Leben und Überleben in der Klosterschule

Von meinem Leben im Klostergymnasium zu Kremsmünster, in dem ich acht Jahre verbracht habe, handelt mein Buch:

„Die alte Klosterschule – eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen“ Wien, Böhlau 2000
„Die alte Klosterschule – eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen“ Wien, Böhlau 2000

Die Volksschule in Spital am Pyhrn beendete ich nach 4 Jahren.

Ich hatte in dieser den Ruf, ein eher schlimmer Schüler zu sein. Der Direktor der Volksschule, den wir in der 2. Klasse hatten, war verzweifelt über meine Schrift.

 

Die Aufnahmsprüfung in das Klostergymnasium von Kremsmünster bestand ich 1952 ohne Probleme. Nach acht zum Teil harten Jahren maturierte ich im Klostergymnasium Kremsmünster, das damals noch eine reine Knabenschule war. Es war damals undenkbar, dass auch einmal Mädchen, wie es heute üblich ist, dieses ehrwürdige Gymnasium besuchen.

 

In der ersten Klasse waren wir 56 Schüler. Von diesen 56 maturierten 15. Unter ihnen befand ich mich, allerdings war ich in keiner Weise ein vorbildlicher, sondern ein eher schlechter Schüler. Immerhin schaffte ich es, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen, das Gymnasium zu bewältigen.

 

Als ich ca. 15 Jahre nach meiner Matura das Kloster wieder aufsuchte, fragte ich nach P. Reinhard Windischbauer, er war einer unserer gefürchtetsten Professoren. Vor ihm, den wir in Naturgeschichte hatten, hatte ich größten Respekt. Man erklärte mir, er würde nun in der Abteilung für die alten Mönche wohnen. Dort besuchte ich ihn. Ich nannte meinen Namen, den er zunächst nicht verstand. Ich wiederholte ihn, darauf meinte er: „Der Girtler, einer der Schlimmsten, aber nicht einer der Dümmsten!“ Letzterer Hinweis ehrte mich. Ich führte mit ihm ein freundliches Gespräch und verabschiedete mich herzlich von ihm. Ich sah ihn nie wieder.

 

Unsere Professoren und Erzieher waren, wie ich es heute sehe, Ehrenmänner, die uns wohl ab und zu eine schallende Ohrfeige verabreichten, dies war damals in Österreich und in anderen Landen durchaus üblich, die uns aber in keiner Weise sexuell belästigten oder sonst wie sadistisch bedrängten. Zumindest mir und meinen Klassenfreunden ist etwas Derartiges nie passiert. Wohl fluchte ich mitunter über irgendwelche „Gemeinheiten“ meiner Professoren, aber im Großen und Ganzen achtete ich sie. Allerdings unseren Physikprofessor P. Ansgar verfluchte ich, weil er mir in der 7. Und 8. Klasse aus persönlichen Gründen, ich dürfte einige Male frech zu ihm gewesen sein, je einen Nachzipf verpasste, ich musste also im Herbst jeweils eine Nachprüfung in Physik machen.

 

In der achten Klasse war dies bitter für mich, da ich erst nach Bestehen der Nachprüfung, also im Herbst, zur Matura antreten konnte. In meinem Buch ist darüber Näheres zu lesen. Im Nachhinein denke ich sogar mit Wohlgefallen an diese Nachmatura zurück, da ich während der schriftlichen Matura im Kloster nächtigte und dabei das Küchenmädchen kennen lernte. Mit dieser lieben jungen Dame ging ich an den Abenden zwischen den Maturaarbeiten am so genannten Windfeld spazieren.

 

Geärgert hat mich auch unser Mathematikprofessor P. Johannes Brik, aber nicht in dem Ausmaß wie P. Ansgar. P. Johannes war ein Schüler meines Großvaters Rudolf Girtler, Professor an den Technischen Hochschulen in Brünn und in Wien. P. Johannes war es vollkommen unerklärlich, dass ich ein Nachfahre von Professor Rudolf Girtler bin, denn ich war alles andere als ein Genie in Mathematik.

 

Ich wurde in der Klosterschule Kremsmünster zum Überlebenskünstler, der es verstand, einigermaßen angenehm zu überleben. Die acht Jahre verbrachte ich im Konvikt unter der Aufsicht von Präfekten.

Präfekten und Professoren waren Benediktiner, die uns klar zu mache versuchten, dass sie es mit uns Schülern und Internatszöglingen mehr oder weniger gut meinten.

 

Wir durften nur viermal im Jahr heimfahren: zu Allerheiligen, Weihnachten, Ostern und zu den großen Ferien, auf die wir uns besonders freuten. Unsere Eltern, die Landärzte, gestalteten uns diese sehr liebevoll. An den Donnerstagen, den freien Tagen der Eltern, fuhren sie mit uns meist ins Salzkammergut, wo wir an einem See picknickten. Meine Mutter hatte dazu allerhand eingepackt, wie Eier, Würstel, Brote usw. Meist kochten wir auf einem kleinen Benzinkocher Suppen und andere Köstlichkeiten. Es waren schöne Tage, an die ich mich gerne erinnere. Im Herbst, wenn wir, mein Bruder Dieter und ich, wieder nach Kremsmünster einrücken mussten, nahmen wir schweren Herzens Abschied von unserem Heimatort.

 

Das Leben im Konvikt und im Gymnasium war nicht uninteressant, wie ich heute meine. Schließlich baut die Klosterschule in Kremsmünster auf einer mittelalterlichen Tradition auf. Die Klöster haben, was Bildung anbelangt, seit jeher Großartiges geleistet. Wir erlebten aber auch alte Erziehungsformen, die uns damals wenig aufregten. Ich wurde in der Klosterschule auch zum kleinen Rebellen, der lernte, gewisse Verbote oder Gebote geschickt zu umgehen. So war uns verboten, ins Kino zu gehen, mit Mädchen zu flirten und Tanzveranstaltungen aufzusuchen. Wir taten es dennoch.

Im Februar 1959 nahmen mein Freund Hubert Pichler und ich sogar an einem Ball in Kremsmünster teil. Als alle im Schlafsaal schliefen, so um 22 Uhr, standen wir auf, zogen unsere schönen Anzüge an und kletterten über ein Barockgitter. Weiter schlichen wir uns im Schatten des Stiftshofes, dann ging es entlang des Wassergrabens und hinunter die so genannte Tendelleiten. Dann überkletterten wir die Stiftsmauer und betraten schließlich das Gasthaus „Zur Sonne“, in dem der Ball stattfand. Auf diesem lernte ich eine liebenswürdige Dame kennen, Lechner Christl heißt sie. Hier und da sehen wir uns noch. Ihr liebenswürdiger Herr Gemahl ist ein begnadeter Vortragender von Gedichten des Kremsmünsterer Mundartdichters Franz Hönig.

 

Aus meinem Buch seien hier ein paar Kapitel wiedergegeben, um der geneigten Leserin und dem geneigten Leser ein Gefühl für die alte Klosterschule, wie ich sie in den 1950er Jahren erlebt habe, zu geben, Die Klosterschule, in der wir acht Jahre Latein und sechs Jahre Griechisch zu lernen hat, geht in ihrer Struktur, wie ich meine, auf das 16. Jahrhundert zurück. Die englische Sprache, die wir wohl in vier Jahren erlernten, war eher unwichtig. Sie war für mich eine Verbindung von stehen gebliebenem altem Deutsch, das die Lautverschiebung nicht mitgemacht hat, und schlechtem Latein. So z.B. heißt auf Englisch „hope“ hoffen. Durch die Lautverschiebung wurde aus dem p ein f.

Und das schöne lateinische Wort „baccalaureus“ (der mit Lorbeer Bekränzte) wurde zu dem wenig schönen englischen Wort „Bachelor“.

 

In der Klosterschule habe ich fünf Tugenden gelernt, die mein Leben begleiten und die mir hilfreich sind:

1. Mut, er stärkt,

2. Geduld, sie beruhigt,

3. Humor, er hilft, mit Schwierigkeiten fertig zu werden,

4. Großzügigkeit, sie öffnet das Herz,

5. Und ein etwas rebellischer Geist, er macht Spaß. 

Hier nun ein paar Kapitel aus meinem Buch „Die alte Klosterschule“ als Leseprobe:

Die Schank: Schankstunde, gemeinsames Trinken und Feiern

Die Schüler der beiden letzten Klassen hatten ein besonderes Privileg, sie durften zweimal in der Woche die Schank besuchen und dort je für eine Stunde heiter

zechen. Grundsätzlich war den Schülern der Alkoholkonsum verboten, aber dennoch machte man davon eine Ausnahme. Diese Ausnahme ist durchaus im Sinne des heiligen Benedikt zu begreifen, der in seiner „Regel“ im Kapitel 4O meint: "Wir glauben mit Rücksicht auf die Unzulänglichkeit der Schwachen, daß eine Hemina (ungefähr ein Viertelliter) Wein für jeden täglich reichen sollte..... Sollten jedoch die Ortsverhältnisse, Arbeit oder Sommerhitze mehr fordern, so ist das dem Ermessen des Oberen überlassen; doch muß er immer darauf achten, daß nicht Sättigung oder Trunkenheit aufkommt. Zwar lesen wir, der Wein sei überhaupt nicht für Mönche, da man aber die Mönche unserer Zeit davon nicht überzeugen kann, sollten wir uns wenigstens dazu verstehen, nicht bis zur Sättigung zu trinken, sondern weniger, denn der Wein bringt sogar die Weisen zum Abfall".

 

Der heilige Benedikt wußte also wohl, daß ein guter Tropfen für Körper und Seele wichtig sei. Dies wußten auch die meisten der Patres, die zu gutem Essen auch gut tranken. Nur die wenigsten dürften echte Asketen gewesen sein.

 

Dieses Privileg der Studenten der oberen Klassen, zu bestimmten Zeiten Alkohol genießen zu dürfen, entspricht nicht nur den Gedanken des heiligen Benedikt, sondern sie baut wohl auch auf einer alten Tradition auf, nach der junge Burschen allmählich in die Rolle junger Männer überzuwechseln haben.

 

Dazu gehört eben auch, daß der junge Bursch mit Handlungen vertraut gemacht wird, die dem erwachsenen Manne vorbehalten und den Kindern verboten sind. Zu diesen gehört in alten Kulturen die Jagd, aber auch der kontrollierte Genuß von Rauschmitteln. Auf diese Weise soll dem jungen Burschen auch klar gemacht werden, daß das berauschende Trinken mit Disziplin durchzuführen und nicht eine Sache des Alltags sei. Eine ähnliche Absicht ist wohl mit der Schankstunde verbunden, in der alkoholisches Getränk, meist Bier, getrunken werden durfte. Offiziell war also gestattet, eine übliche Norm, nämlich die des Alkoholverbotes, für kurze Zeit zu brechen. Dies erfreute die jungen Burschen, sie sahen sich als junge Erwachsene akzeptiert und tranken bisweilen gewaltig.

 

Einrichtungen wie diese Schankstunden scheinen typisch für Gesellschaften zu sein, in denen klare Grenzen existieren und vieles verboten ist. Ein gelegentliches Brechen der Grenzen und Verbote erleichtern den Umgang mit diesen Regeln. Die Möglichkeit des Durchbrechens, wie es auch im Fasching ist, ist höchst reizvoll und verschafft das stolze Gefühl, für kurze Zeit eine gewisse Freiheit genießen und über die Stränge schlagen zu dürfen.

