Franz Boas - jüdischer Burschenschafter und Kulturanthropologe an der Columbia Universität New York

 Aus : Anthropos, 96, 2001 Bonn

(Anthropos gehört heute weltweit zu den zehn größten und wichtigsten Zeitschriften im Bereich der Ethnologie bzw. Kulturanthropologie)

 

Roland Girtler , Universität Wien

 

Franz Boas als Mitglied der Burschenschaft Alemannia zu Bonn
Franz Boas als Mitglied der Burschenschaft Alemannia zu Bonn

Als Kulturanthropologe und Kultursoziologe, der ich ein Anhänger der "teilnehmenden Beobachtung" bin, hege ich größte Sympathien für Franz Boas. Bei meinen Forschungen über Wildschütze, Prostituierte, Schmuggler, Deutsche in Siebenbürgen usw. orientierte ich mich an einigen Einsichten dieses Mannes. Ich habe sie in meinem Buch über die "Methoden der Feldforschung“ (UTB 2001) verarbeitet.  Boas war der direkte Kontakt zu den Menschen, deren Leben er erforschen wollte, wichtig. Ich meine, dass diese Art der Feldforschung nicht nur bei den Eskimos, sondern auch in der eigenen Kultur mit ihren vielen Randgruppen und sozialen Nischen Sinn hat.

 

Franz Boas, dieser große amerikanische Kulturanthropologe, war ein Mann von einem weiten Geist, der herrliche Studien über Indianerstämme Nordamerikas verfasst hat. Er war also kein Schreibtischgelehrter und er dürfte der einzige Kulturanthropologe sein, der auf dem Titelbild von Time Magazin und zwar auf dem vom 11.Mai 1936 aufscheint.

 

Mich als Sympathisanten von Franz Boas interessierte seit einiger Zeit die Frage, vor welchem kulturellen Hintergrund Franz Boas als Kulturwissenschafter zu verstehen ist. Ich beschäftigte mich daher mit dessen Lebensgeschichte. Und die ist spannend, sie ist eng mit der deutschen Revolution von 1848 und mit einem Wiener Revolutionär verknüpft. Darüber will ich nun berichten.

Herkunft und Wissenschaft

Geboren wurde Franz Boas am 9.Juli 1858 in Minden, Westfalen. Seine jüdischen Eltern waren liberale, weltoffene Leute, die den Ideen des Revolutionsjahres 1848 sich verbunden fühlten. Seine Mutter unterstützte seine Freude am Pflanzensammeln und Klavierspielen, worin er es zu einer beträchtlichen Leistung gebracht haben soll.

Angetan hatte es ihm auch sein Onkel Abraham Jakobi, der ein bekannter 1848er Demokrat und Kinderarzt war. Er wanderte wie andere Revolutionäre in die USA aus und gelangte dort zu hohen Ehren. Vielleicht verdankt Boas diesem Onkel seine Liebe für Amerika.

 

Boas besuchte das Gymnasium in Minden. Zu seinen Lieblingsgegenständen gehörten Mathematik, und Geografie, aber auch Latein und Griechisch. Sein Lieblingsdichter war Homer. Sein Interesse an fremden Kulturen zeigt sich bereits, als er dreizehn Jahre alt war. Er schreibt damals seiner Schwester: "Neue Völker und deren Sitte und Gewohnheiten möchte ich kennen lernen, auch die schon bekannten Galla-, Kaffen-, Hottentotten-Völker" (zit. In: Weiler, 1997, S 16).

 

Nach seinem Abitur in Minden studierte Boas an den Universitäten Heidelberg, Bonn und Kiel Mathematik, Physik und Geografie

Seine Doktorarbeit, die er mit 23 Jahren 1881 in Kiel vorlegte, trug den Titel

"Beiträge zur Erkenntnis der Farbe des Wassers".

 

1883 und 1884 nahmen Boas schließlich an einer geografischen Expedition nach Baffinland in Nordkanada teil. Dort lebt er ein Jahr mit Eskimos. Während dieser Forschung entflammt seine Leidenschaft für die Völkerkunde. Danach kehrt er wieder nach Deutschland zurück. Er wird Assistent an der ethnographischen Abteilung der Berliner Museen. Gefördert wird er von Rudolf Virchow und Adolf Bastian, so dass er sich im Sommer 1885 an der Berliner Universität im Fach Geographie habilitieren kann. 1887 verlässt Boas Berlin "für immer". Er fährt nach Kanada, zu den Indianern der Nordwestküste. Nun bleibt Boas endgültig in Amerika. Er bekommt Kontakte zu bekannten Professoren. 1889 wird er schließlich Professor an der Columbia Universität in New York. Boas war ungemein fleißig, bis ins hohe Alter schreibt er Bücher und Artikel. Er kam insgesamt auf über 6OO.

 

Seine Forschungen brachten Boas hohen wissenschaftliches Ansehen ein, das schließlich dazu führte, dass ein Berg bzw. ein Gletscher auf Baffinland und ein Fluss auf Southhampton-Island im Norden der Hudson-Bay nach ihm benannt wurden.

Die Burschenschaft Alemannia zu Bonn

In einem Aufsatz über Boas überraschte mich die Feststellung, er hätte Narben im Gesicht gehabt. Den Studenten, die ihn darauf ansprachen, soll er scherzhaft erwidert haben, diese Narben hätte er durch "Prankenhiebe der Bären erhalten, denen er auf Baffinland begegnet" sei. "Tatsächlich", so heißt es in dem Artikel, „hatte er sie (die Narben) bei Duellen erhalten, die er auf Grund der Feindschaft zwischen den Korporationen an der Universität führte. Er war nicht gewillt, die oftmals antisemitischen Beschimpfungen der Korpsstudenten hinzunehmen" (A. Kardiner und E. Preble, 1974,S138).

Boas gehörte demnach einer Burschenschaft an, einer der alten, auf die Freiheitskriege gegen Napoleon zurückgehenden Studentenverbindungen , die schließlich 1848 auch zu den Trägern der deutschen Revolution wurden ,die für Freiheitsrechte und gegen die Allmacht der Fürsten kämpften. Die meisten von ihnen waren Republikaner und bekämpften die Monarchie. Sie waren deutschnational im Sinne einer deutschen Republik - und nicht im Sinne eines deutschen Imperialismus - ausgerichtet. Allerdings kam es später in nicht wenigen Burschenschaften leider auch zu antisemitischen Strömungen und Sympathien für den Nationalsozialismus.

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Da mich die oben zitierte Feststellung erstaunte, ging ich daran, die Beziehung von Boas zu seiner Burschenschaft näher zu durchleuchten. Dabei sah ich, dass diese eine sehr intensive gewesen sein muss.

Es war sein Vetter Willi Meyer, der ebenfalls aus Minden stammte, der Boas, als er Student in Bonn wurde, zur Burschenschaft Alemannia brachte.

Es ist bemerkenswert, dass Willi Meyer, nachdem er Medizin studiert hatte, als Arzt in die USA auswanderte, wo er es zum Professor der Chirurgie brachte. Von 1887 bis 1923 war er leitender Chirurg am Deutschen Hospital in New York. An diesem Hospital war übrigens auch Dr. Krackowitzer, der Schwiegervater von Franz Boas, tätig. Meyer starb 1930. Einen Nachruf schrieb ihm Franz Boas in der Zeitung der Burschenschaft (Bonner Alemannen-Zeitung 13.Jg., Folge 2, S 32f.)

 

Jedenfalls muss das Leben von Boas als Burschenschafter ein heiteres gewesen sein. Darauf verweist ein Bild, das Boas mit Mütze und Band, den Symbolen der Studentenverbindung, inmitten seiner Kommilitonen auf einem Fass sitzend zeigt. Auf dem Fass ist der berühmte "§ 11" festgehalten, der nach altem Bierkomment der Studenten so viel bedeutet: "Es wird fortgesoffen". Boas blieb bis zum Herbst 1879, also 4 Semester, in Bonn. In dieser Zeit hat er mehrmals gefochten. Ein "Zieher", wie man eine lange Narbe quer über die Wange zu nennen pflegte, und andere Narben an seiner linken Wange künden davon. Für sein munteres Studentenleben zeugt, dass Boas nicht nur Schriftwart der Burschenschaft, sondern sogar ihr Kneipwart war, ein Amt, dem es oblag, sich um den rituellen Ablauf der Kneipen, wie man die gemeinsamen Zechgelage der Bundesbrüder nannte, zu kümmern.

 

Es ist wohl hier noch zu erwähnen, dass Boas nach seiner Promotion in Kiel im Jahre 1881 ein Jahr freiwillig beim Militär war. Danach bereitete er sich auf seine erste, oben bereits erwähnte Expedition vor (Kroeber, 1959).

Maria Krackowitzer und ihr revolutionärer Vater

Unmittelbar nach seiner Promotion im Jahre 1881 reiste Boas auf Einladung seines Onkels Jacobi durch den Harz. Dabei lernte er auch seine spätere Frau Maria Krackowitzer, die Tochter des nach den USA geflohenen österreichischen Revolutionärs Ernst Krackowitzer, der damals schon tot war, kennen und lieben. Er verlobte sich mit ihr etwas später "heimlich".

1887 heiratete er Maria in New York.

Die Ehe, die Boas mit Maria führte, muss eine glückliche gewesen sein. Das Familienleben war am Deutschtum ausgerichtet, ebenso wie die privaten Kontakte von Boas in New York.

Zu Hause wurde deutsch gesprochen. Ihm war es wichtig, dass seine Familie, zu der fünf Enkel gehörten, dem Deutschtum gegenüber offen war.

 

 Boas war in den USA nicht nur ein großer Wissenschaftler, sondern auch ein großer deutscher Patriot, ganz im Stile der alten Burschenschaften. Für ihn war, wie er schreibt, "ein deutsches Haus prägend, in dem die Ideale der Revolution von 1848 lebendig waren". Daher entsprach Maria den Vorstellungen von Boas, da sie aus einer deutsch eingestellten Familie kam. Und außerdem hatte ihr Vater Dr. Ernst Krackowitzer an der Revolution von 1848 in Wien als Hauptmann der Akademischen Legion teilgenommen. Krackowitzer war ein interessanter Mann. Boas hat ihn leider persönlich nie kennen gelernt, er hatte jedoch höchste Achtung vor diesem Mann.

Geboren wurde Krackowitzer 1821 in dem oberösterreichischen Dorf Spital am Pyhrn als Sohn des kaiserlichen Pflegers. Dies ist gerade für mich, den Autor dieses Artikels, interessant, da ich als Sohn von Landärzten ebenso in diesem Dorf aufgewachsen bin. Er besuchte das Stiftsgymnasium zu Kremsmünster und studierte in Wien und Pavia. Medizin.

 

 Krackowitzer musste nach der Niederschlagung der Revolution in die USA fliehen.

Als großer Kritiker des habsburgischen Regimes wurde er steckbrieflich gesucht.

In einem im Auftrag des Innenministeriums von der oberösterreichischen Statthalterei angelegten "Verzeichnis derjenigen Personen, welche wegen ihrer politischen Bedenklichkeit die Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden in Oberösterreich seit den letzten Jahren besonders auf sich gezogen haben, welche sich aber gegenwärtig nicht mehr in Oberösterreich befinden" vom 11.März 1852 wird Krackowitzer unter der Nummer 14 so geführt: "Krackowitzer Dor. Med. derzeit ausübender Arzt zu Wilhelmsburg bei New York in Nordamerika. Derselbe ist von Vöcklabruck in Oberösterreich und seine Mutter wohnt gegenwärtig in Steyr. Er wurde im Jahr 1848 als Assistent im allgemeinen Krankenhaus in Wien Commandant einer mobilen Compagnie und hat sich bei der Belagerung von Wien schwer kompromittiert, weshalb er mit Steckbriefen verfolgt wurde und sich nach Amerika flüchtete. Sehr gefährlich" (zit. nach S. Haider, 2OOO, S 94).In Amerika sah er die "Hauptgrundsätze des Sozialismus" in einer Weise verwirklicht, "wie man in Europa gar nicht ahne". Krackowitzer war angetan von der Demokratie in Amerika, allerdings begegnete er der Sklaverei mit Abscheu, er betrachtete sie als eine "Institution, die von gewissenlosen Schurken ins Leben gerufen" wurde (S.Haider, 2000, S 99).

 

Krackowitzer hinterließ bemerkenswerte Briefe, die er während der Revolution von 1848 und nach dieser auf seiner Flucht nach den USA 1848 geschrieben hat. Veröffentlicht wurden diese Briefe von seinem Enkel, dem Sohn von Franz Boas Ernst P. Boas im "Journal of the History of Medicine" und in einem Buch von S.Haider mit dem Titel "Berichte aus der Neuen Welt" (Linz 2OOO).

 

Seine Braut, Emilie Forster, eine Oberösterreicherin aus Steyr, folgte ihm 1851 nach. In New York wurde Krackowitzer Mitglied der "Pathological Society" und gründete dort mit Kollegen das Deutsche Hospital.

Während des amerikanischen Bürgerkrieges diente Krackowitzer als Generalinspektor der Militärspitäler auf der Seite der Nordstaaten und bei mindestens zwei Schlachten betätigt er sich als Feldchirurg. Er soll den Kehlkopfspiegel in den USA bekanntgemacht haben.

 

 Krackowitzer war ein glühender Republikaner, Gegner der Sklaverei und großer Verehrer Abraham Lincolns.

Gestorben ist Krackowitzer, der künftige Schwiegervater von Franz Boas, 1875 in New York nur 54 Jahre alt.

Die Treue zu Deutschland und zur Burschenschaft

Das Geschick Deutschlands lag Boas nach dem 1. Weltkrieg sehr am Herzen. Von Amerika aus versuchte er sein Bestes für Deutschland.

Seine Treue zu Deutschland zeigt sich bei Boas darin, dass er nach dem 1. Weltkrieg, als Deutschland am Boden lag, in den USA die Sache Deutschlands vertrat. Er versicherte, dass er "ebenso wie jeder Deutsche das tiefste Unrecht empfindet, das Deutschland angetan worden ist" und "ein Deutschland frei von äußerer und innerer Knechtschaft ersehnt".

 

Wegen der seiner Meinung ungerechten Behandlung Deutschlands nach dem 1.Weltkrieg wandte sich Boas in Leserbriefen an die Öffentlichkeit. Er war entrüstet über die Bedingungen des Versailler Vertrages und gab in weiser Voraussicht zu bedenken, dass "die Friedensbedingungen nicht den Keim zukünftiger Kriege beinhalten dürften" (Kasten, o.J., S 29).

 

 Davon kündet ein Brief, den Boas 1921 in der Juni-Nummer der Zeitung seiner Burschenschaft, der Alemannen-Zeitung, veröffentlichte. Zur damaligen Zeit hatten viele junge Akademiker die Lust ergriffen, dem im Elend liegenden Deutschland den Rücken zu kehren und nach den USA auszuwandern. Einem solchen jungen Kollegen, einem gewissen Dr.G.Wolf in Chemnitz, versucht er die Problematik der Auswanderung, die zum Nachteil Deutschlands ist, klar zu machen:

 

"Lieber Herr Doktor!

Ich kann Ihren Wunsch verstehen, Ihr Heil in der Fremde zu suchen. Scheint doch die heutige wirtschaftliche Lage Deutschlands es fast unmöglich zu machen, Ihr Können zum Besten der Wissenschaft mit Erfolg zu verwenden. Obwohl ich ganz mit Ihnen darin übereinstimme, dass die Wissenschaft keine nationale Grenzen kennen und nur im Dienste der Erforschung der Wahrheit stehen soll, kann ich doch Ihren Wunsch nicht billigen. Es fragt sich für Sie, wo Sie durch Ihr Wissen und Können am fruchtbarsten wirken können; und da scheint mir die unzweifelhafte Antwort zu sein: In der Heimat, die der Hilfe aller derer bedarf, die über Vorzüge des Geistes und des Charakters verfügen. Das geistige Leben der Menschheit verlangt von Ihnen, dass Sie Deutschland nicht geistig verarmen lassen und das Aufgeben des Vaterlandes in jetziger Zeit , von jedem, der etwas zu leisten imstande ist, bedeutet nicht nur einen unersetzlichen Verlust für Deutschland , sondern auch einen Verlust für die Menschheit ..... Welche hohen Aufgaben stehen Ihnen zu Hause bevor! Wenn Sie auch mit geringen Hilfsmitteln arbeiten, dürfen Sie doch erwarten, dass Ihre Bereitschaft der Wissenschaft unter schwierigen ökonomischen Verhältnissen zu dienen, reiche Früchte tragen wird.....

Die wahre Größe zeigt sich in der Überwindung äußerer Widerstände.....

Wenn dem Staate wegen der Bürden, die ihm auferlegt sind und die er nicht abschütteln kann, die Mittel versagt sind, die Erziehung genügend zu pflegen ..., dann ist es Ihre Aufgabe , diese Hemmnisse zu überwinden und zwar dadurch, dass Sie die Erziehung und Forschung, die der Staat nicht ausreichend pflegen kann, selbständig machen. Der Drang nach Wissen ist so heiß wie je, und der junge Mann ist stets zu Opfern bereit, um sich zu vervollkommnen und zum Kampfe fürs Leben auszurüsten. Verlangen Sie von jedem, dass er als Ersatz für das Recht auf eine Erziehung, die seinen Anlagen entspricht, einen entsprechenden Teil seiner produktiven Kraft widmet, und sie werden sich zum großen Teile von dem Zwange der Verhältnisse befreien.

.......Mein Zweck ist, Ihnen zu zeigen, dass Ihnen, den jungen Gelehrten,

die Jahre ihres Lebens dem Kampf für das Vaterland gewidmet haben, wichtige Aufgaben zufallen, die lösbar sind und die Sie berufen sind zu lösen und denen Sie sich nicht entziehen dürfen. Haben Sie Mut! Dann wird sich auch der Weg finden, der aus dem Elend der Gegenwart zu einer glücklichen Zukunft führt.

    Ihr aufrichtig ergebener  F r a n z  B o a s".

 

Seine Treue zur Burschenschaft wird in zwei Aufsätzen der Alemannen-Zeitung deutlich. So erscheint in der Nummer 4 vom Juli/August 1924 der Bericht eines gewissen L. Aschoff, der im Juni 1924 als wissenschaftlicher Vortragender einige Universitätsstädte der USA aufsuchte. Von New York meint er, dass dort seine zwei treuen (!) Bundesbrüder Franz Boas und Willy Meyer sich "rührend" um ihn

Gesorgt hätten.

 

Und in der Alemannen-Zeitung vom Oktober 1998 schreibt Franz Kerkhof: "Vom September 1932 bis August 1934 studierte ich in den USA am Amherst-College in Amherst Massachusetts als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Amherst liegt etwa 200 km nördlich von New York City. Nach meinen Notizen aus der damaligen Zeit fuhr ich am 17.Dezember 1932 zur Weihnachtskneipe der Vereinigung Alter Burschenschafter und Landsmannschafter in New York City. Es gab viel Bier (z.Z. der Prohibition) und Altes Haus Boas bezahlte alles, wenn er auch des schlechten Wetters wegen selbst nicht teilnahm. Es wurden deutsche Lieder gesungen, Reden gehalten und neue deutsche Witze erzählt....

 

Am Sonntag darauf habe ich Boas in seinem Haus besucht und war tief beeindruckt, wie er - der schon vor vielen Jahren nach den USA immigriert war - in seinem Hause das Deutschtum bewahrte. Er reiste etwa jährlich nach Deutschland per Schiff... Er brachte seinen Enkeln regelmäßig deutsche Kinderbücher und deutsche Grammophonplatten mit und sang mit ihnen deutsche Lieder. Boas war in erster Linie ein Deutscher ... " Mit resignierenden Worten endet Kerkhof seinen Bericht:"Seine Bücher wurden später von nationalsozialistischen Studenten verbrannt".

Boas als Gegner des Nationalsozialismus

Der Brief der Burschenschaft für Boas

Boas war also durch den Nationalsozialismus tief getroffen und beleidigt.

Aus den Vereinen wurden Juden entfernt, auch die Burschenschaften standen unter dem Druck, ihre jüdischen Mitglieder hinaus zu werfen. Dabei ergaben sich große Probleme, denn oft bestanden zwischen den Bundesbrüdern sehr enge Beziehungen. Daher wollte man auch in der Bonner Burschenschaft Alemannia ihren Bundesbruder Franz Boas nicht verlieren. Davon kündet ein Brief, den der Bundesleiter der Burschenschaft Alemannia Rechtsanwalt Dr. Bonhage am 21. Mai 1935 an den "Sprecher der Alten Burschenschaft" Dr. K. Hoppmann schrieb. Offensichtlich hatte dieser Herr mit der Frage des Hinauswurfs von jüdischen Burschenschaftern aus ihren Bünden zu tun. In diesem Brief heißt es:

 

"Sehr geehrter Herr Hoppmann!

Als Bundesleiter meiner Burschenschaft und unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 14.d.Mts., sowie den Beschluss der Bundesleitertagung der Alten Burschenschaft in Frankfurt a. M. vom 12.Mai 1935 bitte ich hiermit, bei der für eine solche Entscheidung zuständige Instanz zu beantragen,

 dass meinem Bundesbruder Dr. Franz Boas aus Grantwood, New Jersey, 230        

 Franklin Av. USA  das Verbleiben in der Burschenschaft Alemannia zu Bonn  

 gestattet wird.

 Zur Begründung tragen wir folgendes vor:

 Herr Prof. Dr. Boas ist geboren am 8..7. 58 in Minden als Sohn eines dortigen Kaufmanns. Er ist Volljude. Seit der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lebt er in Amerika. Er ist heute 77 Jahre alt.

  Herr Professor Boas ist Professor für Anthropologie an der Columbia Universität in New York und zurzeit einer der ersten und angesehensten Rasseforscher Amerikas.

Er war einer der wenigen, die noch während des Krieges öffentlich für Deutschland zu reden wagten. Er wurde bekannt durch sein Eintreten für den zu Zuchthausstrafe verurteilten deutschen Generalkonsul Bänz. Nach dem Kriege gehörte er zu den Wiederbegründungen der Germanistic Society.

