Das ero-epische Gespräch und der Hund des Odysseus - das Protokoll

Zu den wesentlichen Methoden der Feldforschung bzw. der qualitativen Sozialforschung im Sinne der Kultursoziologie – und Kulturanthropologie zählen das ero-epische Gespräch, wie ich es bezeichne, und die teilnehmende Beobachtung.

 

Zuerst seien mir ein paar Gedanken zum ero-epischen Gespräch gestattet.

 

Im 7. Gebot meiner 10 Gebote der Feldforschung (siehe vorhergehendes Kapitel) beziehe ich mich auf das von mir so benannte „ero-epische Gespräch“.

 

Dieses Gebot lautet:

 Du sollst die Muße zum ˆero-epischen" (freien) Gespräch aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu sprechen, dass sie sich geachtet fühlen. Man muss sich selbst als Mensch einbringen und darf sich nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle erstellen.

 

Das Abenteuerliche und Spannende der Feldforschung ist, dass der Forscher sich an keine methodischen Diktate gebunden sieht. Die klassische Methode ist, wie ich betonen will, die teilnehmende Beobachtung. Aber vielleicht noch wichtiger als die «teilnehmende Beobachtung» für die Forschung sind freie und inhaltschwere Gespräche mit Personen aus der zu erforschenden Kultur (oder Randkultur).

 

Für ein Gespräch dieser Art habe ich den Ausdruck „ero-episches Gespräch“ erfunden. Bei diesem geht es um Erzählungen und Geschichten.

 

Begriffe wie "narratives Interview" und "Tiefeninterview" sind höchst fragwürdig.

Sie erscheinen mir als denkbar ungeeignet, um ein Gespräch als Forschender, wie ich ihn verstehe, zu bezeichnen. Schließlich entstammt der Terminus "Interview" der Journalistensprache, wie sie sich ab 1860 in den USA etabliert hat, er bezieht sich hauptsächlich auf die Schnelle Befragung von Politikern, Künstlern und anderen wichtigen und weniger wichtigen Leuten (vgl. Kluge,1960,S 32).

 

Das "Interview" in seinem ursprünglichen Sinn zielt also bloß darauf ab, zu schnellen, mehr oder weniger klaren und oft kurzen (!) Antworten zu gelangen.

 

Für die übliche Arbeit der Zeitungsleute, aber auch für die Tätigkeit von manchen Soziologen, die mit Fragebögen sich an Menschen heranpirschen, passt das Wort "Interview", denn man will einfache und schnell verwertbare Erkenntnisse, wie zum Beispiel, dass bestimmte Leute gerne zur Kirche gehen und fromme Werke verrichten.

 

Eine genaue Einsicht in tiefere soziale und kulturelle Zusammenhänge, zum Beispiel in die Kultur der Kirchenbesucher, wird dabei nicht beabsichtigt oder sie ist auch gar nicht möglich.

 

Und außerdem verbindet man mit dem "Interview" eine Situation, bei der der Fragende als Journalist oder Fragenbogensoziologe einen gewissen Druck auf den zu Befragenden ausübt und letzterer geduldig auf die Fragen wartet.

 

Eigentümlich ist der heute in der Soziologie übliche Begriff „narratives Interview“, ihm liegt sogar eine gewisse Unlogik zu Grunde, denn der Begriff "Interview" im klassischen Sinn steht in Widerspruch zum Begriff "narrare" (lat. erzählen), da der echte Interviewte zum wirklichen Erzählen gar nicht kommt, sondern bloß auf Fragen antwortet.

 

Das große Problem des „narrativen Interviews“, wie es von manchen Spezialisten vertreten wird, liegt vor allem darin, dass bei diesem mit der ersten Frage der zu Interviewende unter "Zugzwang" kommen soll. Es wird also ein Druck auf den so geplagten Menschen ausgeübt. Und außerdem solle man nicht in die „private Sphäre“ eindringen. Ich bin da anderer Meinung, denn bei Forschungen jeder Art, nicht nur bei solchen in Randkulturen, lässt sich die „private Sphäre“ nicht ausschließen (es gebe dazu noch mehr zu sagen - siehe dazu Girtler, Methoden der Feldforschung, UTB, 2001, S 147ff).

