Der Adler und die die drei Punkte - Pepi Taschner und die Kultur der Ganoven

Mein Kontakt zu Pepi Taschner

Meine ersten Kontakte in die Wiener Welt der Ganoven, Zuhälter und Dirnen gehen auf meinen in einem vorhergehenden Kapitel geschilderten Krankenhausaufenthalt zurück. Aber auch als Bierausführer in Wien - Floridsdorf und Arbeiter am Wiener Nachmarkt lernte ich einige Herren aus der Szene der Wiener „Galerie“ kennen, wie man noch in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die klassischen Wiener Ganoven, die mit Prostitution, diversen Betrügereien usw. zu tun hatten, nannte.

 

Über einen Wiener Ganoven schrieb ich das im Wiener Böhlau-Verlag 1983 erschienene Buch „Der Adler und die drei Punkte – Die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner“, welches 2007 wieder aufgelegt wurde.

Den Wiener Ganoven Papi Taschner lernte ich um 1982 kennen – und zwar durch einen gewissen Werner Kohlmeier, einem gescheiten Herrn, der an der Universität für Bodenkultur eine Zeit inskribiert war, aber keine Prüfungen gemacht hat und schließlich zum Stadtstreicher wurde (über ihn schrieb ich in einem vorhergehenden Kapitel.)

 

Werner Kohlmeier, der vor einigen Jahren in Wien im Winter im 7. Bezirk tot aufgefunden wurde, er war erfroren, unterhielt die Leute prächtig, er hatte einen guten Witz. Mit ihm suchte ich regelmäßig Veranstaltungen auf, bei denen es gute Buffets gab. Werner lebte von diesen Buffets, bei denen es meist gute Brötchen und auch Bier gab. Auch ich ließ es mir bei diesen gut schmecken. Dadurch lernten wir interessante Leute kennen.

Während meines Studiums traf ich ihn immer wieder. Ich lud ihn einige Mal zu einem Essen ein oder gab ihm stets auch etwas Geld. Jahre später, ich hatte mein Studium schon abgeschlossen und war bereits an der Wiener Universität tätig, erzählte ich ihm, er hatte seine Lebensweise kaum geändert, von meiner Absicht, über Wiener Ganoven zu forschen.

Dabei machte er mich auf den Ganoven Pepi Taschner aufmerksam, von dem er durch einen ehemaligen Drogenschmuggler gehört hatte. Er meinte, im Vergleich zu Pepi Taschner, der damals ca 22 Vorstrafen hatte, wären alle anderen Wiener Ganoven „Waisenknaben“, denn Pepi kenne sich gut aus in der Wiener Szene der Kriminalität. Außerdem könne er gut erzählen.

 

Schließlich erschien dieser frühere Schmuggler, der u.a. eine Zeit in einem spanischen Gefängnis verbracht hatte, eines Tages mit Pepi Taschner bei mir am Institut für Soziologie. Werner Kohlmeier und sein Verbindungsmann in die Wiener Unterwelt weilen beide bereits im Himmel, ich hoffe sie sind dort und lassen es sich gut gehen. Ich bin beiden sehr dankbar.

 

Die Gespräche mit Pepi Taschner

Nachdem ich Pepi Taschner kennen gelernt hatte, verbrachte ich mit ihm viele Stunden in diversen Wiener Beisln (kleine Gasthäuser) und Kaffeehäusern. Er erzählte mir sein Leben mit seinen Kämpfen in der Unterwelt, mit seinen Gefängnisaufenthalten, seinen Abenteuern mit Damen usw. Er meinte einmal zu mir, er habe in seinem Leben mit ca. 200 Frauen intime Kontakte gehabt (er drückte sich weniger vornehm aus). Ich fragte seine Mutter, die ich auch kennen gelernt habe, ob dies stimmen könne. Sie erwiderte, sie glaube, es seien lediglich ca. 130 Damen gewesen, auf die sich Pepi näher eingelassen hätte.

 

Ich begleitete Pepi Taschner in seine Gasthäuser, die er gerne aufsuchte, und ich lernte seine Freunde kennen, darunter den damals berühmten Alois Schmutzer, der eine Stoßpartie – ein Glückspiel mit Karten, bei dem es um viel Geld ging – leitete. Auf diese Weise lernte ich auch die Wiener Gaunersprache, über die ich noch erzählen werde, kennen. Über diese schrieb ich ein ganzes Buch.

 

Die Erzählungen Pepi Taschners nahm ich zum großen Teil auf Tonbändern auf. Diese schrieb ich genau ab und machte daraus das Buch „Der Adler und die drei Punkte – die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner“. Der Adler und die drei Punkte bezogen sich beispielhaft auf die Tätowierungen, die Pepi Taschners Körper zierten. Den Adler trug er groß am Rücken als Symbol der Macht und Stärke. Die drei Punkte waren im Winkel zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand angebracht. Sie sollten anzeigen, dass Pepi jemand ist, der niemanden verrät, er also kein Wams (Gaunerwort für Verräter) ist, auf ihn ist also Verlass – unter Ganoven. 

Der Soziologe und der Ganove - Buchankündigung des Verlages

Buchpräsentation am Spittelberg

 Präsentiert wurde das Buch über Pepi Taschner im Garten des Gasthauses „Witwe Bolte“ auf dem Wiener Spittelberg.

Zunächst wurde auf der Einladungskarte auf die anrüchige Geschichte des Lokals hingewiesen.

 Das Wirtshaus „Witwe Bolte“, das früher „Zum steinernen Löwen“ hieß, hatte ich ausgesucht, weil eben in diesem vor 1800 Dirnen, Zuhälter und kleine Ganoven ein lustiges Leben geführt haben, von dem die berühmten erotischen Spittelberglieder künden. Diese Lieder in einem kleinen Büchel, das ich mir um 1975 mit Genehmigung des Direktors der Wiener Universitätsbibliothek von dieser ausborgen konnte, singt auf einer CD in sehr drastisch- heiterer Weise der bekannte Wiener Sänger Stephan Paryla. Ich habe die Ehre, auf dieser CD einige historische Geschichten dazu zu erzählen.

 

Dieser frühere „Steinerne Löwe“ hatte einen interessanten Gast. Es war dies Kaiser Josef II., der incognito diese verrufene Schenke gerne wegen der Sonnenfeld-Waberl, einer netten Dirne, aufgesucht haben soll. Anscheinend hat er sich bei einem seiner Besuche schlecht aufgeführt, so dass ihn der Wirt, der den Kaiser nicht erkannt hatte, unsanft vor die Tür setzte. Daran erinnerte ein Spruch in großen Lettern, der gleich nach dem Eingang in das Gasthaus zu lesen war:

„Durch dieses Tor im Bogen kam Kaiser Josef II. geflogen 1778“.

 

So sah der Eingang des Gasthauses mit diesem Spruch noch in den 1970er Jahren aus:

Als das Gasthaus, das zuvor noch ein echtes Beisl war, gänzlich renoviert wurde – heute ist es ein Nobellokal -, wurde der Eingang um 1975 umgebaut, der originale Spruch verschwand. Heute ist dieser Spruch in verkleinerter Form am Eingang zum Gastzimmer angebracht.

Der Bericht der Austria Presseagentur – Verwechslung von Autor und Ganoven

Über diese Buchpräsentation verfasste eine Dame der Austria Presseagentur einen netten Bericht. In diesem hieß es, dass man Pepi Taschner, der mit Anzug und Krawatte erschienen war, für den Dozenten gehalten hat, und den Dozenten, also mich, der ich mit einem Polohemd und saloppen Sakko angetan war, für den Ganoven Pepi gehalten hat. Dies ist der Bericht (durch FAX verm.):

Pepi wuchs in den Straßen und Parks in Wien auf – sein Weg in die Kriminalität

Im Buch über Pepi beschreibe ich dessen Kindheit, er war der uneheliche Sohn einer Wienerin und eines deutschen Soldaten, der damals in Wien stationiert war. Pepi wurde 1942 geboren. Er wuchs auf der Straße und in den Parks in Wien auf. Wegen Lausbübereien kam er in ein Erziehungsheim. In diesem erlebte er Demütigungen, aber auch die Freude an der Gewalt. Seine Freunde kommen aus der Welt der Kriminalität.

 

Taschner kommt in Kontakt mit Leuten, die beim Stoßspiel, dem verbotenen Glückspiel der Wiener Unterwelt, beteiligt waren. Er wird Aufpasser beim Glückspiel und lernt die Welt des Gefängnisses kennen. Näheres ist aus diesem Buch zu erfahren.

Pepi Taschner und das  Stoßspiel oder der Stoß

Beim klassischen Stoßspiel der Wiener Unterwelt handelt es sich um ein altes Glückspiel, das weit in das Mittelalter zurückreicht. Darauf deuten Wörter hin, die beim Stoßspiel verwendet werden. So wird die Spielkarte beim Stoßspiel als „Brief“ bezeichnet, ein Wort, das auch Paracelsus (1493 – 1541), der mit dem fahrenden Volk herum zog, für die Spielkarte verwendete. Einen „verkehrten Brief ins Spiel schicken“, so hieß es in Wien, bedeutet: eine gezinkte Karte ins Spiel bringen.

 

In meinem Buch über Pepi Taschner und in dem über Randkulturen gehe ich genauer auf dieses Spiel ein. Wegen der Vorherrschaft beim Stoßspiel in Wien gab es allerhand Rayonskämpfe, an denen Pepi beteiligt war.

 

Hier ist eine Seite aus meinem Buch “Randkulturen“, die sich darauf bezieht, wiedergegeben:

Pepi Taschner und der Taschendieb – die Information an der Tür

Ein besonderes Abenteuer erlebte ich, als Pepi Taschner, der mich regelmäßig im Institut besuchte, wieder einmal erschien.

In seiner Begleitung befand sich ein ehemaliger Taschendieb und Zuhälter, den er vom Gefängnis her gut kannte. Dieser könne mir auch etwas vom Strich erzählen, meinte Pepi. Ich erwiderte, ich hätte im Moment keine Zeit zu einem Gespräch. Der Mann verschwand kurz mit dem Hinweis, er würde Zigaretten holen. Nach einigen Minuten kehrte er wieder zurück. Darauf kam ein Kollege, der zwei Zimmer weiter sein Zimmer hatte, zu mir und meinte, ihm fehlen sein Mantel und die Brieftasche. Pepi Taschner sagte sofort seinem Freund auf den Kopf zu, er wäre der Dieb, er dürfe hier am Institut für Soziologie seine Freunde nicht bestehlen. Der Mann stritt zunächst die Tat ab. Als jedoch Pepi drohte, er würde von ihm und anderen nieder geschlagen werden, wenn nicht sofort die Brieftasche wieder da ist, gab der Dieb die Brieftasche des Kollegen heraus.

 

Es ist verständlich, dass die Aufregung am Institut über meine Art der Forschung groß war. Sogar unsere Sekretärin konnte es nicht fassen, dass ich mich mit solchen Zeitgenossen abgebe. Ich wurde angehalten, an anderen Orten als am Institut meine Gespräche mit Ganoven durchzuführen. Um meinen guten Willen zu zeigen, hängte ich einen Zettel mit diesem Text an die Türe meines Zimmers:

 

„Ich bitte meine Gesprächspartner als Polizist, Zuhälter, Taschendieb, Dirne usw. ihren Beruf nicht in den Räumen des Instituts auszuüben“.

 

Der Sozialarbeiter Kurt Grois machte sich Gedanken zu dem Buch

Der Sozialarbeiter Kurt Grois las das Buch und war betroffen von dem, was ich im Kontakt mit Peppi Taschner geschrieben habe. Er meinte in seiner Buchbesprechung in der Zeitschrift „Sozialarbeit in Österreich“ von 1983 :

„Bei den Schilderungen Taschners, seines Lebens, seiner Bedürfnisse wurde mir zum Beispiel klar, wie weit wir manchmal mit unseren Methoden, mit unseren Vorstellungen, unsere Klienten auf braves angepasstes Mittelschichtleben zu bringen, von der tatsächlichen Realität entfernt sind. Als Sozialarbeiter stehen wir einem solchen Leben absolut hilflos gegenüber“.

 

Der vollständige Text seiner Interessanten Besprechung sei hier wieder gegeben:

Die Buchbesprechung des großen Soziologen und Kulturanthropologen René König

Eine schöne Rezension des Buches stammt von dem sehr bekannten, leider auch schon verstorbenen deutschen Soziologen und Kulturanthropologen René König (* 5. Juli 1906 in Magdeburg; † 21. März 1992 in Köln. Zu seiner Biographie siehe bei Wikipedia).

 

Zwei Zitate von R. König gefallen mir besonders:

„Alle sprechen sie nur über Empirie, aber keiner betreibt sie.

Und:

„Nur wer ständig bereit ist zu lernen, vermag wahrhaft zu lehren“.

 

René König war für viele so etwas wie ein Papst der Soziologie, aber auch der Kulturanthropologie. Er schrieb einige berühmte Bücher und war Herausgeber der hoch angesehenen „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“. Im Heft 4 dieser Zeitschrift von 1983 wird mein Buch von R. Köng derart besprochen (S 802 – S 804).

 

Die Rezension meines Buches durch König ehrt mich sehr.

Zu den Kernsätzen seiner Besprechung gehören wohl die:

 

„Roland Girtler ist nicht nur ein passionierter Bergsteiger, sondern ebenso resolut in seinem Bemühen um qualitative Sozialforschung…..Sein neuestes Buch (also das über Pepi Taschner) …, mit dem er geradezu an die Chicago-Schule der Soziologie …. anknüpft, … unterscheidet sich auch insofern von den meisten heutigen recht langweiligen soziologischen Publikationen, die bestenfalls mit einer Fülle von Fremdwörtern glänzen, dass es spannend ist.“.