 

In den fünfziger und sechziger Jahren befand sich die Schank noch versteckt im Anschluß an die Konviktsküche. Der Eingang war im Eck bei der Studentenkapelle. Man betrat die alte Schank durch ein anheimelndes Tor und eine Art Vorhalle.. Rechts davon befand sich ein eher nobles Gastzimmer, benannt war es nach dem unglücklichen durch einen Eber getöteten Sohn Herzog Tassilos Gunther. Dieses Guntherzimmer besaß prachtvolle Fresken mit der Geschichte Gunthers. Für uns Studenten war diese Stube weniger interessant als die Gaststube, die Kernzone der Schank. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand der Gaststube, deren Fenster zum Konventgarten führten, war ein schönes Gedicht mit schönen Buchstaben gemalt. Es fing mit den Worten an: „Wenn ich einmal der Herrgott wär, dann ging ich in die Schank“. In der Gaststube regierte dereinst der Herr Kaiblinger, der Wirt. Es gab Zeiten, in denen die Schank schlecht ging und er daher auch nicht viel anzubieten hatte. Mein Vater hatte sich einmal hungrig in die Schank gesetzt und nach einem Paar Würstel verlangt. Herr Kaiblinger meinte darauf, Würstel habe er nicht, aber dafür Ansichtskarten, mit denen mein Vater aber nichts anzufangen wußte. Neben dem Herrn Kaiblinger gab es, wenn viel zu tun war, eine mitunter feurige Kellnerin. Und in der Küche hatte die Frau des braven Wirtes zu tun. In den sechziger Jahren gab der Kaiplinger die Schank auf. Die Familie Türk übernahm sie und führte sie trefflich. Zum Wassergraben hin erweiterte sich die Schank zu einer romantischen Veranda, die mit Laub umkränzt war. In dieser hielt man sich vor allem im Sommer auf und an schönen Tagen war es ein Genuß, hier zu trinken, zu essen und auch zu singen.

 

Während der Tage der schriftlichen Matura saßen an den Nachmittagen, nachdem die Arbeiten geschrieben waren, hier direkt am Wassergraben bei schönem Wetter die Maturanten. Sie freuten sich, die Matura erreicht zu haben und sangen prächtige Studentenlieder, während ihre jüngeren Kollegen auf der anderen Seite des Wassergrabens ins Gymnasium marschierten und voll Neid auf die trinkenden und singenden Absolventen der Schule schauten…

 

Die Schank war oft auch der Rahmen für das Valet, das Abschiedsfest der Maturanten. Sie besaß eine eigene Romantik, ebenso für die Altkremsmünsterer, die hier ihre Maturajubiläen feierten. Jedes Wochenende während der Frühlingszeit war ein solches Jubiläum angesagt, bei dem wir als Studenten den Rahmen zu bilden hatten. Alle fünf Jahre war es üblich, daß man sich der gemeinsamen Matura mit seinen Klassenfreunden bei Musik und Bier erinnerte. Heute sind solche Feiern gar nicht mehr möglich, da die Studenten jedes Wochenende nach Hause fahren dürfen.

 

Diese Maturajubiläen, über die ich kurz berichten will, da sie eng mit der Existenz der Schank verbunden. waren, besaßen ein festes Ritual, in das wir alle eingebunden waren. Zu diesem Ritual gehörte es, daß an den Samstagabenden im Frühjahr, meist im Mai, sich die Jubilierenden außerhalb der Stiftsmauer beim Eichentor trafen. Von dort wurden sie von der Studentenmusikkapelle abgeholt und in den Hof vor die Schank geleitet.

 

Den jubilierenden Altkremsmünsterern schlossen sich die Schüler an. Es war eine Pflicht für diese, ihre Altvorderen auf diese Art zu ehren. Im Stiftshof bei der Schank nahmen alle Aufstellung. Ein Mitglied der Jubiläumsklasse hielt eine kurze Rede, wobei herausgestrichen wurde, wie wichtig für sie alle die Klosterschule war und wie gerne sie an diese zurückdenken würden. Mir als jungen Studenten war es damals übrigens rätselhaft, warum man sich so gerne an diese Schule erinnere, Nach dieser Rede sangen wir unter den Klängen der Musikkapelle das alte Studentenlied „Gaudeamus igitur“ und das wehmütige Lied „O alte Burschenherrlichkeit“. Dann marschierten die Alten in die Schank, um das Jubiläum der Matura zu feiern. Am nächsten Tag dann besuchten die Jubilierenden die Messe in der Studentenkapelle und marschierten zum Gymnasium, wo sie im Direktionszimmer sich ein besonderes Buch eintrugen. Ein gemeinsames Mittagessen genossen sie noch. Dabei waren auch die Ehefrauen der Altkremsmünsterer, die sich offensichtlich an den Erzählungen der früheren Helden der Schule ergötzten.

 

Zur Schankstunde lasse ich Erwin Starl Treffliches erzählen: “In der siebten und achten Klasse hatten wir am Donnerstag und Sonntag von 5 Uhr bis 6 Uhr

am Abend Schankstunde. Wir durften also in die Schank gehen. Das war noch die alte Schank, die am Wassergraben. Die Schankstunde war für uns ein Pflichtmatch

 

Aber um sechs Uhr mußten wir beim Abendessen ein. Aber bis dahin haben manche ordentlich gesoffen. So der Nabeshuber, der hat Bier trinken können! Wir anderen waren auch nicht schlecht, aber der Nabeshuber hat vier oder fünf Halbe Bier in einer Stunde getrunken. Dazu haben wir Pommes Frittes mit Ketchup gegessen, mehr konnten wir uns nicht leisten. Die alte Mitzi, die freundliche Kellnerin, hat sie uns gebracht. Einmal hat der Nabeshuber wieder ordentlich Bier getrunken. Anschließend beim Abendessen gab es eine Süßspeise, irgendetwas mit Mus. Und das nach der Schankstunde, nachdem wir Bier getrunken hatten. Wir kommen also von der Schank in den Speisesaal, wir waren damals in der achten Klasse. Der Nabeshuber ist am letzten Tisch gesessen, wie ich und die anderen. Der Nabeshuber hat einen solchen Rausch gehabt. Daß er plötzlich zwischen zwei Sesseln zu Boden gefallen ist. Der Hackl, der Konviktsdirektor sieht das und schreit: Du Krüppl, du frißt nichts, aber saufst bloß. Ich bin gegenüber vom Nabeshuber gesessen. Ich mußte, weil sich der Hackl so aufgeregt hat, furchtbar lachen. Vor Lachen hätte es mich schon bald zerrissen. Nun hat er uns alle zusammengeschrien mit den Worten: Ihr besoffene Krüppeln. Der Nabeshuber war wegen seines Rausches schlecht, er war ganz weiß im Gesicht. Wir mussten dann den Nabeshuber abführen und ihn niederlegen. Der Hackl hätte wissen müssen, daß es einem schlecht geht, wenn er getrunken hat, er hat ja selbst mit dem Daddy, dem Pater Rupert, hin und wieder ganz schön gesoffen. Ich habe selbst einmal gesehen, wie die beiden ein Schwips hatten. Ich war an einem Sonntagvormittag der Konviktskanzlei. Der eine von den beiden hat sich gerade in einem Lavour die Füße gebadet. Beide waren weggetreten. Der Hackl hat mit zweierlei Maß gemessen, hier und da hat er akzeptiert, wenn man von der Schank gekommen ist, daß man etwas betrunken ist“. Starl fügt noch etwas hinzu, das auf die spezielle Eigenart und die alte Institution der Schankstunde hinweist: „Das Schönste war, daß der, der nicht in die Schankstunde ging, Studium hatte, also lernen mußte. Der hat nicht, weil er nicht in die Schank ging, frei gehabt.“

 

Die Schankstunde war ein Erlebnis, aber nicht jeder konnte sich das Bier leisten. Dazu weiter Starl:“ Das war nicht so, jetzt hast du Schankstunde und jetzt kannst du dir ein Bier leisten. Eine Halbe Bier hat ja Geld gekostet. Damals 1968 waren es drei Schilling und fünfundneunzig Groschen, die wir für so einen halben Liter Bier zahlen mußten. Und das zweimal in der Woche. Und wenn man das auf acht Mal im Monat nimmt, so war dies doch etwas. Das Bier mußten wir uns vom Taschengeld, das wir von zu Hause bekommen haben absparen. Und viel Taschengeld habe ich nicht von zu Hause bekommen, aber ich habe es mir eingeteilt, so daß in der Schankstunde mir mein Bier leisten konnte.“

 

In der Schankstunde hatten wir also die Möglichkeit, uns als noble und trinkfreudige Herren aufzuspielen. Dazu paßte es auch, daß wir ordentlich geraucht haben. Zum Bild, das wir vom kühnen jungen Manne hatten, gehörten das Bierglas und die Zigarette oder die Pfeife.

 

Das Reizvolle an der Schankstunde war schließlich auch, daß wir gemeinsam gesungen haben. Es verband sich also das berauschende Getränk mit dem lautem Gesang. Nur die Damen fehlten uns noch zu unserem Glück.

Die Lieder, die wir gesungen haben, waren alte Trinklieder und vor allem Lieder, die typisch für die alte Studentenkultur waren, die aber heute kaum mehr in einem größeren Rahmen bei uns gesungen werden. Solche Lieder waren: „Ca,ca geschmauset“, „Gold und Silber“, „Lore, Lore, schön sind die Mädchen mit siebzehn achtzehn Jahren“, „Im Krug zum grünen Kranze“ und viele anderen. Besonders gerne sangen wir „O, du schöner Westerwald“. Und manchen Liedern unterlegten wir einen schlüpfrigen Text, den die Patres nicht hören hätten dürfen. Wir sangen gerne und laut, und ich sehr falsch.

 

Jedenfalls genossen wir diese eine Stunde der Freiheit. Hier durften wir eben Sachen tun, die uns sonst verboten waren. Hierzu sagte Wolfgang Mayr etwas Gescheites: „Wenn das Saufen und das Rauchen nicht verboten gewesen wäre, mich hätte es nicht interessiert. Mir hat das Rauchen getaugt und vor allem das Saufen.“

Die Schankstunde bot uns Gelegenheit, diese unsere Gelüste, die ansonst verboten waren, auszuleben.

 

Dem heiteren Genuß von Bier und Zigarette, aber auch von Pfeife, frönten wir aber auch in verbotener Weise, wenn wir in einem Gasthaus im Ort einkehrten oder in einem Bauernwirtshaus in der Nähe des Klosters uns erfreuten. Auch hier konnte es zu richtigen Gelagen kommen, wie in dem Kapitel über die Spaziergänge bereits ausgeführt wurde.

 

Wolfgang Mayr, der 1962 maturiert hat, zeigte mir zwei Bilder, auf denen ein solches Saufgelage dokumentiert ist und die ihn mit Freunden im Gastgarten eines Bauernwirtshauses beim Bier zeigen. Er schilderte dazu: „Hier haben wir uns eine ganze Partie eingefunden und haben ein paar Doppelliter Bier getrunken. Auf dem einen Bild sieht man uns und eine Uhr, auf der es fünf Minuten vor drei Uhr ist. Hier ist der Krug mit dem Doppelliter noch voll. Auf dem anderen Bild, da ist es drei Uhr und der Krug ist schon leer. Die ganze Saufaktion lief unter dem Motto Marina. Dies darum, weil wir in der Musikbox ständig das berühmte Lied Marina gespielt haben. Dann sind wir betrunken ins Kloster in den Konvikt gewackelt.“

Die Schankstunde und derartige heitere Zusammenkünfte beim Bier erfreuten manche Burschen.

