Fritz Roubicek vulgo Brünndel - ein Nachruf auf einen jüdischen farbenstudentischen Freund

Fritz Roubicek
Fritz Roubicek

Ich möchte hier meines Freundes Fritz Roubicek, der Mitglied einer jüdisch-nationalen schlagenden Verbindung, besonders gedenken. F

 

ritz Roubicek hieß mit seinem Kneipnamen Brünndel. Er wurde 1913 in Wien geboren und starb hier 1990. Brünndel besuchte die Höhere Technische Lehranstalt für Textilhandel und studierte an der Hochschule für Welthandel. Zunächst wurde er Mitglied der schlagenden Zionistischen Techniker-Verbindung Jordania, ab 1936 war er ebenso Mitglied in der Jüdisch-akademischen Verbindung Unitas, die ihn besonders geprägt zu haben schien. Nach seinen Erzählungen dürfte er ein guter Säbelfechter gewesen sein.

 

Daneben war er, wie ich von ihm erfuhr, auch Ringer. Als solcher hat er es zu österreichischen Meisterehren gebracht. Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 floh er mit seiner Frau nach Frankreich, wo er sich der Résistance anschloss. Er wurde von der französischen Polizei verhaftet, an die Deutschen ausgeliefert und von diesen in das KZ Auschwitz gebracht, in dem er dreieinhalb Jahre inhaftiert war. Er nahm an dem berüchtigten Todesmarsch nach Buchenwald teil. Nach seiner Befreiung erfuhr er, dass seine ganze Familie im Ghetto Minsk umgekommen war. 1947 heiratete er seine liebe Frau Liliane, die wir Lilli nannten. Er war Angestellter bei der Österreichischen Mineralölverwaltung. Sein Humor, mit dem er seine Freunde zu unterhalten pflegte, war großartig.

 

Nach seiner Pensionierung verfasste Brünndel das Büchlein „So streng war´n dort die Bräuche! – Erinnerungen eines alten jüdisch-nationalen Couleurstudenten“ (Wien 1983), in dem er das couleurstudentische Leben in den Wiener jüdischen Verbindungen farbenreich schildert.

Sehr freue ich mich über Brünndels persönliche Widmung dieses Buches für mich, wobei er dazu schrieb: Vivat Unitas, Vivat Symposion!

 

In seiner Einleitung schreibt Brünndel zunächst, dass er ein, wenn schon kein berühmter, so doch ein berüchtigter Erzähler von Witzen ist. Heiter beginnt er sein Buch mit der Bemerkung, dass dieses Buch besser als „gar nix“ sei, um die Erinnerung an altes jüdisches Couleurleben wach zu halten. Schließlich schreibt er:

 

„Es stellt sich nun die Frage, was mich zur Abfassung meiner Abhandlung bewogen hat. Dafür gibt es mehrere Gründe. Persönlicher Ehrgeiz ist nicht darunter. Ich habe aber, ganz im Gegensatz zu einigen meiner noch lebenden Bundes- und Verbandsbrüder ein ungebrochenes Verhältnis zu meiner Vergangenheit. Weiters wage ich in aller Bescheidenheit zu behaupten, dass die Angehörigen der jüdisch-akademischen Verbindungen zu den treuesten Paladinen Theodor Herzls gehören und dass ohne sie wahrscheinlich heute kein Staat Israel existieren würde. So fügt sich eins ins andere. Hätte die Burschenschaft Albia seinerzeit Herzl nicht hinaus geekelt, gebe es heute keinen Nahostkonflikt. Zur Strafe dafür soll bei der nächsten Kneipe der Senior (Sprecher) der Albia dreimal hinein steigen (in die Bierkanne). Aber bitte voll“.

 

Interessant an dieser Einleitung ist nicht nur die Überlegung von Fritz Roubicek bezüglich des Nahostkonfliktes, sondern auch der Hinweis auf ein altes studentisches Ritual, nach dem jemand, der an der Kneiptafel sich etwas zu Schulden kommen hat lassen, zur Strafe seinen Bierkrug in zeremonieller Weise zu leeren hat.

 

Als ich kurz nach Erscheinen dieser Schrift davon hörte, erwarb ich sie und las sie mit Begeisterung. Brünndel beendet seine Schrift mit einem wehmütigen, von ihm selbst verfassten Gedicht, welches ich gegen Schluss meiner Ausführungen bringen werde. Mich berührte dieses Gedicht sehr. Ich rief Brünndel an und sagte ihm, dass ich aus seinem Büchlein viel gelernt habe. Wir trafen uns, es entstand eine schöne Freundschaft.

 

Besonders beeindruckend für mich in dem Buch von Fritz Roubicek war folgende Passage:

 

„Wir jüdisch-nationalen Couleurstudenten sind vom Leben fürchterlich misshandelt worden. Wir haben alles verloren, was uns lieb und teuer war und sind mit unserer Vergangenheit buchstäblich allein. Gleichzeitig aber sind wir wie alte, ausgediente Kavallerierösser. Da grasen wir friedlich auf der Weide und schnuppern nur hie und da an den Narben jener Wunden, die uns das Leben schlug. Plötzlich trägt der Wind die Töne eines Marsches an unser Ohr, der von einer Musikkappelle gespielt wird. Wir heben die Köpfe, unsere Augen beginnen zu glänzen, unsere Haltung wird straffer, wir denken an unsere Jugend, nein, wir sind wieder jung! So ergeht es uns, wenn wir den Klang eines jener Lieder hören, die wir einst gesungen haben, als uns der Himmel voller Geigen hing“.

 

Brünndel fügt noch ein Gedicht hinzu, das er den „Treuesten der Treuen“ widmet. Es ist überschrieben mit „Fiducit“ (von lat. Fiducia sit – es möge Treue sein). Ich will es hier in seiner ganzen Länge wiedergeben.

Fiducit

„Der zahnlose Alte, den niemand besucht

Ward oft von den anderen Kranken verflucht,

Weil er im Schlaf laut röchelt und schreit.

Jetzt liegt er ganz ruhig. Ist’s bald so weit?

 

Da hört er auf einmal leises Lachen:

„Na, alter Leibfuchs, was treibst du für Sachen?

Bei solchem Wetter im Bette zu liegen?

Draußen ist´s schön, es lockt das Vergnügen“.

 

„Du glaubtest vielleicht, du siehst uns nicht wieder?

Blick um dich, hier sind all die teuren Brüder,

Die uns die Jugend so fröhlich gemacht.

Auf nun mit dir, vorbei ist die Nacht!“

 

Sie richten ihn auf, sie haken sich unter,

Der zahnlose Alte wird plötzlich munter.

Vergessen die Krankheit, mag kommen was mag,

Zur Tür geht`s hinaus in den sonnigen Tag.

 

Als man über ihn den Laken zog,

Die Schwester die Finger ihm gerade bog,

Da hielt er in der erstarrten Hand

Ein altes, verblasstes Farbenband“.

Unmittelbar nachdem ich mit Brünndel Kontakt aufgenommen und gesehen habe, mit welcher Begeisterung er Farbenstudent ist, veranstaltete ich – es war im Jahre 1984 – mit Corpsstudenten, Burschenschaftern, darunter der bekannte Studentenhistoriker Dr. Robert Hein und der Neurochirurg Univ. Prof. Dr. Gerhard Pendl, und anderen Farbenstudenten im Atelier Brünndls eine Kneipe zu Ehren Brünndels. Von dieser historischen Kneipe existiert ein schönes Bild.

Hier sei eingefügt, dass Brünndel auch ein hervorragender Maler war, der in seinem Atelier mit Kunstsinn und Freude ansprechende Bilder malte. Eines schenkte er mir zu meinem Geburtstag, ich glaube, es war der 50. Es zeigt zwei Radrennfahrer, die mit großer Geschwindigkeit dahin jagen. Mit geschickten Farbstrichen gelang es ihm, in diesem Bild die schnelle Bewegung festzuhalten.

Von Brünndel gemaltes Bild als Geburtstagsgeschenk für mich, einen begeisterten Radfahrer
Von Brünndel gemaltes Bild als Geburtstagsgeschenk für mich, einen begeisterten Radfahrer

Das Bild hat er für mich angefertigt, weil er wusste, dass ich ein geradezu fanatischer Radfahrer bin. Er und seine Frau Lilly freuten sich sehr, als ich sie einmal in ihrer Sommerwohnung in einem Bauernhaus bei Kindberg mit dem Fahrrad aufsuchte. Ich war überrascht, dass Brünndel auch hier am Land am Rande eines Waldes in seiner Wohnung an der Wand seine Mütze und sein Band seiner jüdischen Verbindung Unitas hängen hatte.

 

Brünndel machte sich einen Namen als Studentenhistoriker, 1984 wurde er Mitglied des liberalen Corps Marchia, und bald darauf auch des freien Corps Austro - Germania, zu deren hervorragenden sangesfreudigen Mitgliedern Mag. Ralf Wittig und mein Freund Dr. Herwig Hofbauer vulgo Rüdiger gehören.

Nach einer Zeit gründete Brünndel die „Fraternitas Vindobonensis“, in der jeder Farbenstudent aufgenommen werden konnte, der eine Freude an der alten studentischen Kultur der Farbenstudenten hat. Voraussetzung ist freilich, dass er kein Antisemit ist.

 

Für Fritz Roubicek war also wichtig, dass Farbenstudenten sich verstehen und den Antisemitismus ablehnen. Im Sinne von Fritz Roubicek ist es, das Gemeinsame der farbenstudentischen Tradition zu pflegen und die alten Ideale der Freiheit und Menschenwürde hochleben zu lassen.

Mit Fritz Roubicek habe ich die berühmt gewordene Kisch-Kneipe organisiert, bei der Mitglieder von katholischen, liberalen, deutschnationalen und jüdischen Verbindungen sich trafen und gemeinsam feierten.

 

Als Fritz Roubicek 1990 starb, bat mich dessen Witwe Lilly, bei seiner Verabschiedung im Wiener Krematorium am 6.6. 1990 eine Rede zu halten. Ich tat dies. Bei der Trauerfeier waren Wiener Farbenstudenten aus verschiedenen Kreisen anwesend. In meiner Rede hob ich hervor, dass ich viel von Brünndel und dessen weitem Geist profitiert habe, dass er in der besten Tradition des klassischen Farbenstudententums stand und dass er es liebte, mit Farbenstudenten bei gemeinsamen Kneipen zu singen, zu disputieren und rituell zu trinken. Unter anderem führte ich aus:

 

„Brünndel, war ein hochanständiger Mensch, der, wie er betont hat, niemandem in seinem Leben wissentlich einen Schaden zugefügt hat. Er war ein Herr mit natürlichem Adel. Wir alle verdanken ihm viel. Er hing mit großer Sympathie am Farbenstudententum. Ohne ihn ist die neue Geschichte des Farbenstudentums in Wien nicht vorstellbar. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen den Couleurstudenten, ihm waren sie alle gleich teuer, er sympathisierte mit ihnen, wenn sie Farben trugen, Kneipen durchführten, gutes Bier tranken, schön sangen und sich bemühten, engherziges Denken, wie es in einer Zeit üblich war, als über Europa die Nacht gekommen war, zu überwinden.

Ich bin mir sicher, wenn heute Couleurstudenten aus den verschiedenen Lagern hier in Wien zusammenrücken und sich auf gemeinsame Wurzeln berufen, so ist dies vor allem auch ein Verdienst Brünndels.

Ich bin mir sicher, dass wir uns sehen werden, vielleicht bei einer himmlischen Kneipe, die Brünndel leiten wird. Wir werden uns zutrinken und ein Studentenlied singen, vielleicht ein Lied, das Studenten sangen, wenn sie von ihrer Universitätsstadt wegzogen. Vielleicht das Lied „Vale universitas, bursa et taberne, Blumen dringen durch das Gras und uns lockt die Ferne“ von Ottokar Kernstock, dem Bergpriester aus der Steiermark. Die letzte Strophe verweist auf den uns allen gemeinsamen Gott und deutet an, dass wir alle Vaganten auf dieser Erde sind. Es heißt in dieser: „Wenn ab das Glück sich kehrt und die Wangen blassen, der die jungen Raben nährt, wird uns nicht verlassen. Steht sein Bild am Straßenrand traut im Tannenkreise, grüßen wirs mit Herz und Hand und dann flehn wir leise: Sumus de vagantium ordine laudando, petimus viaticum poro properando“ (Wir sind vom ehrenwerten Orden der Vaganten, wir bitten um eine Wegzehrung und entfernen uns schnell)."

 

Zu Ehren von Brünndel sangen wir schließlich am Ende der Trauerrede dieses Lied.

 

 

Bei dieser Trauerfeier war auch mein Freund Dr. Herwig Hofbauer von der Verbindung Austria-Germania anwesend, der diese beiliegende Parte für Brünndel verfasst hat, in der Zirkel und Zionstern miteinander verbunden sind: