Besprechung und Briefe René Königs

(kritische Gedanken zur herkömmlichen und „belanglosen“ Soziologie)

Im Kapitel 24 habe ich bereits die Besprechung meines Buches „Der Adler und die drei Punkte“ durch René König, den großen Soziologen aus Köln gebracht.

 

Es sei mir gestattet, hier einige Sätze aus seiner Rezension wiederzugeben, die hinsichtlich meines Vorgehens als Forscher interessieren könnten. Danach gebe ich Briefe Rene Königs wieder, die er mir im Laufe der Zeit u.a. zu meinen Forschungen schrieb. In diesen Briefen schildert R. König auch Details aus seinem Leben, die spannend sind. Geradezu rührend denkt R. König immer wieder an unseren Dackel Sokrates, den er stets grüßen lässt. Sogar über ein Wiener Beisl in Istanbul berichtet er, ebenso geht er auf Soziologen ein, die ihn wegen ihrer „Belanglosigkeiten“ ärgern usw.

 

Zunächst sei ein Kernsatz von R.Königs Besprechung meines Buches zitiert:

 

„Roland Girtler ist nicht nur ein passionierter Bergsteiger, sondern ebenso resolut in seinem Bemühen um qualitative Sozialforschung ... Sein neuestes Buch (also das über Pepi Taschner) …, mit dem er geradezu an die Chicago-Schule der Soziologie …. anknüpft, … unterscheidet sich auch insofern von den meisten heutigen recht langweiligen soziologischen Publikationen, die bestenfalls mit einer Fülle von Fremdwörtern glänzen, dass es spannend ist.“.

 

Besonders ehrt mich der abschließende Satz der Rezension:

 

„Man darf abschließend sagen, dass dies Buch nicht nur wegen seines greifbaren Inhalts … wichtig ist, sondern dass es darüber hinaus zu allgemeinen Überlegungen über Soziologie überhaupt anregt, was sicher nicht das mindeste seiner Verdienste ist“.

 

Vor Rene König hatte ich größten Respekt, er war ein Mann mit einem großen Herzen. Dieses zeigte er in seinem Nachruf für den Soziologen Werner Ziegenfuss, dessen Freund er vor dem Krieg war. Als Ziegenfuss Nationalsozialist wurde, war König, der ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus war, sehr enttäuscht von ihm. Als Ziegenfuss wegen seiner homosexuellen Neigungen in den fünfziger Jahren von der Universität gehen musste, schlug er sich als Hilfsarbeiter durch, er wurde Tierpfleger usw. Er war ein gebrochener Mann, als er seinem Leben durch einen Sprung aus dem Fenster ein Ende setzte.

 

Über ihn schrieb R. König 1975 verständnisvolle Worte in der Kölner Zeitschrift f. S.u.S: „..eine einmalige Freundschaft kann nicht vergehen, selbst wenn einer der Partner einmal enttäuschte. Darum schrieb ich diesen Nekrolog als Eulogie für einen Freund, dem jene die Treue nicht hielten, zu denen er sich bekannte, um wenigstens die Stimme jener anderen hören zu lassen, die sich zu ihm bekennen, auch wenn er sie in einem früheren Leben einmal verriet…“. Wegen dieses Nachrufes hatte ich R. König einen Brief geschrieben und ihm meinen Respekt ausgedrückt.

 

Einen engeren und freundschaftlichen Kontakt zu Rene König verdanke ich meinem leider schon verstorbenen Freund Hans Benninghaus (1935 – 2007), dem ich hier kurz gedenken möchte. Hans Benninghaus war wissenschaftlicher Mitarbeiter René Königs im Forschungsinstitut für Soziologie und im Seminar für Soziologie der Universität zu Köln. Von 1980 bis 2000 war er Professor für Soziologie, insbesondere für Empirische Sozialforschung und Sozialstatistik, an der Technischen Universität Berlin. Kennengelernt habe ich Hans bei einer soziologischen Tagung, die von Professor Horst Ziegler, damals Professor an der Universität Wien, veranstaltet wurde und bei der ich mich vor allem um die Unterhaltung der Gäste zu kümmern hatte.

Hans war ein ungemein liebenswürdiger Mensch. Seine Frau Euphemia, mit der ich noch in Kontakt bin, war ihm eine wunderbare Gattin, mit der er zwei Söhne hatte. Hans Benninghaus lud mich um 1983 nach Köln ein. Er hatte René König und seiner liebenswürdigen Frau Gemahlin einiges über mich erzählt.

 

Dies veranlasste wohl Prof. König, mich in sein prachtvolles Haus am Stadtrand von Köln für eine Nacht einzuladen. Das Ehepaar König lud Euphemia und Hans Benninghaus und mich zu einem herrlichen Abendessen ein. René König bewies dabei, dass er nicht nur ein großartiger Kultursoziologe war, sondern auch prächtig kochen konnte. Für diesen Kontakt zu Professor König bin ich sehr dankbar. Eine Zeit später verbrachte König mit seiner Gattin einige Wochen in Wien. Er hatte an unserem Institut eine Gastprofessur inne. Auf unsere Einladung hin wohnten die beiden „Könige“ in einer kleinen gemütlichen Wohnung in der Stiftgasse im 7.Bezirk Wiens, die uns gehörte. Er war also unser Gast. Mit Rene König suchte ich einige Male das nahe „Spatzennest“ gegenüber der Ulrichskirche im 7. Bezirk auf. König war begeistert von der Wiener Küche. Besonders schmeckte ihm das sogenannte Krenfleisch, wobei ihm der frisch geriebene Kren besonders zusagte.

 

Jedenfalls war es mir eine große Ehre und eine große Freude, Hans Benninghaus und seinen Freund René König kennengelernt zu haben. Es gehört zu den großen Glücksmomenten meines Lebens, mit diesen wunderbaren Herren samt ihren charmanten Gemahlinnen gemeinsame Stunden, bei denen ich viel gelernt habe, zu verbringen. Es entstand ein interessanter Briefwechsel zwischen René König und mir. Einige dieser Briefe, in denen es auch um die Methode geht, seien hier wiedergegeben.

Brief von Rene König an Roland Girtler vom April 1984

Zunächst: In diesem Brief vom 12.4. 1984 zeigt R. König seine Freude, in Wien als Gastprofessor eingeladen zu sein. Er meint, ich hätte mich dafür eingesetzt. Seine Liebe zu Wien war stets groß. Zu Pepi Taschner – das Buch über ihn hat er ja besprochen - meint Prof. König, dass es nicht nur schwierig ist, in Randkulturen Kontakte zu knüpfen, sondern ebenso, diese zu lösen. Der Soziologe sei in einer ähnlichen Situation wie der Psychoanalytiker.

Brief von Rene König an Roland Girtler vom Oktober 1984

 In seinem Brief vom Oktober 1984 schrieb König u.a. dies:

 

„Mein lieber Roland,

Sie sind wirklich ein Orlando furioso … Da der Sonderband der Zeitschrift (Kölner Zeitung für S.u.S) am 26. Oktober ausgeliefert wird, kann ich Ihnen ein Exemplar nach Wien mitbringen. Sie werden dann sofort sehen, wo die genaue Parallele zwischen Ihrem Schwenk zur qualitativen Sozialforschung und der meine liegen. Zeit wird es, denn die Belanglosigkeit so vieler Untersuchungen resp. ihr technisches Rüstzeug bei mangelnder Felderfahrung ist doch manchmal zu ärgerlich.

 

Neuerdings ist sogar der Versuch erschienen, das Felderlebnis zu theoretisieren. Von Kutschbach (oder ähnlich) heißt der Knabe, der das geschrieben hat und zu Anfang freudig bekennt, er habe nie ein Felderlebnis gehabt (außer einer Reise nach Südamerika). Das ist der Gipfel.

 

In seinem Brief vom 1.August 1984 an mich schreibt Prof. König zunächst über seine geplante Reise nach Wien im November. Dann wird es spannend:

 

„Mein lieber Kraxler (Bergsteiger) Roland,

Was erzählen Sie mir, dass Ihre Abhandlung über die Wiener Huren in der KZSS erschienen ist: ich hatte es doch dafür vorgesehen…

 

Ihr geplantes Buch ist genauso wichtig wie Ihre anderen Schriften : es handelt sich ja immer darum, etwas „ganz anderes“ mit sprachlichen Mitteln einem Dritten (oder mehreren) klar zu machen, und dieser Sprung durch die Dimensionen ist ebenfalls nicht naiv und (nicht) ohne Vorbereitung zu schaffen. Auch wenn die meisten Kollegen meinen, sie könnten es. Sie beherrschen es großartig, die eine Dimension in die andere zu übertragen, und – was wichtig ist – ohne dass der Betroffene sich belehrt fühlen müsste, was ja letztlich auch ein Machtanspruch ist. Darum wünschte ich allen Soziologen etwas mehr von Ihrer Art, was man eben als qualitative Erkenntnis qualifizieren kann.

 

Kurz und gut: … ich weise Sie auch hin auf den Band 25 Sonderheft der KZSS über Ethnologie als Sozialwissenschaft, wo ich von den Ethnologen das Felderlebnis übernehme und für Soziologen empfehle, die bestenfalls Diskurse kennen, aber keine unmittelbaren Erfahrungen mehr haben, die einen überwältigen können, so dass es einem gelegentlich die Sprache verschlägt…

 

(S 2) … Als ich die Stelle in Ihrem Briefe las, welche Gefühle Sie haben, wenn Sie in einer Wand hängen und nicht wissen, wie es ausgeht, so erinnert das genau an meine Gefühle während des Nazismus und der Emigration, hier ging es immer ums Überleben, und logische Koketterien waren dagegen eigentlich frivol. Das ist die völlig richtige Einstellung. Ich freue mich, dass Sie es so deutlich sehen. Wir freuen uns beide auf einen guten Plausch in der Kirchberggase und anderswo. Seien Sie alle herzlich umarmt von

 

Ihrem René König

In seinem Brief vom 8.Juni 1985 bezeichnet mich R. König als einen gutartigen Anarchisten:

 

Mein lieber anarchistischer Freund Girtler!

 

Das ist wirklich die schönste Anekdote aus Ihrem Leben, dass Sie sich mit den Ostdeutschen Zöllnern gekracht haben und ihnen danach einen Blumentopf brachten, den sie offiziell ablehnten aber inoffiziell annahmen. Das Letztere stellt Ihnen ein gutes Zeugnis aus, dass Sie kein böser Anarchist sind, sondern zur gutartigen Variante gehören….

 

In fröhlichem Gedenken an die schöne Tage in Wien und an die eventuell kommenden…

 

R. König

 

Interessant ist auch der Brief R. Königs vom 15.Juli 1985, in dem ein „Wiener Beisl“ in Istanbul vorkommt und seine Kritik an gewissen Soziologen:

 

Mein lieber Freund Roland,

 

Herzlichsten Dank für Ihre Geburtstagswünsche … Aber ich habe dafür eine Anekdote über das Beisl, die den Vorteil hat, wahr zu sein. Das führt uns zurück in das Jahr 1925, als ein junger Student (König selbst) aus Danzig über Warschau, Lemberg, Bukarest, Kontanza nach Istanbul reiste und dort Quartier suchte. Als ich zu Fuß vom Hafen hinauf stieg über eine gekurvte Straße, sah ich an einer Ecke ein Lokal und darüber stand: „Weaner Beisl“. Ich ging hinein und setzte mich: dort lernte ich einen in der Türkei lebenden österreichischen Archäologen kennen, der mich anredete. Wir kamen ins Gespräch und er half mir, ein wunderbares billiges Quartier in Galata, gerade gegenüber dem Turm von Galata unterhalb der Pera zu finden, wo ich für zwei Monate wohnte, bevor ich nach Wien reiste und mein erstes Semester begann. Im nächsten Jahr suchte ich ihn (den Archäologen), fand ihn aber nicht mehr: er war irgendwo am Schwarzen Meer auf Ausgrabung. Aber das Beisl gab es noch immer. Das ich als mein Standquartier benutzte und wo man mir ein gutes und billiges Quartier beschaffte. Nochmals viele Jahre später, 1957 war ich wieder in Istanbul als Gastprofessor für UNESCO und suchte mit meiner Frau das Beisl: jetzt war es verschwunden …

 

(S 2) Ihr Hurenbuch habe ich gelesen. Es kommt gut heraus, was sie sagen wollen: diese Damen sind Professionelle, die selbstverständlich ihren Respekt verlangen dürfen. Es ist gut und einfühlsam geschrieben…. Aber nun müssen sie weg von den kleinen Huren zu den großen Huren, den Prinzessinnen und Gräfinnen. Ich bin gespannt, was Sie damit anfangen. …. Ich mache Schluss und schicke Ihnen und Ihrer lieben Frau, auch den beiden Jugendlichen unser beider herzlichste Grüße. Wir denken immer mit Freude an Sie alle: voll und ganz Menschen, gewissermaßen rundherum … und dann vergessen Sie meinen Freund Sokki nicht: ich kann ihn mir vorstellen, wie er aus dem Rucksack heraus geschaut hat. Mit guten Wünschen Ihr immer älterer

 

René König

 

Brief von Rene König an Roland Girtler vom Dezember 1989

Im Brief vom 29. 12. 1989 bewundert R. König meine „Hartnäckigkeit“ bzgl. meiner Feldforschungsmethode. Er fügt seinem Brief hinzu, dass seine Frau in mir ein echtes Seitenstück (?) zu dem Wanderer Seume sieht, den sie liebt.

 

 

Soweit einige an mich gerichtete Briefe René Königs, des großen Soziologen und Kulturanthropologen, dem ich hier in Treue und Dankbarkeit gedenken will!