Liebe Damen und Herren !
Dies ist mein 8. Hirtenbrief. Ich hoffe, dieser erreicht Sie bei bester Gesundheit. Rate Ihnen zu Wanderungen in frischer Luft. Bin im Gebirge zwischen den Felsen. Gestern begegnete mir in freier Wildbahn ein junger Stier, der offensichtlich auf der Flucht war. Das Tier hat meine Sympathie.
Dieser Brief bezieht sich, nachdem ich im letzten Brief die
Prostitution abgehandelt habe, auf eine andere "Randkultur der Kriminalität und des verpönten Geschäftes", nämlich auf die der Schmuggler. Um mit alten und neuen Schmugglern in Kontakt zu kommen, radelte ich nach Tirol zur Grenze nach Italien und nach Vorarlberg, wo ich in Lustenau sogar einen Kontakt zu einer Schmuggler-Wirtin bekam. Im Anhang finden Sie u,a, ein Gespräch, das ich mit einem Wiener Rauschgiftschmuggler führte, aber auch ein Gespräch mit einem Waffenschmuggler, zu dem zu gelangen, nicht einfach war.
Mit dem Schmuggel ist ein großes Geschäft verbunden. Als Soziologe interessieren mich die kleinen Leute und die Hintergründe des Drogenschmuggels usw. Bitte lesen Sie die angehängten Texte.
Es würde mich freuen, wenn Sie mir zu meinen Texten etwas schreiben. Alle, die mich anschreiben, möchte ich Ende Juni zu einer Fahrt mit der Geisterbahn im Wiener Prater einladen. Auch dabei habe ich es mit Grenzen zu tun.
Das Buch, das ich über Grenzen und Schmuggler schrieb, wurde im ehemals berühmten Wiener Nachtlokal Moulin Rouge präsentiert. Hatte Studentinnen
und Studenten sowie meine Kollegen zu dieser eingeladen. Von meinen Kollegen fanden nur ganz wenige den Mut, die Grenze zu dem Nachtlokal zu überschreiten. Wünsche Ihnen das Allerbeste
Ihr Roland Girtler
Bei meiner Radtour im Jahre 1990 , in der ich alte Schmugglerkulturen an den österreichischen Grenzen ausfindig machen wollte, radelte ich u.a. von Tirol kommend über die Silvrettastraße und weiter auf den Flexenpass. Ich hatte die Absicht, weiter über das Lechtal nach Reutte zu radeln. (Über diese Radtour schrieb ich das Buch „Vom Fahrrad aus – kulturwissenschaftliche Gedanken und Betrachtungen“ Lit.-Verlag 2. Aufl. 2011).
Am Flexenpass rastete ich, dabei kam ich mit drei Radlern aus Vorarlberg ins Gespräch, einer von ihnen war ein Lehrer. Diesem erzählte ich von meinem Interesse an Schmugglern. Der radelnde Lehrer verwies mich an Herrn Regierungsrat Bösch in Lustenau , der sich mit der Geschichte des Schmuggelns in Vorarlberg gut auskenne. Ich nahm nun den Weg durch den Bregenzer Wald , radelte über das Bödele nach Dornbirn und schließlich kam ich nach Lustenau, wo einst angeblich der Schmuggel blühte. Im Gasthof „Krone“, den es heute nicht mehr gibt, nahm ich mir ein Zimmer . Im Gemeindearchiv von Lustenau traf ich am nächsten Tag Herrn Regierungsrat Bösch, den Leiter dieses Archivs – heute ist dessen Leiter mein Freund Dr. Scheffknecht , der mir auf meine Bitte hin alte Gerichts und Gemeindeprotokolle zeigte, in denen ich von verwegenen Schmugglern las, die bereits Ende des 18. Jhdt,’s Schmuggelgut im Schutze der Nacht auf kleinen Booten von der Schweiz nach Lustenau brachten. Nicht bloß junge Männer waren schmuggelnd unterwegs, auch wagemutige Frauen wurden als Schmugglerinnen von den Zollbeamten festgenommen. So las ich in einem Protokoll aus dem Jahre 1897 von einer berüchtigten Dame, die sich derart über die Grenzbeamten, die sie beim Schmuggeln erwischt hatten, aufgeregt hat, dass sie die Beamten wüst beschimpfte. Um der Beschimpfung noch besonderen Nachdruck zu verleihen, zog sie sich vor den Schmugglerin demonstrativ nackt aus. Für die Grenzer mag diese Aktion unerwartet und verblüffend gewesen sein. Lustenau ist voll von Schmuggelgeschichten, heute noch. In Zeiten der Armut, wie sie noch nach dem letzten Krieg vorherrschten, schafften Schmuggler aus der Schweiz über den Rhein jene Sachen, die für das tägliche Leben von Bedeutung sind. Dazu gehörten Kostbarkeiten wie Zucker oder Saccharin, Tabak, Schokolade und Leukoplast. Man erzählt mir vom Gasthaus „Zum Lamm“ in der Mitte von Lustenau. Die Wirtin dieses Gasthauses sei sehr alt, sie wisse aber viel über die alten Schmuggler. Ich radle zu dem angegebenen Gasthaus. Ich betrete es, nachdem ich das Fahrrad abgesperrt und an die Mauer des Hauses gelehnt habe. Alte Tische und Stühle umgeben mich. Die Atmosphäre des Gastzimmers erinnert an vergangene Zeiten. Heutige Gasthäuser sind steril und sauber. Hier wird einem noch die Bierflasche auf blankem Holz serviert. Drei Männer sitzen um einen Tisch und trinken ihr Bier. Ich grüße und frage , ob ich mich zu ihnen setzen darf. Sie bejahen. Ich bestelle ein Bier, ein trockenes Brot und einen Käse aus Vorarlberg. Ich trinke den Herren zu. Ich beginne ein Gespräch mit ihnen, doch ihre Antworten in Lustenauer Dialekt verstehe ich kaum. Einer der drei hat Mitleid mit mir und übersetzt mir, was sein Kollege erzählt hat. Dann bemüht man sich, einigermaßen verständlich über alte Schmugglerwege zu erzählen. Auch singen die drei mir das Lustenauer Schmuggellied vor, ich halte es auf meinem Kassettenrecorder für die Ewigkeit fest. Ich verabschiede mich nach einigen Schluck Bier und suche Herrn Otto Hofer, den Lustenauer Heimatdichter, auf. Von ihm hatte man mir erzählt, er würde sich mit dem Schmuggelrouten, die über den Rhein in die Schweiz führen, auskennen. Ich radle zu seinem Haus, das man mir beschrieben hat. Ich werde sehr freundlich von Herrn Hofer empfangen. Er erzählt auch über ein Rohr, das durch den alten still gelegten seichten Rheinarm in schweizerisches Gebiet führt und das zum Schmuggeln sich bestens eignete (zum Verständnis: vor der Rheinbegradigung im Jahre 1920 führte der Rhein in einem Bogen um Diepoldsau. Nach der Begradigung nun fließt der neue Rhein hinter Diepoldsau. Das Gebiet zwischen dem alten Rheinarm und dem neuen Rhein blieb Schweizer Gebiet, in das man nun über den alten Rheinarm leicht gelangen konnte). Über dieses Rohr flüchten während des letzten Krieges von den Nazis verfolgte Juden ( darüber gibt es ein Buch und eine Gedenktafel bei diesem Rohr erinnert daran Ich danke Otto Hofer sehr für seine Hinweise.
Um die Orte, die von den Schmugglern und Flüchtlingen genutzt wurden, aufzusuchen, radle ich über den Rhein bei Au in das Schweizer Städtchen Diepoldsau, in dem die Schmuggler ihre Waren abholten, um sie über den alten Rheinarm zu schmuggeln. Ich fahre zum Grenzübergang mit der Holzbrücke über den „alten Rhein“, er präsentiert sich als ein ruhiges Wasser mit viel Gebüsch an den Ufern. In der Mitte der Holzbrücke mache ich ein Foto vom Rhein. Dann suche ich das berühmte Rohr, über das im Dunkel der Nacht Schmuggler und Flüchtlinge wanderten. ich finde es auch und fotografiere es. Der Zollbeamte, der mich eine Zeit beobachtet, ist verwundert über meine Aktivitäten. Jedenfalls erhalte ich als einsamer Radfahrer einen interessanten Einblick in die Welt des Schmuggels bei Lustenau in Vorarlberg.
Bei meinem Aufenthalt in Lustenau lernte ich den Historiker Professor Dr. Wolfgang Scheffknecht, seine liebe Frau Helga, seine liebe Frau Mutter und seine drei hübschen Töchter kennen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die bis heute andauert. Ich habe die Familie Scheffknecht bei weiteren Radreisen wieder aufgesucht und wurde stets gastlich aufgenommen. Dafür sei ihnen gedankt.
Den liebenswürdigen Scheffknechts danke ich sehr für das bequeme Nachtlager, das sie mir stets auf meinen Radreisen bereiteten - einmal kam ich nach einer Tour von Italien herauf über Davos und Liechtenstein in Lustenau an. Und ein andermal radelte ich vom Bodensee über St. Gallen nach Lustenau. Jedesmal wurde ich mit offenen Armen aufgenommen.
Wolfgang lud mich einigemale ein, vor dem Lustenauer Kulturverein aus meinen Forschungen über Randkulturen zu erzählen. Jedesmal machte es mir eine Freude, bei den Lustenauern zu sein. Ich hoffe, das man sich meiner mit Wohlwollen erinnert. Am Vormittag nach dem Vortrag wanderte ich stets zu Fuß durch die Wiesen bei Lustenau und entlang der Ache nach Dornbirn, wo ich den Zug nach Wien bestieg, Ich erinnere mich gerne an diese Wanderungen.
Als ich vor ich vor einige Jahren wiederum nach Lustenau eingeladen war, um über meine Forschungen über Schmuggler in Vorarlberg vor versammelten Honoratioren samt Bürgermeister von Lustenau zu erzählen, hatte ich das Pech, dass mir mein Manuskript - ich war an diesem Tag übermüdet - durcheinander geriet und ich plötzlich das berühmte Blackout hatte. Ich wusste nicht mehr, was ich erzählen sollte. Ich musste meinen Vortrag beenden. Ich entschuldigte mich zwar wegen dieser Peinlichkeit, aber man lud mich nie wieder ein in Lustenau.
Ich verstehe das. Ich gestatte mir von dieser Stelle aus, mich noch einmal für meinen verunglückten Vortrag zu entschuldigen, vor allem beim Herrn Bürgermeister. Sollte man es dennoch wagen, mich noch einmal zu einem Vortrag einzuladen, so verspreche ich, dass mir so ein Unglück nicht noch einmal passiert.
Ich werde den Herrn Bürgermeister demnächst einmal bitten, mir die Möglichkeit zu geben, in einem Saal der Gemeinde aus meinen Forschungen bei Schmugglern in Vorarlberg zu erzählen. Für Quartier und Kost komme ich selbst auf. Auch will ich kein Honorar. Ich würde jedoch den Herrn Bürgermeister und seine Kumpaninnen und Kumpanen auf je ein Getränk einladen. Das wird mir eine Ehre sein.
Schöne Erinnerungen verbinden mich mit meiner Forschung in Lustenau. Zu dieser Erinnerung gehört auch die alte Schmugglerwirtin, wie ich sie nenne, von Lustenau, bei der ich einen spannenden Abend verbracht habe. Sie war die Wirtin vom Gasthaus “Zum Lamm”. Darüber schrieb ich in meinem Schmugglerbuch (Abenteuer Grenze - Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und “heiligen” Räumen”
Lit-Verlag) dies:
In der “Kronen Zeitung” schrieb ich über meine Forschung in Lustenau diesen “Streifzug” (einige Passagen in diesem sind allerdings ähnlich einigen obigen Beschreibungen von mir - bitte um Nachsicht):
Einem uralten Schmugglerthema habe ich mich ebenso in meinem genannten Buch “Abenteuer Grenze” gewidmet, es ist das Thema der Menschenschmuggler.
Spannende Stunden verbrachte ich mit Bruno Öttl, der zu meinem Freund wurde, bei ehemaligen Tiroler Saccharinschmugglern, die in der Zwischenkriegszeit mit dem Schmuggeln von Saccharin aus Samnaun in der Schweiz nach Tirol gut verdient haben - damals war Saccharin in Österreich verboten, um der Zuckerindustrie nicht zu schaden (Saccharin war um einiges billiger als der Zucker). Diese Saccharinschmuggler waren durch ihre braune Gesichtsfarbe zu erkennen, da sie bei ihren Märschen über die Jöcher der Sonne direkt ausgesetzt waren. Ich glaube in Ischgl hieß eine Siedlung “Saccharinsiedlung”, da sie vom Geld des Saccharnschmuggels erbaut wurde.
In meinem Buch “Über die Grenzen” schrieb ich über diese Art des Schmuggels. Eingangs gehe ich in Verbindung mit meinen Dankesworten für Bruno Öttl auf den Schmuggel von Kuhhäuten ein. Bei einem solchen Schmuggel war seine Mutter beteiligt:
Die Faszination der Grenze - im Moulin Rouge