Max Weber in Wien

Dieser kleine Aufsatz sei meinen Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen, vor allem denen, die meine Forschungen, die in der "verstehenden" Tradition Max Webers sich befinden, anerkennen und deren Wohlwollen ich genießen darf, in freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet. 

Max Weber in Wien - die Pension Baltic und der Ärger mit einem jungen Ehepaar

Der große deutsche Kultursoziologe und Kulturwissenschafter Max Weber, der die Soziologie wesentlich geprägt hat und dem auch ich mich verbunden fühle, lehrte im Sommersemester 1918 an der Wiener Universität. Er residierte damals, die entsprechenden Dokumente dazu fand ich im Staatsarchiv, in der Pension Baltic in der Skodagasse im 8. Bezirk Wiens (siehe R. Girtler, 2015).

 

Max Weber gefiel es in der Pension Baltic gut, allerdings ärgerte er sich über die Bewohner im Nebenzimmer. In einem Brief schreibt er dazu:

 

Die Wohnung (in der Pension Baltic) ist ordentlich, vor allem sauber. Lästig ist neben mir ein junges Ehepaar mit den üblichen Untugenden eines solchen, besonders nach Tisch. Sonst wäre es geradezu ideal! Denn vor dem Fenster grünen die Bäume.

Der Lebenslauf des Tages ist so: Morgens nach dem Tee zur Bibliothek bis ½ 1 (Uhr), dann zum Essen, dann die halbe Stunde Ruhe, während deren das verdammte junge Ehepaar mich nicht schlafen zu lassen entschlossen scheint.“. (Marianne Weber, 1989, S 620 f.). 

Max Weber erholt sich bei Bier und Zigarre im Gasthof zum „Silbernen Brunnen“ in der Berggasse 5

Dass Max Weber sich gerne in gemütlichen Gasthäusern aufhielt, um sich von seinen Vorlesungen zu erholen, darauf verweist seine Frau Marianne Weber in ihrem Buch über Max Weber. Sie schreibt: "Nachdem die ihn noch im Korridor der Universität umdrängenden Fragesteller geduldig befriedigt sind, schleicht sich er (Max Weber) stumm zum 'Silbernen Brunnen' (früheres Gasthaus in der Berggasse 5 im 9. Wiener Bezirk). Das Mahl dort und die Zigarre stellen ihn allmählich wieder her" (a.a. O. S 618).

 

Das 1825 von Josef Klee erbaute Wohnhaus, in dem sich das Gasthaus "Zum Silbernen Brunnen" befand, wurde in den letzten Jahren saniert. Mit der freundlichen Studentin Andrea Zitter suchte ich "auf den Spuren von Max Weber" das Haus Berggasse 5 in Mai 2017 auf. Auf meine Bitte hin fotografierte sie das Haus und die renovierten Räume. (Der Max Weber-Kenner Herr Dirk Käsler wird sich über diese Bilder freuen, ich zeige sie ihm gerne).

 

Hier seien zwei der von ihr gemachten Fotos wiedergegeben:

Max Weber, der Biergenuss und die Ohrfeige der Mutter

Während der Monate, die er in Wien verbrachte, dürfte Max Weber in gepflegter Weise Bier getrunken haben. Dem Bier fühlte sich Max Weber seit seiner Studentenzeit in Heidelberg sehr verbunden.

 

Max Weber war Mitglied der Burschenschaft „Allemannia“ in Heidelberg, er schlug Mensuren und zweimal wöchentlich traf er sich mit seinen Freunden von der Burschenschaft zum geselligen Umtrunk. Er gab sich einem feuchtfröhlichen Burschenleben hin und zeichnete sich, wie Marianne Weber schreibt, bald durch „hervorragende Trinkfestigkeit“ aus. Es gehört zur Ehre der Burschen, diszipliniert viel Bier zu trinken, ohne dabei die Haltung zu verlieren. Wahrscheinlich durch den Biergenuss nahm der leibliche Umfang Max Webers in Heidelberg zu. Als seine „Mutter ihn zum ersten mal in dieser Verwandlung und mit einem breiten Schmiss quer über die Wange begegnete, weiß die tatkräftige Frau Staunen und Schreck nicht anders als durch eine schallende Ohrfeige auszudrücken“ (a.a.O., S 73 f).

 

Besonders angetan hatten es Max Weber in der Burschenschaft der „gemeinsame Gesang der herrlichen Burschen- und Vaterlandslieder; deren Melodien begleiteten Max bis an sein Ende“. In einer späteren Rückschau auf die Zeit in der Burschenschaft hielt Weber fest: „Die übliche Dressur zur Schneidigkeit im Couleurleben (in der Burschenschaft) und als Unteroffizier hat zweifellos seinerzeit stark auf mich gewirkt und die ausgeprägte innere Schüchternheit und Unsicherheit der Knabenjahre beseitigt“ (a.a.O., S 75). 

Die Bierduelle Max Webers

Max Weber als Burschenschafter in Heidelberg
Max Weber als Burschenschafter in Heidelberg

Auf Trinkrituale mit dem Bier und die Bierfröhlichkeit Max Webers weist auch diese Geschichte hin, die sich in Freiburg - dorthin wurde Max Weber 1894 berufen - abspielte.

 

Auf einem Festkommers (einer studentischen rituellen festlichen Veranstaltung, bei der Bier getrunken wird) einer Burschenschaft gewinnt er gegen einen Kollegen einen „vierfachen Bierjungen“.

Mit „Bierjunge“ wird ein Bierduell bezeichnet, das dadurch eingeleitet wird, dass ein Teilnehmer an einer solch festlichen Veranstaltung einen anderen Teilnehmer in heiterer Weise als „Bierjungen“ bezeichnet.

Dies gilt als Beleidigung, die der andere mit einer Forderung zu einem „Bierduell“ beantwortet. Bei diesem Bierduell leeren nach einem bestimmten Ritual die Kontrahenten ihre Biergläser. Derjenige, der zuerst das Glas ausgetrunken hat, gilt als Sieger.

Max Weber muss also ein tüchtiger Trinker gewesen sein, was seinen Studenten offensichtlich gefiel. Sie waren erstaunt. Max Weber entsprach nicht dem klassischen Professoren-Typus, wie Marianne Weber schreibt, er liebte es, mit seinen Studenten nach den Seminaren bei einem Bier beisammen zu sitzen (a.a.O., S 217).

Max Weber verwendet das Schimpfwort „Hundsfott“

Wenn Max Weber sich über jemanden ernstlich ärgert, bezeichnet er ihn als „Hundsfott“. Das Schimpfwort „Hundsfott“ entstammt einem studentischen alten Brauch bei Festkommersen, bei denen in einem Rundgesang der „Landesvater gestochen“ wird. Dabei stehen sich zwei Freunde gegenüber, die im Laufe des Gesanges aufstehen und ihre Mützen mit je einem Schläger, eine Art Säbel, stechen.

 

Dem Gegenüber wird die Freundschaft geschworen, und zwar mit folgenden Worten: „Solange wir uns kennen wollen wir uns Bruder nennen – ein Hundsfott, der dich schimpfen sollt“. Also derjenige, der den Freund beleidigt, wird als Hundsfott, eine üble mittelalterliche Beschimpfung, bezeichnet. Danach trinken die beiden einander mit einem Bierglas zu. Max Weber dürfte Freude an solchen Ritualen und an dem, Wort „Hundsfott“ gehabt haben. So meinte er, um die Burschenschafter und andere Farbenstudenten nach dem 1. Weltkrieg zu kritisieren, die seiner Meinung nach zu wenig für die Menschen in Deutschland getan haben: „Ein Hundsfott aber, der Couleur trägt, solange Deutschland am Boden liegt!“ (a.a.O. S 644).

 

Damit wollte Max Weber offensichtlich ausdrücken, wie ich meine, dass gerade Farbenstudenten und vor allem Burschenschaften sich für ein liberales und tolerantes Deutschland, das den Deutschen hilft, in einer schwierigen Zeit zu überleben, einsetzen sollten.

 

Die Burschenschaft protestiert gegen Max Weber. Nun tritt er aus der Verbindung aus, offensichtlich enttäuscht. Ein andermal meint Weber in diesem Sinn:

Zur Wiedererrichtung Deutschlands in seiner alten Herrlichkeit würde ich mich gewiss mit jeder Macht der Erde und auch mit dem leibhaftigen Teufel verbünden, nur nicht mit der Macht der Dummheit. Solange aber von rechts und links Irrsinnige in der Politik ihr Wesen treiben, halte ich mich fern von ihr“ (a.a.O.,S 685). 

Der Streit Max Webers mit Joseph Schumpeter im Café Landtmann

Für den edlen Charakter Max Webers spricht die folgende Geschichte.

Max Weber und Joseph Schumpeter, der große Nationalökonom, trafen sich einmal im Cafe Landtmann, in dem Kaffeehaus gegenüber dem Burgtheater.

 

Im Frühsommer 1918 saßen sie also in diesem Cafe. Sie unterhielte sich u.a. auch über die russische Revolution. Schumpeter meinte, mit dieser Revolution sei der Sozialismus Wirklichkeit geworden.