 

Charakteristisch für das „ero-epische Gespräch, wie ich es verstehe, ist dass der Forscher sich selbst einbringt und nicht bloß durch Fragen den Gesprächspartner in "Zugzwang" bringt. Das ero-epische Gespräch ist somit ein eher feinfühliges und nicht so leicht durchführbares Unternehmen, denn es gehören viel Gefühl und Geduld zu diesem.

„Ero-episches Gespräch“ mit Frau und Herrn Piringer auf deren Bauernhof in Großpold in Siebenbürgen um 1995 (rechts im Bild sieht man den rechten Arm des Forschers).

 

 

Die Fragen in einem "ero-epischen Gespräch" ergeben sich aus dem Gespräch und der jeweiligen Situation, sie werden nicht von vorneherein festgelegt, wie eben bei den Fragebogenuntersuchungen und beim sogenannten "narrativen Interview". Der Feldforscher weiß ja am Beginn seines Forschens noch gar nicht, wie die betreffende Welt genau aussieht, über die er etwas erfahren will. Er muss sich erst an diese herantasten, aber dies geschieht eben nicht durch plumpe Eingangsfragen, sondern eben im Gespräch. Es entspricht der Bescheidenheit des wahren Feldforschers, dass er von seinem Gesprächspartner sich leiten lässt, denn er selbst ist ein Lernender. Und ich habe tatsächlich viel „gelernt“ von Vagabunden, Pfarrerköchinnen, Wilderern, Dirnen, Bauern und anderen Leuten, die so für mich zu Lehrmeistern und Lehrmeisterinnen wurden, und sich auch selbst als solche sahen.

 

Ich bin überzeugt, dass sich die Menschen, mit denen ich sprach, auch gefreut haben, mich in ihre Welten „lehrend“ einzuführen. Manche führten sich, wie mein Freund der Ganove Pepi Taschner und mein Freund der Wilderer Erwin Degelsegger geradezu wie Professoren auf, die mir tatsächlich Weises und Spannendes vermittelten. Pepi Taschner nahm ich sogar in Vorlesungen mit, bei denen er den staunenden Studenten aus seinem Leben als Mitglied einer Glücksspiel-Bande erzählte. Sogar eine Wiener Zeitung schrieb begeistert darüber.

 

Ich will damit ausdrücken, dass auch Ganoven zu „Professoren“ werden können, wenn sie aus ihrer Welt gut zu erzählen vermögen.

 

Beim ero-epischen Gespräch sind beide, Forscher und Gesprächspartner, möglichst gleichgestellt. Im Eigenschaftswort "ero-episch" stecken die altgriechischen

 

Wörter "Erotema" und "Epos". "Erotema" heißt die "Frage" beziehungsweise "eromai" fragen, befragen und nachforschen. Und "Epos" bedeutet "Erzählung". "Nachricht" , ",Kunde", aber auch "Götterspruch", beziehungsweise "eipon" "erzählen".

Der von mir erfundene Begriff "ero-episches" Gespräch in der Tradition von Homer soll also darauf verweisen, dass Fragen und Erzählungen kunstvoll miteinander im Gespräch verwoben werden. Eben auf das kommt es beim Forschungsgespräch an.

 

Der Terminus ero-episches Gespräch drückt gut aus, überhaupt wenn man bei Homer nachliest, was ich mit diesem will. Bei Homer kommen diese Wörter bzw. die entsprechenden Zeitwörter meist dann vor, wenn genaue Details aus der Vergangenheit und dem Alltagsleben erzählt oder besser: erörtert werden. Man erfährt dabei viel über Essensrituale, Sitzordnungen und schöne Mädchen, wie über die Gespielinnen der Nausikaa.

