Eine Zeit nach Pepi Taschners Eingang in das himmlische Paradies, das ich ihm gönne, erhielt ich von einem ehemaligen Zellengenossen Pepis einen Brief, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich antwortete ihm und erhielt dann noch einen Brief von ihm. Beide Briefe halte ich in Ehren.
Der Name dieses Mannes ist Ernst Zafirakos. Ich nenne ihn beim vollem Namen, da ich denke, dass dies ist auch so in seinem Sinn ist, denn er ist ein ehrenhafter und gescheiter Mann, der viel zu sagen hat. Seine beiden Briefe sind sehr wertvoll, gerade in Hinblick auf das Verstehen der Welt der Kriminalität und des Gefängnisses, wobei er keineswegs seine Straftaten und die anderer entschuldigt. Im ersten Brief schildert der Schreiber Pepi als einen guten Menschen, der Zeit seines Lebens nach Anerkennung strebte. Ausdrücklich hält er fest, dass Pepi kein Verbrecher war. Interessant an diesem Brief ist die Beschreibung der damaligern Erziehungsanstalten, die für die Burschen die Hölle waren.
Berührend ist die Geschichte mit seinem Kätzchen, das ihn davor bewahrte, wieder kriminell zu werden. Ich habe versucht, mit Herrn Zafirakos wieder Kontakt aufzunehmen, doch dies war erfolglos.
Ich gebe die beiden Briefe zunächst wegen der besseren Lesbarkeit transkribiert wieder, danach im Original.
Dies sind die beiden Briefe:
Wien, am 20.3. 1999
Sehr geehrter Dr. Univ. Prof. Girtler !
Ich lese gerade ihr Buch „Randkulturen“. Damit holt mich die Vergangenheit ein. Ich war nämlich damals dabei. Mit 18 Jahren wurde ich zu einer Haftstrafe in der Dauer von 8 Jahren verurteilt. Dies war im Jahre 1966. Ich habe noch mit Max Gufler (ein bekannter Frauenmörder) in der Druckerei gearbeitet. Ich war Zellennachbar von Rogatsch (Mörder einer Studentin), der (im Gefängnis Stein von einem Mitgefangenen) selbst ermordet wurde. Ich war dabei, als der Häftling Schicho von Unger Motzl hingerichtet wurde.
Vor allem war ich 1 Jahr der Zellengenosse vom Taschner Pepi! Pepi war ein seelenguter Mensch! Er konnte normalerweise keiner Fliege etwas tun. Er suchte sein ganzes Leben aber Freundschaft und Anerkennung. Diese Tatsache wurde leider von gewissen Leuten total ausgenützt. Ob die nun Schmutzer, Kolar oder Karrer Heinz geheißen haben. Sie (R. G.) haben den Pepi einmal weinen gesehen, Ich habe dies öfters erlebt. Zum Beispiel 10 Minuten vor einem gemeinsam geplanten Ausbruch!
(S 2) Pepi hatte einfach Angst und weinte aus Scham. Wenn man aber über die so genannten Größen wie Christa, der Gschwinde, den Oiden (Franz Altmann) sprach, leuchteten seine (Pepis) Augen und seine übergroßen Kieferknochen verzogen sich. Ich habe Pepi zuletzt ein paar Monate vor seinem Tod am Westbahnhof getroffen. Leider total herunter gekommen und verzweifelt auf der Suche nach einer Freundin von ihm.
Lieber Herr Dr. Girtler, ich habe 18 Jahre Häfen hinter mir. Diese traurige Tatsache hat einen Grund: „Erziehungsanstalt Kaiserebersdorf“. Das war die eigentliche Hölle! Was dort mit uns geschehen ist, war das wahre Verbrechen.
Vielleicht schreiben Sie einmal über diese Anstalt, wo „Verbrecher“ regelrecht gezüchtet wurden. Es leben heute noch viele „Erzieher“ von damals, die heute alles zugeben.
Bitte sagen Sie mir noch, wo es das Buch „Die kriminelle Karriere des Pepi T.“ zum Kaufen gibt.
Mit Ihren Büchern haben Sie mir eine große Freude gemacht.
Achtungsvoll
„Zaferl“
Zafirakos Ernst
Ich antwortete Herrn Zafirakos und schickte ihm das im vorigen Kapitel wiedergegebene Bild, das Pepi Taschner mit seiner Basketballmannschaft im Gefängnis Stein zeigt.
Herr Zafirakos antwortete mir darauf dies:
Wien, am 25.4. 1999
Sehr geehrter Herr Dr. Girtler !
Vorerst herzlichen Dank für Ihren lieben Brief. Als ich das beigelegte Foto sah, erfasste mich eine erstaunliche Art der Nostalgie. Vielleicht geht mir das Freuen über kleine Dinge ab, die Zusammengehörigkeit und Kameradschaft.