 

Max Weber erklärte erregt, dass der Kommunismus in Russland ein Verbrechen sei, denn mit ihm sei unerhörtes menschliches Elend verbunden. Schumpeter stimmte dem zu, meinte aber, dass ihn dieses Experiment des Sozialismus interessiere. Dies verstand Weber nicht und meinte, „das Experiment des Kommunismus wäre ein Laboratorium mit gehäuften Menschenleichen.“ Schumpeter antwortete, dass dies auch jede Anatomie sei. Im Laufe des Gesprächs wurde Weber heftig und lauter, Schumpeter sarkastischer und leiser. Ringsum unterbrachen die Kaffeehausgäste ihre Spielpartien und hörten neugierig zu. Das Ende der Unterhaltung sah dann so aus: Max Weber sprang mit den Worten auf. „Das ist nicht mehr auszuhalten“ und eilte auf die Ringstraße hinaus, gefolgt von jemandem, der ihm den Hut nachtrug. Schumpeter bemerkte dazu lächelnd: „Wie kann man in einem Kaffeehaus nur so brüllen!“ (Franz-Josef Ehrle, 1991).

Mit dem Fahrrad auf der Spur Max Webers in Heidelberg

Im August 1985, ich war bereits Dozent am Institut für Soziologie in Wien, machte ich mich mit dem Fahrrad auf, um nach Heidelberg, das mit dem Leben Max Webers eng verbunden ist, zu radeln.

 

Meine besondere Beziehung zu Max Weber besteht für mich als Kultursoziologe und Kulturwissenschaftler vor allem darin, dass Max Weber spannende Themen, wie das der Typen der Herrschaft, der Bedeutung des Protestantismus usw. tiefgehend behandelt hat.

 

Außerdem waren es Kultursoziologen, die auf Max Weber aufbauen, wie Wolfgang Lipp und Horst Baier, die für meine Universitätslaufbahn wichtig waren. Auch Horst Helle gehört dazu, dessen Assistent ich von 1973 bis 1975 am Institut für Soziologie der Universität München war. Dadurch kam ich in Kontakt zu Max Weber- Spezialisten, wie meinen Freund Dirk Käsler. Ihnen allen sei hier gedankt.

 

Ich habe also allen Grund Max Weber und seinen "Gefolgsleuten" dankbar zu sein. Daher unternahm ich meine Fahrradtour von Wien nach Heidelberg, um mir von dem kulturellen Umfeld, in dem Max Weber. der große Kulturwissenschaftler studiert hat, ein Bild zu machen.

 

Ich fuhr also von Wien die Donau entlang bis Kelheim, weiter ins Altmühltal, ins Jagsttal und an den Neckar, dem Fluss, an dem Heidelberg liegt. Bald war ich in Heidelberg. Ungefähr 5 Tage war ich von Wien hierher unterwegs. In Heidelberg schob ich mein Radl durch die Straßen und sah mir die Universität an, an der Max Weber studiert hat.

 

Die Universität Heidelberg wurde 1386 von Ruprecht I. von der Pfalz, zu dessen Vorfahren Rudolf von Habsburg gehört, gegründet. Sie ist damit die älteste Universität Deutschlands. Allerdings die älteste Universität im heutigen deutschsprachigen Raum ist die Wiener Universität von 1365. Ich besah mir die Gasthäuser von Heidelberg, die Max Weber mit seinen Bundesbrüdern von der Burschenschaft Allemannia aufgesucht haben dürfte, um Bier zu trinken. Schließlich radelte ich hinauf zum Schloss. Dort ließ ich mich unweit des berühmten Heidelberger Fasses fotografieren.

 

Dieses Foto, das ich hier wiedergebe und das ein Fotograf vom Heidelberger Schloss gemacht hat, erinnert an diese Tour, die für mich eine Art Vagabundage war, wie man an meiner Kleidung und meinem Gepäck leicht erkennen kann:

Roland Girtler mit Fahrrad im Heidelberger Schloss im August 1985.  In der hiesigen Gaststätte dürfte Max Weber während seines Studiums in Heidelberg zumindest ein Bier getrunken haben.
Roland Girtler mit Fahrrad im Heidelberger Schloss im August 1985. In der hiesigen Gaststätte dürfte Max Weber während seines Studiums in Heidelberg zumindest ein Bier getrunken haben.

Auf das Wohlsein der freundlichen Leserinnen und Leser dieser Zeilen erhebe ich zur Erinnerung an den Weltbürger und Menschenfreund Max Weber im Cafe Landtmann zu Wien ein Glas mit schäumendem Bier.

Literatur:

Roland Girtler, Max Weber in Wien, Wien-Berlin, Lit-Verlag 2015

Marianne Weber, Max Weber – ein Lebensbild, München 1989

Franz-Josef Ehrle, Max Weber und Wien, Bonn 1991, maschingeschr. Dissertation.