 

Diese Gespräche finden bei Homer meist in einer Situation statt, in der sich die Beteiligten wohlfühlen, wie zum Beispiel als sich Odysseus beim König Alkinoos, auf dessen Insel Odysseus verschlagen wurde, aufhält. Wein wird kredenzt und irgendwann beginnt Odysseus dem neugierigen König über seine Abenteuer zu erzählen. So erzählt er minutiös über seine Erlebnisse beim Riesen Polyphem, dem er bei seiner Flucht vom Schiff aus noch zuruft, wenn ihn jemand frage, wer ihm , dem einäugigen Polyphem, das Auge ausgestochen habe, so solle er ihm sagen, dies wäre Odysseus, der König von Ithaka und der Sohn des Laertes, gewesen. Solches und ähnliches erzählt Odysseus seinem Gastgeber König Alkinoos, der selbst auch von sich Sachen erzählt, die Odysseus wissen will. Eine andere Gesprächssituation ergibt sich, wie Odysseus als Bettler verkleidet heimkommt. Der Schweinehirt Eumaios erkennt ihn nicht, aber sein alter Hund Argos, der viele Jahre auf die Rückkehr seines Herrn gewartet hat und unbeachtet auf dem Misthaufen vor dem Königspalast in Ithaka liegt, erkennt ihn als einziger. Er hebt den Kopf und wedelt mit dem Schwanz. Odysseus ist darob so gerührt, dass er zu weinen beginnt, er verbirgt aber seine Tränen, denn er will nicht, dass Eumaios ihn erkennt.

 

Um einiges über das Schicksal des Hundes und überhaupt über das Leben im Palast während seiner Abwesenheit zu erfahren, spricht Odysseus mit dem Schweinehirten in der Weise eines guten Sozial und Kulturwissenschafters. Er führt also ein

 

"ero-episches Gespräch". Das Gespräch des Odysseus regt Eumaios, der seinen Herrn nicht erkennt, zum Erzählen an. In diesem Sinn verstehe ich den Begriff ero-episches Gespräch, nämlich als ein breites Gespräch, in dem nicht nur einer erzählt, sondern der Forscher selbst erzählend mitwirkt.

 

Ein solches "ero-episches Gespräch" beginnt also grundsätzlich nicht bloß mit einer Frage, sondern meist mit einer Erzählung des Forschers über seine Arbeitsweise und seine Interessen, wobei er darauf achtet, dass in demjenigen, von dem er etwas wissen will, Interessen geweckt werden und dieser schließlich selbst zu erzählen beginnt.

 

Dass ich mit meinen Überlegungen zur Problematik des „narrativen Interviews“ durchaus richtig liege, sah in einem Aufsatz, den ich zufällig im Internet fand. Geschrieben wurde dieser von Frau Katrin Schlegel vom Institut für Kunstpädagogik der Universität Essen deutlich. Der Aufsatz trägt den Titel „Narratives Interview zu Fragen des Umgangs mit Fotografie“ für ein Seminar im WS 2000/01. In ihrem Aufsatz gibt die Autorin ihr „narratives Interview“ wieder, bei dem sie durch gezielte Fragen die interviewte Person reden lässt und sich nur durch Fragen einschaltet. Sie zeigt sich jedoch nicht zufrieden mit dieser Art des Interviews und meint kritisch: “Ich hatte die Vorstellung eines narrativen Interviews, in dem B. einfach erzählt und mir eher eine Nebenrolle zukommt. In Zukunft würde ich eher ein Gespräch anstreben, in der die Gesprächspartner auf gleiche Weise miteinander diskutieren.“ Die Kollegin kommt in ihrer Kritik am „narrativen Interview“ also zu demselben Ergebnis wie ich, nämlich dass ein gutes Forschungsgespräch nur geführt werden kann, wenn man vom Grundsatz der Gleichheit ausgeht und sich ein Thema gemeinsam (!) erarbeitet, wobei auch der Forscher das Seine dazu beiträgt und auch von sich Geschichten erzählt – und zwar in einer ungezwungen Atmosphäre, die auch eine „private“ sein kann.

