Studium der Ethnologie und Kulturanthropologie

Während der Monate im Krankenhaus hatte ich viel Zeit über mein Studium und mein Leben nachzudenken. Ich überlegte mir, dass ich eigentlich nicht zum Juristen geeignet bin. Ich sah ein trostloses Leben vor mir vielleicht als Finanzbeamter oder als kleiner Jurist in einem Ministerium o. ä..

 

Bereits als Kind hatte ich die Idee, so etwas wie ein Forscher, am Besten ein Afrikaforscher, zu werden. Hier im Spital überlegte ich mir, dass man auch in der eigenen Gesellschaft großartige Forschungen machen könne, denn die Zuhälter, Dirnen, Sandler, wie man damals obdachlose Nichtsesshafte ohne Probleme nennen konnte, und andere Leute am Rande der guten Gesellschaft haben alle ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache und ihre Tricks des Überlebens, die meilenweit von dem Leben der „guten“ Gesellschaft entfernt sind. Man braucht also nicht nach Afrika zu fahren, wenn man fremde Kulturen erforschen wolle.

 

Im Krankenhaus las ich ein Buch über die Hethiter, die im 2. Jahrtausend v. Chr. in Kleinasien lebten und großen Einfluss auf den vorderen Orient hatten. Mich faszinierten die Ausgrabungen des Altorientalisten Hugo Winckler in Boğazköy im anatolischen Hochland derart, dass ich beschloss, die Juristerei an den Nagel zu hängen und an der Universität Wien Ethnologie (Kulturanthropologie) und Urgeschichte zu inskribieren, aber mich auch mit Soziologie, bei den Juristen hatte ich bereits dazu etwas studiert, und Volkskunde zu beschäftigen.

 

Finanzieren konnte ich mein Studium mit dem Schmerzengeld, das mir durch das Gericht zugesprochen wurde, und mit Gelegenheitsarbeiten. So war ich als Gemüseausfahrer am Naschmarkt tätig und erwarb mir Geld als Filmkomparse. Otto Preminger, er drehte damals den Film „Der Kardinal“ zum Teil in Wien, benötigte Filmkomparsen oder Statisten. Es gab damals eine Arbeitsvermittlungsstelle bei der österreichischen Hochschülerschaft, sie residierte in der Führichgasse. Bei dieser sprach ich wegen diverser Arbeiten vor. Von dieser wurde ich mit anderen Studenten in das Hotel „Imperial“ geschickt, wo wir in einer noblen Suite dem großen amerikanischen Regisseur Preminger, er stammte aus Wien, vorgestellt wurden. Ich wurde als SA-Mann eingestellt. Man verpasste mir eine entsprechende Uniform. So angekleidet hatte ich am Schwarzenbergplatz vor einem Haus zu paradieren. Aus dem 3. Stock dieses Hauses sprang ein bekannter jüdischer Schriftsteller in den Tod, um den Nazis zu entgehen. Hier zeigt sich die Tragik Wiener Juden, die gute Österreicher und Deutsche waren. In dieser Filmszene liegt dieser Mann, Peter Weck spielte ihn, tot am Boden. Meine Aufgabe als SA-Mann war es, dort auf Ordnung zu schauen u.ä.. Eine andere kleine Rolle hatte ich in einem Film über Kronprinz Rudolf, in dem Weltstars wie James Mason und Omar Sharif mitwirkten. Meine Aufgabe war es, in der Uniform eines österreichischen Kaiserjägers o.ä. vor dem Schloss Schönbrunn an Omar Sharif vorbei zu marschieren. Auch verdiente ich mir Geld als Reparateur von Einkaufsnetzen, die aus China schadhaft geliefert wurden. Eine Reihe von Studentinnen und Studenten waren dabei beschäftigt. Mit mir arbeitete u. a. der Künstler Othmar Zechyr, der später wegen seiner Tuschezeichnungen einige Berühmtheit erlangte.

 

Gewohnt habe ich damals mit meiner wunderbaren Frau Birgitt und unserem Sohn Roli in der Strozzigasse 32, zunächst im Hinterhof, dann im 2. Stock an der Vorderseite des Hauses. Meine Tochter Heidrun kam noch dazu, dann war die kleine Familie vollständig. Der Güte meiner Frau, ihrer Umsicht und Großzügigkeit verdanke ich enorm viel. Nach einer Zeit durften wir in die große Wohnung meiner Schwiegereltern, die nach Gießen in Deutschland übersiedelt waren, ziehen. Mein gütiger Schwager Detlev, der in dieser riesigen Wohnung alleine wohnte, war so gnädig, dass wir dazu ziehen konnten. Es entwickelte sich eine interessante Wohngemeinschaft. Zu dieser gehörte auch der Ungar Szigetti, der Medizin studierte und jeden Sonntag in die Kirche ging. Auf meine Frage, warum er dies tue, meinte er, er müsse jede Hilfe in Anspruch nehmen, auch wenn sie noch so unsicher ist.

 

Da ich fleißig studierte und einen sehr guten Studienerfolg vorweisen konnte, suchte ich um ein Stipendium an. Man wollte mir ein solches, obwohl mein Studienerfolg ausgezeichnet war, zunächst nicht zusprechen, da man meinte, mein Vater habe schon Recht, dass er mir, dem verbummelten Studenten, nichts mehr zahle. Damals half mir mein Freund Dr. Fritz Lachmayr, den ich von der Juristerei her kannte. Wir brachten gegen den ablehnenden Entscheid des Bundesministeriums für Unterricht, das damals für die Universitäten zuständig war, eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein. Die Beschwerde hatte Fritz Lachmayr auf Grund seines enormen juristischen Wissens eingebracht. Dafür sei ihm ewig gedankt. Der Verwaltungsgerichtshof entschied zu meinen Gunsten.

Das Bundesministerium musste mir rückwirkend 30.000 Schilling zahlen und weiterhin für jeden Monat 1000 Schilling. Mit diesem Geld konnten wir leben. Meiner Frau Birgitt, die schönste Frau des 7. Bezirks, verdanke ich sehr viel. Um auch ihr eine Freude zu machen, vertiefte ich mich – als verbummelter Student – in meine Studien. Ich hatte schließlich Erfolg.