit entsprechenden Formen der Höflichkeit zu begegnen. Zur Höflichkeit gehören auch Pünktlichkeit und Verläßlichkeit.
  8. Ich habe auch einen vorsichtigen Umgang mit der Wahrheit gelernt, denn nicht alle vertragen die Wahrheit, und manchmal kann sie nicht nur zum Nachteil für die eigene Person, sondern auch für andere Menschen sein. Es gibt Vorgesetzte, die ungemein bösartig sein können und nur darauf warten, irgend etwas zu erfahren, mit dem sie Untergebenen schaden können.

 

Und schließlich glaube ich, um gut im Leben weiterzukommen, braucht man fünf Tugenden, die der, der die Klosterschule einigermaßen heil überstanden hat, sich vielleicht erworben hat:

 

Mut, er stärkt,

Heiterkeit, sie beflügelt,

Geduld, sie gibt Ruhe ,  

Großzügigkeit , sie öffnet das Herz,

und etwas rebellischen Eigensinn, er macht Freude.

  

So mancher von uns Klosterschülern ist ein guter Menschenkenner mit Charme und Humor geworden, aber bisweilen auch ein liebenswürdiger Zechkumpan ganz im Sinne des alten Symposion (siehe oben) und der „Regula“ des heiligen Benedikt, in der im Kapitel 40 zu lesen ist:

 „Indessen glauben wir mit Rücksicht auf die Unzulänglichkeit der Schwachen, dass eine Hemina (etwa ein Viertelliter) Wein für jeden täglich reichen sollte… Sollten jedoch die Ortsverhältnisse, Arbeit oder Sommerhitze mehr fordern, so ist das dem Ermessen des Oberen überlassen;  doch muß er immer darauf achten, dass nicht Sättigung oder Trunkenheit aufkommt.  Zwar lesen wir, der Wein sei überhaupt nichts für Mönche; da man aber die Mönche unserer Zeit davon nicht überzeugen kann, sollten wir uns wenigstens dazu verstehen, nicht bis zur Sättigung zu trinken, sondern weniger; denn der Wein bringt auch die Weisen zum Abfall“.

Durchaus in Übereinstimmung mit diesen Überlegungen zum Weingenuss des heiligen Benedikt gestatte ich mir, zum Wohl  aller jener, die diese Zeilen lesen, eine Hemina Wein zu trinken.

 

Literatur:

„Die alte Klosterschule – eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen“ Wien, Böhlau 2000

 

 

Das Raucherkammerl 

 

Da wir Klosterschüler in den oberen Klassen das Rauchen nicht lassen wollten, tolerierte man es, wenn wir außerhalb der Stiftsmauer Zigaretten anzündeten. Schließlich gestattet man uns,  beim Türl des Kamins, der sich im Gang vor dem Barockgitter unweit des Kaisersaals befindet,  zu rauchen, denn der Kamin würde den Rauch himmelwärts tragen.  Bei diesem Kaminzugang, den wir „Raucherkammerl“ nannten, rauchten wir bisweilen eine Zigarette. Wir kamen uns erwachsen und heldenhaft vor. Wir klebten Zigarettenpackungen, auf denen das Logo zu sehen ist, an die Innenseite der Kamintür. Daran erinnere ich mich, als ich jetzt zu diesem Barockgitter gelange. Ich treffe hier P. Arno, erzähle ihm diese Geschichte, öffne die Kamintüre und ungläubig blicken wir beide auf die Zigarettenpackerln von einst ,sie waren noch immer vorhanden. Inzwischen bin ich seit ca 50 Jahren Nichtraucher.