 

Und schließlich meint Prof. König:

 

„Man darf abschließend sagen, dass dies Buch nicht nur wegen seines greifbaren Inhalts … wichtig ist, sondern dass es darüber hinaus zu allgemeinen Überlegungen über Soziologie überhaupt anregt, was sicher nicht das mindeste seiner Verdienste ist“.

 

Besonders letztere Feststellung ehrt mich sehr.

 

Hier der Text der gesamten Besprechung:

Mit dieser Rezension hat Rene König mir Mut gemacht, weiter in dieser Richtung zu forschen und meine Bücher zu verfassen.

 

Näher kennen gelernt habe ich Rene König durch meinen, leider auch schon verstorbenen Freund Prof. Hans Benninghaus (ihm sei hier in Ehren gedacht), dem ich dafür sehr dankbar bin.

 

Professor König lud Hans Benninghaus mit seiner lieben Frau Euphemia und mich zum Abendessen in sein Haus in Köln ein. Er und seine liebe Frau zeigten sich als grandiose Gastgeber. Ich bewunderte die große Bibliothek Königs. Eine Nacht verbrachte ich im Haus der Königs, bevor ich nach Wien abreiste. Die Stunden in Köln werde ich nicht vergessen. In Dankbarkeit erinnere ich mich an Rene König. Bei seinem Aufenthalt in Wien in den achtziger Jahren, bei dem er an unserem Institut Vorlesungen hielt, besuchte ich mit König u. a. das „Spatzennest“ bei der Ulrichskirche im 7. Wiener Gemeindebezirk. Ihm gefiel dieses typische Wiener Beisl, das es leider nicht mehr gibt. In diesem ließ er sich ein steirisches Krenfleisch mit einem guten Schluck Bier schmecken.

Taschner zeigt seine  Tätowierungen

Bei einer Präsentation des Buches „Der Adler und die drei Punkte“ in einem Studentenheim entblößte Pepi Taschner seinen Oberkörper, um den tätowierten Adler zu zeigen.

Pepi Taschner tritt im Club 2 auf

Der Randgruppensoziologe S. Lamnek findet Gefallen an dem Buch

Pepi Taschner tritt in meinen Seminaren an der Universität auf

Die deutsche Zeitschrift „Der Stern“ berichtet darüber

 

Das Begräbnis Pepi Taschners und mein Nachruf auf ihn

Pepi Taschner starb 1990 nicht bei einem Pistolenduell und auch nicht bei einer Rauferei, sondern durch einen undichten Durchlauferhitzer in einer Wiener Gemeindewohnung, die ihm durch die Gemeinde Wien zugeteilt worden war. Er schlief in die Ewigkeit hinüber.

 

Das Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, wir wollten Pepi würdig bestattet sehen, zahlten der Schriftsteller Peter Tourrini, den Pepi durch Freunde von mir kennengelernt hatte, und ich. #

 

An dem Begräbnis nahm auch Frau Heidi Unterrainer teil, sie war Bezirksrätin einer österr. Parlamentspartei, später war sich auch Nationalratsabgeordnete. Kennengelernt hatte Pepi Taschner die Dame durch mich bei einem Heurigen in Ottakring. Anwesend bei diesem Heurigenbesuch war auch der damals bekannte Wiener Ganove Alois Schmutzer. Pepi Taschner war äußerst charmant zu der Dame, der dies zu gefallen schien. Nach einigen Glaserln Wein, meinte Pepi zu ihr: „Wenn ich einmal sterbe, müssen Sie bei meinem Begräbnis teilnehmen. Das müssen Sie mir versprechen“. Sie versprach dies. Als ich vom Tode Pepis hörte, teilte ich es Frau Heidi Unterrainer mit. Ich freute mich, sie bei dem Begräbnis Pepi zu treffen.

 

Ich schrieb für Pepi in der Zeitung „Der Standard“ diesen Nachruf:

Ein Richter gedenkt des „bodenständigen“ Ganoven Pepi Taschner

Der frühere Richter am Landesgericht Wien Herr Dr. Wolfgang Novak, heute lebt er als wohlverdienter Pensionist in Osttirol, schrieb mir einmal über Pepi Taschner in gewisser Hochachtung dies:

 

„Ich erinnere mich an den seligen Pepi Taschner, den ich zu einer Zeit, als Wiens Unterwelt noch etwas wert war und starke bodenständige Persönlichkeiten aufwies, des Öfteren einzulochen das Vergnügen hatte“.

 

Dies ist die Kopie des Originalbriefes: