Forschungen bei der Wiener Polizei - ich werde „Ehrenkiberer

Roland Girtler, Polizei-Alltag
Roland Girtler, Polizei-Alltag

Mir ließ Herr Professor Ziegler freie Hand. Ich hielt u.a. Lehrveranstaltungen zur Rechtssoziologie. Auf diese Weise kam ich mit Professor Theo Öhlinger von den Juristen in Kontakt, mit dem ich eine gemeinsame Veranstaltung über die Polizei durchführte.

 

Dabei kam ich auf die Idee, bei der Wiener Polizei eine Feldforschung im Stile der klassischen Kulturanthropologie bzw. im Sinne Max Webers und der berühmten Chicagoer Schule der Soziologie durchzuführen. Einer der führenden Köpfe dieser „Schule“ war Robert Ezra Park, der in Deutschland u.a. bei Max Weber studiert hatte und der auch Vertreter der teilnehmenden Beobachtung war.

 

 

Um so eine Studie durchzuführen, benötigte ich die Zustimmung der höchsten Stelle der Bundespolizei. Zuständig für die Polizei war damals Ende der 1970er Jahre Herr Ministerialrat Mag. Franz Weiskirchner. Ihm schrieb ich einen höflichen Brief mit der Bitte, am Wiener Polizeidienst teilnehmen zu dürfen. Ich hörte lange nichts von ihm. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, je eine solche Studie bei der Polizei durchführen zu können, denn tatsächlich hatte bis dahin noch kein Soziologe eine derartige Erlaubnis erhalten.

Habilitation am Institut für Soziologie

Mit dieser Forschungsarbeit, die ich 1975 bis 1977 durchführte und die 1980 im Druck erschien,  und anderen Schriften, zu denen auch mein Buch „Kulturanthropologie“ gehörte, konnte ich mich 1979 an der Universität habilitieren.   Herren Prof. Ziegler sei gedankt. Aber auch Professor Loepold Rosenmayer und Robert Reichardt vom Institut für Soziologie danke ich, dass sie meine Habilitation wohlwollend unterstützt haben. Besonders danke ich Herrn Univ.Prof. Dr. Peter Gerlich, der zu dieser Zeit Dekan der Sozial- und Wirtschaftswissenschatlichen Fakultät, die damals noch zur Juridischen Fakultät gehörte, war. In geradezu freundschaftlicher Weise unterstützte er mein Habilitationsansuchen. Später veranstaltete ich gemeinsam mit Peter Gerlich, er gehörte zu den Politologen, gemeinsame Seminare über Politik im Alltag. Die Studenten wurden von uns angehalten, durch Beobachtungen und Gespräche herauszuarbeiten, wie z. B. an Stammtischen Politik betrieben wird oder wie Polizisten Amtshandlungen durchführen. Das Abschlussseminar hielten wir bei schönem Wetter bei einem Heurigen, am Fuße der Mizzi-Langer-Wand und ähnlichen Orten ab.

Im Folgenden will ich auf meine Art es Forschens eingehen, schließlich war diese Polizeiforschung meine erste Arbeit, die ich mit den Methoden der teilnehmenden Beobachtung und des freien Gesprächs (dazu siehe später Näheres) durchführte.

Auch soll erzählt werden, wie ich überhaupt Zugang zur Wiener Polizei fand.

Herr  Ministerialrat Mag. Franz Weisskirchner ruft an

 

Eines Tages läutete mein Telefon am Institut (damals gab es noch kein Handy), am Apparat war Herr Ministerialrat Weiskirchner vom Innenministerium. Ich war freudig überrascht. Die erste freundliche Frage von ihm war: „Heißt Ihr Vater auch so wie Sie Roland Girtler?“ Mich überraschte diese Frage sehr – es ist das erste Mal, dass ich darüber schreibe. Ich antwortete mit „ja“ und war gespannt, was nun folgen wird. Der Ministerialrat antwortete. „Dann bin ich mit ihm in Kriegsgefangenschaft gewesen in der Lüneburger Heide“. Der Bann war gebrochen. Er hatte sogar meiner Mutter damals 1945 ein Gedicht zu ihrem Namenstag verfasst. Ich fand dieses Gedicht unter den Papieren meiner Eltern. Der Herr Ministerialrat bat mich zu sich ins Ministerium und erlaubte mir, meine Studie durch Teilnahme am Polizeidienst durchzuführen. Ich suchte mir den 2. Und 15. Bezirk für meine Forschung aus. Beide interessierten mich, schließlich war bekannt, dass in diesen Bezirken Prostituierte, Zuhälter, große und kleine Ganoven sowie Vagabunden sich herumtrieben.

  

Bei dieser Forschung lernte ich freundliche Polizisten kennen, einige von ihnen wurden meine Freunde. 