 

Nach der Konviktsordnung hatten sich die Burschen, wenn sie in der Schank waren, an die Regeln des Konviktes zu halten. Exzesse wurden mit Hausarrest oder ähnlichem bestraft. Der Student sollte lernen, auch wenn er Bier oder Most trank, daß er sich zu kontrollieren hat.

 

Ein großer Gegner solcher ritueller Trinksitten war Pater Jakob, der den Burschen freundlich einzureden versuchte, wie schädlich der Alkoholgenuß doch sei.

Als Pater Jakob Konviktsdirektor wurde, schaffte er einfach die Schankstunde ab, er ging dabei von einer alten Tradition ab und erlaubte den Burschen der letzten beiden Klassen, ab nun jeden Tag von fünf bis sechs in die Schank zu gehen. Damit hatte er dir alten Einrichtung der Schankstunde mit ihrem rituellem Biergenuß und dem fröhlichen Gesang den Todesstoß versetzt. Das Ergebnis war, daß der Besuch der Schank an Reiz verlor. Vielleicht wurde nun weniger getrunken, aber es gingen auch die alten Kontakte zwischen den Burschen der letzten beiden Klassen zum Teil verloren, denn man fand sich nur mehr selten zum gemeinsamen Gesang zusammen.

Disziplinierter Alkoholgenuß war durchaus im Sinne der meisten der Patres, denn auch ihnen schmeckte ein guter Tropfen. Darauf verweist auch eine kleine Geschichte, die mir Gustav Bihlmayer aufgeschrieben hat: “Einmal kam einer von uns heiter und stark vom Most illuminiert vom Ausgang zurück. Schnurstracks ging er zum Präfekten Pater Paulus. Wir waren auf das Ärgste gefaßt. Wir dachten, Pater Paulus würde zornig über ihn sein und ihn bestrafen. Als unser Freund aus dem Zimmer des Präfekten kam, fragten wir ihn, was der Pater Paulus gesagt habe. Zu unserer Verwunderung meinte er: Gar nichts. Das schien uns unglaublich. Daher begab sich ein anderer von uns unter irgendeinem Vorwand zu Pater Paulus. Dieser erzählte uns dann, dass Pater Paulus selbst den ganzen Nachmittag mit alten Schulfreunden beisammen gesessen sei und selbst ordentlich getrunken habe. Er war also in demselben Zustand wie unser Freund. Und daher auch nachsichtig.“

 

Dass ein gelegentlicher etwas übertriebener Alkoholgenuss durchaus im Sinne der Klostertradition sein konnte, darüber schrieb mir ebenso Gustav Bihlmayer der meinte, ihnen sei sogar einmal „Alkohol verordnet worden“: „Das kam so. Pater Emmeran war ein gefürchteter Latein- und Griechischprofessor, auf den ein Schüler einmal beinahe ein Attentat verübt hat, war damals in den fünfziger Jahren schon alt und milde. Als er vor die Wahl gestellt wurde, den Fuß amputieren zu lassen oder zu sterben, entschied er sich für letzteres. Sein letzter Wunsch war eine lustige Leich. Und dieser Wunsch wurde ihm erfüllt. Als er starb, reisten wir von der siebten und der achten Klasse mit ein paar Patres im Bus nach Ried, wo das Begräbnis stattfand. Beim Leichenschmaus wurde uns der Wein förmlich aufgedrängt, wir mußten trinken, ob wir wollten oder nicht. Wir wehrten uns aber nicht dagegen. Ein Foto vom Rieder Stadtplatz zeugt heute noch von meinem damaligen Zustand. Das Begräbnis war bis zuletzt wegen des vielen Weines eine wirkliche Gaudi“.

 

Der Wein gehörte zum Klosteralltag, man war ihm nicht abgeneigt, zumal, durchaus im Sinne des heiligen Benedikt, am Namenstag eines Mönches bei Tisch Wein kredenzt wurde. Freund Bihlmayer philosophiert dazu in einem Brief an mich: „Trunkenheit war daher im Kloster ein Kavaliersdelikt. Es war ein Ventil, und sich von der Last der Beschränkungen zu befreien. Die 21 Seidel Bier, die Pater Rupert beim Abschiedsessen unserer Klasse getrunken hat und der Doppelliter Wein, den Pater Heinrich bei den Theaterproben stets griffbereit hatte, bleiben mir in ewiger Erinnerung.“

 

Bier und Wein paßten also in ritueller Weise zum Klosterleben. Dies sah auch der heilige Benedikt, den Mönchen daher großzügig den Weingenuß erlaubte, allerdings verlangte er auch Disziplin beim Trinken. Und eine solche sollte man wohl auch in der Schankstunde, die nur zweimal in der Woche stattfand, lernen.

Bei Bier und Gesang fanden sich die Burschen und waren froh, für eine gewisse Zeit, wenn auch nur eine kurze, von der Last des Alltags befreit zu sein.

Kulturelle Spezialisten: Sänger, Theaterspieler, Musikanten und Bildungsbeflissene

Es gab unter den Schülern des Gymnasiums richtige Spezialisten, zu denen ich allerdings nicht gehörte, da es mir an Talenten fehlte. Ich kann werde singen, noch musizieren, noch eigne ich mich zum Schauspieler. Auf diese Spezialisten möchte ich, wenn auch nur kurz, verweisen.

 

Zu den wichtigsten Experten gehörten wohl jene begnadete Burschen, die von erfahrenen Patres zum Chorgesang herangezogen und ausgebildet wurden. Diese Leuten hatten gewisse Vorteile, da sie durch ihre Kunst wesentlich zum Gelingen von Hochämtern und anderen religiösen Feiern herangezogen wurden.

 

Sie durften sogar hier und da an der Tafel der Patres speisen oder man reichte ihnen Bissen von dieser, wie eben von dem Wildschwein, das am Stiftertag dort aufgetischt war. Und einige Sänger scheinen vom betreffenden Pater besonders gefördert worden zu sein.

 

Bemerkenswert ist, daß wegen dieser Chorsänger die Osterferien der Klosterschüler, erst am Mittwoch nach dem Palmsonntag, im Gegensatz zu anderen Schulen, beginnen konnten. Dafür dauerten sie die ganze Woche danach, wenn wo anders schon Schule war, noch an. Wir betrachteten dies als Segen.

 

Andere Spezialisten waren die Mitglieder der Studentenkapelle, der studentischen Blasmusik also. Diese Studentenkapelle war hoch angesehen im Kloster. Manche Patres waren besonders angetan von ihr und spendeten den braven Musikanten bisweilen sogar Bier. Diese Kapelle mit ihren Blasmusikern begleitete, wie ich schon erzählt habe, die jubilierenden früheren Schüler der Schule vom großen Stiftstor zur Schank, sie war bei Umzügen aller Art dabei, so bei der Fronleichnamsprozession, und zog am 1.Mai in aller Früh durch die Gegend, wodurch sie uns weckte.

 

Mit besonderer Begeisterung war zum Beispiel Rudi Lughofer Kapellmeister.

Ein guter Musikant ist er heute noch. Er nahm seine Sache sehr ernst. Davon kündet sein Ärger mit Musikern, die offensichtlich gerne Bier tranken: „Nach der Schankstunde war immer Probe der Studentenkapelle. Als Kapellmeister habe ich mich da oft geärgert, weil meine Musikanten oft furchtbar angesoffen waren“,

Auch Helmut Obermayr erinnert sich an die Proben: "Der Erwin und ich waren

abwechselnd bei der Trommel oder bei den Tschinellen. Wenn wir mit dem Kapellmeister gestritten haben, haben wir einfach leicht gegen den Takt geschlagen und damit war die Probe geschmissen. Wir haben zweimal in der Woche geprobt, immer Donnerstag und Sonntag am Abend, nach dem Abendessen, da war Kapellenprobe. Besondere Privilegien hatten wir nicht. Es war schön, aber wir waren ganz schön angehängt, zweimal in der Woche Kapellenprobe."

Aber dennoch scheint es dem Kapellmeister gelungen zu sein, brave Bläser und Trommler unter seinem Stab anzuleiten.

 

Besonders beliebt dürfte die Aufgabe des Trommlers und desjenigen gewesen zu sein, der die Tschinellen schlug. Trommel und Tschinellen machten nicht nur Lärm, sondern sie gaben den marschierenden Musikanten auch den entsprechenden Takt. Dies scheint nicht schwer zu sein, ist es aber. Der Trommler haute nicht nur bloß auf die Trommel, er benötigte auch viel Gefühl für den Takt. Die Trommel befand sich auf einem Karren mit zwei Rädern, der von einem Burschen der ersten Klassen gezogen wurde.

 

Die Musikanten der Studentenkapelle genossen hohes Ansehen. Man empfand es als Ehre, unter diesen Leuten zu sein. Sogar der Trommelzieher wurde von den jungen Burschen um seine Tätigkeit beneidet. Ich selbst wäre gerne Trommler geworden, aber meine Unmusikalität verhinderte dies. Einmal jedoch, die Studentenkapelle marschierte mit klingendem Spiel, ich glaube es war zur Probe, durch den vorderen Stiftshof, kam ich zum Zug. Der Mann, der die Tschinellen für gewöhnlich aneinander schlug, war plötzlich verhindert. Man suchte nun einen, der bloß im Takt mit dem Marschschritt der Musikanten diese beiden Messingplatten aneinander schlagen könne. Viel werde also nicht von diesem Ersatzmann verlangt, meinte ich und meldete mich. Jedoch mein Auftritt war eher eine Katstrophe, denn ich erwischte den Takt nicht. Man bat mich schließlich höflich, jemand anderen schlagen zu lassen.

 

Äußeres Symbol der Studentenkapelle war die klassische Studentenmütze der Klosterschule. Diese Studentenmütze bestand aus purpurnem Samt, hatte vorne einen kurzen Schirm und über diesem ein grün-weißes Band. Grün-Weiß waren die Farben der Schule. In früheren Zeiten, vor dem Krieg, wurde diese Mütze von allen Schülern des Klosters getragen, nun nur mehr von den Mitgliedern der Musikkapelle.

Auf diese alte Tradition der Studentenmütze griff übrigens Wolfgang Mayr mit seinen Freunden für ihre Klasse um 1960 zurück. Tatsächlich, wie Bilder zeigen, trugen sie diese Mütze auch. Sie dürften jedoch die Letzten gewesen sein, die diese Mütze, neben den Leuten von der Studentenkapelle, noch zu schätzen wußten.

 

 Spezialisten waren auch diejenigen Studenten, die von Pater Heinrich, dem Deutschprofessor und Theaterleiter, für das Studententheater als Schauspieler entdeckt wurden. Dieses Theater hatte unter der Regie und der Organisation dieses freundlichen Paters, der gerne Zigarren rauchte und einen guten Tropfen Wein zu schätzen wußte, große Erfolge gefeiert. Das Theater war im äußeren Stiftshof mit gutem Geld eingerichtet worden. Jedes Schuljahr in den Frühlingsmonaten wurde ein Stück aufgeführt, schon frühzeitig wurde zu proben begonnen.

 

Die Proben war oft heiter, jedoch die Beteiligten nahmen sie sehr ernst. Es war eine Sache der ganzen Schule, gutes Theater anzubieten. Eingebunden waren neben den Schauspielern auch Künstler aus der Schule, die als Maler unter der Leitung von Professor Thiemann sich um die Bühnenbilder zu kümmern hatten. Ich selbst hatte die Ehre, 1957 im Shakespeares Stück „Coriolan“ mitwirken zu dürfen. Ich durfte die Rolle eines Boten spielen, der bloß mitzuteilen hatte, daß der Martius und der Lartius, zwei Feldherrn, angreifen würden. Diese Rolle war schwer für mich. Ich mußte in römischem leichtem Gewande auf die Bühne stürzen und meinen Satz sagen. Aber ich tat mir hart bei diesem Satz, da ich Schwierigkeiten habe, das „r“ kunstgerecht auszusprechen. Und in den Namen Lartius und Martius war das „r“ wesentlich.

 

Jedenfalls war der Pater mit mir nicht sehr zufrieden. Im nächsten Jahr, wir spielten „Die Räuber“, wurde ich nicht mehr gebeten, eine Rolle zu übernehmen. Meine Aufgabe beschränkte sich auf die Kassa. Ich saß also bei der Kassa und verkaufte Karten oder ich gab die vorbestellten aus. Ich nütze dabei jedoch die Gelegenheit, während der Theatervorstellungen das Kino im Ort von ungefähr 2O Uhr bis ungefähr 21 Uhr 3O zu besuchen.

 

Allerdings war ich bei diesen Abenteuern sehr vorsichtig, denn ich mußte wieder im Stift sein, wenn die Vorstellung zu Ende war. Wäre ich später erschienen, so hätte ich größte Schwierigkeiten gehabt.

Die Ferien

Der Rhythmus des Schuljahres wurde wesentlich durch die Ferien geprägt.

 

Die Ferien waren heiß ersehnt, denn nur zu den Ferien durften die früheren Klosterschüler das Kloster verlassen, um zu den Eltern zu fahren. Insgesamt waren es nur fünf Ferien, während der wir in heimatlichen Gefilden weilten: die paar Tage zu Allerheiligen, die ungefähr zwei Wochen zu Weihnachten, die beinahe zwei Wochen zu Ostern, vielleicht ein paar Tage zu Pfingsten und schließlich die großen Ferien mit den beiden Sommermonaten Juli und August.

 

Übrigens waren die Ferienbeginne nicht immer gleich denen der anderen Schulen. So begannen die Osterferien im Kloster nicht wie sonst üblich mit dem Tag vor dem Palmsonntag, sondern mit dem Mittwoch danach. Dafür dauerten die Ferien noch die ganze Woche nach Ostern an. Diese Sonderregelung war dem Umstand zu danken, daß man im Kloster noch am Palmsonntag die Chorsänger benötigte. 

 

Diese sollten nicht schlechter gestellt sein als die anderen Schüler, daher verfügte man für alle, erst mit dem Mittwoch in der Osterwoche die Ferien beginnen zu lassen.

Die herbeigesehnten Ferien mit der Fahrt in den Heimatort zu den Eltern waren für die Studenten so etwas wie eine Reise in eine andere Welt. Von der Last des Alltags in der Klosterschule, in der man unter Gleichaltrigen sich behaupten muss, einiges einzustecken hat und die persönlichen Gefühle zurückhält, ging es in die Welt der Eltern und Geschwister, in der man sich in Freiheit bewegen und erzählen kann, was einem bedrückt.

 

Man lebte eigentlich von Ferien zu Ferien.

Es gab Schüler, die sich sogenannte Stundenfresser zulegten,, um die Stunden zu zählen, die sie noch von den Ferien trennten.

 

In den Ferien konnte man endlich solange schlafen, solange man wollte, ohne daß einen der Präfekt die Bettdecke wegzog. Es waren richtige Schlaforgien, die ich in den ersten Tagen der Ferien durchführte, derart, daß mein Vater davon erschreckt war und mich mit klassischen Zitaten zu wecken versuchte. Ein solches Zitat war eines aus Torquato Tasso, so glaube ich zumindest, in dem es unter anderem sinngemäß heißt, man müsse schamrot werden, wenn man so geistlos durch das Leben zieht Ich solle also schamrot werden, weil ich gar solange schlafe. War es ein schöner Sommertag, so rief mein Vater fast wie ein Jägersmann: „Auf, auf, sagt der Fuchs zum Hasen, hörst du nicht den Jäger blasen."

 

Mit derartigen Sprüchen wollte mein Vater offensichtlich mich darauf aufmerksam machen, daß ich mir kein allzu vergnügliches Leben in den Ferien vergönne. Tatsächlich verfiel ich bisweilen in ein absolutes Nichtstun, als Gegensatz zum Leben im Konvikt. Die ersten Ferien, die ich im Kloster erlebte, waren die zu Allerheiligen. Für nur drei Tage durfte ich nach Hause. Ich freute mich darauf. Ich fuhr mit dem Zug und wurde von den Eltern freudig empfangen. Ich dachte bei mir, hoffentlich vergehen diese drei Tage niemals. Aber sie vergingen.

 

Jedenfalls die großen Ferien, wenn kein Nachzipf den Himmel verdunkelte und der Aufstieg in die nächste Klasse gesichert war, gehörten zu besten Erinnerungen, die man als Klosterschüler haben kann. Ich genoß die warmen Tage abseits des Klosters bei Wandern und Schwimmen. Sogar zwei Radtouren, die mich durch Österreich führten, unternahm ich mit Freunden aus der Klasse.

 

Und einmal nahm ich an einem vom Gymnasium veranstalteten Jungscharlager am Almsee teil. Unter der Leitung des Pater Ansgar, der sich anscheinend um die religiösen Belange der Jungschar kümmerte, blieben Burschen aus den unteren Klassen jeweils für eine Woche in einer dem Kloster gehörenden Hütte, die direkt am See lag. Mit Fahrrad waren wir dorthin gefahren und erlebten ein klassisches Hüttenleben mit Spielen und Wanderungen. Das bei der Hütte gelegene Plumpsklosett trug den schönen Namen Genf, der von dem politisch interessierten Pater Rudolf stammte. Dieser meinte, da Genf, in der Schweiz gelegen, der klassische Ort der Sitzungen sei, könne man diese Ortsbezeichnung auf den geheimen Ort übertragen, der ebenso zu Sitzungen verleitet.

 

Die Ferien hatten ihren eigenen Zauber. Wir als Klosterschüler kosteten sie aus, sicher mehr als dies die Schüler in den Städten taten, die das Gefühl nicht kannten, über Monate weitab der Eltern zu leben. 

Die traurige Rückkehr von den Ferien

Die Fahrt in den Studienort war triste, nicht mehr so freudvoll wie die umgekehrte Fahrt, als es heimwärts ging. Der einzige Trost war, daß in dem Zug bereits Freunde saßen, die denselben Weg wie ich hatten.

 

Diese Zugsfahrten, die sich die Jahre hindurch glichen, hatten eine besondere symbolische Bedeutung, da sie einmal eine Art Flucht aus einer Welt, in der man sich nicht immer wohl fühlte, waren und das andere Mal beinahe zu einem Häftlingstransport wurden, schließlich waren wir auf dem Weg in das Konvikt, dem Ort der Disziplin. Die beiden Prinzipien Freiheit und Kontrolle also verbanden sich für mich mit diesen Fahrten.

 

Wie gerne wir in die Ferien fuhren, zeigte sich bereits darin, daß wir schon Tage vor dem Ferienbeginn, vor der Abfahrt, zum Bahnhof pilgerten und uns die Fahrkarten besorgten, mit denen wir, wenn auch nur für kurze Zeit, der Klosterschule entfliehen konnten.

 

Besonders arg empfanden wir die Rückkehr nach den Weihnachtsferien. Es war für gewöhnlich der 6. Jänner, der Dreikönigstag, an dem wir wiederum im Konvikt eintrafen.

 

Am Abend eines dunklen kalten Wintertages rückten wir ein, noch voll der Erinnerungen an gemütliche Weihnachtstage im Hause lieber Menschen. Dieses Eintreffen im Konvikt bedrückte vor allem die Jüngeren. Auch mit Humor war es schwer, diese Situation zu bewältigen. Manche taten jedoch so, als ob ihnen dies alles nichts ausmache, aber ich denke, daß auch sie durch den Abschied von zuhause gelitten haben.

 

Die Rückkehr nach den großen Ferien war nicht ganz so schauerlich wie die nach den Weihnachtsfeiertagen, aber man war sich bewußt, nun das eher freie Leben bei den Eltern eintauschen zu müssen gegen eines in Zwängen. Gemildert wurde dieses Leid nach den Sommerferien durch das Wiedersehen mit alten Freunden.

 

Das Ende der Sommerferien bedeutete für jene, die einen sogenannten Nachzipf hatten, also eine Nachprüfung, weil sie in einem Gegenstand im letzten Schuljahr mit Nicht Genügend abgeschlossen hatten, eine besondere Belastung. Auch ich war einer solchen ausgesetzt, als ich in Physik mich einer solchen Prüfung stellen mußte. Ein Teil der Ferien war durch die Vorbereitung für diese Prüfung vertan, aber immerhin schaffte ich sie, zur Freude meines Vaters.

Grippeferien - die Krankenabteilung

Außer den üblichen, im Schulgesetz vorgesehenen Ferien gab es noch außertourliche Ferien, die wir uns jedes Mal erkämpfen mußten. Dies waren die sogenannten Grippeferien, die zur Zeit der Verkühlungen meist im Februar erreicht werden konnten. Damit solche Ferien auch von der Direktion des Gymnasiums verfügt werden konnten, benötigte man in jeder Klasse eine erkleckliche Anzahl an Grippeerkrankungen.

 

Zu dieser Zeit war die Krankenabteilung überbelegt. Die gütige Klosterschwester kümmerte sich rührend, geradezu mütterlich um uns. Hatte jemand Fieber oder machte er einen maroden Eindruck, so schickte ihn der Präfekt in die Krankenabteilung, wo ihm die Schwester ein Bett zuwies. Der Kranke,, der sich für gewöhnlich in der Krankenabteilung schnell erholte, blieb ein paar Tage in dieser, zumindest solange bis das Fieber gänzlich verschwand. Während der Zeit seines Aufenthaltes in dieser Abteilung ging es den Burschen nicht schlecht, sie hatten dort nicht nur eine vortreffliche Pflegerin, sondern sie konnten sich auch richtig ausschlafen, in Ruhe Romane lesen und sogar mit ihren Bettkumpanen Karten spielen. Der Aufenthalt in der Krankenabteilung wurde also von vielen als durchaus angenehm empfunden. Freilich gerieten die in dieser weilenden Studenten leicht in Verdacht, nur zu simulieren, um sich ein paar schöne Tage zu machen.

 

Allerdings achtete daher der Konviktsdirektor darauf, daß niemand zu Unrecht vorgebe, krank zu sein. Dazu erzählte mir Helmut Obermayr: „Die Schwester in der Krankenabteilung war eine Schwester aus Steinerkirchen. Zu meiner Zeit war der Hackl der Konviktsdirektor. Der war sehr streng. Der hat gesagt :: ich war im Krieg Sanitäter, ich kenne mich bei den Krankheiten aus. Bei manchen hat er richtig erkannt, daß sie simulieren. Bei anderen wieder hat er es nicht richtig erkannt. Wenn er einen richtigen Verdacht hatte, hat er zu der Schwester gesagt : hauen Sie den hinaus, der hat nichts. Als er wieder einmal dort war und geschimpft hat, hat die Schwester ihm beim Weggehen von hinten Weihwasser nachgespritzt, so als ob der Leibhaftige den Raum verlassen hätte.“

 

Gab es im Februar also über ein gewisses Maß hinausgehende Grippeerkrankungen, so gab es auch bald die ersehnten Grippeferien. Um diese zu erreichen, mußten, wenn nicht genügend sich erfolgreich krank gemeldet hatten, noch einige gefunden werden, die Grippe einfach vortäuschten. Dies geschah in geeigneter Weise dadurch, daß das Fieberthermometer hinauf gerieben wurde. Solche Simulanten wurden bisweilen, wenn sie nicht unverdächtig waren, in Gegenwart des Präfekten aufgefordert, bei sich Fieber zu messen, wobei der Präfekt sowohl das Hineingeben des Thermometers in die Achsel des angeblich Kranken genauso kontrollierte wie das Hinausnehmen. Ich erinnere mich, wie einige dieser Vortäuscher nebeneinander, mit Fieberthermometern in den Achseln beim Präfekten saßen und auf einen Augenblick warteten, in dem der Präfekt nicht zu ihnen sah, um das Thermometer reiben zu können.

 

Wurden dann Grippeferien, weil nur mehr wenige Schüler die Klassen bevölkerten, ausgerufen, so war die Freude groß. Zumindest für eine Woche konnte man nun zu den Eltern fahren. Die Kranken wurden, um sich zu schonen, allerdings mit Autos abgeholt.

Schulausflüge

Zum Thema Ferien gehören in gewisser Weise auch die Schulausflüge, denn auch sie waren ersehnt und auch sie stellten, vielmehr als in anderen Schulen, eine freudige Abwechslung vom sonstigen Alltag in Schule und Konvikt dar.

 

Die Schulausflüge führten uns in den ersten Klassen zu nahe gelegenen Burgen und Kirchen, so zur Burg Altpernstein bei Micheldorf. Der mit der Wanderung dorthin verbundene Besuch von Gasthäusern oder Burgschenken erfreuten uns genauso, wie Spiele, die mitunter veranstaltet wurden.

 

In den oberen Klassen sahen wir in den Ausflügen willkommene Gelegenheiten, um uns dem Alkohol- und Rauchgenuß widmen zu können, wobei es galt, den uns begleitenden Professor in angenehmer Stimmung zu hallten. Einen Ausflug, wir waren in der siebten Klasse, nützten wir, um uns lockere Kinofilme ansehen. Diese reizten uns, da es uns ja verboten war, solche zu sehen, besonders die mit Brigitte Bardot und Marilyn Monroe. Wir hatten diesen Ausflug nach Gmunden, wo es damals zwei schöne Stadtkinos gab. Unternommen. Der gute Englischprofessor, unser Begleiter, wollte uns einiges Bemerkenswerte von dieser Stadt erzählen und zeigen, doch wir waren plötzlich verschwunden und verbrachten die nächsten zwei Stunden in einem der Kinos. Nach diesen beiden Stunden trafen wir uns beim Autobus, der uns zurück in das Kloster bringen sollte. Mit dem Chauffeur hatten wir vereinbart, daß er dem Professor sage, der Motor des Autobuses sei nicht in Ordnung und er müsse ihn jetzt reparieren. Dies würde ungefähr zwei Stunden dauern. Der Professor war verzweifelt, wir aber nicht und waren gleich wieder verschwunden, um uns den nächsten Film im anderen Kino anzusehen.

 

Jedenfalls, dies wollte ich mit diesem Geschichtchen andeuten, boten Schulausflüge uns mitunter willkommene Gelegenheiten, gleichwie in den Ferien, uns in heiterer und freier Weise zu betätigen.

Fromme Unternehmen

Zum Leben im Kloster gehörten nicht nur das Studium von Latein, Griechisch und anderer Fächer, sondern auch fromme Unternehmungen, die der Klosterschule ihre besondere Berechtigung Legitimation gaben.

 

Es gibt fromme Unternehmungen verschiedener Art, sie konnten sehr einfach und klein angelegt sein, aber auch sehr groß.

 

Klein angelegt waren zum Beispiel die Aktionen, zu denen uns Pater Veremund, den wir als Präfekten der ersten Abteilung hatten, anregte oder anregen wollte.

Er hatte uns nach dem Abendgebet vor dem Niederlegen regelmäßig aufgefordert, gemeinsam einen ganzen Rosenkranz zu beten, wobei jeder von uns ein Gesetzerl zum Beispiel vom freudenreichen, glorreichen oder einem anderen Rosenkranz

beten solle, jeder für sich unter der Bettdecke. Auf diese Weise wären wir gemeinsam fromm und außerdem wird sich der Pater gedacht haben, mit frommen Gebeten wird man auch leichter einschlafen.

 

Zu den eher mittelgroßen frommen Unternehmungen gehörte vor allem die Fronleichnamsprozession, bei der wir Studenten in dem frommen Zug mit der heiligen Monstranz durch das Stift und den Ort mit anderem Volk marschierten. Diese frommen Märsche ermüdeten zwar, aber uns schmeckte dann das Essen und wir hatten auch unsere Unterhaltung dabei, oft mit den jungen Mädchen des Marktes.

Ein anderes wichtiges frommes Unternehmen waren die sogenannten Exerzitien vor Ostern, die für drei Tage angesetzt waren. Diese Exerzitien waren uns sehr willkommen, denn während dieser frommen Tage, gab es keine Schule. Stattdessen hatten wir uns in Stillschweigen zu üben, sogar während der Mahlzeiten, bei denen jemand aus heiligen Büchern Passendes vorlas. Bekannte fromme geistliche Herren hielten in diesen Tagen, einer für die Unter- und einer für die Oberstufe des Gymnasiums, jeweils einige Male am Tag zur Seele gehende Vorträge.

 

Dazwischen waren Stunden der Besinnung angesetzt, in denen man uns fromme Bücher zur Lektüre vorlegte und empfahl. Einige von uns kümmerten sich jedoch nicht um solche tiefgehenden Bücher, sondern lasen weiterhin ihre Bücher von Karl May oder Kriminalromane Damit dies nicht auffalle, verwendete man Umschläge heiliger Bücher. Diese drei Tage der frommen Muße, die mit einer Beichte abgeschlossen wurden, taten uns gut Jedes Jahr freuten wir uns erneut auf die Exerzitien, die uns angenehme Entspannung vom Schulalltag schenkten...

 

Ein frommes Großunternehmen wurde regelmäßig von Pater Albert veranstaltet :

mit Burschen der letzten Klassen pilgerte er zu Ostern nach Rom und zu anderen Stätten Italiens. Bereits im Herbst musste man sich zu dieser frommen Reise anmelden. Eine wichtige Voraussetzung für die Mitfahrt war, daß sämtliche Mitfahrer an einem Kurs, den Pater Albert veranstaltete, teilnehmen. Dieser Kurs, der einmal in der Woche für zwei Stunden abgehalten wurde, bezog sich auf die gesamte christliche Kultur und Kunst, die Pater Albert uns bei dieser Fahrt zeigen werden. Wir lernten bei diesem Kurs, wie viele der Fenster der Lateranpalast hat, welche Bilder in den Museen zu Florenz auf uns warten und vieles mehr. Erst derjenige, der bei Pater Albert über den Inhalt seines Kurses eine kleine Prüfung abgelegt hatte, durfte mit fahren. Gut gerüstet fuhren wir nach Rom, nach Florenz und Assisis. Wir profitierten viel. Wir sahen die Vatikanischen Sammlungen, hatten eine Audienz bei Papst Pius XII, der noch in einem Sessel an uns vorbei getragen wurde, und wir standen vor dem einfachen Kloster des heiligen Franz von Assisis. Wir besuchten benediktinische Mönche in San Anselmo in Rom, wo uns eine gute Jause kredenzt wurde, und wir verbrachten einen schönen Nachmittag in Frascatti, wo wir derart dem Wein zusprachen, daß wir betrunken in der Straßenbahn nach Rom zurückfuhren. Sogar in Neapel waren wir und in Pompeij besichtigten wir, allerdings ohne Pater, ein Bordell mit unzüchtigen Malereien.

 

Dieses Unternehmen, das von seiner Idee her ein sehr frommes war, empfanden wir als großartig. Noch heute profitiere ich von dem, was ich bei Pater Albert erfahren habe. Wir nächtigten in Klöstern und in Kirchen. Während der Nächte in Rom, verließen jedoch einige kühne und rebellische Burschen, darunter war auch ich, das fromme Nachtlager, um römische Mädchen zu betrachten, ins Kino zu gehen und prickelnden Wein zu trinken. Auf diese Abenteuer kam der Pater nicht, da wir unsere Betten derart präpariert haben, daß man meinen konnte, in diesen liege jemand. .

 Die frommen Unternehmungen, die wir als Klosterschüler erlebten, standen wohl auch in der alten benediktinischen Tradition, die durchaus keine langweilige und asketische ist. Immerhin ich habe große Vorteile von diesen für mich gewonnen, gerade hinsichtlich einer umfassenden Bildung.

Die Sache mit der Sexualität

Wohl auf keinem Gebiet hat sich in den letzten Jahrzehnten in der gesamten Gesellschaft so viel verändert wie auf dem Gebiet des Umgangs mit Sexualität.

Und gerade für das Kloster und den Frieden in diesem schien eine gehörige Distanz zur Sexualität wesentlich gewesen zu sein.

 

Das offene Sprechen über Dinge, die mit Sexualität zu tun haben, war eher verpönt.

Man sprach nicht von Sexualität, sondern von der Fleischeslust, worunter, wie ich oben schon erzählt habe, mir als Schüler der ersten Klasse etwas ganz anderes vorgestellt habe. Ich dachte, diese Fleischeslust als Lust beziehe sich auf Rind- und Schweinefleisch. Man sprach auch von Unzucht, auch dieser Begriff war mir zunächst nicht klar. Jedenfalls, wie ich es heute sehe, über die sexuellen Freuden des Menschen und ähnliches haben die Patres nichts zu erzählen gewußt.

 

Damals, ich war schon etwas älter, hörte ich jedoch zum ersten Mal den freundlichen Satz: „Der Kavalier genießt und schweigt“, ich glaube, in einem Laientheater des Klosters. Dieser Satz, so denke ich heute, paßte gut auch zum Leben mancher geistlicher Herren. Mir imponierte dieser Ausspruch, denn er drückte eine gewisse Souveränität aus, nämlich insofern, als derjenige, der sich in ein sexuelles Abenteuer begibt, den Standpunkt vertritt, niemandem gehe seine Abenteuer etwas an.

 

Tatsächlich scheinen einige Patres nach diesem Prinzip gelebt zu haben. Hier und da hörte man über einen Pater, er sei ein Frauenfreund. Aber, ob er wirklich sich in ein Verhältnis eingelassen hat, das war freilich nicht eruierbar. Immerhin schwiegen er und die anderen nobel über Derartiges. Über einen feinen Pater wurde mir vor vielen Jahren von einer Studentin erzählt, sie habe mit ihm in Wien öfter Tennis gespielt. Ihr sei aufgefallen, mit welcher Freude er den leichtbekleideten Mädchen nachsah. Sie sprach ihn darauf an. Er soll darauf erwidert haben: „Wenn ich schon nicht essen darf, so möchte ich wenigstens die Speisekarte sehen“. Der Pater hatte Humor und Noblesse.

 

Aber einige der Patres dürften tatsächlich beim weiblichen Geschlecht zugelangt haben. Schönes dazu schrieb mir mein Freund Gustav Bihlmayer: „Das andere Geschlecht war im Kloster ein besonderes Problem. Da die Mönche ja nicht als Eunuchen zur Welt gekommen sind, ist die Sexualität für sie die härteste Prüfung. Sie wollten aus uns entweder Mönche machen oder die Sexualität in geordnete Bahnen lenken. Vielleicht waren sie uns den Kontakt zum anderen Geschlecht auch neidig. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Ungefähr zwanzig Kinder aus ihrem Samen zu meiner Zeit, einige der Kinder kannte ich, zeugen aber davon, daß die Enthaltsamkeit für sie kein Problem war“.

 

Irgendwie habe ich in der Klosterschule gemerkt, daß über Sexualität zu sprechen tabuisiert ist. Man sprach einfach nicht darüber. Sogar im Naturgeschichtsunterricht hörte der Herr Professor, als er uns über den Menschen und seine Eingeweide unterrichtete, ungefähr in der Höhe des Nabels auf.

 

Es existierte dazu ein Schaubild vom Menschen, das uns der Professor präsentierte, doch auf diesem fehlen dem Menschen die Unterleibsorgane. Daher bezeichneten wir diesen Menschen nicht als „Homo sapiens“ oder ähnlich, sondern als „Homo castratus“. Der Englischprofessor umschrieb kunstvoll dieses Problem, vielleicht augenzwinkernd, indem er jemanden fragte, der das Wort „Rock“ gebrauchte, ob er den Rock südlich des Nabels, also den Damenrock, meine.

 

Die sexuelle Aufklärung war daher für uns ein besonderes Problem. Meine Eltern, obwohl Ärzte, dachten wohl, ich würde auf irgendeine Weise schon aufgeklärt werden, entweder durch die Schule oder auf der Straße. Aus der heutigen Sicht muß ich sagen, der größte Zauber bei der Aufklärung lag bei der durch die Freunde und die Straße. Allerdings hat mich der Pater Georg im Beichtstuhl, ich war gerade zwölf Jahre alt, gefragt, ob ich schon aufgeklärt sei. Ich wußte nicht, was er eigentlich meinte. Ich sagte auf alle Fälle: nein. Darauf lud er mich zu sich in sein Zimmer ein und erzählte mir dort irgendwelche furchtbaren Sachen über die Geburt, was mich eher erschreckte. Ein besonderer Spezialist im Aufklären dürfte Pater A. gewesen sein. Ihm dürfte es Freude bereitet haben, junge Burschen, die er gerne zu sich einlud, etwas über die Geheimnisse der Geschlechter zu erzählen. Er liebte es überhaupt, Burschen um sich zu haben und mit ihnen zu scherzen, dabei zeigte er ihnen technische Neuerungen, darauf war er Spezialist. Einige meinten, er wäre homosexuell, doch andere bestritten dies wieder, indem sie festhielten, der gute Pater wäre ein eifriger Besucher von Bordellen, was als durchaus positiv gesehen wurde, denn immerhin ist es besser, wie zum Beispiel Gustav Bihlmayer überlegt, in Bordellen die Sexualität zu bekämpfen als ein harmloses Bauernmädchen zu schwängern….

 

Mir erzählte ein Kommilitone, er sei gegen Ende der fünfziger Jahre zu Pater A. in den Beichtstuhl gegangen, dort habe er ihm gebeichtet, daß er onaniert habe. Nach einiger Zeit ging er leichtsinniger Weise wieder zu diesem Pater beichten und wiederum erzählte er ihm von seiner Sünde des Onanierens. Er erhielt zwar die Lossprechung von dieser Schuld, aber während einer Jungscharstunde, in der dieser Pater zu irgendwelchen religiösen Dingen sprach und dieser Bursch anwesend war, berichtete der Pater über diese Beichte. Er nannte zwar keinen Namen, aber der Bursche wusste, daß er ihn meine. Der Pater erzählte, jemand habe bei ihm zweimal hintereinander gebeichtet, daß er onaniere. Darüber zeigte sich der Pater entsetzt und meinte ungefähr so, daß dieser Bursche nicht besserungsfähig sei. Der Bursche war zutiefst getroffen und schämte sich, auch wenn niemand wußte, daß der Pater über ihn gesprochen habe. Ich traf diesen Kommilitonen vor ein paar Jahren und da erzählte er mir davon. Er schien noch immer darunter zu leiden.

 

Witze, mit denen man sich über die Selbstbefriedigung belustigte konnten also für die Seele des einzelnen eine höchst positive Wirkung haben.

Mir schrieb mein Vater damals, ich war in der fünften Klasse, ich solle mich täglich ordentlich mit kaltem Wasser waschen,. Damit ich auf keine abwegigen Ideen komme. Dem fügte er noch ein heroisches Zitat von Goethe hinzu.

 

Ich wußte, was mein Vater damit ausdrücken wollte. Er wollte verhindern, daß ich mich an der Selbstbefriedigung ergötze. Im ersten Moment ärgerte ich mich über diesen Brief meines Vaters, ich sah in ihm eine Demütigung meiner Person, doch dann machte ich meine Witze mit anderen über die Sorgen meines Vaters. Damit befreite ich mich von diesem Druck, den mein Vater in gutem Glauben um die Wichtigkeit eines solchen Briefes auf mich erzeugen wollte.

 

 Unzüchtige und schweinische Witze halfen wohl über schwere Zeiten der sexuellen Einschränkung, wie eben die bereits zitierten lasterhaften Zeilen, die ein unbekannter gescheiter Student einmal gedichtet hat : "Schütts die kalten Bauern über die Klostermauern". Ihm sei dafür gedankt.

 

Allerdings wurde es bei den Patres ruchbar, daß jemand ständig „ordinäre“ Witze erzählt, so mußte dieser mit schweren Strafen und sogar damit rechnen, deswegen aus der Schule zu fliegen.

 

Jede Art von Unzucht, die unter uns Schülern publik wurde, veranlasste die Patres, den oder die Übeltäter sofort aus der Schule zu entfernen. So zum Beispiel mußten ein paar Burschen, die eine Klasse vor mir gingen, sofort das Kloster verlassen, weil sie in Verdacht gekommen waren, angeblich homosexuelle Spiele in ihren Betten im Konvikt zu veranstalten. Von einem der Beteiligten wurde mir allerdings aus der heutigen Warte erzählt, die ganze Angelegenheit sei eine sehr harmlose gewesen. Er, der ein ausgezeichneter Schüler war, könne nicht verstehen, deswegen aus der Schule gejagt worden zu sein.

 

Die Patres, dies halte ich aus gutem Grund fest, waren sehr daran interessiert, so genannte unzüchtige Dinge im Keim zu ersticken.

 

So auch in dieser Geschichte. Ich war damals in der sechsten Klasse, als ein Schüler der achten an einem Vormittag nach einer Konferenz, die wegen ihm einberufen worden war, sofort und gnadenlos das Kloster verlassen mußte. Dieser Bursche hatte den Präfekten gefragt, ob er in den Nachbarort Bad Hall gehen dürfe, denn er habe am Sonntag in einem Gasthaus, in dem er mit seinen Eltern war, seine Brieftasche vergessen. Diese wolle er sich nun abholen. Der Präfekt gestatte ihm, dorthin zu marschieren. Der Herr Student tat dies und ging dort zum Friseur. Diesen fragte er, ob er Präservative habe. Der Friseur verneinte und sagt, solche Artikel würde er hier nicht führen. Der Student verließ darauf das Lokal des Friseurs. Allerdings hatte er nicht gesehen, dass in einem der Friseursesseln eingeseift Pater Gotthardt gesessen ist. Dieser sagte auch nichts. Am nächsten Tag ließ Pater Gotthardt, der ansonsten

ein ungemein gütiger Mensch war, im Gymnasium eine Konferenz einberufen, in der er die Geschichte mit dem Präservativ erzählte. Die einstimmige Meinung war, daß der verwegene, unzüchtige und verworfene Bursche sofort die Anstalt zu verlassen habe. Dies wurde ihm mitgeteilt und am Nachmittag war er nicht mehr Angehöriger des Konviktes und des Gymnasiums. Ich verstand damals die ganze Angelegenheit nicht, da ich nicht wußte, was ein Präservativ ist, denn es hatte sich hinter vorgehaltener Hand bald herumgesprochen, daß der Bursche wegen eines Gegenstandes, der diese für mich geheimnisvolle Bezeichnung trug, aus unserem Umkreis entfernt werden mußte, da man offensichtlich meinte, er würde Unheil über uns bringen. Ich erinnere mich, daß ich den ganzen Nachmittag herumging und diverse Leute fragte, was denn ein „Präversativ“ sei, oder so ähnlich heiße die Sache. Ich erfuhr da nicht viel, daher suchte ich Pater G. auf, der mich verbesserte und sagte, dieses Ding heiße nicht „Präversativ“ sondern „Präservativ“. Und dann erzählte er mir schauriges Zeug über seine Erlebnisse beim Militär, bei dem es Männer gibt, die ihre Glieder mit einem Gummi überziehen, um sich dann unzüchtig zu verhalten. Während er mir dies erzählte, legte er väterlich den Arm um meine Schulter. Ich war von dieser Erzählung eher geschockt. Ich zog es nun vor, mich näher über dieses Thema bei Freunden und anderen Leuten zu erkundigen. Dort erfuhr ich auch Spannenderes als mir der Pater bieten konnte.

 

Dieser Pater hatte den Ruf, wie ich später erfuhr, ein Homosexueller zu sein. Dazu ist festzuhalten, daß weder ich noch ein anderer, soviel ich weiß, von diesem Pater je homosexuell belästigt wurde. Auch andere Patres zu meiner Zeit standen nicht in dem Ruf, irgendjemand sexuell zu belästigen. Allerdings hörte ich, als ich bei Freunden und früheren Besuchern der Klosterschule meine Erkundigungen einzog, daß derartige Fälle einer homosexuellen Annäherung vorgekommen seien. aber diese Fälle dürften, wenn ich es richtig sehe, höchst selten gewesen sein.

 

Uns interessierte Homosexualität nicht. Wir Burschen im Konvikt waren vielmehr angetan vom weiblichen Geschlecht. Um dieses näher zu studieren und uns an weiblichen leicht bekleideten Schönheiten zu erfreuen, kauften wir uns ab und zu diverse Illustrierte, in denen zum Beispiel Brigitte Bardot im Badekostüm gesehen werden konnte. Aufregend war zum Beispiel das „Wiener Magazin“, in dem Mädchen in äußerst verführerischen Positionen abgebildet waren. Hefte dieser Art waren uns streng verboten, wir durften sie nicht betrachten. Da die Gefahr groß war, daß man uns, wenn wir diese Hefte im Konvikt oder im Gymnasium besichtigen, dabei erwischte, versteckten wir sie zum Beispiel bei einem Freund im Markt. Dies tat auch ich. Ich holte mir dieses Heft und marschierte gleich einem kleinen Rebellen mit diesem in den Wald, um es genußvoll zu examinieren. Einmal hörte ich, beim Friseur im Markt liege eine Illustrierte auf, in der es ein Bild gebe, das einige Frauen mit nackten Brüsten zeige. Darauf marschierten wir zum Friseur und erfreuten und an dem Bild, auf dem allerdings die halbnackten Damen nur sehr klein zu sehen waren. Aber immerhin war es ein Erlebnis, Derartiges, das im Kloster verpönt war, vor den Augen gehabt zu haben.

 

Als der Konviktsdirektor einen von uns dabei erwischte, wie er eine der klassischen deutschen Illustrierten, ich glaube, es war der "Stern", las, wurde er ob dieser Unzüchtigkeit wild. Die leicht bekleideten Damen in dieser Zeitschrift waren für ihn zutiefst verwerflich. Er beschimpfte uns daher alle, indem er meinte, diese "Weiber", die wir in diesen Heften sehen, wären "unkeusch", wir sollten "uns lieber unsere Mütter ansehen". Er wollte damit offensichtlich ausdrücken, daß unsere Mütter gegenüber diesen abgebildeten "unkeuschen" Mädchen anständige Frauen wären. Allerdings konnte es mißverstanden werden, was er da gesagt hatte, in dem Sinn, daß unsere Mütter eben schöner wären. Wir jedenfalls lachten darüber.

 

Interessant waren für uns auch Bücher mit schlüpfrigen Stellen, in denen wir über die Lust der Mädchen etwas lesen konnten. In dieser Richtung faszinierte uns die Schriftstellerin Francois Sagan, die für die damalige Zeit Tollkühnes auf dem Gebiet der Sexualität geschrieben hat, aber auch Hemingway, der in seinem großen Werk „Wem die Stunde schlägt“, schildert, wie die männliche Hauptfigur mit einem Mädchen gemeinsam in einem Schlafsack liegt und dabei über ihre Brüste streicht, die „wie Brunnen aus einer Ebene herausragen“, wie es ungefähr heißt.

 

Beliebt waren bei uns daher auch jene Filme, die Jugendverbot waren und die wir daher meist in den Ferien sahen. Von diesen, zu ihnen zählten die mit Brigitte Bardot, erhofften wir Einblicke in die weiblichen geheimen Schönheiten. Allerdings war es sehr zahm, was wir damals schon als sehr aufregend empfunden haben.

 

Nackte Frauen zu sehen, war für uns ein Wunschtraum, aber nicht so leicht erfüllbar. Ein Bursche aus einer der unteren Klassen, der im Ort wohnte und oft gegen Abend vom Gymnasium über einen kleinen mit Bäumen bewachsenen Hang in den Ort marschierte, hatte ein aufregendes Erlebnis. Bei seinem Marsch kam er am Haus des Turnprofessors vorbei. Wie er wieder einmal an diesem vorbei schlich, erspähte er durch ein Fenster ohne Vorhang die nackte Frau des Professors, die sich gerade badete. Dieser Anblick dürfte ihn derart erfreut haben, daß er nun öfter die Gelegenheit nutzte, um dieser Frau beim Baden zuzusehen. Irgendwie kam ihm der Turnprofessor auf die Schlichte. Der Bursche mußte die Schule wegen seiner Unzüchtigkeit sofort verlassen.

 

Ein besonders kühnes, rebellisches Unternehmen führte ich durch, um einmal in einem Wiener Nachtlokal Striptease-Tänzerinnen, von denen ich schon viel gehört hatte, zu erleben.

 

Ich war damals erst fünfzehn Jahre alt, als ich zu den Allerheiligenferien auf die Idee kam, diesmal nicht zu den Eltern zu fahren, sondern mich per Autostopp nach Wien aufzumachen, wo mein um ein Jahr älterer Cousin mich erwartete. Meinen Eltern ließ ich wissen, daß ich nach Linz zu einer Tagung der katholischen Jugend fahren werde. Sie erlaubten mir dies. Um sie in gutem Glauben zu wiegen, bat ich einen Freund, der zu den Ferien nach Linz fuhr, dort eine Karte von mir an meine Eltern aufzugeben. Auf dieser Karte stand, wie gut es mir bei der katholischen Tagung gefalle,

 

Tatsächlich war ich jedoch in Wien gelandet. Begleitet hatten mich dorthin drei Freunde, die auch per Autostopp dorthin gelangt waren. Sie schlossen sich mir und meinem Cousin an. Dieser führte uns in ein Nachtlokal, in dem wir sicherlich die jüngsten Besucher waren. Wir ließen uns Sekt kommen, mein Cousin hatte Geld, ich glaube, er schmuggelte, und zahlte für uns. Das Programm war großartig. Schöne Frauen hüpften vollkommen nackt vor uns über die Bühne. Eine kam sogar zu uns. Offensichtlich gefiel ihr, daß so junge Burschen, ich war fünfzehn, sich in diesem Lokal aufhalten. Jedenfalls erlebten wir eine höchst vergnügliche unzüchtige Nacht weitab der Klosterschule. Meine Eltern kamen leider dahinter, daß ich in Wien in einem Nachtlokal war, meine Tante hatte mich verraten. Meine Vater strafte mich mit furchtbaren Ohrfeigen. Aber ich habe diese gerne hingenommen, denn dieses Erlebnis in der Bar war einmalig und sehr aufschlußreich. Es war auch etwas Rebellisches dabei.

 

Jedenfalls war diese Zeit keine leichte, wir haben viel in Sachen Sexualität gelitten, aber es hatte auch seinen Zauber, wenn man sich an die Geheimnisse, die mit der Geschlechtlichkeit des Menschen allmählich heran tastete. Die unzüchtigen Witze mögen dabei geholfen haben.

Die Mädchen

Mit hübschen Mädchen im Markt in Kontakt zu kommen, war ein schwieriges Unterfangen, wie ich nun zeigen werde, denn uns war es strengstens verboten, mit ihnen Umgang zu pflegen.

 

Tanzkurse, an denen wir teilnehmen hätten können, waren uns noch untersagt. Erst ab Mitte der sechziger Jahre werden Tanzkurse für die Klosterschüler üblich.

Allerdings wurden diese in Linz abgehalten, wie mir Freund Obermayr erzählte:

"Zum Tanzkurs sind wir mit dem Zug nach Linz gefahren, zur Tanzschule Schlesinger im Bahnhofsfestsaal. Fünf Minuten vor Ende mußten wir schon weg. Weil der Zug fuhr. Beim Tanzkurs ist ein Pater dort gesessen und hat auf uns aufgepaßt. Die Tanzkurse waren sehr nett. Zwei von uns haben sich sogar verliebt."

 

Für uns gab es solche Vergnügungen noch nicht. Diese Einführung der Tanzkurse deuten aber bereits auf den Wandel der alten Kultur der Klosterschule hin.

Vorher boten sich lediglich in den Ferien echte Gelegenheiten an, mit Mädchen sich treffen und sie vielleicht sogar zu küssen. Ich jedenfalls lernte im Alter von vierzehn Jahren auf einer Schihütte ein Mädchen aus Wels kennen, dem ich sogar im Laufe eines Hüttenspiels einen zarten Kuß gab, von dem ich noch längere träumte. Leider riß die Beziehung ab. Mit fünfzehn hatte ich während der großen Ferien das Glück, im Gebirge eine liebenswürdige Wienerin kennenzulernen. Mit ihr und ihren Geschwistern ging ich schwimmen und durfte sie sogar küssen. Dadurch beeindruckt, beschloß ich, ihr Briefe zu schreiben. Ich erhielt auch einige, über die ich mich besonders freute. Damit der Präfekt nicht dahinter komme, wer mir da aus Wien schreibt, bat ich meine Brieffreundin, als Absender nicht Lieselotte M. zu schreiben sondern Leo M. Sie tat es und die harmlosen Liebesbriefe erregten keinen Anstoß.

 

Ein besonderer Spezialist in unserer Klasse im Schreiben von Liebesbriefen war ein gewisser Franz Th., der mit Begeisterung seinen Freundinnen regelmäßig auf schönem Papier schrieb. Auch sonst war Franz, ein gepflegter Herr, ein Freund der Damen, auch derer vom Ort, die von einer besonderen Faszination waren.

 

An die hübschen Mädchen des Marktes zu gelangen, war für uns nicht immer einfach, denn uns war vom Kloster aus strengstens verboten, Umgang mit diesen zu pflegen. Aber wir taten es dennoch. Einige Mädchen wurde von der Ferne aus richtiggehend verehrt. ; Man sprach von ihnen in den höchsten Tönen, obwohl man keinen direkten Kontakt zu ihnen hatte.

 

Ein Radiomann, der so alt ist wie ich und der auch in einer Klosterschule war, meinte einmal, die Burschen hätten damals eher abfällig über die Mädchen gesprochen, wohl um sich selbst herauszustreichen. Dem kann ich für mich und meine Freunde nicht zustimmen, es sei denn, man betrachtet Bezeichnungen für Mädchen wie „fesche Katz“ oder „klasse Henn“ als abfällig. Dies war aber nicht in unserem Sinn. Allerdings mögen jene mit abfälligen Worten über Mädchen gesprochen haben, die nicht den Mut aufgebracht haben, ein Mädchen anzusprechen.

 

Tatsächlich standen wir vor dem großen Problem, mit Mädchen in Kontakt zu kommen.

 

Hier und da gelang es doch einem, ein freundliches Mädchen zu treffen und mit ihr spazieren zu gehen. Bereits das galt als rebellische Heldentat. Aber auch die Mädchen im Ort hatten Augen für die Studenten, diese dürften für sie im Vergleich zu anderen Burschen im Dorf besonders interessant gewesen sein.

 

Ich sprach mit einer liebenswürdigen Dame, die dereinst in den sechziger Jahren in Liebeshändel mit einem Studenten verstrickt war. Bemerkenswert an ihrer Erzählung ist der Hinweis, die Patres würden vom Stift mit Ferngläsern ihre Schutzbefohlenen beobachten. Sie berichtete: “Ich war damals vierzehn Jahre alt, dünn und klein. Und habe mich in einen Studenten von der fünften Klasse verliebt, er war fünfzehn . Es war nichts dahinter. Ab und zu haben wir uns im Markt getroffen. Ich war ganz schrecklich verliebt. Die Patres oben im Stift haben davon erfahren, daß wir uns getroffen haben. Mit Guckern haben sie in den Markt geschaut. Die haben ja alles gewußt. Sie haben auch gewußt, ob die Burschen im Freibad bei uns liegen und sich mit uns unterhalten.

