Abenteuer während der Forschung

1. Die strenge Kammer

Meine Forschungen bei Dirnen waren stets spannend und stets voll der abenteuerlichen Überraschungen. Zu einigen Gesprächen mit Dirnen nahm ich meine gütige Frau Gemahlin mit. Ich tat dies, damit diese Damen sehen, ich würde sie achten und käme lediglich aus wissenschaftlichem Interesse zu ihnen.

 

Einmal lud eine Dirne mich und meine Frau Gemahlin zu einem Abendessen zu sich in das Bordell ein, das sie und ihr Freund führten. Zu diesem Essen war auch ein Kriminalbeamter eingeladen. Ich war darob überrascht, sah aber bald im Gespräch, dass die Dame und ihr Zuhälter beste Kontakte zur Kriminalpolizei hatten. Beide waren daran interessiert, keine Probleme mit dieser zu haben. Und diese wiederum erhoffte sich für die Polizei wichtige Hinweise aus der Welt des Strichs. Nach dem Essen zeigte sie mir ihre „strenge Kammer“, einen Raum, in dem sich allerhand Marterwerkzeuge befanden, mit denen den Kunden lustvoller Schmerz verursacht wurde. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, was alles hier angeboten wurde. Die Instrumente reichten vom Brenneisen über einen Sarg, einen Galgen, einen Käfig bis hin zu Peitschen und Zangen.

 

Interessant war für mich der Hinweise der Dirne, dass ein österreichischer Minister auch einmal zu ihren Kunden gezählt habe. Darauf sei sie besonders stolz. Abenteuerlich war es für mich schließlich auch, als eine andere Dirne, die auch bei dem Essen war, erzählte, zu ihr käme ein Professor der Universität, den ich gut kannte. Er war ein Stammgast von ihr und würde ihr viel von seinen seelischen Problemen erzählen. Sie nannte mir sogar den Namen. Ich musste allerdings fest versprechen, diesen nirgends zu erwähnen.

2. Die Großzügigkeit des Zuhälters

 

Noch eine andere Episode ist bemerkenswert. Einmal hatte mir ein Herr des Wiener Strichs - Richard ist sein Name - einen Kontakt zu einer Dirne im reifen Alter von sechzig Jahren und zu einem alten Ganoven, der über Jahre wegen diverser Raufereien am Strich im Gefängnis einsaß, verholfen.

 

Von den beiden wollte ich einiges über das Leben und die Sprache am Strich erfahren. Das Treffen war an einem Samstagabend in einem kleinen Animierlokal im 2. Wiener Gemeindebezirk. Die beiden Leute warteten bereits auf mich. Sie waren auch gerne bereit, mir einiges über den Wiener Strich und die Sprache auf diesem zu erzählen. Als ich eine Zeit mit der Dame gesprochen hatte, beendete diese das Gespräch und fordert den Geschäftsführer des Lokals auf, ihr einen bestimmten Geldbetrag, den er ihr angeblich für ihr Erscheinen versprochen hat, zu zahlen. Dieser meinte jedoch, er könne dies erst in zwei Tagen tun, denn im Moment habe er kein Geld bei sich.

 

Darüber war die Dirne derart erbost, daß ich mich genötigt sah, ihr den verlangten Geldbetrag zu zahlen. Die nächsten Tage ärgerte ich mich über meine Großzügigkeit, denn ich fühlte mich von dieser Dame hineingelegt. Als ich ein paar Tage später Herrn Richard in seinem gepflegten Nachtlokal wegen weiterer Gespräche über den Strich aufsuchte, setzte sich dieser an meinen Tisch und überreichte mir den erwähnten Geldbetrag mit der Bemerkung, dass es von der Dirne nicht fair gewesen wäre, von mir das Geld anzunehmen, denn ich sei ihr Gast und einen Gast dürfe man nicht derart behandeln. Erfahren hatte er die Geschichte von dem Ganoven, der mit der ehrwürdigen Dirne erschienen war. Ich sah mich darauf veranlasst, diesem Herrn das Geld zu überreichen. Er war darüber erfreut.

3. Das Begräbnis des Zuhälters

 Auch an einem Begräbnis eines bekannten Wiener Zuhälters und Ganoven nahm ich teil. Das Begräbnis fand auf einem Wiener Nobelfriedhof statt. Dem ehrenvollen Toten, der als „Wiens ungekrönter Unterweltkönig“ bezeichnet wurde, gab ein großes Publikum die letzte Ehre.

 

Wiens Zuhälterprominenz und viele arbeitsame Mädchen vom Strich, dazwischen einige unauffällige Herrn von der Kriminalpolizei, waren zahlreich erschienen und verschafften dem Begräbnis einen würdigen Rahmen. Die Friedhofskapelle, in der man den Toten aufgebahrt hatte, war zum Bersten voll. Ein Männerchor der Städtischen Bestattung und Heurigensänger untermalten musikalisch die Trauerfeier. Zunächst stimmten die Heurigensänger das alte wehmütige Wienerlied „Stellts meine Roß in Stall“ an.

 

Ein Journalist schrieb darüber, dies wäre ein „beziehungsvolles Lied“ gewesen, welches nicht nur den zahlreich vertretenen - so plötzlich ihrer schützenden Hand beraubten - Damen die Tränen in die Augen treibt. Im weiteren Verlauf der Trauerfeier sangen die Sänger der Städtischen Bestattung Verdis „Gefangenchor“, womit offensichtlich auf die heldenhafte Karriere des „Unterweltkönigs“, die auch durch die Gefängnisse ging, hingewiesen werden sollte. Und schließlich kamen wieder die Heurigensänger mit „A echts Weana Kind“ an die Reihe.

 

Die Würde des noblen Verstorbenen zeigte sich durch die vielen Kränze. Auf einer Kranzschleife war zu lesen: „Letzte Grüße vom Elferhaus“.

Das „Elferhaus“ ist ein bekanntes Bordell am Wiener Gürtel. Auf einer anderen Schleife stand: „Wir werden Dich nie vergessen“. Wahrscheinlich waren es die Dirnen dieses und anderer „Häuser“, die dies festgehalten haben wollten. Und wieder eine andere Schleife verkündete: “Letzte Grüße - die Mädchen vom 69er Haus“. Auch hier der Hinweis auf ein Bordell. Der lange Trauerzug bewegte sich ruhig zur Grabstätte. Die trauernden Damen und Herrn vom Wiener Strich warfen ihrem verstorbenen „König“ ein mit einer rosa Masche verziertes Hufeisen, einige Tonbandkassetten und schließlich auch Spielkarten in das Grab nach.

 

Das Ansehen dieses toten Unterweltkönigs kam bei diesem Begräbnis gut zum Ausdruck.

4. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre im Bordell

 Ein angesehener Professor der Betriebswirtschaftslehre hatte von meiner Forschung bei den Wiener Zuhältern gehört. Er wolle, ließ er mir mitteilen, einen Zuhälter, der ein Bordell betreibe aus betriebswirtschaftlichen Gründen näher kennen lernen. Er würde mich bitten, einen entsprechenden Kontakt herzustellen.

 

Ich sagte freudig zu und bat nun meinen Freund vom Strich, den ich im Krankenhaus kennen gelernt hatte, von dem Wunsch des Professors. Er lud uns darauf ein, zu einem bestimmten Zeitpunkt, so um 21 Uhr, in einem seiner Animierlokale, dem eine Peepshow angeschlossen war, zu erscheinen. Er würde uns dort erwarten. Der Herr Professor kam in Begleitung zweier Sekretärinnen und eines Assistenten, und ich erschien gemeinsam mit meiner gütigen Frau. Mein Freund empfing uns mit großer Höflichkeit. Wir wurden gebeten, Platz zu nehmen und ließen uns gute Getränke servieren.

 

Zunächst verwies er uns auf die Peepshow. Der Herr Professor, der so eine Einrichtung noch nicht kannte, erhielt von meinem Freund einige Münzen. Mit diesen verschwand er gemeinsam mit seiner Sekretärin in einer Kabine, von der er gegen Einwurf des Geldes die Nacktkünstlerinnen bewundern konnte. Schließlich führte uns der Herr des Strichs noch in weitere Nachtlokale, eines dieser trägt den stolzen Namen "Senat".

 

Diese Bezeichnung hatte mein Freund ausgewählt, weil er für das Leben der alten Römer schwärmt. In diesem "Senat" berät er sich im Stile würdiger römischer Patrizier mit seinen Geschäftsführern. Der Professor war angetan von dem Herrn und von dem Abend begeistert. Er meinte, der Zuhälter wäre ein Kavalier. Er ließ ihm ein paar Tage später  einen großen Blumenstrauß schicken.

5. Das Abenteuer der Sprache der Dirnen

Besonders spannend war es für mich, mich mit dem Vokabular zu beschäftigen, welches am Wiener Strich gesprochen wird. Es ist dem Rotwelsch, der Gaunersprache, zuzuordnen. Über diese schrieb ich ein Buch, das einigen Anklang fand (siehe dazu Girtler, 1998). Die Wörter, die ich aufzeichnen konnte, sind mitunter sehr blumig und verweisen auf ein Leben, mit dem Härte aber auch Witz und Abenteuer verbunden sind. Beispielhaft seien ein paar Wörter aus der Dirnensprache hier wiedergegeben.

 

  • Burenhäutlstrizzi (von: Burenwurst, eine billige Wiener Wurstsorte, und Strizzi für Zuhälter) : mieser Zuhälter
  • Deckel oder Fleppe (fleppa – spanisch-jüdisch für Urkunde) : Gesundheitsbuch der Dirne
  • Gogl (von Gockl für Hahn): abfällige Bezeichnung für den Kunden der Dirne
  • Gustierkatz: Dirne, die auf der Suche nach einem Freund (Zuhälter) ist und sich einen solchen aussucht – sie gustiert.
  • Hacknbock (von: Hackn, leitet sich vom hebräischen Wort chak für Arbeit ab, und bock von bocksledern für Schuhe): hochhackige Schuhe der Dirne
  • Koberer (aus dem vulgärlateinischen Wort coponus für Wirt): Bordellwirt.