Nach den beiden Jahren in München kehrte ich 1975 freudig zurück nach Wien und das Institut für Soziologie in der Alserstraße. Ich bezog wieder mein altes Zimmer.
Das Schöne an diesem Zimmer war, dass sich an das Fenster ein Blechdach anschloss, auf dem ich mich bisweilen während der Sommersemester sonnte.
Herrn Professor Helle folgte Herr Professor Rolf Ziegler, dem ich für seine Großzügigkeit danke, meine ersten „qualitativen“ Studien durchführen und mich schließlich habilitieren zu können. Auch er zog an die Universität München. Sein Nachfolger wurde Wolfgang Schulz, auch er zeigte sich mir gegenüber als gütiger Chef der Lehrkanzel, an der ich weiterhin meinen Studien nachgehen konnte. Dafür sei auch ihm gedankt. Für mich waren die kommenden Jahre sehr abwechslungsreich.
In guter Erinnerung habe ich die leider schon verstorbene Frau Semelika, die für uns viele Arbeiten, die zum Institutsalltag gehörten, erledigt hat. Ihr sei im Nachhinein dafür gedankt. Ihre Nachfolgerin war die liebenswürdige Frau Erika Riedmüller, auch sie weilt schon im Jenseits. Mit ihr führte ich viele nette Gespräche. Sie hat viel für uns getan. Daher sei auch ihr hier gedankt. Ich bedauere es heute noch, dass ich nicht bei ihrem Begräbnis war.
In meiner Erinnerung an das alte Institut tauchen noch auf: Martha und Erich Sommerauer (der noble Bibliothekar), Eva Richter , Elisabeth Pistauer, Lotte Budik, Josef Hörl, Gerhard Majce, Anton Amann, Robert Strodl (der Computerspezialist), Dieter Wenko (auch er weilt leider nicht mehr unter uns), Max Haller, Wolfgang Schulz, Gilbert Norden, Reinhold Knoll und andere freundlichen Leute, die ich mit dem alten Institutsgebäude verbinde und denen ich für ihr Wohlwollen sehr verbunden bin.
Zu diesen Erinnerungen gehört auch, dass ich bisweilen mit meinem lieben Kollegen Reinhold Knoll und Anton Amort, unserem Portier in einem grauen, aus Beton errichteten Nebenraum des Institutes Tischtennis spielte. Mit Anton Amort, einem ungemein liebenswürdigen Herrn, der sich auch gut mit der Wiener Gaunersprache auskannte, spielte ich mitunter das Kartenspiel Schnapsen. Er war ein Meister darin und besiegte mich grundsätzlich.
Ich verbinde viel Erfreuliches und Aufregendes mit diesem aus einem schönen Gasthaus entstandenen grässlichen Gebäude.
So besuchte mich um 1985 regelmäßig in meinem Zimmer am Institut der ehemalige Ganove Pepi Taschner, auch nette Prostituierte saßen manchmal in meinem Zimmer, um mir aus ihren Leben am Strich zu erzählen.
Einmal erschien der selige Pepi Taschner mit einem früheren Taschendieb, den er von einem früheren Gefängnisaufenthalt kannte, bei mir. Dieser Herr stahl allerdings dem Kollegen Richard Kölltringer den Mantel und die Brieftasche. Als Taschner dies hörte, begann er, der alte Ganove zu weinen und meinte zu seinem früheren „Häfenbruder“: „Du darfst meine Freunde hier am Institut nicht bestehlen!“ Darauf drohte er ihm, er würde den damals berühmten und ungemein starken Ganoven Alois Schmutzer anrufen, dieser würde ihn verhauen. Darauf erhielten wir Mantel und Brieftasche zurück.
Es wundert nicht, dass man am Institut entsetzt war über mich. Ich brachte darauf eine Tafel an meiner Tür an, auf der zu lesen stand:
„Ich bitte meine Interviewpartner als Polizist, Zuhälter, Pfarrer, Dirne, Taschendieb usw. ihren Beruf nicht in den Räumen des Instituts auszuüben“.
Vorher hatte ich an meiner Tür den Spruch vom Eingangstor des Klosters Kremsmünster „Porta patens esto nulli claudatur honesto“ (Die Türe soll jedem offen stehen, der ehrbar ist) angebracht. Zeitweise war an meiner Tür auch zu lesen:
„Bitte mich nur zu stören: bei Revolution, Brand des Institutes und vorher angekündigten Besuch der Frau Bundesminister“.
2002 wurde das Institut auf den Rooseveltplatz übersiedelt und mit dem Institut für Soziologie vereint. Seit damals gibt es nur mehr ein gemeinsames Institut. Im Juni 2008 begann man, das unansehbar gewordene Bauwerk der Alserstraße 33, einen Schandfleck im 8. Bezirk, abzureißen.
Im Mai 2012, ging ich dort wieder vorbei. Anstelle des Bauwerks, welches früher das schöne Gasthaus „Zum Goldenen Hirschen“ beherbergte, erblickte ich dort lediglich einen leeren Platz, auf dem provisorisch Autos parkten. Umgeben war diese Stätte von einer Bretterwand, auf der allerlei Plakate prangten. Max Weber wäre verwundert gewesen, hätte er gesehen, was aus dem alten Gasthof geworden ist.
Ich nahm mir einen Ziegelstein, der dort herum lag und der mit Sicherheit vom alten Gasthaus stammt, zur Erinnerung mit. In meiner Vitrine in meinem Studierzimmer kann er betrachtet werden.
Im neuen Institutsgebäude auf dem Rooseveltplatz fühlte ich mich nicht mehr zuhause. Die Kontakte zwischen den Kolleginnen und Kollegen waren andere als im alten Institut. Freundschaftliche Kontakte, wie sie in der Alserstraße möglich waren, erlebte ich hier keine mehr. Meine Lehrveranstaltungen hielt ich z. T. in Hörsälen im Hauptgebäude der Universität, was mir durchaus behagte.