 

Zumindest ich habe bei all meinen Forschungen durch solche Gespräche mit begabten und erfahrenen Leuten aus den betreffenden Kulturen in Wiener Beisln (anrüchige Gaststätten), auf Bauernhöfen Siebenbürgens, in noblen Kaffeehäusern oder in anderen Lokalitäten in oft kurzer Zeit mehr erfahren als durch jedes andere Forschungsmittel. Allerdings bedarf es auch einigen Gespürs, die richtigen Leute zu kontaktieren, und einiger Kunst, durch geschicktes Fragen diesen gute Erzählungen und Geschichten zu entlocken.

 

Der Gesprächspartner wird dabei nicht als ein bloßer Datenlieferant gesehen, sondern eben als Partner, dem man auch etwas von sich erzählt. Besonders fruchtbar ist ein solches Gespräch, wenn dabei gegessen und getrunken wird (siehe dazu näher in meinem Buch, Girtler 2001).

 

Ein typisches „ero-episches Gespräch führte ich in Begleitung meines Freundes des Zahnarztes Dr. Herwig Hofbauer aus Gmünd mit einer Pfarrerköchin und einem Pfarrer in einem Ort im niederösterreichischen Waldviertel. Bei diesem Gespräch war mir wichtig, dem etwas misstrauischen Herrn Pfarrer das Gefühl zu geben, dass ich kein bösartiger Wissenschaftler bin, der ihn hineinlegen will, sondern jemand , der mehr oder weniger naiv über die ihm fremde Welt der Pfarrer und Pfarrerköchinnen etwas erfahren will. Um ihn entsprechend einzustimmen, erzählte ich ihm über mein Leben als Klosterschüler.

 

In meinem Protokoll zu diesem Gespräch ist in diesem Sinn zu lesen: „In der großen Küche im ersten Stock werden wir freundlich von der Pfarrerköchin Frau A. dem Herrn Pfarrer Dr. K., ein Mann um die 60 mit lachenden schelmischen Augen, begrüßt. Der Herr Pfarrer, ein freundlicher Herr, ist uns und vor allem mir gegenüber zunächst etwas skeptisch. Er weiß nicht so recht, wie er mich, den Professor aus Wien, der etwas über Pfarrerköchinnen forschen will, einschätzen soll. Dies zeigt sich etwas später, als der Kaplan erscheint. Er kommt vom Fußballspiel, er steht im Tor der Lokalmannschaft. Über ihn hat Frau A. bereits Heiteres erzählt. Wir begrüßen ihn lachend und meinen, er wäre in seiner Abwesenheit nur gelobt worden. Nun stellt der Herr Pfarrer mich schmunzelnd so vor: „Das soll ein Professor sein“. Ich entschuldige mich sofort, dass ich nicht so aussehe, wie man sich einen würdigen Professor vorstellt. Dann weist der Herr Pfarrer auf Herwig: „Und der da ist ein Zahnarzt.“ Und liebenswürdig fügt er hinzu: „Die beiden sind aber ganz gemütliche Leute.“ Nun gebe ich dem Pfarrer meine Visitenkarte, auf der auch zu lesen ist, dass ich ein „Pilger“ bin. Das erfreut ihn.

 

Ich erzähle von meiner Idee, eine Arbeit über Pfarrerköchinnen zu schreiben. Meine, es sei wichtig, gerade so etwas zu schreiben, wobei ich niemanden durch diese Studie verletzten oder kränken wolle, vielmehr habe ich die Absicht, das breite Wissen, das mit so einer Pfarrerköchin in Hinblick auf das Kochen, den Umgang mit Menschen und auch mit der Pflege des Gartens verbunden ist, der Welt kund zu tun. Pfarrerköchin und Pfarrer lächeln und meinen, so eine Idee würde ihnen gefallen. Der Herr Pfarrer sagt nun zur Pfarrerköchin: „Jetzt wirst du berühmt“. Darauf antwortet diese verschmitzt: „Das bin ich eh schon.“ Ich erfahre nun, dass der Herr Pfarrer Ärger mit dem Bischof hat, er sieht sich mies behandelt und gekränkt von diesem. Ich verstehe die Kränkung und sage dies auch. Aber nicht nur deswegen gibt es Schwierigkeiten mit dem Bischof. Der Herr Pfarrer will wissen, wie wir auf seine „Pfarrerhaushälterin“, die Frau A., gekommen seien. Herwig erzählt, er habe von ihr gehört, sie habe einen guten Ruf und wisse sicher viel. Daher habe er sie angerufen und gefragt, ob sie einmal Zeit habe, mir, dem Professor aus Wien, der ein Buch über Pfarrerköchinnen schreiben wolle, etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Darauf habe sie gemeint, fährt Herwig lachend fort, sie wisse nicht viel zu berichten und außerdem sei sie von ihrer Herkunft bloß ein einfaches Bauernmensch. Gerade darum sei sie für uns interessant. Und nun sind wir hier. Ich erwähne meine Forschung über Pfarrerköchinnen und ich wolle eine spannende Arbeit über diese Damen schreiben. Ich erzähle auch, dass mir die alte bäuerliche Kultur gefällt, aus der sie kommt. Darüber schrieb ich ein Buch. Der Ausdruck „Bauernmensch“ ist für mich also etwas Edles. Die alten Bauersleute hätten allesamt ein größeres Wissen als die heutigen Städter, man könne von ihnen nur lernen, auch von ihr, der Pfarrerköchin, da sie aus der spannenden Welt der Bauern käme. Auch weise ich darauf hin, dass ich in Waidhofen die liebenswürdige Frau Sallinger, die die beiden auch kennen, gesprochen habe. Dann erzähle ich heiter von unserem Pfarrer in Spital am Pyhrn, der gerne auf die Jagd gegangen ist und nicht wie der alte Pfarrer die Kranken aufgesucht habe. Mein Vater, der Arzt, jedoch besuchte regelmäßig die alten und kranken Bauern. Einmal sagte eine alte Dame zu meinem Vater: „wenn ich ein Geweih hätte, käme der Pfarrer auch zu mir“.“ Ich ernte ein Lächeln. Ich merke, die beiden haben Sympathie für mich. Der Herr Pfarrer holt eine Flasche Rotwein und kredenzt uns ein Glas mit diesem. Der Pfarrer und seine Köchin erzählen nun Spannendes aus ihrem Leben. Sie kommen auf Themen, von denen ich zuvor keine Ahnung hatte, wie eben die Probleme mit dem Bischof oder die Fußballbegeisterung des Herrn Kaplan.

 

Nach einigen Stunden verlassen wir bereichert und mit Rotwein im Magen grüßend und aus Herzen dankend das Pfarrhaus.“ Das dabei geführte ero-epische Gespräch konnte ich bestens in meiner Studie über Pfarrerköchinnen verarbeiten.

 

Ein schönes ero-episches Gespräch führte ich auch mit der früheren Pfarrerköchin Frau Elisabeth Sallinger, die mich zu sich zu Tee und Bäckerei einlud. Sie erzählte mir viel und ehrlich über ihr Leben an der Seite des bereits verstorbenen Pfarrers. Mir kam dabei zu Gute, dass ein Urgroßonkel von mir Pfarrer in St. Valentin gewesen ist. Aus dem Nachbarort kommt Frau Sallinger. Ihre Mutter habe öfter von diesem Pfarrer, meinem Verwandten erzählt, er soll ein lieber Herr gewesen sein. Zu dem ero-epischen Gespräch mit Frau Sallinger gehörte es auch, dass ich mit ihr zum Friedhof ging, wo sie mir das Grab des verstorbenen Pfarrers zeigte. Auf dem Grabstein ist auch schon ihr Name verewigt. Ich mache ein Foto. Sie erzählt mir, im Abschiedsbrief des Pfarrers an sie habe er geschrieben: „Mache dir noch ein paar schöne Jahre, dann sehen wir uns in der Ewigkeit.“

 

Die „ero-epischen Gespräche“, wie ich sie verstehe und geführt habe, verhelfen zu spannenden Einsichten in fremde Lebenswelten. Allerdings genießen in der «wissenschaftlichen Gemeinschaft» die mit komplizierten Methoden arbeitenden Sozialwissenschaftler ein mitunter höheres Ansehen als die «freien Feldforscher» wie ich, die jedoch meines Erachtens die einzigen sind, die vor allem mit ero-epischen Gesprächen in die Tiefe kulturellen Handelns gelangen können.

 

Zustimmung für meine Art des Gesprächs erhielt ich von der freundlichen Studentin Tatjana Fischer, die, eine wunderbare Wanderforscherin ist. Sie schreibt in ihrem Brief u.a.: „Ich staune immer noch über die Wirkung, die sich entfaltet, wenn man sich (persönlich) in das Gespräch einbringt. Ich bin sehr froh, Ihr Buch über die Methoden der Feldforschung gelesen zu haben. Denn anders als mit dem ero-epischen Gespräch kommt man in manchen Regionen nicht weiter...“.

 

Protokolle „ero-epischer Gespräche“

 

Die Frage der Protokollierung des ero-epischen Gesprächs (folgende Überlegungen ergänzen jene zur Protokollierung der teilnehmenden Beobachtung – 25b).

 

Wenn ich ein solches Gespräch mit einem Aufnahmegerät aufnehme, so schreibe ich es ziemlich genau ab. Allerdings halte ich Huster , Schnäuzen und ähnliche menschliche Laute grundsätzlich nicht fest, außer sie beziehen sich deutlich auf das Gespräch, wie z. B. Husten, wenn dieses absichtlich geschieht, um z. B. die Glaubwürdigkeit eines Satzes zu hinterfragen. Ich bin auch dagegen, ganze Sätze im Dialekt zu übernehmen. Ich meine, Dialektwörter kann man kaum verständlich wieder geben. Wenn sie wichtig für den Sinn eines Satzes sind, so gehören sie freilich in das Protokoll – oder wenn durch ein paar Dialektwörter eine gewisse Szenerie lebendig dargestellt werden soll. Außerdem ist es Aufgabe des Forschers, ähnlich der eines Dolmetsches, er hat etwas von einer Welt in die andere auf verständliche Weise zu bringen. In diesem Sinn sollte auch ein Gesprächsprotokoll als Voraussetzung für die Abfassung der Forschungsergebnisse gestaltet sein. Also auch das Gesprächsprotokoll sollte im Wesentlichen in Hochdeutsch geschrieben sein. Am Rande des Protokolls, wie schon ausgeführt, halte ich die wesentlichen Themen fest, auf die sich das Gespräch beziehen. Und auf Grund dieser Themen schaffe ich schließlich meine Gliederung, die sich aus dem Gespräch ergibt.

 

Will nun eine Person nicht, dass man das Gespräch mit ihr aufnimmt, so bleibt nichts anderes übrig, als Stichwörter nieder zu schreiben, auf Grund derer man möglichst bald nach dem Gespräch, dieses rekonstruiert. Wenn es auch nicht möglich ist, Stichwörter nieder zu schreiben, so muss man sich merken, was erzählt wird. Eine gute Methode ist dabei, das erste Thema im Gespräch, z.B. über Strategien von Fußball – Anhängern mit dem Buchstaben A zu verbinden. Das nächste Thema mit dem Buchstaben B. usw. Dasselbe gilt analog für die Beobachtung – wie schon beschrieben.