Beschäftigung mit Rechtssoziologie und Kulturanthropologie

  • Rechtssoziologie - das Auseinanderfallen von offiziellem Recht und informeller Normenordnung
  • Kulturanthropologie - der Mensch als symbolisches bzw. kulturelles Wesen

Die Zeit in München nützte ich, um ein Buch über Rechtssoziologie und eines über Kulturanthropologie zu schreiben. Es sind theoretische Arbeiten, die auf sehr intensive Literaturstudien aufbauten. Die Bücher dazu fand ich in der gut eingerichteten Bibliothek des Instituts für Soziologie an der Universität München, aber auch in der Bayerischen Staatsbibliothek in der Münchener Ludwigstraße. Ich habe dabei viel gelernt für meine späteren Forschungen.

 

Die Arbeit an meinem Buch "Rechtssoziologie - Thesen und Möglichkeiten" (Fink-Verlag München, 1976) bezog sich u.a. darauf, dass es in einer Gesellschaft nicht bloß eine Rechtsordnung, die staatliche, existiert, sondern mehrere, wie in den einzelnen Randkulturen. Dies sah ich, als ich mich z. B. mit der Kultur der Wildschützen beschäftigte oder mit Fußballfans. Überall stieß ich auf Normen, die denen der offiziellen Rechtsordnung widersprachen. Dasselbe zeigte sich im indischen Panchayat, über den ich schon berichtet habe. Beispielhaft sei hier auf die Kultur der Wildschützen verwiesen.

Darüber sprach ich bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Rahmen der Sektion Rechtssoziologie im Jahr 1988.

 

Darüber wurde in einem Sammelband dies berichtet:

 

"DGS-Sektion Rechtssoziologie.

Die Tradition der Wilderer : Spannung zwischen staatlichem, formalem Recht und alter informeller Normenordnung

Girtler, Roland

 

In:

Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (Ed.) ; Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Ed.):

Kultur und Gesellschaft: gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988 ; Beiträge der Forschungskomitees, Sektionen und Ad-hoc-Gruppen. Zürich :

Seismo Verl., 1989. http://bit.ly/2l14qXN

 

Das Wildern in seinem sozialen Kontext ist sowohl von rechtshistorischer, als auch von großer rechtssoziologischer Bedeutung. Mit Übernahme des römisch-rechtlichen Eigentumsbegriffs während des Mittelalters wurden die bis dahin im Gemeineigentum der Dorfgemeinschaft bzw. der Freien gestandenen Waldgebiete und Ödländer (Gebirge...) mitsamt den in ihnen lebenden Tieren Eigentum des Königs bzw. der Landesherrn. Damit fanden sich jedoch die Menschen, vor allem der Gebirgsdörfer nicht ab und betrachteten es als "legitim", das in ihrer Umgebung lebende Wild zu jagen und zu verzehren.

Vor diesem Hintergrund wurde das Wildern für den jungen Burschen des Bergdorfes zum Initiationsritual, durch welches er sich dem adeligen Jagdherrn gleichstellte. "Not" und "Leidenschaft" waren die Triebfedern des wackeren Wilderers. Die Sympathie der Bewohner der Gebirgsdörfer war auf seiner Seite. Er galt als sozialer Rebell, der sich mit Erfolg gegen die Restriktionen des Jagdherrn und die Rechtsordnung auflehnte.

Besonders in den Hungerzeiten nach den beiden letzten Kriegen kam es zu mitunter blutigen Auseinandersetzungen zwischen Wilderern bzw. Wildererbanden und Jägern bzw. Gendarmen als den Vertretern der offiziellen Rechtsordnung.

Bei einer Wildererschlacht, auf die näher eingegangen werden soll, wurden vier Wilderer und ein Gendarm getötet. Aus Protest gegenüber der Gendarmerie legten die Arbeiter dieser Gegend ihre Arbeit nieder und die betreffenden Gendarmen wurden Tage später von aufgebrachten Menschen mit Steinen beworfen. Dieses Ereignis verweist darauf, dass die traditionellen, informellen Normen, also das "lebende" Recht (Eugen Ehrlich), in den Gebirgsdörfern von größerer Relevanz waren als die diversen staatlichen Normen. Sogar die Richter orientierten sich bisweilen an einer solchen Rechtsvorstellung. Allerdings hatte der mächtige Jagdherr einen nicht geringen Einfluss auf den Spruch der Gerichte, so dass bei der Tötung eines Wilderers durch einen Jäger letzterer mit einer milden Strafe rechnen konnte.

Dies zeigte sich auch bei Tötung eines Osttiroler Wilderers durch einen Aufsichtsjäger in den letzten Jahren. Die Bevölkerung agierte jedoch eher zurückhaltend - hier deutet sich ein sozialer Wandel an. Bis heute versuchen die Brüder des getöteten Wilderers, den Mord an ihrem Bruder in der Öffentlichkeit als ein Komplott der "Jägermafia", die Zugang zur politischen Macht und die Möglichkeit des Rechtsbruchs hat, zu brandmarken.

In Wildererliedern, Wilderergeschichten und diversen Ritualen wird allerdings heute noch das "alte Recht" der Wilderer festgehalten. Rechtssoziologisch verweist das "klassische" Wildern, welches ein waidmännisches war (und welches im Gegensatz zum Autowildern u.a. üblen Praktiken wie dem Schlingenlegen steht), darauf, dass informelle, von den "kleinen Leuten" getragene Normen der staatlichen Rechtsordnung historisch bis in die Jetztzeit erfolgreich sich widersetzten. (Methodisch bauen diese Überlegungen auf Interviews mit alten Wilderern, Wildererliedern und entsprechender Literatur auf.)

