Motorrollerunfall - der Zuhälter als Bettnachbar

Beginn des Interesses an Randkulturen und an der Urgeschichte

Auf den Motorroller-Unfall, der mein Leben gänzlich veränderte, beziehe ich mich in meinem Buch „Der Strich“, in dem ich die Welt der Prostituierten und Zuhälter in Wien beschreibe bzw. beleuchte. Aber auch in meinen Büchern über die „Methoden der Feldforschung“ und die „Zehn Gebote der Feldforschung“ gehe ich auf diesen Unfall ein.

Der Herzstich-Ederl, der am Wiener Gürtel am Strich sein Geld verdiente, lag im Krankenhaus monatelang neben mir. Er wurde mein Freund. Das Bild zeigt ihn mit zwei Kumpanen.
Der Herzstich-Ederl, der am Wiener Gürtel am Strich sein Geld verdiente, lag im Krankenhaus monatelang neben mir. Er wurde mein Freund. Das Bild zeigt ihn mit zwei Kumpanen.

Geheiratet habe ich 1964. Knapp vor der 3. Staatsprüfung in Jus (Jura), für die ich intensiv gelernt hatte, um der Familie, eine Freude zu machen und endlich einen soliden Beruf als Jurist zu haben, fuhr ich an einem schönen Herbsttag des Jahres 1965 mit meinem Motorroller im 17. Bezirk Wiens. Dabei übersah mich ein betrunkener Autofahrer und fuhr mich mit seinem Mercedes regelrecht über den Haufen. Ich dürfte um die 30 Meter geflogen bzw. mitgeschleift worden sein. Ich weiß vom genauen Hergang dieses Unfalles nichts mehr, außer, dass ich zwei Scheinwerfer auf mich zufahren sah. Diese sehe ich immer noch.

 

Ich wachte im Allgemeinen Krankenhaus am Operationstisch auf. Ich hörte wie eine Krankenschwester zu dem Arzt, der an meinem linken Bein, das mehrmals gebrochen war und eine offene Wunde hatte, herum werkte, sagte: „Hat der schöne braune Beine“. Diese hatte ich tatsächlich, da ich damals während des Sommers viel in der Sonne lag und dabei lernte. Der Arzt meinte auf die Feststellung der Krankenschwester hin bloß, er wollte witzig sein: „Der hat sie sich nicht gewaschen“. Darauf fiel ich wieder in Ohnmacht. Aufgewacht bin ich dann in einem Krankenbett des Krankensaales 3. Klasse des Allgemeinen Wiener Krankenhauses. Dieses lag damals an der Alserstraße, heute befinden sich anstelle des Allgemeinen Krankenhauses in dessen Gemäuern Universitätsinstitute und Gaststätten. Das Allgemeine Krankenhaus hat am Gürtel heute seine Heimat. Der Krankensaal der 3. Klasse, in dem ich zu liegen kam, erinnerte an ein Lazarett. Er beherbergte 24 Personen, vor allem Männer aus unteren sozialen Schichten. Besser gestellte Leute waren in der 2. und 1. Klasse untergebracht. Mein Bett war das zweite Bett in der mittleren Reihe von der Eingangstür in diesem „Lazarett“.

 

Die nächsten vier Monate sollte ich nun in diesem Bett bleiben. Rühren konnte ich mich kaum, denn mein linkes Bein, das einen offenen Unterschenkelbruch hatte, war eingegipst und war durch ein Gerät fixiert. Dies hatte den Sinn, dass die Knochen meines Beines, diese hatten die Ärzte eingerichtet, in Ruhe zuwachsen konnten. Außer diesem Beinbruch hatte ich einen Beckenbruch und eine Oberschenkelzertrümmerung davon getragen. Daneben hatte ich noch diverse Abschürfungen im Gesicht, aber keinen Knochenbruch. Einen Schädelbruch hatte ich Gottseidank nicht erlitten, obwohl ich ohne Helm unterwegs war. Ich konnte also nicht aufstehen. Diverse Verrichtungen musste ich liegend durchführen, eine unangenehme Sache.

 

Im Bett neben mir zum Eingang hin lag zunächst ein Bauer aus dem Burgenland, der mir sein Testament diktierte und bald darauf starb. Dann kam in das frei gewordene Bett ein Herr, der bei einer Rauferei am Gürtel einen Herzstich erlitten und diesen mit Glück überlebt hatte. Auch bei mir hatte man Angst, dass ich ins Jenseits hinüber wechsle, da ich, was bei offenen Brüchen oft der Fall ist, so etwas wie eine Fettembolie davon trug. Jedenfalls konnte man durch Blutkonserven mich am Leben erhalten.

 

Mein Bettnachbar erwies sich als ein Zuhälter am Beginn seiner Karriere, er war zwei Jahre jünger als ich. Er wurde regelmäßig durch Zuhälter, Dirnen und Kriminalbeamte besucht. Allerdings wenn Kriminalbeamte ihn aufsuchten, stellte er sich schlafend. Da ich auf der anderen Seite keinen Bettnachbar hatte, hier stand der Instrumententisch, war dieser Herr vom Strich, Ederl heißt er, mein einziger Gesprächspartner. Im Laufe der Zeit wurden wir Freunde. Diese Freundschaft zeigte er mir dadurch, dass er eines Tages die Schwester Hermi, die mir gegenüber eher bösartig war, zu sich ans Bett rief. Ich war damals der einzige Student in dem Saal, dies dürfte sie gestört haben. Nun spielte sich folgender Dialog ab. Schwester Hermi fragte ihn: „Was wollen Sie?“ Darauf Ederl: „Wenn Sie weiter so frech und bösartig sind zu meinem Freund dem Studenten neben mir, nehme ich einen Fünfzehner in Kauf“. Schwester Hermi fragte nun vorsichtig: „Was heißt ein Fünfzehner?“ Ederl antwortete: „Das heißt: „Fünfzehn Jahre Gefängnis, denn ich haue Ihnen die Urinflasche auf den Schädel!“ Ab diesem Zeitpunkt war die Schwester freundlich zu mir. Und seit damals ist Ederl mein echter Freund, denn mir imponierte es, dass er 15 Jahre Gefängnis auf sich genommen hätte, um mich vor der bösartigen Krankenschwester zur schützen.

 

 

 

In meinem Buch „Eigenwillige Karrieren“ ist der Lebenslauf Ederls einigermaßen genau geschildert. In diesem Buch ist übrigens gleich neben der Lebensgeschichte Ederls die Biographie von Markus Habsburg, eines Urenkels von Kaiser Franz Joseph dargestellt. Diese beiden Herren habe ich im Kaffeehaus am Linzer Bahnhof miteinander bekannt gemacht. Beide waren von einander begeistert.