 

So haben sie auch gesehen, daß dieser Wolfgang sich mit mir trifft, zum Beispiel beim Geschäft Herwerthner, das war ganz harmlos. Eines Tages, ich war in der vierten Klasse der Hauptschule, holt mich die Frau Fachlehrer und sagt mir, es sei bekannt, daß ich mich immer mit einem Studenten im Markt treffe. Darauf war ich total eingeschüchtert. Wir haben diese Frau Fachlehrer gefürchtet. Sie hat mir nun mitgeteilt, daß der Herr Konviktsdirektor Pater Reinhard habe sie angerufen und ihr mitgeteilt, daß ich mich im Markt immer mit einem Studenten treffe, Sie meinte, wenn ich so ehrlich bin, ihr den Namen des Studenten nenne, sie wisse ihn ohnehin, dann würde mir nichts passieren. Es komme ganz auf meine Ehrlichkeit an. Ich habe herumgedrückt und dann hat sie mir doch den Namen heraus gelockt. Der ist dann sofort aus der Schule geflogen. Sie hat mich hinein gelegt, denn den Namen des Burschen haben sie nicht gewußt. Das war 1966. Er hat dann in einer anderen Schule maturiert. Wie ich dann achtzehn war, ist er nach Kremsmünster gekommen, um mich zu besuchen. Er hat mich angerufen und gesagt, daß er im Kaffeehaus Schlair auf mich warte, ob ich nicht kommen wolle. Ich war dann von ihm etwas enttäuscht, denn irgendwie hatte ich ihn mir anders vorgestellt."

 

Die Patres duldeten noch in den sechziger Jahren nicht, daß Mädchen des Marktes mit den Studenten freundschaftliche und ähnliche Kontakte pflegen. Um hinter die geheimen Schliche der Burschen und Mädchen zu kommen, griffen die Patres zu allerhand Strategien, wie eben, wenn man der Erzählung der freundlichen Dame glauben darf, zur heimlichen Beobachtung durch Ferngläser. Allerdings wurde mir auch von anderer Seite berichtet, daß zum Beispiel ein Pater, der die Sternwarte bewohnte, mit seinen Fernrohren zu einem echten Erforscher der wagemutigen Umtriebe der Studenten im Umfeld des Kloster geworden sei. Ob dies der Wahrheit entspricht, läßt sich wohl nicht beweisen, aber es spricht doch einiges dafür, daß gewisse Patres Freude daran hatten, mit Fernrohren vom über dem Markt gelegenen Stift aus ihre Blicke durch die Gegend lustvoll schweifen zu lassen. (Es sei ihnen vergönnt) .

 

Die Studenten mußten sich also einiges einfallen lassen, um, wenn sie Mädchen trafen, nicht dabei erwischt zu werden. Wenn Patres von Mädchen wußten, sie haben ein offenes Herz für Studenten, so konnte es sogar sein, daß man auf diese Mädchen einzuwirken versuchte, um die Unschuld der Burschen zu sichern.

 

Dazu paßt die weitere Erzählung der freundlichen Dame:

 

 "Wir Mädchen hatten uns damals mit den Burschen aus der fünften und der sechsten Klasse des Gymnasiums getroffen. Der Pater Nikolaus hat das mitbekommen. Er hat daher uns Mädchen, wir waren fünf, zu sich zitiert. Wir mußten unterschreiben, daß wir die Studenten in Ruhe lassen. Wir hatten die Studenten eigentlich immer nur kurz getroffen, von halb eins bis eins zum Beispiel, oder am Donnerstag und am Sonntag von zwei bis vier Uhr, Oft haben wir uns im Kino getroffen",

Für einige Studenten bedeutete es ein richtiges Abenteuer, Mädchen zu treffen.

Auch ich nahm in dieser Hinsicht einige Abenteuer auf mich.

So war es eine echte Heldentat von mir, die ich oben schon beschrieben habe, als ich in der achten Klasse an einem Ball im Markt teilnahm. Ich war über das Gitter im Gang des Konviktes gestiegen und mich hinunter in den Markt geschlichen. Bei diesem Ball wurde ich von einem ausnehmend hübschen Mädchen zum Tanz aufgefordert. Ich war sehr erfreut . Dem Mädchen, Christl Lechner hieß sie, dürfte imponiert haben, daß ich als Klosterschüler es gewagt habe, hier zu erscheinen.  

 

Obwohl ich nicht tanzen konnte, drehte ich mich mit ihr im Kreise. Und dann trank ich mit ihr Wein. Dabei, ich glaube, sie hat mich geküßt, warf ich durch eine ungeschickte Armbewegung ein Weinglas um. Der Wein ergoß sich über ihr schönes Kleid. Vielleicht war dies der Grund, daß sie von mir vielleicht doch nicht so angetan war. Ich habe sie jedenfalls während der nächsten Tage und Wochen im Geschäft ihres Vaters öfter aufgesucht und mit ihr gescherzt. Einmal traf ich sie im Markt und tratschte mit ihr. Der Turnprofessor sah mein verwegenes Handeln und schilderte dieses dem Konviktsdirektor. Dieser wieder schrieb deswegen meinem Vater einen Brief, in dem er anprangerte, ich würde mich mit Mädchen treffen und ich müsse damit rechnen, die Klosterschule noch vor der Matura verlassen zu müssen. Es war ein Glück, daß dank der Fürsprache meines Vaters ich doch nicht aus der Schule flog.

 

Noch ein anderes Mädchen lernte ich zu dieser Zeit kennen, sie war eine fesche Bauerntochter von einem großen Bauernhof in der Umgebung des Klosters. Mir war sie beim Gang zur Kirche am Sonntagvormittag im Stiftshof aufgefallen. Wir betrachteten damals mit Begeisterung die Mädchen, die am Sonntag zur Kirche gingen, denn unter ihnen befanden sich sehr hübsche Exemplare. An einem Sonntag sprach ich dieses Bauernmädchen, Leopoldine hieß sie, einfach an. Sie war nicht abgeneigt, mich zu treffen. So vereinbarten wir, ich solle sie zu Hause abholen. Das tat ich auch. Ich erinnere mich an die Bauernburschen, die, als sie mich sahen, sich belustigten, ein "Schulerbub" würde das Mädchen abholen. Wir marschierten durch einen Wald, vergnügten uns fast harmlos und als ich sie nach Hause begleitet hatte, gab sie mir eine Flasche mit hervorragendem Most mit. Dieses köstliche Getränk teilte ich mit meinen Freunden. Diese Ausflüge, die ich sehr geheim hielt, wiederholten sich und jedesmal erhielt ich guten Most.

 

Unser Physikprofessor hatte mir im Abschlußzeugnis der achten Klasse aus mehr persönlichen Gründen in Physik ein "nicht genügend" verabreicht. Der Mann dürfte mich nicht gemocht haben. Jedenfalls war ich der einzige der Klasse, der nicht zur Matura antreten durfte. Meine Freunde aus der Klasse legten ihre Prüfungen ab und feierten ihren Abschied von der Klosterschule. Ich hatte noch bis zum Herbst zu warten. Etwas getröstet hat mich damals das freundliche Bauernmädchen mit ihrem Most.

 

Aber noch ein anderes Mädchen hatte es mir angetan. An dieses denke ich mit besonderer Hochachtung. Ich mußte also im Herbst, nachdem ich die Nachprüfung in Physik bestanden hatte .alleine maturieren. Zuerst war die für vier Tage angesetzte schriftliche Matura. Um diese abzulegen, durfte ich während dieser Zeit in der Krankenabteilung des Konviktes übernachten. Dabei lernte ich das Küchenmädchen Irmgard kennen, die Konviktsküche war unterhalb der Krankenabteilung. Dieses liebenswürdige Mädchen, welches auch bei meinem Latein und Griechischprofessor täglich aufzuräumen hatte, versuchte, auf dessen Schreibtisch Hinweise auf meine Maturastellen zu finden. Sie fand auch einen griechischen Text, dessen erste Zeilen sie mit ungelenker Hand abschrieb. Ich konnte allerdings nichts anfangen damit, aber ich war ungemein angetan von der Freundlichkeit dieses Mädchens In der Dunkelheit ging ich mit ihr auf einer Wiese, dem sogenannten Windfeld, nicht weit vom Stift, spazieren. Irgendwann küßte sie mich und ich betaste freudig ihre nackte, etwas größere Brust. Dabei blieb es und ich dachte mir, daß dieses Erlebnis mich für die Niedertracht des Paters, der mich in Physik durchfallen ließ, bestens entschädigt hat. Und diese Irmgard war mir höchst sympathisch. Leider habe ich sie nie wieder gesehen. (Ich würde viel dafür geben, sie wieder zu treffen).

 

Ich habe diese Geschichten, die mich mit Mädchen während meiner Zeit an der Klosterschule verbinden, nicht bloß hier wiedergegeben, um mit amourösen Abenteuern den Leser zu erfreuen oder zu entsetzen. Mir lag vielmehr daran, zu zeigen, wie harmlos diese verbotenen Abenteuer eigentlich waren und welche Freuden mit ihnen für den Klosterschüler verbunden waren.

Die Faszination lag nicht bloß im Verbot, sondern auch im Spiel, das sich mit den Mädchen ergab. An sie alle sei hier mit Verehrung gedacht.

 

Schulschluß: das Hinausblasen

Das Ende des Schuljahres wurde ebenso rituell gefeiert, wie der Beginn dieses, aber um einiges pompöser. Nach der Zeugnisverteilung, alle Schüler waren im Sonntags- Gewand erschienen, ging es zur Kirche, die Patres hatten wieder ihre dunklen noblen Umhänge an und auf ihren Köpfen prangten die Zylinder. Die Eltern nahmen an dieser Feier des Schulschlusses teil. Sie freuten oder ärgerten sich über ihre Söhne, je nach der Qualität der Zeugnisse.

 

Die Krönung des Abschiedes vom Schuljahr war die große Feier im Kaisersaal.

An einer langen Sitzreihe hatten die Patres, voran der Abt, Platz genommen. Hinter ihnen drängten sich Eltern und Schüler. An der Breitseite des prächtigen Saales standen die Musiker mit ihren Pauken und Trompeten.

 

 

Die Feier wurde durch irgendwelche Rezitationen aus lateinischen, griechischen und mittelhochdeutschen Texten durch brave und begabte Schüler begonnen. Dann kam es zum festlichen Akt, zum sogenannten Hinausblasen, bei dem die je vier besten der ersten vier Klassen zeremoniell aufgerufen und belohnt wurden. Dieses Ritual spielte sich so ab, daß zuerst die Besten der ersten Klasse, mit dem Vierten als ersten, dann die der zweiten Klasse und sofort, unter gewaltigem Trompeten- und Paukenklang einzeln und unter Verbeugungen zum Abt gingen, der jedem von ihnen ein Buchgeschenk überreichte. Hatte der so öffentlich Ausgezeichnete sein Buch, so marschierte er, ebenso unter Musikbegleitung, den Weg zurück, sich wieder einige Male verbeugend. Bei den Viertbesten der Klasse erreichten Pauken und Trompeten noch keine besondere Höhe, diese hatte sie erst, als der Primus der Klasse stolz zum Abt sich bewegte. Für die Zuseher war es ein beeindruckendes Ereignis, das sich hier vor ihren Augen abspielte. Die Eltern der „Hinausgeblasenen“ waren mächtig stolz auf ihre Söhne. Meine Eltern hatten leider nie die Möglichkeit, mich oder meinen Bruder als „hinausgeblasen“ und vom Abt belobigt zu erleben. .Aber sie erlebten jedes Jahr, wenn sie uns zu den Ferien abholten, dieses barocke Schauspiel der Auszeichnung braver Klosterschüler. Auch das war ein Genuss.