Sie haben es genau getroffen, unser Pepi hatte einen Verfolgungswahn. Hatte ich damals mit jemandem gesprochen und zufällig zu Pepi hingeschaut, bekam er sofort sein unruhiges Flackern in den Augen. Er litt auch sehr unter seiner stark ausgeprägten Kieferpartie. Das beigelegte (von R. G.) Foto muss für Pepi sehr kostbar gewesen sein. Nicht wegen des sportlichen Erfolges, sondern wegen Schmutzer Loisl und Pekarek ! Diese Leute waren für Pepi leider Götter! Tatsächlich haben diese falschen Freunde seinen Minderwertigkeitskomplex schamlos ausgenützt. Ich halte Pepi in guter Erinnerung. Er war ein guter aber schwacher Mensch. Aber nie und nimmer ein Verbrecher !
(S 2) Ich selbst war gerade 18 Jahre alt, als ich zu 8 Jahren Haft verurteilt wurde- Ich habe sie alle gekannt, die so genannten Unterweltler. Oder die berühmten Mörder wie Gufler, Rogatsch und Weinwurm usw. Für die meisten von ihnen hat das Armen Sünder Glockerl im Moser - Gartl (Friedhof in Stein, benannte nach dem frühren Gefängnisarzt Moser) schon lange geläutet.
Leider wurden viele der damaligen Ereignisse total falsch wiedergegeben und verzerrt. Ich denke dabei an den Gruselroman eines Heinz Sobota „Der Minusmann“! Auch an das Buch von Heinz Karasek. Ich habe mich über diese Art Lügengeschichten sehr geärgert.
Ich selbst bin seit 12 Jahren straffrei. Ob Sie es glauben oder nicht, diese Tatsache verdanke ich einem kleinen Kätzchen! Was die Gesellschaft und die Gerichte nicht schafften, hat dieses Tier geschafft. Es hat mich einfach vor die Wahl gestellt: „Gehst du wieder in den Knast, so muss ich ins Tierheim. So einfach kann Resozialisierung sein!
Sehr geehrter Herr Dr. Girtler, bezüglich (S 3) Kaiserebersdorf möchte ich Ihnen einmal über Kirchberg am Wagram erzählen. Das war eine Außenstelle von Kaiserebersdorf. Als ich nach einer Flucht von Ebersdorf wieder gefasst wurde, bekam ich 6 Monate Kirchberg aufgebrummt. Es war die Hölle! Schläge und Hunger waren noch auszuhalten. Weniger schön war das Eintauchen des Kopfes in die Latrine. Oder wenn einem der vorletzte Fußnagel ohne Narkose oder Spritze gezogen wurde. Bei minus 10 Grad hat man 2 Briketts zum Heizen bekommen usw. Das sind keine Märchen, da die einstigen Täter meine Zeugen sind! Als ich damals nach 6 Monaten wieder in die Anstalt Kaiserebersdorf zurückkam, glaubte ich mich im Paradies. Lieber Herr Doktor, vielleicht sollten gerade dies die
Menschen erfahren, die uns noch heute ausgrenzen und nie mehr eine Chance gaben und geben!
Noch einmal Danke für Ihren Brief und das Foto, Auch ich würde mich freuen, Sie einmal persönlich kennen (S 4) zu lernen. Es tat nämlich gut, mit jemandem reden zu dürfen, ohne gleich verurteilt zu sein.
Ich hoffe und warte ein neues und baldigstes Buch von Ihnen.
Auch hat mir der Beitrag im Fernsehen sehr gut gefallen, wo Sie per Fahrrad unsere sündige Meile (Gürtel) entlang fahren.
Mit großer Hochachtung
grüße ich Sie herzlich
Ernst Zafirakos
(Zaverl)
Diese beiden Briefe geben gut den seelischen Druck wieder, den gerade junge Menschen in den früheren Erziehungsanstalten und im Gefängnis erlebt haben und erleben. Die Suche nach Anerkennung und Liebe bestimmt das Leben so mancher, die sich aus der „Gesellschaft“ ausgeschlossen sehen. Ihre Götter sind die großen Ganoven und ihre Feinde die Polizisten und Richter.
Das Gefühl, geliebt zu werden, kann helfen, dem Teufelskreis der Gewalt und der steten Erniedrigung zu entkommen. So ist es im Falle des Briefschreibers ein kleines Kätzchen, wie zu lesen ist, das ihm das Gefühl der Liebe gibt. Es ist dieses Kätzchen, das ihn davon abhält, nicht mehr kriminell zu werden. Dieses Tier hat erreicht, was Sozialarbeit und andere Einrichtungen nicht erreicht haben.
Ich gebe hier die beiden Briefe von Herrn Zefirakos an mich im Original wieder: