Missbrauchsfälle im Stift Kremsmünster

Große Aufregung herrschte, als bekannt wurde, dass zahlreiche Fälle sexueller, physischer und psychischer Gewalt am Stiftsgymnasium Kremsmünster stattgefunden haben vor allem in den 1970er bis 1990er Jahren. Im Zuge der strafrechtlichen und kirchenrechtlichen Aufarbeitung wurden drei Patres des Stifts Kremsmünster wegen sexuellen Missbrauchs belangt, weitere 21 Personen (darunter auch vier weltliche Lehrer) wurden nach den Ergebnissen einer wissenschaftlichen Studie im Zusammenhang mit gewalttätigen und pädosexuellen Übergriffen ermittelt.

Ein Großteil der Taten wurde dabei sieben ehemaligen Präfekten zugeschrieben, die im Stile der „Schwarzen Pädagogik“ agierten. (siehe dazu Wikipedia - Missbrauchsfälle im Stift Kremsmünster).

 

Die Missbrauchsopfer haben mein Mitgefühl. Ich möchte jedoch festhalten, dass ich sexuellen Missbrauch von keinem der Patres, die zu meiner Zeit im Stift lebten, erfahren habe. Allerdings Ohrfeigen habe ich einige erhalten, was mich aber nicht besonders aufregte, da diese in den Schulen in den 1950er Jahren noch allgemein üblich waren. Meine Mutter, eine tüchtige Ärztin, meinte sogar zu den Patres, hier und da eine „Watsche“ würde mir nicht schaden.

 

Ich wurde u.a. von Zeitungsleuten um meinen Kommentar zu diesem Thema hinsichtlich meiner eigenen Erfahrung gebeten. Zwei meiner Kommentare seien hier wiedergegeben. 

DER STANDARD

Roland Girtler          April 2012

KOMMENTAR DES ANDEREN

 

Antwort auf den Artikel von Herrn Leopold Federmair im ALBUM des STANDARD vom 21.4. 2012 von jemanden, der acht Jahre im Klostergymnasium und im Internat (Konvikt) des Klosters Kremsmünster verbracht hat und der, obwohl ein schlechter und widerspenstiger Schüler, mit Respekt an die alte Klosterschule zurückdenkt. Eine „grausame Kindheit“ jedenfalls hat der Verfasser dieser Zeilen im Kloster nicht verbracht.

 

  1. Ich war 8 Jahre lang (von 1951 bis 1959) Zögling in der Klosterschule von Kremsmünster, in der ich auch maturiert habe. Meine Eltern, beide waren Landärzte im Gebirge, hatten meinen Bruder und mich in diese Klosterschule gesteckt, weil sie der festen Meinung waren, die klösterliche Erziehung sei für unsere Ausbildung bestens geeignet. Schon mein Vater hatte die Klosterschule von Kremsmünster besucht und sprach stets in Hochachtung von dieser.

    Ich war ein eher schlechter und widerspenstiger Schüler, der im Kloster jedoch zum Überlebenskünstler wurde. Ich hatte es nicht leicht im Kloster, dennoch verteidige ich die Klosterschule, obwohl ein Pater zu meinem Bruder, der zwei Jahre nach mir maturiert hat, meinte, er habe vor Freude das „Te Deum“ (Großer Gott wir loben Dich) gebetet, als ich maturiert und das Kloster verlassen habe. Ich habe es auch meinen Lehrern nicht leicht gemacht und oft Widerstand geleistet.

  2. Die alte Klosterschule mit ihrem Konvikt, wie ich sie erlebt habe, gibt es nicht mehr. Wir Schüler haben wohl einiges mitgemacht. Es war für uns nicht leicht, in dieser Welt der Strenge manchmal auch als kleine Rebellen zu überleben, aber dennoch empfanden wir diese Zeit nicht als „grausam“, wie sie Herr Federmair beschreibt. Von damaligen sexuellen Übergriffen durch Patres weiß ich nichts. Es sei jedoch festgehalten, dass die sexuellen u. ä. Gewalttaten von Pater A. und vielleicht auch anderen geistlichen Herren, von denen glaubwürdig berichtet wird, zutiefst verabscheuungswürdig sind. Ich meine jedoch, dass man an solchen Untaten allein, die ich Gott sei Dank nicht erlebt habe, das Kloster, seine Schule und das alte Internat nicht messen kann. Ich hatte vorwiegend wunderbare und großzügige Lehrer, die es nicht verdienen, dass die Klosterschule Kremsmünster, in der sie lehrten, heute derart diskreditiert wird. 

  3. Vor einigen Jahren habe ich ein Buch über die Klosterschule Kremsmünster mit dem Titel „Die alte Klosterschule – eine Welt der Strenge und kleinen Rebellen“ (Böhlau-Verlag) veröffentlicht. In diesem habe ich mich mit meiner Internatszeit sehr intensiv auseinandergesetzt, dabei konnte ich aufzeigen, dass das Leben in dieser alten Klosterschule, die immerhin auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, sich bis in die letzten Jahrzehnte nur unwesentlich in ihrer Struktur geändert hat.

  4. Für einen jungen Menschen kann es von Vorteil sein, einige Jahre ohne Standesunterschied mit Gleichaltrigen zu leben, zu lernen und zu arbeiten.
    Ich hatte im Internat, wenn es mir schlecht ging, stets Freunde, die mir halfen und auf die ich mich verlassen konnte.

  5. Einige meiner Lehrer haben sich redlich bemüht, uns unter anderem Latein und Griechisch beizubringen, aber auch viel für das Leben mitzugeben. Vor allem habe ich dort Regeln der Höflichkeit gelernt, die mir heute noch wichtig sind und mir im täglichen Umgang mit anderen helfen.

  6. Wir mussten während der Woche um sechs Uhr aufstehen, wuschen uns kalt, wobei der Pater darauf achtete, dass wir auch unseren Hals reinigten, verrichteten das Morgengebet und studierten bis zum Frühstück im Studierraum. Jeder Tag war genau eingeteilt. Von uns Schülern verlangte man Pünktlichkeit. Auch heute noch habe ich das Bedürfnis, pünktlich zu sein und andere nicht warten zu lassen.

  7. Freien Ausgang hatten wir erst ab der 5. Klasse nur an den Nachmittagen des Donnerstags und Sonntags. Wir nutzten diese Stunden, um über die nahen Hügel zu streifen. Verboten war uns allerdings, Bauern aufzusuchen, um bei ihnen Most zu trinken. Wir taten dies dennoch, was dazu führte, dass uns ein Pater, als er dahinter kam, einige Ohrfeigen verabreichte. Ohrfeigen waren zu dieser Zeit leider gängige Erziehungsmittel - nicht nur in der Klosterschule.

  8. Gesellschaften, in denen beinahe alles untersagt ist, sind mitunter die interessanteren. Wir durften keine Mädchen treffen und durften nicht ins Kino gehen. Dennoch trafen wir Mädchen und gingen heimlich ins Kino.

    In einer solchen Welt, in der alles Tun streng geregelt war, wurde so mancher Zögling zu einem kleinen Rebellen, so auch ich, der ich einige der Verbote mit Erfolg zu umgehen wusste. Ich stieg sogar einmal im Schutze der Nacht über die Stiftsmauer, um an einem Ball im Ort teilzunehmen. Ich lernte dabei ein wunderbares Mädchen kennen.

  9. Im Kloster habe ich gelernt, wie herrlich ein Schluck Wein schmeckt, wenn man ihn nicht trinken darf, ihn aber trotzdem trinkt und wie wunderbar der zarte Kuss eines Mädchens sein kann, wenn es verboten ist, mit Mädchen auszugehen.

  10. Während meiner Internatszeit habe ich sieben Tugenden gelernt, die für mein Leben wichtig wurden:
    Mut, Höflichkeit, Geduld, Großzügigkeit, Freundschaft, Humor und einen rebellischen Geist, denn ich ließ mir – in aller Vorsicht - nicht alles gefallen.

  Univ. Prof. Dr. Roland Girtler