Er begründete persönlich eine Hilfsaktion für die deutschen Bibliotheken und sammelte jahrelang in mühevoller Kleinarbeit große Mittel zu diesem Zwecke und zwar in kleinen und kleinsten Beträgen von wenigen Dollars, da große Geldgeber für Deutschland noch nicht vorhanden waren. Die von ihm gesammelten Gelder verteilte er zuerst persönlich, später durch Vermittlung der inzwischen begründeten Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft. Wegen seiner Verdienste um das Deutschtum wurde er von seiner früheren Universität Bonn zum Ehrenbürger ernannt. Während der Deutschenhetze nach dem Kriege war er behilflich, deutschfreundliche Artikel insbesondere Artikel gegen die Besatzungsgreuel in den Rheinlanden in der "Nation" zu veröffentlichen, einer in Amerika viel gelesenen und bedeutenden Wochenschrift.

Mit altburschenschaftlichem Gruß und

Heil Hitler !

Dr. Bonhage

Bundesleiter "

 

Obwohl seine Bundesbrüder sich für ihn einsetzen, ist Franz Boas durch den sich in Deutschland breit machenden Antisemitismus zutiefst getroffen. Wahrscheinlich um seiner Burschenschaft keine Schwierigkeiten zu machen, tritt Boas 1935 aus dieser aus, obwohl sich seine Bundesbrüder ihm eng verbunden fühlten, wovon dieser Brief zeugt. Jedenfalls fühlte sich Franz Boas von dem Deutschland, das er geliebt hat, betrogen. Er schreibt 1933 dazu: "Für jemand, der ein so starkes Heimatgefühl hat wie ich, ist dies alles schwer zu tragen". Und um 1940 hält Boas fest: "Das was ich tue, tue ich aus Liebe zu Deutschland und in der Überzeugung, dass der Wahnsinn, der sich des Volkes bemächtigt hat, nicht dauern kann".

Sein Deutschtum , das er mit in die USA nahm, bedeutete ihm viel, mit diesem verband er die Ideale von Freiheit und Demokratie , wie sie im Jahre 1848 erkämpft wurden.

 

Enttäuscht von Deutschland, dem seine Liebe gehörte, stirbt Boas am 21. Dezember 1942 bei einem Festessen, so wie man es von ihm erwartet hatte: in den Schuhen und nicht im Bett.

QUELLEN:

Alemannenzeitung,

Douglas Cole, Franz Boas - ein Wissenschaftler und Patriot zwischen zwei

    Ländern.   In: Volker Rodekamp (Hg.),, Franz Boas , 1858 - 1942 -

    Ein    amerikanischer Anthropologe aus Minden. Texte und Materialien

    aus dem Mindener Museum, Heft 11, Bielefeld 1994.

Roland Girtler, Randkulturen, Theorie der Unanständigkeit, Wien 1996

Roland Girtler, Methoden der Feldforschung, UTB (Universitätstaschenbücher)

     2001

Siegfried Haider, Berichte aus der Neuen Welt , Linz 2000.

 Abraham Kardiner und Edward Preble,,1974, Wegebereiter der modernen  

Anthropologie, Frankfurt a. . 1974.

Erich Kasten, Franz Boas , ein engagierter Wissenschaftler in der

     Auseinandersetzung mit seiner Zeit, in: Staatsbibliothek zu Berlin (Hg.),,Franz

     Boas -  Ethnologe, Anthropologe, Sprachwissenschaftler, o.J.

 A.L. Kroeber, "Franz Boas, the Man", American Anthropologist New Series Memoirs,    

     Vol. 61, Nr,5 part 2, October 1959, S 5-26.

Erich Püschel, Franz Boas (1858-1942) Amerikas großer Ethnologe, als deutscher  

     Student und Assistent. Zum 125. Geburtstag, in: curare, Vol. 6, 1983, S81-84.

Bernd Weiler, Die Kulturanthropologie von Franz Boas im ideengeschichtlichen und 

     wissenssoziologischen Kontext, Graz 1997 (unveröffentl. Diplomarbeit).

 

Mein Dank gilt Herren der Burschenschaft Alemannia zu Bonn, die mir die zitierten Briefe und Aufsätze zukommen ließen.