 

Literatur:

Roland Girtler, Wilderer - soziale Rebellen im Konflikt mit den Jagdherrn, Linz 1988(Oberösterr. Landesverlag) (http://bit.ly/2D0fCeN)

 

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Anfrage Nr. 427 der Beilagen zum stenographischen Protokoll des Salzburger Landtages. Auch hier geht es um Wilderer und Rechtssoziologie.

Auf die Anfrage der Abg. Dr. Solarz, Zweite Präsidentin Mosler-Törnström BSc und Pfeifenberger an Landesrat Eisl (Nr. 261 der Beilagen) betreffend Wilderei in Salzburg antwortet Herr Eisl u.a.:

 

"Hohes Haus!

 

Die Jagd hat im gebirgigen Bundesland Salzburg mit seinem Reichtum an hier beheimateten Wildarten große Tradition...

Die Anzahl an Verurteilungen (wegen Wilderei) stellt zwar eine Vervierfachung dar, es kann aber aufgrund der niedrigen Zahlen (ein bzw. vier Fälle) statistisch kein Trend hin zur Wilderei in Salzburg abgeleitet werden. ...

 

Zu Frage 6: Mit welchen Methoden, Werkzeugen, Behelfen, etc wird die Wilderei in Salzburg durchgeführt?

 

Hinsichtlich der Methoden, Werkzeugen und Behelfen, mit welchen die Wilderei durchgeführt wird, kann mangels Aufzeichnungs- und Auskunftsinformationen der Staatsanwaltschaft Salzburg keine einheitliche Antwort gegeben werden. Es wird aber wohl davon auszugehen sein, dass sowohl mit Jagdwaffen als auch mit Hilfe von Maßnahmen, die bei der Ausübung der Jagd verboten sind, der Tatbestand der Wilderei erfüllt wird. Hierbei ist u. a. an die Benützung von Schusswaffen, Munition und Zielhilfsmitteln, die für die Jagd auf jagdbare Tiere gewöhnlich nicht bestimmt sind, an die Verwendung von künstlichen Lichtquellen zum Blenden, an die Ausübung der Jagd aus Kraftfahrzeugen oder mechanischen Aufstiegshilfen oder an das Fangen oder Töten von Wild mit Schlingen, Leimruten oder Haken zu denken.

 

Zu Frage 7: Gibt es (rechtssoziologische) Studien, die über die Motive der Wilderer Auskunft geben? Wenn ja, welche Motive sind das?

 

Als (rechtssoziologische) Studien, die über die Motive der Wilderer Auskunft geben, können die Werke

  • Roland Girtler, Wilderer – Rebellen in den Bergen, Wien 1998, (ISBN 3205993373, Boehlau Verlag),
  • und Wolfgang Scherleitner, Motive und Auswirkungen der Wilderei Mitteleuropas in Vergangenheit und Gegenwart, 2008, (ISBN 978-3-8366-5741-9, Diplomica Verlag) angeführt werden.

Die Autoren nennen als Motive zusammenfassend u. a. die angeborene Lust am Weidwerk, die Profitgier, die Lust am Töten, die Rache aber auch die Wildbretgewinnung als häufigste Beweggründe für diese Straftat.

Ich ersuche das Hohe Haus um Kenntnisnahme dieser Anfragebeantwortung.

Salzburg, am 25. Januar 2011

Eisl eh

(http://bit.ly/2Bpaf8N)

 

Gerade die Wilderei, bei der gegen das Jagdgesetz verstoßen wird, geht auf die rebellische Forderung der Bauern, denen bis 1848 verboten war zu jagen, zurück, ebenso jagen zu dürfen. Die Bauern beriefen sich dabei auf altes Recht. Auch heutige Wilderer sehen sich bisweilen in dieser Tradition. Es stehen sich also zwei Normendordnungen gegenüber, die staatliche und die informelle der „kleinen Leute“.

Ähnlich verhält es sich bei Schmugglern und ähnlichen Randkulturen, aber auch bei dem oben geschilderten Panchayat. Die alte informelle Rechtsinstitution des Panchayats in Indien funktioniert und wird von Stammesleuten den öffentlichen Gerichten vorgezogen.

 

 

Nach Erscheinen meines Buches „Rechtssoziologie“ schrieb der bekannte Historiker und Universitätsprofessor Friedrich Heer eine Rezension dieses Buches, die ich hier in aller Bescheidenheit wiedergeben will:

In meinem Buch „Kulturanthropologie“ gehe ich auf die Geschichte jener Wissenschaften, die sich mit dem Entstehen von Kulturen, mit Ritualen und Symbolen usw. beschäftigen. Vielleicht gerade durch den kulturanthropologischen Blick, der sich bei meinen Arbeiten zu diesem Buch verfestigt hat, sah ich bei meinen Forschungen, wie wichtig es ist, die Welt aus der Sicht der Menschen, über deren Kultur man etwas erfahren will, zu übernehmen.

Ich richtete daher auch mein Augenmerk auf die Wörter, die sie bei ihren Aktivitäten einsetzen. Dabei ergaben sich spannende Erkenntnisse z. B. als ich mich mit der Wiener Gaunersprache beschäftigt habe. Ebenso erging es mir bei Bauern und Wilderern.