 

Zunächst war ich bemüht, gute Kontakte zu Polizisten in den jeweiligen Wachzimmern zu bekommen. Mir gelang dies auch, da ich mich ehrlich ihrer Lebenswelt genähert habe. Ich durfte die Polizisten bei ihrer Tätigkeit begleiten. Ich merkte bald, dass mich die Herren akzeptierten, da sie sahen, ich wolle sie nicht „hineinlegen“. Sie merkten, dass ich an ihrer Arbeit aufrichtig interessiert bin. Ich durfte in Funkstreifenwägen sowohl der Sicherheitswache als auch der Kriminalpolizei mitfahren, war bei Vernehmungen dabei und begleitete Kriminalbeamte in Bordelle, die auf der Jagd nach illegalen Prostituierten waren. Dabei kam es nicht selten vor, dass eine aufgegriffene Dirne neben mir im Fonds des Wagens saß.

 

 

Leopold Aschenbrenner, Polizist und Vogelkundler, schrieb zu meiner Art des Forschens

Eine Zeit danach sprach ich mit dem damaligen Kommandanten jenes Wachzimmers im 2. Wiener Gemeindebezirk, in dem ich meine ersten Beobachtungen machen konnte, über seine Eindrücke, die er von mir bei unserer ersten Begegnung hatte. Mit diesem Herrn verbindet mich seit damals eine Freundschaft.

 

Er schrieb mir nun über den Beginn meiner Forschung einen freundlichen Brief, den ich hier in aller Bescheidenheit zum Teil wiedergeben will. Es ist interessant, dass dieser Mann, Leopold Aschenbrenner ist sein Name, neben seinem Beruf als Polizist privat ein begeisterter Vogelkundler mit wissenschaftlichen Ambitionen war, leider ist er schon gestorben. In seinem Brief erzählt er zunächst über seine Tätigkeit als Chef eines Polizeiwachzimmers und geht dann auf meine Person als Forscher ein.

 

 

Er schrieb mir:

 „... Am Beginn einige Erklärungen zu meiner Einstellung zu meinem Beruf und deren Verlauf. Ich habe 7 Jahre Straßendienst im 2. Bezirk, im Wachzimmer Mühlfeldgasse, gemacht. Nicht leicht, alles zu Fuß und großer Rayon, da war es nötig, gut bei Fuß zu sein! Dazu kam noch, dass ich der Hausposten war, der seinen Kontrollpunkt beim Wachzimmer hatte und alle inzwischen eingetroffenen Amtshandlungen...zu erledigen hatte. Beim Einrücken vom Außendienst nach 3 Stunden, setzte ich mich nicht zum Kartenspielen in den Tagraum, sondern half freiwillig dem Wachkommandanten bei der Erledigung der Dienstpost und schrieb für die Kartenspieler die Anzeigen.

So kam es, dass ich als Bester der Abteilung bei der Ausschreibung für die Aufnahme in die Schule für dienstführende Sicherheitswachebeamte aufgenommen wurde. Das Sprichwort heißt: „Übung macht den Meister“. Die Kollegen spielten lieber Karten! Die letzten 20 Jahre war ich der Gruppeninspektor und Wachkommandant im Wachzimmer Ferdinandstraße und Filialwachzimmer Praterstraße tätig.

Kein ruhiger Dienstposten da Verkehrsknotenpunkt, Durchzugsstraßen, viele Wirtshäuser und Cafes, wie auch einige allgemein bekannte Rotlichtlokale und Stundenhotels! Stellvertreter: Revierinspektor Herbert Krähan. Ein Funkwagen. Besetzung : 10 Sicherwachebeamte, 4 Verkehrsposten und 4 Politessen.

 

Was kommt auf uns zu? Anruf vom Abteilungskommando. Über Weisung des Polizeipräsidiums wird unserem Wachzimmer ein Gast zugewiesen!!! Ein „Studierter“ von der Universität, ein Soziologe !! Er will eine Studie über den Polizei-Alltag vor Ort machen! Dr. Roland G i r t l e r heißt er.

 

Keine erfreuliche Nachricht für uns alle. Wer kann schon sagen, wie der ist. Ein gespreizter, überheblicher und eingebildeter Besserwisser? Warum gerade bei uns, es gibt doch an die 100 Wachzimmer in Wien! Für mich war die Frage leicht zu lösen. Grosse Fussgängerbewegungen, viele Lokale und das Rotlichtmilieu war die Mischung. welche einen Soziologen interessieren müsste. Bei den „Oberen“ war bekannt, dass ich als Vorsitzender der Österr. Gesellschaft für Vogelkunde den Umgang mit den Universitäts-Leuten gewöhnt war. In der Vogelkunde kennen wir die Feldbeobachtung sehr gut.

Man wird verstehen, dass ich meine Mannschaft nicht in unannehmliche Situationen hinein tappen lassen wollte. So wurden sie von mir zusammengerufen und dahin gehend instruiert, wie sie sich verhalten sollten! Dass die Dienstvorschriften genauestens einzuhalten sind und Dr. Girtler wie ein Gast zu behandeln sei! Revierinspektor Krähan wurde ihm als Betreuer zugeteilt und ein Platz im Kommandantenraum zugewiesen. So hoffte ich einen Menschen kennen zu lernen, der Mensch war und mit dem man sich unterhalten konnte und die Wachebeamten nicht als brutale Schläger oder „Bullen“ betrachtete! Denn in einem solchen Fall hätte er bei uns keine längere Bleibe gefunden. Solche Ansichten hätte ich ohne Gegenrede nicht geduldet! Wir hatten aber Glück und es kam anders!

 

Es kam ein Mensch, ein Wissenschafter mit Herz und Verstand, der zum echten Freund wurde!

 

Eines Tages erschien ein Mann von mittlerer Statur, hohe Stirne, schütteres helles Haar, hager und drahtig und stellte sich freundlich, im Dialekt sprechend, vor! Er wurde von mir eingeladen, Platz zu nehmen und ausgefragt, was er bei uns unternehmen wolle und wie wir ihn dabei unterstützen könnten! Auch die Mannschaft legte Scheu und Vorbehalt ab und nahm ihn ohne weiteres in unsere Mitte auf! Das war ein gutes Zeichen, denn gerade Straßenpolizisten haben meist ein Gespür dafür, mit wem sie es zu tun haben!

 

Mein sehr lieber Freund Roland !

 

Das war mir zwar schon beim ersten Erscheinen und Deinem lockeren natürlichen Auftreten sympathisch! Doch erst bei unseren Gesprächen gewann ich das Empfinden, dass dieses Verhalten echt und nicht einstudiert ist. Ich gab Dir bereitwillig und offen Antwort auf Deine Fragen und hatte das Gefühl, dass wir in vielen Ansichten einer Meinung sein konnten.

 

So habe ich in meinen alten Tagen noch einen echten Freund gefunden, auf den ich sehr stolz bin! Ein Mensch, offen, ehrlich, treu und verlässlich, den ich nicht missen möchte!

Dein Leopold Aschenbrenner“.

 

Ich fühlte mich ebenso Leopold Aschenbrenner sehr verbunden. Wir trafen uns noch lange nach meiner Polizeiuntersuchung freundschaftlich. Mich traf es sehr, als ich hörte, dass dieser liebe Polizist gestorben ist.

 

 

Es können sich bei Forschungen als echter „teilnehmender Beobachter“ also auch Freundschaften ergeben.

Über meine Forschung bei der Wiener Polizei schrieb damals 1977 eine Freundin und Kollegin von mir, die Ethnologin Dr. Jana Salat, in der „Wiener Zeitung“ eine mich sehr ehrende Besprechung. Dafür sei Jana herzlich bedankt.
Über meine Forschung bei der Wiener Polizei schrieb damals 1977 eine Freundin und Kollegin von mir, die Ethnologin Dr. Jana Salat, in der „Wiener Zeitung“ eine mich sehr ehrende Besprechung. Dafür sei Jana herzlich bedankt.

 

Diese Polizeistudie und meine Forschungen bei Ganoven und anderem Volk bewirkten auch, dass ich Mitglied der „Freunde der Kriminalisten“ wurde. Ihr Präsident Dr. Ellinger, ein ehemaliger Richter, der Generalsekretär ist Prof. Ferdinand Germadnik, der Kriminalbeamte und Spezialist für Drogenschmuggel Herbert Winwarder, der regelmäßig in meinen Seminaren über seine Arbeit erzählt, Alfred Neuhser, der als „Kokarderl“ spannende und kritisch-heitere Kolumnen in der „Kriminalpolizei“ schrieb, Mag. Gerhard Brenner und andere „Kriminalisten“ gehören zu meinem Freundeskreis. Ich treffe sie regelmäßig bei Weihnachtsfeiern und einmal im Sommer im Schweizerhaus im Wiener Prater bei gutem Bier.

 

In meinem Buch „Eigenwillige Karrieren“ schrieb ich über das Leben von Alfred Neuhser. In diesem Aufsatz ist einiges aus der Arbeit der Kriminalpolizei zu erfahren.

 

Durch meine Teilnahme am Polizeidienst erlebte ich noch die alte Kultur der Prostitution. 2015 wurde ich von Mag. Gerhard Brenner, er ist Redakteur der Zeitschrift „Kriminalpolizei“, gebeten, mit heutigen Kriminalbeamten, die mit der Prostitution im 2. Wiener Gemeindebezirk zu tun haben, diese Touren, die ich damals mit Kriminalbeamten gefahren bin, nachzufahren und den Wandel zu damals zu beschreiben. Dies tat ich auch. Ich stellte fest, dass der Straßenstrich fast vollkommen verschwunden ist und dass die modernen Laufhäuser, in denen ich auf freundliche Rumäninnen traf, die Szene der Prostitution bestimmen.

 

Gerhard Brenner schrieb darüber einen interessanten Bericht in der Zeitschrift „Kriminalpolizei“.

 

Besonders ehrte es mich, als ich 2013 von den „Kriminalisten“ zum „Ehrenkiberer“ ernannt wurde. Ich bin der „3. Ehrenkiberer“ neben dem verstorbenen Ernst Hinterberger, dem Verfasser von Fernsehserien wie „Mundl, ein echter Wiener geht nicht unter“ und „Kaisermühlenblues“, und Wolfgang Böck, dem Darsteller des Kriminalbeamter Trautmann in der gleichnamigen Fernsehserie.

 

Mag. Gerhard Brenner schrieb in der Zeitschrift „Kriminalpolizei“ freundliche Worte zu meiner Ernennung als Ehrenkiberer. In Verbindung damit schildert er auch Teile meines Lebenslaufes. Ich will den Artikel Mag Brenners für die Interessierten hier wiedergeben:

Sommer 2013

Von Gerhard Brenner

Portrait: Roland Girtler ( - Ehrenkiberer)

Sei großzügig und unvoreingenommen!

 Der Anthropologe Roland Girtler ist stolz darauf, „Ehren-Kiberer“ und „Ehrenmitglied“ der Vereinigung österreichischer Kriminalisten zu sein. Er hat sein Leben der Erforschung der Buntheit menschlichen Handelns verschrieben.

 

Fährt ein Richter mit dem Auto zu schnell und wird von einem Polizisten aufgehalten. Er soll 100 Schilling Strafe zahlen. Sagt der Richter zu dem Polizisten: „Ich kenne den Ministerialrat sowieso, der wird Sie versetzen.“ Der Polizist sagt nichts und schreibt den Strafzettel weiter. „Ihren Sektionschef kenn’ ich auch, der wird dafür sorgen, dass Sie Ihre Uniform an den Nagel hängen können.“ Der Polizist schaut nicht einmal vom Strafzettel auf und schreibt weiter. „Und mit Ihrem Minister gehe ich nächste Woche essen. Der wird gleich alles Nötige veranlassen.“ Der Polizist reißt den fertig geschriebenen Strafzettel vom Block, reicht ihn dem Richter durch das heruntergekurbelte Fenster ins Auto und fragt ihn: „Kennen’S den Papouschek auch?“ Darauf der Richter: „Nein, wer soll das sein?“ Sagt der Polizist: „Sehen’S, den sollten’S kennen – dann würden’S jetzt nix zahlen müssen. Der Papouschek bin nämlich ich.“

„Den Witz erzähl ich gern, weil er, zeigt dass man die Leute respektieren muss, wenn man mit ihnen umgeht“, Roland Girtler „Man muss ihnen mit Wertschätzung begegnen. Das gilt für Polizisten wie für Richter, Ministerialräte, Sandler, Hochschulprofessoren, Huren und Ganoven. Respekt. Das ist ein Zauberwort.“

 

Ehrenmitglied. Es ist dieses „Zauberwort“, das Univ.-Prof. Dr. Roland Girtler zu seiner Bekanntheit, zu seinem Erfolg als Forscher und zu seinem Erfolg als Menschenfreund verholfen hat. Mit den Kriminalisten verbindet ihn eine lange Freundschaft.

Mit der Polizei insgesamt verbindet ihn eine lange Partnerschaft – die als Forschungspartnerschaft begann, etwa Anfang der 1980er-Jahre. Am 29. April 2013 wurde Roland Girtler zum „Ehren-Kiberer“ und zum „Ehrenmitglied“ der Vereinigung österreichischer Kriminalisten ernannt. Er hat die Urkunde kopiert, zieht sie aus seinem Rucksack und zeigt sie stolz dem Kellner im Café Landtmann, seinen Studenten im Forschungspraktikum „Teilnehmende Beobachtung“, dem Taxifahrer, mit dem er über den Verlust des Wienerischen spricht, und überhaupt jedem.

 

Die Doktorbuben. Roland Girtler wurde 1941 in Wien geboren als Sohn eines Ärzte-Ehepaares. „Meine Eltern wollten unbedingt Landärzte werden“, schildert er. „Sie sind aufs Land gezogen mit meinem Bruder und mir. Wir haben ein freies Leben geführt als Buben.“

Das „Kriminellste“, das er in Spital am Pyhrn „unter Wilderern und Bauern“ erlebt hat, war, als er und sein Bruder die Feuerwehrsirene auslösten. „Die Feuerwehr ist am Hauptplatz herumgestanden und hat das Feuer gesucht. Dann haben sie uns entdeckt. Na, frage nicht.“ Girtler erinnert sich noch an die „Watschn vom Feuerwehrkommandanten“.

„Sie sind Lausbuben, die Doktorbuben – aber sie grüßen brav und sagen bitte und danke“, hat man über Girtler und seinen Bruder gesagt. „Meine Mutter hat uns beigebracht, was das Wichtigste ist: Respekt vor den Menschen.“ Sie legte den Grundstein zu Girtlers Grundsätzen als Anthropologen, Sozialforscher und Menschenfreund.

2009 formulierte er diesen Grundsatz in seinem Buch „Die 10 Gebote der Feldforschung“ als „zweites Gebot“: „Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein, um Werte zu erkennen und nach Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind.“ Dieser Respekt, diese Wertschätzung anderen Menschen gegenüber zieht sich durch alle zehn Gebote – und das Leben des ungewöhnlichen Wissenschaftlers.

 

Im Klostergymnasium. 1951 bis 1959 besuchte der „Doktorbub“ das Klostergymnasium in Kremsmünster. „Acht Jahre Latein und sechs Jahre Altgriechisch musste ich lernen. Ich war kein guter Schüler. Heute bin ich froh, diese alten Sprachen gelernt zu haben. Hart war das Leben im Internat. Ich habe die Strenge der Patres gespürt, dabei bin ich ein kleiner Rebell geworden.“ Er ist ein Rebell bis heute geblieben, „wie viele, die in eine Klosterschule gegangen sind. Mit dem Unterschied: Ich schimpfe nicht über meine geistlichen Lehrer, weil mir haben sie nichts getan. Eigentlich habe ich viel gelernt in der Klosterschule.“

Wenn er schimpft, dann über seinen Physikprofessor, der verhinderte, dass Girtler im Frühsommer 1959 mit seinen Klassenkameraden zur Matura antreten durfte. „Er hat mir einen Nachzipf verpasst und mir damit die schönsten Ferien verpatzt. Das sind doch die schönsten Ferien – die nach der Matura und vor der Universität, oder?“

Nachdem die anderen die Matura geschafft hatten und während sie ihre Ferien genießen durften, durfte Girtler für den Physik-Nachzipf lernen. Nachdem er diesen bestanden hatte, musste er alleine die schriftliche Matura im Gymnasium schreiben. Während der Tage der schriftlichen Matura nächtigte er im Krankenzimmer des Internats. Er lernte das Küchenmädchen Irmgard kennen, „ein liebenswürdiges Mädchen“. Mit dieser ging er jeweils am Abend vor den Maturaarbeiten in der Dunkelheit spazieren, Dabei hielt er das erste Mal im Leben in aller Unschuld ein Frauenbrust in seiner Hand. „Das hat mich für die Niedertracht des Physikprofessors bestens entschädigt.“ In Girtlers Buch „Die alte Klosterschule“ ist das nachzulesen.

 

Student in Wien. Nach der Matura im Herbst 1959 ging Girtler nach Wien zum Studieren. Er sollte Jurist werden. Der junge Student genoss in erster Linie das Studentenleben. „Es war ein schönes Leben in Wien in dieser Zeit.“ Es brachte ihm zwar unter anderem ein Lokalverbot im Apostelkeller ein. Aber es war schön.

Die ersten zwei der drei Staatsprüfungen hatte er hinter sich gebracht, als er 1964 heiratete – heiraten musste.

Im Jahr 2014 wird das Ehepaar Girtler goldene Hochzeit feiern. „Ohne meine Frau wäre ich ein Sozialfall geworden“, sagt Girtler. Er ist stolz auf seine zwei Kinder und seine acht Enkelkinder.

Ein Jahr nach der Hochzeit änderte sich sein Leben schlagartig. Es trat ein Ereignis ein, ohne das er nie Professor geworden wäre, wie er meint: Girtler erlitt einen Motorradunfall. Ein Mercedes hatte ihn abgeschossen und 31 Meter weit mitgeschleift. Er brach sich einige Knochen und verbrachte vier Monate im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Zunächst überstand er eine Fettembolie (Knochenmark war in die Blutbahn eingetreten). Er war dem Teufel von der Schaufel gerutscht. Und er lernte seine ersten „anthropologischen Forschungsobjekte“ kennen.

Einen Bauern, der neben ihm in dem 24-Betten-Saal lag, ihm sein Testament diktierte und in der Nacht darauf starb. „Damals hat es noch eine dritte Klasse gegeben. In der bin ich gelegen – auf Studentenkrankenkassa.“ In das Bett des verstorbenen Bauern kam der Wiener Strizzi „Ederl“. „Der hat mich vor der Willkür der Schwester Hermi gerettet.“

Für Schwester Hermi war Girtler der „Studentenbua“ – sehr zum Missfallen des Bettnachbarn „Ederl“, dem Girtler ein aufmerksamer Zuhörer war. „Pass auf, Schwester Hermi“, sagte „Ederl“ eines Tages zu der herrischen Dame in Weiß. „Wennst den Studentenbuam net in Ruah lasst, nimm i für dich einen Fünfzehner in Kauf.“ „Einen was? Einen Fünfzehner? Was meinen’S damit?“, wollte Schwester Hermi wissen. „Das heißt, i hau dir die Urinflaschn übern Schädel, damit a Ruah is. Und dafür geh i fünfzehn Jahr in den Bau.“ Schwester Hermi fragte nicht mehr, was der „Ederl“ wohl mit „Bau“ gemeint haben konnte. Sie behandelte den „Studentenbuam“ von nun an respektierlich.

 

Wie viele Puffs in Wien? „Wart, jetzt muss ich abheben“, sagt Roland Girtler und unterbricht das Interview im Café Landtmann, weil sein Handy läutet. „Wenn man vom Teufel spricht, dann ruft er an.“ Girtler hat bis heute Kontakt zu der einstigen Gürtelgröße „Ederl“. „Danke für den Rückruf“, sagt der Wissenschaftler in sein Handy. „Ich wollt von dir nur wissen, wie viele Puffs es zu deiner Zeit gegeben hat am Gürtel. Ich brauch das für einen Herrn vom Fernsehen.“

Roland Girtler war fasziniert von der Welt des „Ederl“, als er 1964 neben ihm im Krankenhaus lag. Immer mehr kam er drauf, dass es Menschen und ihre Lebenswelten waren, die ihn in ihren Bann zogen. Es waren weniger die Rechtsphilosophien und Paragrafen der Juristerei.

Girtler nahm sich vor, nach seinem Spitalsaufenthalt sein Studium zu wechseln. Auf Wunsch seiner Familie musste er jedoch noch zur dritten Staatsprüfung antreten. Er war heilfroh, dass er durchfiel. Der Student ging ins Gasthaus Blauensteiner (Lenaugasse 1), trank ein Krügel Bier und zündete im Lokal vor der Kellnerin seine Zeugnisse mit einem Feuerzeug an. Er beschloss, sich den Geisteswissenschaften zuzuwenden.

„Ich muss heute noch sagen: Es war ein Glück, dass ich da durchgefallen bin.“

 

Soziologie. Die Soziologie als Wissenschaftsfach gab es damals noch nicht in Wien. Bei den Juristen hatte er allerdings eine Prüfung in Soziologie gemacht, Girtler inskribierte nun Völkerkunde, Urgeschichte und Philosophie. Da ihm sein Vater kein Geld mehr zahlte, arbeitete Girtler. Er musste sich um seine Familie kümmern, eine Zeit lang unter anderem als Ausführer von Gemüse am Naschmarkt, als Filmkomparse (einmal in einem Film mit Omar Scharif). Auf Grund eines ausgezeichneten Studienerfolges erhielt er schließlich ein Stipendium. 1968 publizierte Roland Girtler seinen ersten wissenschaftlichen Beitrag in einem renommierten Wissenschaftsjournal. „Das war eine Forschung über eine kroatische Großfamilie, bei der ich eine Feldforschung durchgeführt habe. Dankbar bin ich meinem damaligen Lehrer in der Kulturanthropologie Dr. Engelbert Stiglmayr. Das möchte ich erwähnen, denn er war es, der mich damals nach Kroatien mitgenommen hat.“

Im Jahr 1971 – für einen Studenten in doch schon recht biblischem Alter von 30 – schloss Roland Girtler sein Studium ab. „Du kannst dir vorstellen, wie die Leute damals geredet haben“, sagt Girtler. „Zwei Kinder hat er und ist immer noch nicht fertig mit dem Studieren. Die arme Frau.“

Girtler suchte nach der Promotion um eine Hochschuljubiläumsförderung an und bekam 30.000 Schilling als Stipendium für eine Studienreise nach Indien. „Das war eine kleine Sensation damals. Auch dabei hat mir mein väterlicher Freund Engelbert Stiglmayr geholfen. Durch ihn war es mir möglich, bei dem Missionar und Gelehrten P. Stefen Fuchs in Bombay eine Zeit lang zu wohnen. Durch ihn habe ich auch einen wichtigen Mann in Gujarat kennen gelernt, der mich in einer Missionsstation in einem indischen Dorf untergebracht hat.“ Hier hatte Girtler die Möglichkeit, die alte Rechtsinstitution des „Dorf-Panchayats“ (Rat der ältesten fünf Männer) zu untersuchen. Schließlich forschte er in den Slums von Bombay. „Dabei habe ich gesehen, wie die Menschen, die wegen der schlechten Ernten aus den Dörfern nach Bombay gekommen waren, hier zu Bettlern und Kriminellen wurden.“

Auch die Forschungsergebnisse aus Indien wurden in einem renommierten Wissenschaftsjournal gedruckt. Girtler kam nach Wien an die Universität zurück, wo das soziologische Institut im Aufbau war, er hatte großes Glück und wurde an diesem als Assistent angestellt. Mit Professor Helle ging er nach München an die dortige Universität und forschte dort weiter. 1974 kehrte er an sein Wiener Institut zurück. In München war er zum „überzeugten Wiener“ geworden. In Wien fühlt sich Girtler daheim.

 

Unverständliches Zeug. „Die erste Zeit habe ich gearbeitet wie alle Wissenschaftler“, erinnert sich Roland Girtler. „Ich habe unverständliches Zeug geschrieben, wie es alle geschrieben haben. Ich habe ein theoretisches Zusammengeschreibsel praktiziert, weil man es damals so gemacht hat, wenn man auf einer universitären Karriere unterwegs war.“

„Heute sagt man, wenn du ein Buch abschreibst, dann nennt man das Plagiat. Wenn du aus mehreren Büchern abschreibst, dann sagt man Wissenschaft dazu.“ Für Girtler galt damals wie für alle aufstrebenden Wissenschaftler: „Publish or perish“ – „veröffentliche oder gehe unter“.

 

Sandler und Polizisten. Anfang der 1980er-Jahre ging Girtler daran, die Methode der „teilnehmenden Beobachtung“, wie er sie in Indien praktiziert hatte, auf die Soziologie zu übertragen. Seine ersten Beobachtungsobjekte: Sandler und Polizisten. Die beiden Milieus verhalfen ihm zum Durchbruch – und zur Abkehr auf neue Forschungswege.

„Ich habe dem Herrn Ministerialrat Franz Weiskirchner, dem damaligen Chef der Bundespolizei, einen Brief geschrieben und ihn um Erlaubnis gebeten, eine Zeit lang am Polizeidienst teilzunehmen“, erzählt Girtler. „Eines Tages bekomme ich einen Anruf von diesem Herrn Ministerialrat Weißkirchner. Er war sehr freundlich, bat mich zu sich und gestattete mir schließlich, bei der Wiener Polizei zu forschen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar. Er fragte mich schließlich, ob mein Vater auch so heiße wie ich, nämlich Roland Girtler, und ob er Arzt sei. Ich bejahte. Es stellte sich heraus, dass die beiden gemeinsam in Kriegsgefangenschaft gewesen waren und er meiner Mutter aus der Kriegsgefangenschaft Gedichte geschrieben hatte.“

Girtler erhielt die Möglichkeit, mit Polizisten auf Streife zu gehen, in Funkstreifen mitzufahren und Kriminalbeamte in ihrem Rayon beim „Kibern“ zu begleiten. Der Wissenschaftler wurde argwöhnisch empfangen. Handelte es sich um einen „gespreizten, überheblichen und eingebildeten Besserwisser“?

„Da hat es einen Wachkommandanten Aschenbrenner gegeben, der hat mich gleich ins Herz geschlossen, weil ich gesagt habe, ich möchte teilnehmende Beobachtung machen“, erinnert sich Girtler. „Ich bin auch ein Beobachter“, sagte der Polizist. Er war Hobby-Vogelkundler und beobachtete Vögel. Er wäre als solcher den Umgang mit „Universitätsleuten“ gewohnt. „In der Vogelkunde kennen wir die Feldbeobachtung sehr gut“, sagte der Kommandant.

 

Gegensätze. Girtler bekam die Gegensätze mit – zwischen Kriminalpolizei und SW (Sicherheitswache), den Zivilen und den Uniformierten – weil er sie beide respektierte. „Es waren sympathische Leute“, sagt Girtler. „Sie sind echte Freunde geworden.“ Bald wurde Girtler als „Herr Inspektor“ angesprochen, wenn er das Schweizer Haus im Wiener Prater betrat. „Das ist der Polizist, haben die Kellner über mich gesagt.“

Die Polizisten im zweiten wie im fünfzehnten Bezirk offenbarten dem „teilnehmenden Beobachter“ Roland Girtler: „Mir san liaba hier im zweiten Hieb als wie in Döbling. Weil dort musst du mit besoffenen Ministerialräten herumkämpfen. Da, im Zweiten, sind die Huren und Sandler – und die sind ehrlichere Leut wie die Ministerialräte.“

Girtler erlebte, wie ein Sandler in einem Abbruchhaus zu kontrollierenden Polizisten sagte: „Einen Moment bitte“, und verschwand. Er kam zurück, mit einer Krawatte um den Hals. „Immer, wenn ich zu einem Amt gehe, binde ich mir eine Krawatte um. Dann erst recht, wenn das Amt einmal zu mir kommt.“

 

Stamperln mit Prostituierten. Girtler stieß mit Prostituierten mit einem Stamperl an und trank Bier mit ihren Zuhältern. „Eines habe ich nie gemacht: Ich habe mich nicht eingelassen“, betont der Forscher. „Ederl“ habe ihm mehrmals eine „Katz“ angeboten. Einen „Gratis-Stich“, quasi. „So etwas habe ich immer abgelehnt. Dadurch war ich hoch angesehen“, sagt Girtler.

Roland Girtler verbrachte mehrere Monate mit Sandlern auf der Straße, getreu dem „Gebot Nummer eins der Feldforschung“: „Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer Rituale und heiligen Zeiten, sowohl in der Kleidung als auch beim Essen und Trinken.“

Er spricht auch heute noch mit Respekt über sie, getreu dem Gebote Nummer drei: „Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten, mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.“

Das passe auch zu den Maximen der fränkischen Ritter des Karl des Großen, wonach „Trunksucht und Ausschweifung erlaubt seien, nicht jedoch Feigheit und Verrat“.

 

Verhältnis zur Polizei. Roland Girtlers Verhältnis zur Polizei ist unter anderem geprägt von drei Erlebnissen: „Eines nachts bin ich am Schwarzenbergplatz bei Rot über eine Kreuzung der Straßenbahn nachgelaufen“, erinnert sich der Wissenschaftler. Plötzlich ein Pfiff. Girtler, damals Student, ging artig zu dem Herrn Inspektor, von dem der schrille Ton gekommen war.

„Du hast drei Möglichkeiten“, sagte der strenge Beamte zu Girtler. „Entweder du zahlst Strafe, oder du wirst angezeigt.“ „Und die dritte Möglichkeit?“, wollte der Student wissen. Der Polizist: „Du gehst zum Üben dreimal bei Grün über die Kreuzung.“ Freilich wählte Girtler Möglichkeit Nummer drei. Der Polizist ließ ihn bereits nach dem ersten Mal Bei-Grün-Gehen die Übung abbrechen und weiterziehen.

Seine zweite Begegnung mit der Staatsgewalt hatte Girtler, als er sein – später unglückseliges – Motorrad falsch geparkt hatte. Girtler konnte auch damals wählen: zwischen einer 50-Schilling-Geld- und einer 24-Stunden-Arreststrafe. Der Student wählte das Absitzen.

„Ich habe in der Kandlgasse im siebenten Bezirk auf einer Holzpritsche übernachten müssen“, erinnert er sich. „Es war Februar und immens kalt. Ich habe freiwillig Liegestütze gemacht, damit mir wärmer wird.“ Heute bezeichnet er den Aufenthalt in der Zelle als „tolles Erlebnis unter lauter netten Polizisten, die immer freundlich waren zu mir“.

 

Herumstehen – ein schöner Beruf. Seine dritte Begegnung hatte er mit demselben Polizisten, der ihm den Strafzettel am Motorroller verpasst hatte – diesmal als potenziellen Geburtshelfer. Girtlers Frau lag 1964 in den Wehen. Der junge werdende Vater lief hilfesuchend auf die Straße im siebenten Bezirk und begegnete dem Strafzettel-Beamten. „Ich habe ihn gefragt, ob er sich auch in der Gebärtechnik auskennt. Er hat ja gesagt. Aber meine Frau hat es dann doch vorgezogen, das Kind unter den Händen eines Arztes und einer Hebamme im Krankenhaus zur Welt zu bringen.“

Als Bub in Spital am Pyhrn habe er den Beruf des Polizisten immer sehr verklärt gesehen. „Ich habe immer nur gesehen, dass sie herumstehen und nichts tun. Ich habe mir gedacht, das ist doch ein schöner Beruf.“ Heute weiß Girtler, dass das anders ist. „Die Polizei ist heute viel professioneller als früher“, sagt er. „Sie ist viel perfekter geworden. Die DNA, die Fahndung und alles. Das hat einen Riesenwandel durchgemacht.“ Darunter habe aber auch der Kontakt zur Bevölkerung gelitten. „Das war früher komplett anders.“

Roland Girtler habilitierte sich Anfang der 1980er-Jahre mit seinen Studien über die Polizei und die Sandler zum Universitätsprofessor.

Obwohl er in Pension ist, macht er mit Leidenschaft immer noch zwei Seminare zum Thema Feldforschung. Jedes Jahr fährt er mit den Studenten nach Siebenbürgen in Rumänien zum Erforschen anderer Kulturen.

„Vor ein paar Jahren bin ich dort in Hermannstadt vor einer Kirche auf einer Parkbank gesessen und habe die Sonne genossen“, erzählt er. „Da ist eine alte Frau gekommen und hat mir ein paar Lei zugesteckt, weil sie mich mit einem Landstreicher verwechselt hat.“

Die gelbe Lache – nicht von einem Hochschulprofessor. Es war nicht das erste Mal, dass er mit einem Landstreicher verwechselt wurde. „Eines Nachts bin ich in Wien durch die Myrthengasse gegangen, da hat mich eine Funkstreife angehalten“, erzählt der Wissenschaftler. „Neben mir eine gelbe Lache – und die Polizisten nichts anderes zu tun, als zu sagen: Das warst du, gib es zu.“ Girtler gab es nicht zu, weil er es nicht war. Da verlangten die Beamten einen Ausweis. Girtler zeigte ihnen seinen Universitätsausweis.

„Entschuldigen Sie, Herr Professor. Die Lache – das waren natürlich nicht Sie.“ „Warum nicht?“ „Na, ein Universitätsprofessor?“ Die Beamten fuhren weiter und ließen den Feldforscher allein zurück.

Probleme hatte Girtler mit der Polizei auch wegen seiner Forschung über Wilderer, „die eine alte Geschichte haben“, wie er betont. Auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse wurde in St. Pankraz ein Wilderermuseum beim Gasthaus Steyrbrücke eingerichtet. Girtler ist wissenschafticher Leiter dieses Museums.

Da auch alte Gewehre von Wildschützen in diesem Museum ausgestellt sind und diese Gewehre zu den verbotenen Waffen zählen, wurden sie vor einigen Jahren von der Polizei konfisziert und nach Wien in die Bundespolizeidirektion gebracht. Er erhielt die Gewehre wieder zurück, nachdem er ein psychologisches Gutachten erbracht und einen Waffenführerschein samt Waffenbesitzkarte erworben hatte.

„Zwei Euro Trinkgeld, reicht das eh?“, fragt der Herr Professor im Café Landtmann den Kellner. „Aber selbstverständlich, Herr Professor“, entgegnet der Herr Ober höflich, greift in den „Kellnerfleck“ und übergibt dem Herrn Professor das Wechselgeld. „Ich will, dass das passt, wissen’S?“, sagt der Herr Professor. „Großzügigkeit ist nämlich Gebot Nummer zwei: „Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein...“