1. Hirtenbrief

Einleitend in diese Vorlesung

Randkulturen gehören zur bunten Vielfalt menschlichen Lebens. Fast alle haben, wie ich bei meinen Forschungen gesehen habe, eine lange Geschichte voll Jammer, Elend, Not und Ärger. Manche haben auch ihren Zauber und für manche ist Gewalt charakteristisch. Alle Randkulturen haben eine spezielle Kultur, zu der eine eigene Sprache und viele Rituale, z.B. wie die der Fußballfans, gehören. Auf Grund meiner Forschungen glaube ich, vier Typen von Randkulturen "ideal" ausnehmen zu können. 

  1.  Randkulturen des Schutzes und des Überlebens; 
  2. Randkulturen der Revolution und Rebellion; 
  3. Randkulturen der Kriminalität und des verpönten Geschäftes; und
  4. Randkulturen der gemeinsamen Herkunft – siehe dazu mein Buch „Randkulturen“). In der Vorlesung werden alle diese 4 Typen angesprochen oder gestreift werden.

 

Folgende Themen werden u.a. in der Vorlesung (voraussichtlich) behandelt werden:

  • Zur Methode der Kultursoziologie 
  • Der Umgang mit Krisen 
  • Klassische Formen der bäuerlichen Rebellion – Wildschütze, Bauern in Mexiko 
  • Fußballfans als Stammeskrieger 
  • Hacker – Rebellen auf dem Meer des Internets 
  • Prostitution, Typologie der Dirnen und der Kunden, Tricks der Zuhälter (mein Buch Der Strich wurde durch einen Wiener Juden, der 1938 nach China flüchten musste, ins Chinesische übersetzt und erschien in China)
  • Schmuggler, Drogendealer, Waffenschmuggler (zu einigen dieser Leute nahm ich Kontakte auf) 
  • Die Bedeutung des Alltags (Hinweise auf meine Studien zum Alltag von Ganoven, Kellnern und Totengräbern) 
  • Die kriminelle Karriere des Pepi Taschner 
  • Das bunte Leben im Wiener Prater – die Welt der Schausteller 
  • Die Gaunersprache und ähnliche Sprachen

 

Literatur u.a.: 

 

Howard Becker, Außenseiter, Frankfurt a. M. 1989 (Becker ist auch aus methodischen Gründen interessant, da er gut aufzeigt, wie man - z. B. in seiner Abhandlung über die Randkultur der Tanzmusiker - Gespräch bzw. Beobachtung miteinander verknüpft. Becker ist ein Anhänger der Forschung „in freier Wildbahn“, denn in den Gefängnissen sitzen nur die „Stümper“ 

 

Roland Girtler, Randkulturen - Theorie der Unanständigkeit, Wien 2000

 

Ned Polsky, Forschungsmethode, Moral und Kriminologie, in: J. Friedrichs (Hg.), Teilnehmende Beobachtung abweichenden Verhaltens, Stuttgart 1975, S 51ff) Polsky meint auch, Randkulturen kann man nur in direktem Kontakt zu den betreffenden Menschen untersuchen. Er ist ein großer Kritiker vor allem der Fragebögen.

“Angeklagt” wegen meines Randkulturen-Buches - verteidigt von der schönsten Frau der Welt.

Mein Buch  “Randkulturen” , auf dem meine Vorlesung im Wesentlichen aufbaut,  erschien 1995 im Böhlau-Verlag in Wien. Bei der 1997 in Leipzig stattgefundenen Buchmesse wurde dieses Buch im Rahmen einer Talkshow im großen Gerichtsgebäude von Leipzig vorgestellt. Bei der “Gerichtsverhandlung” trat ich als “Angeklagter” auf. Verteidigt wurden ich und mein Buch von Ulla Weigerstorfer, der ehemaligen “Miss World”.  

 

Mit diesem  Plakat wurde für den “Prozess” geworben:

Das Urteil der Richter fiel für mich und das Buch günstig aus - dank der charmanten Verteidigung. Offensichtlich gefiel den Richtern meine Meinung, dass unter Unterweltlern , Prostituierten, Vagabunden und anderem Volk es durchaus ehrenwerte Leute geben kann, und umgekehrt unter den  “guten” Bürgern üble Zeitgenossen. Der Mensch lässt sich nicht so ohne weiteres einordnen.  Wilhelm Busch beginnt daher seine Autobiographie ungefähr mit diesen Worten: “Kein Ding sieht so aus wie es ist, am wenigsten der Mensch , dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe”.