Max Weber im Wiener Feuilleton - „hochgewachsen und vollbärtig gleicht er einem der deutschen Steinmetze der Renaissance“

Der vorliegende Aufsatz ist eine erweiterte Kurzfassung meines Büchleins "Max Weber in Wien", in dem ich auch über die früheren Institutsmitglieder jeweils ein paar Sätze schreibe. Erinnert wird in dem Büchlein auch an Herrn Anton Amort, unseren originellen Portier, der das Herz am rechten Fleck hatte und der ein großartiger Kartenspieler war.  Aber ebenso wird unsere tüchtige Bibliothekarin Eliska Stadler gewürdigt.

Max dürfte hohes Ansehen in der Wiener intellektuellen Gesellschaft genossen haben. Darauf deutet ein Feuilleton von Dr. Erich von Karningen im „Neuen Wiener Tagblatt“ vom 16. Juli 1918 hin. In diesem wird unter dem Titel „Ein deutscher Professor“ einleitend Max Weber geradezu als Lichtgestalt oder als eine Art Prophet geschildert, der als Gelehrter in einer pessimistischen Zeit nach dem 1. Weltkrieg wichtige Weisheiten zu verkünden hat :

 

„Seit einigen Wochen knüpft sich das Tagesgespräch an den Namen eines Mannes, der weder Theaterdirektor, noch Schauspieler oder Sänger ist, sondern nur ein Nationalökonom, ein Professor. Ein reichsdeutscher Professor. Als der Heidelberger Gelehrte Max Weber zum Nachfolger des verstorbenen Philippovich ausersehen wurde, kannten ihn nur die Wiener Fachgenossen. Höchstens einige besonders eifrige Studierende, die in seinen Werken, etwa in der tiefgründigen „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, gelesen hatten. Der großen Masse der Gebildeten war sein Name ein bloßer Klang, der rasch verhallt. Nun ist er ein Weckruf geworden, eine Fanfare. Dabei hatten gerade in letzter Zeit die sehr Gescheiten die Anschauung verbreitet, dass die großen deutschen Professoren ausgestorben sind. In dem Zeitalter der Vorherrschaft des Kontors ist eben kein Platz mehr für die Arbeit der humanistisch geschulten Gelehrten. Auch gäbe es in unserer mechanisierten Gesellschaft sicherlich niemand mehr, der sie hören würde. Bis Max Weber zu uns kam und zu sprechen begann. Da verflogen diese aufdringlichen und vorlauten Meinungen wie Fliegen vor einer abwehrenden Handbewegung. Hochgewachsen und vollbärtig gleicht der Gelehrte einem der deutschen Steinmetze aus der Zeit der Renaissance. Nur die Augen haben nicht das Unbefangene und die Sinnesfreude des Künstlers. Der Blick kommt aus dem Innersten, aus verborgenen Gängen, und schweift in weiteste Ferne. Diesem Äußeren des Mannes entspricht auch die Ausdrucksweise. Sie hat etwas unendlich Plastisches. Es ist eine fast hellenische Art des Sehens, die hier zu zutage tritt. Die Wort sind einfach geformt und wenig behauen. In ihrer ruhigen Schlichtheit erinnern sie an zyklopische Quadern. Erscheint aber im Mittelpunkte der Betrachtung eine Person, dann bekommt sie sofort etwas Monumentales. Jeder Zug ist wie in Marmor gemeißelt und dabei in hellster Beleuchtung. Ab und zu wird die Rede durch eine leichte Bewegung der Hand unterstützt. Feingliedrig und schmal, mit spitz zulaufenden Fingern und einem etwas eigenwilligen Daumen ließe sie eher auf eine Petroniusnatur (gest 66n.Chr. Röm. Schriftsteller, gebildeter Kenner feiner Genüsse, Verfasser des Romans „Satyrikon“, R.G.) schließen als auf einen Gelehrten. Seit den Tagen von Unger, Lorenz von Stein … hat noch kein akademischer Lehrer an der Wiener juristische Fakultät so viele Hörer um sich versammelt, wie Max Weber. Es ist aber keineswegs die rhetorische Meisterschaft des Mannes allein, die diese außerordentliche Anziehungskraft hervorruft.

Aus jedem Worte geht deutlich hervor, dass er sich als Erbe der deutschen Vergangenheit fühlt und vom Bewusstsein seiner Verantwortlichkeit vor der Nachwelt beherrscht wird. Und dies mag manchem zum Menetekel geworden sein. Denn die Fähigkeit geschichtlich zu empfinden, ist immer mehr abhanden gekommen. Aber es wurde auch versäumt, an der Brücke zu bauen, die in die Zukunft führt. Er ist durch und durch national, aber kein Nationalist. Und bei allem Verständnis für fremde Geschichte und Eigenart weit entfernt von dem gewissen Internationalismus, der in letzter Zeit um sich gegriffen hat, vielleicht als eine überdies verständliche Reaktion gegen die Ausartungen des Völkerhasses. Um Kosmopolit zu sein, ist Weber wieder viel zu sehr mit Grund und Boden verwachsen. Er hat nichts von der Geistesrichtung jener entwurzelten Stadtmenschen, die, fremd im eigenen Volke, den Sinn für den Duft und die Umrisse der Heimat verloren haben… Sicherem Vernehmen kehrt Max Weber wieder nach Heidelberg zurück. Zum großen Schaden für das geistige Leben in unserer Stadt. Schon die kurze Anwesenheit des Gelehrten hat einen dauernden Gewinn gebracht. Das felsenfeste Vertrauen auf die ungebrochene Kraft der deutschen Sozialwissenschaft… Der kommende Friede wird sicherlich kein Zeitalters des Flötenblasens und der Schäferspiele bringen. Neue Bevölkerungsschichten, die eine außerordentliche ökonomische Kraft gewonnen haben, werden um die politische Macht kämpfen… Aber trotz allem werden die Flammen des östlichen Brandes nicht herüber schlagen, Browning und Handgranaten sich nicht zu Argumenten im politischen Kampfe verwandeln. In Deutschland wird Kain den Abel nicht erschlagen!“

 

Jedenfalls hatte Max Weber die Wiener gebildete Gesellschaft fasziniert. Bis heute ist es ein Rätsel, warum Weber Wien wieder verlassen hat, obwohl er sich hier – so scheint es - wohl gefühlt hat. Besonders dürfte Max Weber, wie aus Andeutungen zu entnehmen ist, Wiener Speisen und wahrscheinlich auch dem Bier zugetan gewesen sein.