10. Hirtenbrief: Blicke in den Alltag von Ganoven

Das Buch über Pepi Taschner – Forschung in der Unterwelt

Auch Zuhälter und Dirnen, über die ich in einem anderen Hirtenbrief bereits geschrieben habe, gehören zu dem Kreis der Leute, die ich dem 3. Typus der Randkulturen zuordne, nämlich den Randkulturen der Kriminalität und des verpönten Geschäftes.

 

1983 erschien mein Buch „Der Adler und die drei Punkte – die kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner“. Die Reaktion auf dieses Buch war interessant.         

Der große, leider schon verstorbene Soziologe und Kulturanthropologe René König von der Universität Köln hat in der Kölner Zeitschrift für Soziologie eine sehr schöne Besprechung meines Buches geschrieben. In dieser heißt es u.a. :„Roland Girtler ist nicht nur ein passionierter Bergsteiger, sondern ebenso resolut in seinem Bemühen um qualitative Sozialforschung… Sein neuestes Buch (also das über Pepi Taschner) …, mit dem er geradezu an die Chicago-Schule der Soziologie …. anknüpft, … unterscheidet sich auch insofern von den meisten heutigen recht langweiligen soziologischen Publikationen, die bestenfalls mit einer Fülle von Fremdwörtern glänzen, dass es spannend ist.“. Und schließlich meint Prof. König: „Man darf abschließend sagen, dass dies Buch nicht nur wegen seines greifbaren Inhalts …  wichtig ist, sondern dass es darüber hinaus zu allgemeinen Überlegungen über Soziologie überhaupt anregt, was sicher nicht das Mindeste seiner Verdienste ist“.  Besonders letztere Feststellung ehrt mich sehr. 

 

Auch Siegfried Lamnek, der ein bekanntes Buch über Randkulturen verfasst hat, verweist auf die Wichtigkeit des Buches. In aller Bescheidenheit sei auch dies festgehalten. Auf seinen Kommentar zu meinem Buch gehe ich unten ein.

Besonders freute es mich, dass  in der Zeitschrift „Sozialarbeit in Österreich“ von dem Sozialarbeiter Kurt Grois eine Besprechung meines Buches über Pepi Taschner erschien, in der er festhält, dass die Sozialarbeiter  „mit ihren Methoden, mit ihren Vorstellungen, Klienten auf braves angepasstes Mittelschichtleben zu bringen, von der tatsächlichen Realität entfernt“  sind. Schließlich schreibt Kurt Grois: “Als Sozialarbeiter stehen wir doch einem solchen Leben und einer solchen Einstellung zum Leben absolut hilflos gegenüber…  Bücher dieser Art stimmen mich immer nachdenklich“.  Mich ehrte diese Besprechung sehr.

 

Die Forschung bei Wiens Ganoven war höchst spannend für mich, ebenso die Präsentation des Buches „Der Adler und die drei Punkte“ auf dem früher berüchtigten Spittelberg im 7. Bezirk Wiens. Die Einladung zu der Präsentation dieses Buches und die Reaktion der Austria Presse Agentur können Sie unten lesen. 

Der Adler und die drei Punkte

Die gescheiterte kriminelle Karriere des ehemaligen Ganoven Pepi Taschner

Ein Buch über den Alltag - Blicke in den Alltag von Ganoven

Den folgenden Aufsatz über den Alltag von Ganoven schrieb ich für ein von Assistentinnen und Assistenten bzw. Lehrbeauftragten des Instituts für  Soziologie der Universität Wien herausgegebenes Buch über Forschungen im Alltag. Es trägt den hübschen Titel “Soziologische Momente im Alltag - von der Sauna bis zur  Kirchenbank” (new academic press, Wien, Hamburg. 2019). Ich fand die Ideen von Raimund Haindorfer, Maria Schlechter und Lena Seewann, die dieses Buch herausgegeben haben, sympathisch. Vor allem Raimund Haindorfer sei bedankt, denn in seiner mit Kugelschreiber verfassten persönlichen Widmung für mich drückt er seine Freude aus, dass  ich für das  Buch einen Beitrag (s.u., er handelt über den Alltag bei Ganoven) geschrieben habe. An diesem Buch haben auch meine lieben Kollegen die Professoren Max Haller und Gilbert Norden mitgewirkt. Max Haller danke ich, dass er als einziger Autor auf meine Studien zum Alltag hingewiesen hat. Ich hätte mich gefreut, wenn auch einige andere Autorinnen bzw. Autoren auf meine methodischen Arbeiten, die ich seit den 1970er Jahren zum Thema Alltag verfasst habe, zumindest ansatzweise eingegangen wären - dafür hat man Arbeiten vor allem aus den USA brav zitiert. Ebenso fand mein Buch über den „Alltag der Polizei“ auf Grund meiner Feldforschung Ende der 1970er Jahre wenig Beachtung. Ein solches Verhalten entspricht durchaus dem Alltag in der Wissenschaft. Zu diesem gehört auch ein bisserl Neid, ohne den der Alltag der Wissenschaft höchst langweilig wäre. Der deutsche Autor Ludwig Thoma (1867-1921) meint in seinen “Filser Briefen” , dass man einen Professor am Besten damit ärgern könne, wenn man ihm sagt, dass einer seiner Kollegen ein neues Buch auf seinem Gebiet geschrieben habe. 

Gänzlich anders als die Autoren des genannten Buches  wurde ich übrigens von einem Studententeam der Zeitung „Der Standard“ behandelt, das mich 2003 gerade wegen meiner methodischen Lehrveranstaltungen bzw. meiner Arbeiten über Randkulturen  bei einer „Starmania" bzw. einem Uni-Casting der Professoren zu den zehn „Superstars“ der Wiener Universitäten erwählt hat. Dies sei in aller Bescheidenheit festgehalten.

 

Übrigens, auf Grund meiner Arbeiten und Vorträge über Unterwelt und Gaunersprache wurde ich Ehrenmitglied der “Kriminalisten”,  der Vereinigung österreichischer Kriminalbeamter. Ich darf den Titel “Ehrenkiberer” tragen. Neben mir wurden zu “Ehrenkiberern” Ernst Hinterberger (“Ein echter Wiener geht nicht unter”) und Wolfgang Böck (Schauspieler - u.a. als Trautmann).

Pepi Taschner und die Wiener Unterwelt – Blicke in den Alltag von Ganoven

Einleitende Gedanken

 

Meine folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Karriere und das Leben eines Mannes aus der Wiener Szene der Kriminalität bzw. des kriminellen Glücksspiels.  Sein zum Teil krimineller Alltag ist bestimmt durch die Prinzipien des Überlebens, der Ehre, der Gewalt gegenüber Aggressoren,  der Treue gegenüber Freunden und auch des Humors. Pepi Taschner ist sein Name.  

 

Zunächst sei Lena Seewann, Maria Schlechter und Raimund Haindorfer herzlich gratuliert und gedankt für die Idee zu diesem mutigen Buch über den Alltag in seiner Vielfalt, der auch ein krimineller sein kann.

 

Menschlichen Gesellschaften sind bunt, sie bestehen aus einer Vielzahl von Kulturen und speziell von Randkulturen. Überall dort, wo Menschen sich aus welchen Gründen immer zusammentun, entsteht so etwas wie eine eigene Kultur, dies kann die Kultur von Ärzten sein, die sich gegenseitig stützen, oder die von Kindern, die sich über ihre die Lehrer ärgern, oder die ins Abseits gedrängten Menschen, die gemeinsam zu überleben suchen, oder auch die von Ganoven und anderem Volk.

Bei all diesen  Gruppen habe ich es auch mit Grenzen zu tun  (Siehe dazu:  R. Girtler, Randkulturen – Theorie der Unanständigkeit, Wien 1999).

 

Menschen in Randgruppen bzw. Randkulturen sind zu einem Handeln miteinander verbunden, das gemeiniglich vom "braven Bürger" als kriminell, lasterhaft, liederlich, schlechthin als "unanständig" oder „fremdartig“ empfunden und bezeichnet wird. 

Meine ersten Kontakte in die Wiener Welt der Ganoven sind schon alt.  Einige ergaben sich zufällig, z.B. als Bierausführer in Wien - Floridsdorf und als Arbeiter am Wiener Naschmarkt. Um 1981 kam ich in Kontakt mit Pepi Taschner, der in der Welt des verbotenen Glücksspiels, zu der auch Dirnen und Zuhälter gehörten, eine gewichtige Rolle spielte. Pepi Taschner hatte 22 Vorstrafen, die sich allerdings vor allem auf seine Tätigkeit als Aufpasser beim verbotenen Glücksspiel, dem so genannten Stoß,  bezogen. 

 

Über ihn schrieb ich das im Wiener Böhlau-Verlag 1983 erschienene Buch „Der Adler und die drei Punkte – Die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi“, das von Granden der Soziologie wie von Rene König und Siegfried Lamnek mit großem Wohlwollen aufgenommen wurde.  So meinte Rene König in seiner in der „Kölner Zeitschrift für Soziologie“, dies sei in aller Bescheidenheit eingefügt: „Roland Girtler ist nicht nur ein passionierter Bergsteiger, sondern ebenso resolut in seinem Bemühen um qualitative Sozialforschung…..Sein neuestes Buch (also das über Pepi Taschner) …, mit dem er geradezu an die Chicago-Schule der Soziologie …. anknüpft, … unterscheidet sich auch insofern von den meisten heutigen recht langweiligen soziologischen Publikationen, die bestenfalls mit einer Fülle von Fremdwörtern glänzen, dass es spannend ist.“. Und schließlich meint Prof. König:

„Man darf abschließend sagen, dass dies Buch nicht nur wegen seines greifbaren Inhalts …  wichtig ist, sondern dass es darüber hinaus zu allgemeinen Überlegungen über Soziologie überhaupt anregt, was sicher nicht das mindeste seiner Verdienste ist“.  Besonders letztere Feststellung ehrt mich sehr.

 

Bevor ich auf die Karriere Pepi Taschners eingehe, gestatte ich mir Gedanken zum  Abenteuer des Zugangs in kriminelle Randkulturen. Kultursoziologisch sehe ich mich in der Tradition der Chicagoer Schule der Soziologie und speziell in der Tradition von Howard Becker, der in seinem Buch „Außenseiter“ interessante Gedanken zur Methode einbringt.

 

 

Das Abenteuer des Zugangs in Randkulturen

 

Es ist nicht immer leicht, einen gelungenen Zugang in Randkulturen zu finden. Man braucht dazu nicht nur viel Geduld und ein weites Herz sondern auch viel Glück. Dies macht auch das Abenteuer aus.

 

Es war die Lust zum Abenteuer, die mich veranlasst hat, mich dem Studium der Kulturanthropologie, der Soziologie und der Urgeschichte zu widmen. Ich betätigte mich schließlich unter anderem als Ausgräber von bronzezeitlichen Siedlungen, als Forscher in indischen Bauerndörfern und als Erkundender in städtischen Randkulturen.

 

Zum Abenteuer, wie ich es verstehe, gehört die Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, und die Freude an Situationen, die nicht zum Alltag des „braven“ Bürgers gehören, die ungewöhnlich, seltsam und auch aufregend sind (vgl. dazu Grimms Deutsches Wörterbuch Band 1, 1854 S 27).

Feldforschung und  Abenteuer sind eng miteinander verbunden, zumindest für die Studien, die ich durchgeführt habe. Abenteuer erlebte ich vor allem bei meinen Forschungen in Wiens Unterwelt – bei Glückspielern, Dirnen und Zuhältern, aber auch bei feinen Leuten, wie Nachkommen des österreichischen Kaiserhauses, noblen Akademikern, weisen Politikern und reichen Industriellen. 

Interessant ist, dass manche Kolleginnen und Kollegen meine Art der Forschung eher argwöhnisch beäugt haben und auch noch beäugen. Dies war wohl auch der Grund, dass die mir sehr sympathische, verstorbene Kultursoziologin Anne Honer meine Art der Feldforschung geradezu liebenswürdig als „hemdsärmelige Praxis“ bezeichnete (Honer,1993,S 241). Darob war ich allerdings geehrt und Frau Honer sei dafür bedankt.

 

 

Gedanken zur Feldforschung

 

Ich meine, der echte Feldforscher hat mehr von einem Eroberer oder einem verwegenen Bergsteiger an sich, der fremde Welten und unbekannte Höhen erobern und kennenlernen will, als von einem umsichtigen Theoretiker, der seinen Schreibtisch nur selten verlässt. Echte Feldforschung - vor allem in Bereichen, die dem guten Bürger fremd und unheimlich erscheinen, wie eben die Welt der Ganoven, Dirnen und Zuhälter – ist harte Arbeit. 

 

Goethe sagt in diesem Sinn in seinen „Maximen und Reflexionen“: „Zur Methode wird nur der getrieben, dem die Empirie lästig wird.“  Er meint hier wohl nicht die Methode als solche sondern die Methodologie, nämlich die Beschäftigung mit den Methoden. Auch drückt dieser Satz aus, dass jene, die sich nicht an die Wirklichkeit mit all ihren Gefahren heran wagen, sich bloß in theoretischen Gedanken zur Methode ergehen. Sie werden geradezu Spezialisten der Methodologie, ohne allerdings wirklich oder nur oberflächlich zu forschen.

 

Das Wort „Methode“ selbst gefällt mir jedoch, denn es riecht nach Abenteuer, schließlich leitet es sich von den griechischen Wörtern „odos“ für Weg und „ meta“ für „nach“ oder „dorthin“ ab.  „Methodos“, Methode,   ist  demnach der „Weg, der dorthin führt“, auf dem ich bestimmtes Ziel erreiche oder zu einer angestrebten Erkenntnis komme.   In diesem Sinn habe ich meine „10 Gebote der Feldforschung“ verfasst, nämlich als einen Weg, um über menschliches kulturelles Leben zu forschen.

Jeder methodische Schritt vom Beginn einer Forschung bis hin zu ihrer Publikation kann ein abenteuerlicher sein.

 

Echte Feldforschung hat mit Neugier zu tun, denn der echte Feldforscher und die echte Feldforscherin sind verdammt neugierig, bevor sie sich auf den Weg der Forschung machen. Damit begeben sie sich aber auch in echte Abenteuer. 

Feldforschung mit ihren Königsmethoden der teilnehmenden Beobachtung und dem ero-epischen Gespräch kann eine höchst spannende, aber auch eine mitunter mühevolle sein (siehe dazu meine Ausführungen in meinem Buch „Methoden der Feldforschung“ 2001 und in meinem Buch “Die 10 Gebote der Feldforschung” Lit) .

Es ist nicht Sache des Feldforschers über irgendwelche liederlichen Dinge, wie  dem Geschehen in einem Bordell, entrüstet zu sein. In diesem Sinn versteht sich mein 9. Gebot der Feldforschung, in dem ich festhalte, dass der Feldforscher sich nicht als Sozialarbeiter oder Richter aufspielen soll. Er ist bloß Zeuge, dies entspricht dem echten Abenteurertum, denn der Abenteurer lässt sich nicht auf irgendwelche moralischen Diskurse o.ä. ein, wenn er daran geht, eine neue Welt für sich zu erkunden (siehe Girtler, 10 Gebote der Feldforschung, 2004).  In diesem Sinn  meinte auch der große Vertreter der Chicagoer Schule, der Soziologie Robert Ezra Park, dem ich mich verbunden fühle, dass der forschende Sozial- bzw. Kulturwissenschaftler  kein moralischer Mensch ist.  

 

 

Das „ero-epische“ Gespräch

 

Ein paar Überlegungen zum „ero-epischen“ Gespräch, wie ich es konzipiert habe, seien mir hier gestattet.                

 

Die klassischen Interviews, die sich an einem Leitfaden orientieren,  erscheinen mir als  denkbar ungeeignet, um ein Gespräch als  Forschender, wie ich ihn verstehe, zu führen.  Schließlich entstammt der Terminus  "Interview"  der  Journalistensprache, wie sie sich ab 1860 in  den USA etabliert hat, er bezieht  sich hauptsächlich auf die schnelle Befragung von  Politikern, Künstlern und anderen wichtigen und weniger wichtigen Leuten  (vgl. Kluge,1960,S 32).

 

Das "Interview" in seinem ursprünglichen Sinn zielt also bloß darauf ab, zu schnellen, mehr oder weniger klaren und oft kurzen(!)  Antworten zu gelangen.

Für die übliche Arbeit der Zeitungsleute, aber auch für die Tätigkeit  von manchen Soziologen, die mit Fragebögen sich an  Menschen heranpirschen, paßt das Wort "Interview",  denn man will  einfache und schnell verwertbare Erkenntnisse,  wie zum Beispiel, dass bestimmte Leute gerne zur Kirche gehen und fromme Werke verrichten.

Eine genaue Einsicht in tiefere soziale und kulturelle  Zusammenhänge, zum Beispiel in die Kultur der Kirchenbesucher,  wird dabei nicht beabsichtigt oder sie ist auch gar nicht  möglich.

 

Das große Problem des „narrativen Interviews“, wie es von manchen Spezialisten vertreten wird, liegt vor allem darin, dass bei diesem mit der ersten Frage der zu Interviewende unter "Zugzwang" kommen soll. Es wird also ein Druck auf den so geplagten Menschen ausgeübt. Und außerdem solle man nach diesen Methoden- Spezialisten nicht in die „private Sphäre“ eindringen. Ich bin da anderer Meinung, denn bei Forschungen jeder Art, nicht nur bei solchen in Randkulturen, lässt sich die „private Sphäre“ nicht ausschließen (es gebe dazu noch mehr zu sagen - siehe dazu Girtler, Methoden der Feldforschung, UTB, 2001, S 147ff).

Charakteristisch für das „ero-epische Gespräch, wie ich es verstehe, ist, dass der Forscher sich selbst einbringt und nicht bloß durch Fragen den Gesprächspartner in "Zugzwang" bringt. Das ero-epische Gespräch ist somit ein eher feinfühliges und nicht so leicht durchführbares Unternehmen, denn es gehören viel Gefühl und Geduld zu diesem.

 

Die Fragen in einem "ero-epischen Gespräch"  ergeben sich aus dem Gespräch und der jeweiligen Situation, sie werden nicht von vorneherein festgelegt, wie eben bei den Fragebogenuntersuchungen und beim sogenannten "narrativen Interview".                    Es entspricht der  Bescheidenheit des wahren Feldforschers, dass er von seinem  Gesprächspartner sich leiten lässt, denn er selbst ist ein Lernender. Und ich habe tatsächlich viel „gelernt“ von Vagabunden, Pfarrersköchinnen, Wilderern, Dirnen, Bauern und anderen Leuten, die so für mich zu Lehrmeistern und Lehrmeisterinnen wurden, und sich auch selbst als solche sahen.

Einige von ihnen, wie eben den Ganoven Pepi Taschner, nahm ich sogar zu meinen Lehrveranstaltungen mit. Pepi Taschner erzählte z.B. den staunenden Studenten aus seinem Leben als Mitglied einer Glücksspiel-Bande.                                                          

 

Als wir  um 1983 unser Buch „Der Adler und die drei Punkte“ im Gastgarten eines Gasthauses im 7. Wiener Gemeindebezirk präsentierten, waren viele Leute gekommen (siehe darüber in einem späteren Kapitel mehr): Professoren, Leute aus der Justiz und hochkarätige Ganoven, unter ihnen der damals sehr berühmte Alois Schmutzer, der angeblich unschuldig jahrelang im Gefängnis saß. Seine Glücksspiel-Bande ließ ihn während dieser Zeit nicht im Stich und überwies ihm regelmäßig Geld auf sein Konto. Mit diesem Geld kaufte er nach seiner Haftentlassung einige Wiesen, auf denen er Hühner, die vorher in Legebatterien ein jämmerliches Dasein fristen mußten, aus Mitgefühl frei umher laufen ließ. Über diese Buchpräsentation schrieb eine renommierte Zeitung, dass einige, die mich und Pepi Taschner vorher nicht gekannt hatten, am Beginn der Buchpräsentation geglaubt haben, Pepi Taschner sei der Professor und ich der Ganove (s.u.)  

 

 

Gespräche mit Pepi Taschner 

 

Nachdem ich Pepi Taschner kennen gelernt hatte, verbrachte ich mit ihm viele Stunden in diversen Wiener Beisln (kleinen Gasthäusern) und Kaffeehäusern. Er erzählte mir sein Leben mit seinen Kämpfen in der Unterwelt, mit seinen Gefängnisaufenthalten, seinen Abenteuern mit Damen usw.  Er meinte einmal zu mir, er habe in  seinem Leben mit ca 200 Frauen intime Kontakte gehabt (er drückte sich weniger vornehm aus). Ich fragte seine Mutter, die ich auch kennen gelernt habe, ob dies stimmen könne. Sie erwiderte, sie glaube, es seien lediglich ca 130 Damen gewesen, auf die sich Pepi näher eingelassen hätte. Ich begleitete Pepi Taschner in seine Gasthäuser, die er gerne aufsuchte, und ich lernte seine Freunde kennen, darunter den damals berühmten Alois Schmutzer, der eine Stoßpartie – ein Glücksspiel mit Karten, bei dem es um viel Geld ging – leitete. Auf diese Weise lernte ich auch die Wiener Gaunersprache kennen, über die ich in meinem Buch „Rotwelsch – die alte Sprache der Gauner, Diebe und Vagabunden“ geschrieben habe. .

Die Erzählungen Pepi Taschners nahm ich zum Teil auf Tonbändern auf und zum Teil schrieb ich sie auf Grund der Erinnerung nieder. Auf diesen und meinen Beobachtungen baut das Buch „Der Adler und die drei Punkte – die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner“.  Der Adler und die drei Punkte bezogen sich beispielhaft  auf die Tätowierungen, die Pepi Taschners Körper zierten. Den Adler trug er groß am Rücken als Symbol der Macht und Stärke. Die drei Punkte waren im Winkel zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand angebracht. Sie sollten anzeigen, dass Pepi jemand ist, der niemanden verrät, er also kein Wams (Gaunerwort für Verräter) ist, auf ihn ist also Verlass – unter Ganoven. Dieses Buch brachte es sogar auf die Bestsellerliste.

 

 

Fingerhakeln mit Alois Schmutzer

 

Durch Pepi Taschner lernte ich auch den damals berühmten Chef einer Wiener Glücksspielpartie  Alois Schmutzer kennen.  Schmutzer war ein liebenswürdiger Herr, der jedoch ungemein stark war. Durch seine Stärke imponierte er den anderen Unterweltlern. Er wusste es, sich Respekt zu verschaffen. Einige Jahre verbrachte Schmutzer wegen eines angeblichen Raubes, den er stets bestritten hat, im Gefängnis Stein. In diesem wurden Pepi Taschner und Alois Schmutzer zu guten Freunden. Pepi Taschner wurde schließlich zum „Bugl“, wie man in der Wiener Unterwelt den Leibwächter oder auch Mitarbeiter eines Bosses krimineller Banden nannte. Ich verbrachte ganze Nächte mit Alois Schmutzer und Pepi Taschner in Wiener Nachtcafes oder bei Heurigen. Bei einem dieser Besuche fragte ich leichtsinniger Weise Alois Schmutzer, ob er auch Fingerhakeln könne. Er nickte und meinte lächelnd, ob ich es mit ihm aufnehmen wolle. Ich bejahte, schließlich konnte ich auf einige Erfahrungen im Fingerhakeln zurückblicken, hatte ich doch in meiner Jugend einige Gefechte auf diesem Gebiet in Dorfgasthäusern mit Bauernburschen durchgeführt, wobei ich gar nicht schlecht  abschnitt.

 

Beim Fingerhakeln sitzen beide Gegner einander an einem Tisch gegenüber und hakeln ihre Mittelfinger  ein. Dann versuchen beide, den Gegner am Finger zu sich herüberzuziehen. Durch Einsetzen von Kraft aber auch durch eine entsprechende Technik kann dies gelingen. Es kommt vor allem auf die Kraft an.  Es gibt sogar Meisterschaften auf dem Gebiet des Fingerhakelns vor allem im alpenländischen bayerischen und österreichischen Raum. Aber auch in der Wiener Unterwelt gab es Herren, die das Fingerhakeln beherrschten.  Alois Schmutzer war einer von diesen. Ich nahm also die Forderung Schmutzers zum Fingerhakeln an. Wir setzten uns an einen der Tische des Gasthauses und hakelten uns an den Mittelfingern ein. Dann ging das Ziehen los. Ich bemühte mich, dem Zug des starken Schmutzers stand zu halten, doch nur kurz. Schmutzer zog mich über den Tisch. Da ich nicht nachgeben wollte und Schmutzers Finger nicht ausließ, wurde mein Finger derart lädiert, dass ich ihn ein paar Wochen nicht abbiegen konnte.  Allerdings gefiel es Alois Schmutzer, Pepi Taschner und den anderen Herren der „Unterwelt“,  dass ich mich überhaupt auf so eine Kraftübung eingelassen hatte. (Übrigens: die Redewendung „jemanden über den Tisch ziehen“ also jemanden besiegen oder austricksen hat ihren Ursprung im Fingerhakeln).

 

Bei einem dieser Ausflüge mit Pepi Taschner und seinen Freunden in Wiener Gaststätten begleitete uns auch die Bezirksrätin einer politischen Partei, Heidi U. ist ihr Name. Taschner fand Gefallen an dieser Dame, er meinte, sie würde gut riechen. Dem fügte er hinzu, dass sie, wenn er sterbe, bei seinem Begräbnis dabei sein solle. Sie versprach ihm dies. 

 

Als Pepi Jahre danach das Zeitliche segnete (er war durch einen Unfall ums Leben gekommen), informierte ich  Heidi U. von seinem Begräbnis. Tatsächlich erschien sie zu diesem. Um das Begräbnis Pepi Taschners auf dem Wiener Zentralfriedhof sorgte ich mich gemeinsam mit dem bekannten Schriftsteller und Dramaturgen Peter Turrini, den Pepi über eine Freundin von mir kennen gelernt hatte, Turrini und ich kamen für die Kosten des Begräbnisses auf.

 

Pepi wuchs in den Straßen und Parks von Wien auf – sein Weg in die Kriminalität

Im Buch über Pepi beschreibe ich dessen Kindheit, er war der uneheliche Sohn einer Wienerin und eines deutschen Soldaten, der damals in Wien stationiert war. Pepi wurde 1942 geboren. Er wuchs auf der Straße und in den Parks von Wien auf. Wegen Lausbübereien kam er in ein Erziehungsheim. In diesem erlebte er Demütigungen, aber auch die Freude an der Gewalt.  Seine Freunde kommen aus der Welt der Kriminalität. Taschner gerät in Kontakt mit Leuten, die beim Stoßspiel, dem verbotenen Glücksspiel der Wiener Unterwelt,  beteiligt waren. Er wird Aufpasser beim Glückspiel und lernt die Welt des Gefängnisses kennen. Usw.  Er ist nun Mitglied einer so genannten „Platten“, wie man in Wien kriminelle Vereinigungen zu nennen beliebte (Näheres ist aus meinem Buch „Der Adler…“ zu erfahren, zum Thema von Randkulturen bzw. kriminelle Jugendgruppen siehe auch: H. Ashbury, Gangs of New York, New York 1928, W. F. Whyte,  Street Corner Society,  Chicago 1943 ,1955)

 

 

Das  Stoßspiel oder der Stoß – das Erscheinen der Prinzessin

 

Pepis kriminelle Karriere ist eng mit dem klassischen Stoßspiel der Wiener Unterwelt  verknüpft. Bei diesem handelt es sich um ein altes Glücksspiel, das weit in das Mittelalter zurückreicht.  Darauf deuten  Wörter hin, die beim Stoßspiel verwendet werden. So wird die Spielkarte beim Stoßspiel als  „Brief“ bezeichnet, ein Wort, das auch Paracelsus (1493–1541), der mit dem fahrenden Volk herumzog, für die Spielkarte verwendete. Einen „verkehrten Brief ins Spiel schicken“, so hieß es in Wien, bedeutet: eine gezinkte Karte ins Spiel bringen.

 

In meinem Buch über Pepi Taschner und in dem über Randkulturen gehe ich genauer auf dieses Spiel ein. Wegen der Vorherrschaft beim Stoßspiel in Wien gab es allerhand Rayonskämpfe, an denen Pepi beteiligt war.

 

Ein nettes Erlebnis sei hier eingefügt.  Als ich über „feine Leute“ arbeitete, lernte ich eine liebenswürdige Prinzessin Liechtenstein kennen, die mir bei meiner Forschung sehr behilflich war. Diese liebe Dame nahm ich einmal auf ihren Wunsch hin zu einem Stoßspiel in ein Gasthaus im 14. Wiener Bezirk mit, in dessen Hinterzimmer „der Stoß rannte“, also Stoß gespielt wurde. Sie wollte wissen, wie dieses funktioniere. Ich fragte den Boss dieser „Partie“, ob die Prinzessin mit mir bei dem verbotenen Spiel aufscheinen dürfe. Er meinte zunächst, dass Frauen es nicht gestattet ist, an diesem Glücksspiel teilzunehmen, er mache aber, da sie ein Prinzessin ist, eine Ausnahme.  Als zufällig Kriminalbeamte auftauchten, stellte er die Dame als echte Prinzessin und mich als Wissenschaftler vor, die hierher in das Lokal gekommen seien, weil er heute Geburtstag habe. Nachdem die Polizei verschwunden war , begann im Hinterzimmer „der Stoß“ (in meinem Buch „Der Adler …“ ist dieses genau dargetan). Die Prinzessin erzählte begeistert davon ihren Eltern,  die mich schließlich zum Mittagessen einluden.

 

Das Leben im Gefängnis: Tätowierung, Kartenspiel und Schnaps                                             

Pepi verbrachte insgesamt ca 10 Jahre in Gefängnissen. Darüber erzählte er mir einiges, z. B. über die Probleme der Gefangenen. Zu diesen gehört das Thema des Zeitvertreibs. Eine Fülle von Zeit fällt über den Gefangenen herein, die in bedrückt und mit der er fertig werden muß.

 

Eine Möglichkeit des Zeitvertreibs  bestand bei Pepi im Anbringen von Tätowierungen am eigenen Körper. Daher konnten jene Leute viel Geld verdienen, die die Zeichenkunst beherrschen.  Tusche, Tinte oder in Wasser aufgelöste rote Ziegelfarbe wird z. B. mit drei aneinander gebundenen Nadeln unter die Haut gebracht  Tätowierungen (in der Gaunersprache Peckerln) haben eine lange Tradition.

Einfache Tätowierungen sind die berühmten drei Punkte am Winkel zwischen Daumen und Zeigefinger, die andeuten sollen, dass der Träger ein verschwiegener Mann ist,"der nichts sagt, nichts sieht und nichts hört". Bei der Polizei ist er ein sogenannter "Steher", aus dem beim Verhör so gut wie nichts herauszubekommen ist. Während meiner Polizeiuntersuchung war ich einmal Zeuge einer Vernehmung eines mutmaßlichen Diebes. Nach kurzer Zeit, in der von ihm nichts zu  erfahren war , brach der Polizist das Verhör ab und meinte zu mir, der Mann wäre ein "Steher"   also jemand, der über seine und anderer Schandtaten schweigt  ,  dies könne er aus den erwähnten drei tätowierten Punkten ablesen.

 

Ein wichtiger Zeitvertreib bezieht sich auf die Herstellung vom Alkohol, dem Zellenschnaps, der Pomatschka genannt wird.Hierin gibt es wahre Spezialisten. Darüber erzählte Pepi Taschner:   "Dass Alkohol für uns Häftlinge verboten war, versteht sich. Auch dieses Verbot umgingen wir geschickt, indem wir uns den Pomatschka herstellten. Zu einem solchen benötigt man Obst. Vor allem Orangen, Äpfel und Bananen eignen sich gut dazu. Das Obst wird mit Hefe oder Brot in einem Plastiksack luftdicht abgeschlossen, den wir für einige Monate unter die Matratze legten. Man schlief also auf der künftigen Maische. Gärte das Obst, so konnte man zum Destillieren schreiten. Dafür brauchte man zwei größere Dosen, die wir uns in der Küche besorgten. Die eine Dose wurde mit der anderen durch einen Gummischlauch, den wir auch irgendwo auftrieben, verbunden. In die eine Dose, die wir schließlich erhitzten, kam die Maische und in der anderen bildete sich der Schnaps".

Ein solcher Schnaps verhalf der trinkfreudigen Zellengemeinschaft zu einiger Abwechslung. Diese Beispiele demonstrieren gut den Erfindungsreichtum von Ganoven, um mit der Belastung des Gefängnisses fertig zu werden. Dabei sind jene im Vorteil, die aus der Kultur der Kriminalität kommen, sie können auf alten Traditionen aufbauen und haben die entsprechenden Kontakte im Gefängnis.

 

Die Ehre des Gefangenen – das Ritual des Abholens vom Gefängnis 

Zu den Versuchen von Gefangenen, ihre Selbstverständnis hervorzukehren und Ansehen also "Ehre"   zu erringen, gehört die Strategie, zugedachte "Erniedrigungen" "tapfer", also ehrenvoll, hinzunehmen. Es wird der beabsichtigten Entwürdigung derart begegnet, dass das Unausweichliche als honorige Mutprobe interpretiert wird  In der informellen Hierarchie des Gefängnisses geniessen jene Leute höchstes Ansehen, die bei ihren Delikten mit Geld zu tun hatten. Bankeinbrecher, geschickte professionelle Betrüger und andere Ganoven besitzen demnach das meiste Prestige. Gleich nach ihnen kommen die,die als Gewalttäter mit Polizisten oder mit bekannten Männern aus der Welt der Kriminalität zu tun hatten. Am unteren Ende der sozialen Hierarchie im Gefängnis, wie eingangs angedeutet, sind die Sittlichkeitsattentäter, diejenigen, die Frauen und Kinder vergewaltigt oder gar getötet haben, angesiedelt. Von ihnen distanziert sich der "noble" Ganove (siehe dazu näher: ….. 

Für den in der Szene der Berufskriminalität angesehenen Ganoven existiert noch eine Art Ritual des Abholens durch Kumpanen bei seiner Entlassung. Während "gewöhnliche" Strafgefangene sich bei der Entlassung eher lautlos und verschämt aus dem Gefängnis stehlen, gebärdet sich der noble Ganove mehr oder weniger lautstark und lässt sich von den ihn abholenden Kommilitonen feiern, wohl um so zu demonstrieren, dass ihm die Haft mit ihren Ritualen der Demütigung nichts anhaben konnte und er gleich einem Phönix aus der Asche zu neuem Leben unter seinesgleichen bereit ist. Gut schilderte mir Pepi Taschner seine Entlassung.

"Am Tag meiner Entlassung warteten vor dem Gefängnis drei meiner Freunde von der Stosspartie (die Herrn des verbotenen Glücksspiels)  mit einem grossen amerikanischen Auto. Das war mir bis jetzt nicht passiert, dass man mich mit einem Auto abholt. Ich wertete dies für mich als ein Zeichen einer gewissen Anerkennung in der Welt des Stossspiels. Ich war also jemand und die Stosspartie rechnete mit mir. Der Empfang durch die drei erinnert an die Behandlung von Bossen der Mafia, denen ähnliche Ehren zuteil werden. Man fuhr mich nun nach Wien, zur Stätte meiner alten Aktivitäten, wo man bereits auf mich wartete".

 

 

Der Brief eines Richters an mich über Pepi Taschner:

 

Dass Pepi ein durchaus ehrenwerter Mann war, zeigt sich darin, dass mir ein Richter, mit dem Pepi zu tun hatte, dies schrieb: „Ich erinnere mich an den seligen Pepi Taschner, den ich zu einer Zeit, als Wiens Unterwelt noch etwas war, des öfteren einzulochen das Vergnügen hatte“.

 

 

Ärger im Institut für Soziologie: Pepi Taschner und der Taschendieb 

 

Es ist interessant, dass dieses Kapitel über den Ärger am Institut, das ich den Herausgebern des Buches über Alltagssoziologie ebenso geschickt habe, aus mir unerklärlichen Gründen nicht veröffentlicht wurde.

 

Pepi Taschner, der mir bei meinen Recherchen in der Welt der Dirnen und Glücksspieler sehr geholfen hat, besuchte mich hin und wieder  am Institut für Soziologie. Einmal erschien er  mit einem Herrn, den er vom Gefängnis her kannte.  Die beiden nahmen in meinem Zimmer Platz und wir unterhielten uns über altes Gaunertum. Nach einer Zeit stand der Begleiter meines Freundes auf und erklärte, er würde kurz weggehen, um Zigaretten in der nahegelegenen Tabaktrafik zu holen. Er erschien wenige Minuten später mit der Rauchware. Unmittelbar darauf klopfte es und ein junger Kollege, der zwei Türen weiter sein Zimmer hatte, betrat mein Zimmer und klagte, es würde ihm der Mantel und  seine Brieftasche fehlen. Sofort richtete sich der Verdacht auf den Taschendieb, den Kollegen des Pepi Taschner. Doch dieser meinte, er sei unschuldig, man könne ihn "aussackeln", also seine Taschen ausleeren. Wir suchten nun im Gang  des Instituts. Der Mantel fand sich sofort, doch die Brieftasche mit Ausweisen und Geld blieb verschwunden. Nun beschimpfte Taschner seinen ehemaligen Gefängnismitbewohner und schrie ihn an, er sei der Dieb. Als dieser weiter verneinte, tat Taschner etwas, das mir unglaublich erschien für jemanden wie ihn, den hartgesottenen Ganoven mit ungefähr 22 Vorstrafen. Er begann zu weinen und sagte: "Meine Freunde hier am Institut kannst du nicht bestehlen. Wenn du nicht gleich die Brieftasche mit dem Geld hergibst, sage ich es ein paar meiner alten Freunde und wir verprügeln dich gemeinsam". Nun ging eine Wandlung in dem Taschendieb vor sich, er reagierte auf die  gewaltige Drohung und brachte uns zu der Stelle, wo er die Brieftasche versteckt hatte, nämlich raffiniert bei einem Müllcontainer. Mein Kollege erhielt also die ihm gestohlenen Sachen wieder zurück. Es ist verständlich, dass die Aufregung am Institut über meine Art der Forschung groß war. Sogar unsere Sekretärin konnte es nicht fassen, dass ich mich mit solchen Zeitgenossen abgebe. Auch hörte ich, wie ein Kollege zu unserer Sekretärin meinte, ich sei ein „Bauerntrottel!“  wegen meiner Art des Forschens und meines Umgangs mit Ganoven. (Ich bin dem Kollegen wegen seines Ärgers nicht böse. Irgendwie verstehe ich ihn.) Ich wurde angehalten, an anderen Orten als am Institut meine Gespräche mit Ganoven durchzuführen.

 

 Um meinen guten Willen zu zeigen,  hängte ich einen Zettel mit diesem Text an die Türe meines Zimmers: „Ich bitte meine Gesprächspartner als Polizist, Zuhälter, Taschendieb, Dirne usw. ihren Beruf nicht in den Räumen des Instituts auszuüben“.

 

 

Die Gaunersprache, das Rotwelsch

 

Randkulturen entwickeln ihre eigene Sprache. Die  Sprache der Ganoven wird als „Rotwelsch“ bezeichnet (aus „rot“ für gefährlich und „welsch“ für anders bzw. fremdartig sprechend). Pepi Taschner und auch Alois Schmutzer halfen mir wesentlich, um ein Vokabular der Wiener Gaunersprache zu erstellen.

Als ich meine Studie an Wiens Ganoven  und Dirnen durchführte,  wurde mir bewusst, welche Bedeutung die auf alte Wurzeln zurückgehende,  Gaunersprache hat. So meinte einmal am Wiener Westbahnhof, ich stand unter kleinen Gaunern, ein solcher über seinen Kollegen, der eben von Polizisten abgeführt wurde, er wäre "ausgefackelt". Ich fragte den Mann, was das heißen solle. Er schaute mich verwundert an und sagte zu mir: „Du gehörst ja nicht zu uns.“ Erst später erfuhr ich ,dass "ausgefackelt sein" soviel bedeutet, wie: "im Fahndungsbuch ausgeschrieben sein". Erlebnisse dieser Art bestärkten mich in meiner Absicht, mich näher mit der Gaunersprache zu beschäftigen. Auch das Beispiel des Wortes "Rettich" verweist darauf, wie wichtig es ist, zumindest eine Ahnung von der Sprache der Ganoven zu haben, wenn man über sie forscht. Für den guten österreichischen Bürger bedeutet "Rettich" ein bestimmtes Gemüse, während der Ganove darunter den Abort in der Gefängniszelle versteht. Wenn letzterer also zu jemandem sagt: "Hau dich in den Rettich!",  so heißt dies nicht, er  solle sich in einen Gemüsegarten werfen.

Es ist also von Vorteil und beugt Missverständnissen vor, die Sprache einer  Randkultur zumindest ansatzweise  zu kennen.

 

Ich bringe hier einige Beispiele aus der Wiener Gaunersprache:                                

Wams  (von jidd, mamsen. für verraten)  - Verräter,

Kimmler (von Kimme mhd. für Laus) – ein hinterlistiger böser Mann,

die Rippe geben (ripar mhd, für Geldtasche) – betteln,

Flugente – Wanderdirne,

Habsburger – Falschspieler,

Brief – Spielkarte,

Einen verkehrten Brief ins Spiel schicken - eine gezinkte Karte ins Spiel bringen, usw. (siehe Girtler, Rotwelsch).

 

 

Abschließende Gedanken – alte Kultur im Alltag der Unterwelt

 

Randkulturen sind seit Urzeiten Bestandteile menschlicher Gesellschaften. Ihre Bühnen waren und sind die Landstraßen, die Städte, die Dörfer und das Felsgebirge. Fast alle haben eine lange und oft geheimnisvolle Geschichte, die von Not, Elend, Ärger,  Verfolgung und Mühen kündet, die aber auch ihre Schönheiten hat und von Mut und Würde erzählt, aber auch von ihren Grenzen, ohne die diese Buntheit nicht möglich wäre. Pepi Taschner gehörte einer solchen Randkultur an, und zwar einer kriminellen, die auf einer alten Geschichte aufbaut, wie die Gaunersprache beweist. Es war für mich  als Forscher ein großes Abenteuer, mich auf diese spezielle Kultur des Alltags der Unterweltler, zu der Pepi gehörte, einzulassen.

 

 

Literatur :

H. Ashbury, Gangs of New York, New York 1928

R. Girtler, Der Strich, Wien 1990 (3. Aufl.)

R. Girtler, Randkulturen – Theorie der Unanständigkeit, Wien 1999

R. Girtler, Rotwelsch – die alte Sprache der Diebe, Dirnen und Vagabunden, Wien 1999

R. Girtler, Methoden der Feldforschung, Wien 2001 – UTB

R. Girtler, Die zehn Gebote der Feldforschung, Wien-Münster 2004

W. F. Whyte,  Street Corner Society,  Chicago 1943 

 

Gekürzter Aufsatz: 

Einblick in den Alltag der Wiener Unterwelt - der Ganove Pepi Taschner.

Spektakuläre Präsentation des Buches “Der Adler und die drei Punkte” - gute Bürger und Ganoven trafen sich im Mai 1983 am Wiener Spittelberg - ein Bericht der Austria Presse Agentur.

Mit den folgenden  Worten lud ich Freunde und Bekannte zur Präsentation meines Buches “Der Adler und die drei Punkte. die kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner” auf den Wiener Spittelberg ein :

Dazu schrieb ich u. a. , dass das betreffende Gasthaus zu den verrufensten Häusern des Spittelbergs gehörte: 

 

In dem Gasthaus “Witwe Bolte”, das früher “zum steinernen Löwen” hieß,   hielten  sich also früher leichte Damen auf. An einer dieser Damen soll Kaiser Joseph II. (1741 - 1790) Gefallen gefunden haben. Vielleicht hat er sich ungebührlich aufgeführt. Jedenfalls setzte man ihn vor die Tür.

 

An den Hinauswurf von Kaiser Josef II. erinnerte bis vor einige Jahre beim Eingang in dieses  Gasthaus diese Aufschrift : 

“Durch dieses Tor im Bogen ist Kaiser Josef II. geflogen 1778”

 

Bei der Renovierung des Gasthauses verschwand diese Aufschrift,  die wohl besagen soll: - Wir Leute vom Spittelberg haben sogar den Kaiser vor die Tür gesetzt.

Über die Präsentation meines Buches “Der Adler und die drei Punkte” gibt es einen interessanten Bericht der Austria Presse Agentur (APA), verfasst hat ihn die bekannte Journalistin und Autorin Sissy Danninger.  Dieser Bericht zeigt gut die Atmosphäre der Buchpräsentation vor dem Gasthaus am Spittelberg im 7. Bezirk Wiens auf. Bei dieser Präsentation waren ein paar nette Kollegen anwesend, so der mir wohlgesonnene Professor Paul Neurath mit seiner Frau Gemahlin, aber auch berühmte Wiener Ganoven.  

 

Überschrieben ist dieser Bericht mit: 

“Brückenschlag Bürger- Unterwelt und zum Schluss spielten ‘Etliche Jahre Stein’ für das Publikum Wiener Lieder” und weiter heißt es: 

“Fast schien es am späten Donnerstagnachmittag auf dem Wiener Spittelberg nahe dem Zentrum, als sei die Stadt - die sonst vor allem ihre Schauspieler verehrt - im Begriff, im Ex-Unterweltler Pepi Taschner(41) einen neuen Star zu kultivieren.”

+++  Die Präsentation der Unterweltstudie des Soziologen Dozent Dr. Roland Girtler (Universität Wien) mit dem Titel “Der Adler und die drei Punkte” (Böhlau-Verlag) mit Taschners Leben als Leitfaden hatte an die 200 Menschen angelockt. 

Die Zusammensetzung der Gesellschaft in  und um den Gastgarten war bunt genug: sie reichte vom Rektor der Universität für Bodenkultur, Prof. Dr. Manfried Welan und anderen Universitätsprofessoren (einer sogar aus den USA) über hohe Beamte von Gericht und Polizei (beide außer Dienst), heimische und bundesdeutsche Journalisten sowie Trauben Schaulustiger bis zu hochkarätigen (Ex)- Vertretern der  Wiener Unterwelt.

 

Schon  vor Beginn der Präsentation hatte ein elegant gekleideter Pepi Taschner mit ungeübter Hand und, wie es schien, darob ein bisserl verlegen, dutzende Bücher signiert, während der legendäre Überlebende “Schmutzer-Bua” Alois wachsam die Menschenansammlung im Auge behielt. Und zum Schluss gab es für das Publikum noch Gaunerlieder mit Ziehharmonika-Begleitung  - dargebracht von “Etlichen Jahren Stein” (in Stein bei Krems befindet sich Österreichs größtes Männergefängnis). Ein Beweis mehr übrigens, dass das  Wienerlied noch lebt. 

 

Er habe mit seiner Arbeit weggehen wollen von papieren- theoretischer Soziologie, erklärte Girtler. Kriminalsoziologische Studien  ausschließlich in Haftanstalten müßten zwangsläufig nur einen Ausschnitt wiedergeben und seien daher verzerrt: Im Gefängnis seien die “Stümper” überrepräsentiert”.  Die Schilderung der Prügel-, Heim-, Erziehungsanstalt- und Gefängniskarriere Taschners hingegen zeige die fatalen Mechanismen in ihrer Gesamtheit und beschönige nichts. Die Statussymbole der gutbürgerlichen Gesellschaft waren diesem Kind eines davon gelaufenen deutschen Soldaten unerreichbar, in der Kriminalität lag für ihn die Möglichkeit, Selbstwertgefühl und Anerkennung zu finden.

 

Nachdrücklich  verwahrte sich Girtler dagegen, er könne mit seinem für ein allgemeines Publikum geschriebenen Buch Gewalt verherrlichen. Das  sei nicht der Fall, auch wenn Taschner selbst  stolz auf seine Aktionen sei - die in diesem Moment auf ihn gleitenden Blicke des Publikums quittiert der neben Girtler sitzende Ex-Ganove mit einem kurzen Spitzbubenlächeln  seiner schmalen Lippen. Insgesamt habe er, Girtler, Einblick in eine Welt gegeben, die den meisten fremd ist: Jene des organisierten Verbrechens beim Stoßspiel in Wien und jene von Zuhälterei und Prostitution.” +++

 

Einem der Anwesenden (Girtler: Es ist sonst keiner da, der so viele Jahre gesessen ist wie er) schienen plötzlich Atmosphäre und Erläuterungen zu romantisch. Die Wirklichkeit sei “vü härta wia di do sagn”, mischte er sich verärgert dazwischen und im Gegensatz zum “g’schalten (gut angezogenen) Pepi könnten die meisten nicht aussteigen. Er selbst habe “zwa Dode” und wisse, “entweder bleibst üba, oder bist drüba”.  Kollegen beruhigten den von seinem Milieu und den Gefängnissen gezeichneten alten Mann und meinten versöhnlich zum Publikum, er habe nur nicht ganz verstanden, dass es genau darum in dem Buch gehe. “Er hot a poar Achterln”. Das verständnisvoll schmunzelnde Publikum nahm aber ohnedies keinen Anstoß. “Hoffentlich läßt ihn dieses Milieu wirklich aus, er macht einen so netten Eindruck”, sorgt sich eine weißhaarige gepflegte Dame immer wieder gegenüber ihrer Nachbarin auch um einen Job für Pepi Taschner, den vorerst einige Besucher für den Dozenten und jenen im offenen Polohemd für den Gangster gehalten hatte.  

 

Fasziniert war nicht zuletzt auch ein deutscher Journalist von seinem signierten Buchexemplar, der Veranstaltung und ihrer “Wiener Mischung”. So etwas gebe es nur hier (in Wien), in seiner Heimat wäre das undenkbar. 

 

Jedenfalls saßen gute Bürger und Ganoven nach Ende der Präsentation noch bis in den späten Abend gemütlich beisammen und probten den Brückenschlag zwischen guter und schlechter Gesellschaft, wobei letztere aus Anlass des “großen Tages” versprochen hatte, keine “Linken” zu machen.

 

Frau Sissy Danninger danke ich herzlich für diesen Bericht.  Vielleicht liest sie diese Zeilen. 

 

 

Briefe eines Zellengenossen Pepi Taschners

 

Wie aus der Neuauflage meines Buches über Papi Taschner zu erfahren ist, kam Pepi Taschner durch einen Unfall ums Leben. 

 

Eine Zeit nach Pepi Taschners Eingang in das himmlische Paradies, das ich ihm gönne, erhielt ich von einem ehemaligen Zellengenossen Pepis einen Brief, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich antwortete ihm und erhielt dann noch einen Brief von ihm. Beide Briefe halte ich in Ehren.

 

Der Name dieses Mannes ist Ernst Zafirakos. Ich nenne ihn beim vollen Namen, da ich denke, dass dies ist auch so in seinem Sinn ist, denn er ist ein ehrenhafter und gescheiter Mann, der viel zu sagen hat. Seine beiden Briefe sind sehr wertvoll, gerade in Hinblick auf das Verstehen der Welt der Kriminalität und des Gefängnisses, wobei er keineswegs seine Straftaten und die anderer entschuldigt. Im ersten Brief schildert der Schreiber Pepi als einen guten Menschen, der Zeit seines Lebens nach Anerkennung strebte. Ausdrücklich hält er fest, dass Pepi kein Verbrecher war. Interessant an diesem Brief ist die Beschreibung der damaligen Erziehungsanstalten, die für die Burschen die Hölle waren.

 

Berührend ist die Geschichte mit seinem Kätzchen, das ihn davor bewahrte, wieder kriminell zu werden. Ich habe versucht, mit Herrn Zafirakos wieder Kontakt aufzunehmen, doch dies war erfolglos.

 

Ich gebe die beiden Briefe zunächst wegen der besseren Lesbarkeit transkribiert wieder, danach im Original.

Dies sind die beiden Briefe:

 

Wien, am 20.3. 1999

Sehr geehrter Dr. Univ. Prof. Girtler!

Ich lese gerade ihr Buch „Randkulturen“. Damit holt mich die Vergangenheit ein. Ich war nämlich damals dabei. Mit 18 Jahren wurde ich zu einer Haftstrafe in der Dauer von 8 Jahren verurteilt. Dies war im Jahre 1966. Ich habe noch mit Max Gufler (ein bekannter Frauenmörder) in der Druckerei gearbeitet. Ich war Zellennachbar von Rogatsch (Mörder einer Studentin), der (im Gefängnis Stein von einem Mitgefangenen) selbst ermordet wurde. Ich war dabei, als der Häftling Schicho von Unger Motzl hingerichtet wurde. 

Vor allem war ich 1 Jahr der Zellengenosse vom Taschner Pepi! Pepi war ein seelenguter Mensch! Er konnte normalerweise keiner Fliege etwas tun. Er suchte sein ganzes Leben aber Freundschaft und Anerkennung. Diese Tatsache wurde leider von gewissen Leuten total ausgenutzt, ob die nun Schmutzer, Kolar oder Karrer Heinz geheißen haben. Sie (R. G.) haben den Pepi einmal weinen gesehen, Ich habe dies öfters erlebt. Zum Beispiel 10 Minuten vor einem gemeinsam geplanten Ausbruch!

(S2) Pepi hatte einfach Angst und weinte aus Scham. Wenn man aber über die so genannten Größen wie Christa, der Gschwinde, den Oiden (Franz Altmann) sprach, leuchteten seine (Pepis) Augen und seine übergroßen Kieferknochen verzogen sich. Ich habe Pepi zuletzt ein paar Monate vor seinem Tod am Westbahnhof getroffen. Leider total herunter gekommen und verzweifelt auf der Suche nach einer Freundin von ihm. 

Lieber Herr Dr. Girtler, ich habe 18 Jahre Häfen hinter mir. Diese traurige Tatsache hat einen Grund: „Erziehungsanstalt Kaiserebersdorf“. Das war die eigentliche Hölle! Was dort mit uns geschehen ist, war das wahre Verbrechen. 

Vielleicht schreiben Sie einmal über diese Anstalt, wo „Verbrecher“ regelrecht gezüchtet wurden. Es leben heute noch viele „Erzieher“ von damals, die heute alles zugeben.

Bitte sagen Sie mir noch, wo es das Buch „Die kriminelle Karriere des Pepi T.“ zum Kaufen gibt.

Mit Ihren Büchern haben Sie mir eine große Freude gemacht.

Achtungsvoll, „Zaferl“  Zafirakos Ernst

 

Ich antwortete Herrn Zafirakos und schickte ihm das Bild, das Pepi Taschner mit seiner Basketballmannschaft im Gefängnis Stein zeigt.

Herr Zafirakos antwortete mir darauf dies:

 

Wien, am 25.4. 1999

Sehr geehrter Herr Dr. Girtler!

Vorerst herzlichen Dank für Ihren lieben Brief. Als ich das beigelegte Foto sah, erfasste mich eine erstaunliche Art der Nostalgie. Vielleicht geht mir das Freuen über kleine Dinge ab, die Zusammengehörigkeit und Kameradschaft.

Sie haben es genau getroffen, unser Pepi hatte einen Verfolgungswahn. Hatte ich damals mit jemandem gesprochen und zufällig zu Pepi hingeschaut, bekam er sofort sein unruhiges Flackern in den Augen. Er litt auch sehr unter seiner stark ausgeprägten Kieferpartie. Das beigelegte (von R. G.) Foto muss für Pepi sehr kostbar gewesen sein. Nicht wegen des sportlichen Erfolges, sondern wegen Schmutzer Loisl und Pekarek! Diese Leute waren für Pepi leider Götter! Tatsächlich haben diese falschen Freunde seinen Minderwertigkeitskomplex schamlos ausgenutzt. Ich halte Pepi in guter Erinnerung. Er war ein guter aber schwacher Mensch. Aber nie und nimmer ein Verbrecher!

(S2) Ich selbst war gerade 18 Jahre alt, als ich zu 8 Jahren Haft verurteilt wurde. Ich habe sie alle gekannt, die so genannten Unterweltler. Oder die berühmten Mörder wie Gufler, Rogatsch und Weinwurm usw. Für die meisten von ihnen hat das Armen Sünder Glockerl im Moser-Gartl (Friedhof in Stein, benannte nach dem früheren Gefängnisarzt Moser) schon lange geläutet.                          Leider wurden viele der damaligen Ereignisse total falsch wiedergegeben und verzerrt. Ich denke dabei an den Gruselroman eines Heinz Sobota „Der Minusmann“! Auch an das Buch von Heinz Karasek. Ich habe mich über diese Art Lügengeschichten sehr geärgert. 

Ich selbst bin seit 12 Jahren straffrei. Ob Sie es glauben oder nicht, diese Tatsache verdanke ich einem kleinen Kätzchen! Was die Gesellschaft und die Gerichte nicht schafften, hat dieses Tier geschafft. Es hat mich einfach vor die Wahl gestellt: „Gehst du wieder in den Knast, so muss ich ins Tierheim. So einfach kann Resozialisierung sein!

Sehr geehrter Herr Dr. Girtler, bezüglich (S 3) Kaiserebersdorf möchte ich Ihnen einmal über Kirchberg am Wagram erzählen. Das war eine Außenstelle von Kaiserebersdorf. Als ich nach einer Flucht von Ebersdorf wieder gefasst wurde, bekam ich 6 Monate Kirchberg aufgebrummt. Es war die Hölle! Schläge und Hunger waren noch auszuhalten. Weniger schön war das Eintauchen des Kopfes in die Latrine. Oder wenn einem der vorletzte Fußnagel ohne Narkose oder Spritze gezogen wurde. Bei minus 10 Grad hat man 2 Briketts zum Heizen bekommen usw. Das sind keine Märchen, da die einstigen Täter meine Zeugen sind! Als ich damals nach 6 Monaten wieder in die Anstalt Kaiserebersdorf zurückkam, glaubte ich mich im Paradies. Lieber Herr Doktor, vielleicht sollten gerade dies die Menschen erfahren, die uns noch heute ausgrenzen und nie mehr eine Chance gaben und geben! 

Noch einmal Danke für Ihren Brief und das Foto, Auch ich würde mich freuen, Sie einmal persönlich kennen (S4) zu lernen. Es tat nämlich gut, mit jemandem reden zu dürfen, ohne gleich verurteilt zu sein. 

Ich hoffe und warte ein neues und baldiges Buch von Ihnen. Auch hat mir der Beitrag im Fernsehen sehr gut gefallen, wo Sie per Fahrrad unsere sündige Meile (Gürtel) entlang fahren.

Mit großer Hochachtung grüße ich Sie herzlich   

Ernst Zafirakos (Zaverl)

 

Diese beiden Briefe geben gut den seelischen Druck wieder, den gerade junge Menschen in den früheren Erziehungsanstalten und im Gefängnis erlebt haben und erleben. Die Suche nach Anerkennung und Liebe bestimmt das Leben so mancher, die sich aus der „Gesellschaft“ ausgeschlossen sehen. Ihre Götter sind die großen Ganoven und ihre Feinde die Polizisten und Richter.

 

Das Gefühl, geliebt zu werden, kann helfen, dem Teufelskreis der Gewalt und der steten Erniedrigung zu entkommen. So ist es im Falle des Briefschreibers ein kleines Kätzchen, wie zu lesen ist, das ihm das Gefühl der Liebe gibt. Es ist dieses Kätzchen, das ihn davon abhält, nicht mehr kriminell zu werden. Dieses Tier hat erreicht, was Sozialarbeit und andere Einrichtungen nicht erreicht haben.

 

Weiterführende Artikel

Eine Ergänzung zum Abschluss dieses Hirtenbriefes: Das legale Gangstertum

Nicht nur unter Ganoven als Angehörige unterer sozialer Schichten gibt es kriminelle Randkulturen sondern  auch unter den “feinen Leuten”. Allerdings ist es schwieriger, ihnen auf die Schliche zu  kommen,  daher meinte der berühmte amerikanische Gangster Al Capone (1899-1947), die grossen Wirtschaftsbosse und ähnliche Leute würden zum  “legalen Gangstertum” gehören.  Darüber ist nun zu berichten - die freundlichen Leserinnen und Leser mögen vor allem das Kapitel über White-Collar-Kriminalität beachten.

 

 

Das legale Gangstertum (nach Al Capone): Korruption und Wirtschaftskriminalität – Rechtssoziologische und kriminalsoziologische Überlegungen zum Thema „Korruption“)

 

Das Thema „Korruption“ ist ein aufregendes,  darauf verweist auch dieser Ausspruch eines angesehenen Herrn:

 

Meine folgenden Ausführungen sind 1981 unter einem eher langweiligen Titel, den ich jetzt zum Untertitel erwählt habe, erschienen, und zwar in einem bemerkenswerten  Sammelband. Der Titel dieses Bandes ist „Korruption und Kontrolle. Herausgegeben hat ihn Christian Brünner, em. Univ. Prof für Öffentl. Recht  an der Universität Graz im Rahmen der „Studien zu Politik und Verwaltung“.  Es war mir eine Ehre, als ich gebeten wurde  , einen Beitrag zu diesem Sammelband zu schreiben. Mit diesem befinde ich mich in bester Gesellschaft.  

 

Meinen folgenden Aufsatz habe ich allerdings in einer z. T. komplizierten soziologischen Wissenschaftssprache, von der ich längst abgegangen bin,  geschrieben.  Auch einige Sätze sind mir zu lang geraten.  Offensichtlich habe ich mich damals bemüht, besonders „wissenschaftlich“ zu schreiben. Ich bitte deswegen um Nachsicht.

 

Ich hoffe dennoch, dass der aufmerksame Leser bzw. die aufmerksame Leserin den folgenden Text mit Wohlwollen liest.